L 6 SF 142/11

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
6
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 SF 142/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Das Gesuch der Klägerin vom 17. Januar 2011, Richterin am Sozialgericht Wilmes wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, ist begründet. Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist in der Hauptsache streitig, ob die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 26,37 Euro nebst Zinsen hat.

Die Klägerin ist Apothekerin und gab an die am 17. März 2007 geborene Versicherte R. Z. am 4. Dezember 2007 einen Pari JuniorBoy S ® und zusätzlich eine Babymaske Größe 2 ab. Der Abgabe lag eine Verordnung der Dipl.-Med. T. vom 27. November 2007 mit folgendem Wortlaut zu Grunde: "1 Pariinhalierboy junior S mit Zubehör Best.-Nr. 05361300 1 Baby Maske Best.-Nr. 041E0704 Dg: obstruktive Bronchitis" Die Klägerin stellte der Beklagten 221,49 Euro (195,12 Euro und 26,37 Euro) in Rechnung, die diese zunächst zahlte. Im Rahmen einer Überprüfung beanstandete sie die Abrechnung von 26,37 Euro und verrechnete sie im Mai 2009 gegen laufende Forderungen der Klägerin.

Im Klageverfahren (Az.: S 3 KR 590/10) hat diese von der Beklagten die Zahlung von 26,37 Euro nebst Zinsen verlangt und vorgetragen, Herr der Therapie sei der Arzt. Der Apotheker sei nicht berechtigt - geschweige denn verpflichtet - , dessen Verordnung zu korrigieren nur weil die Beklagten meine, es könne auch billiger gehen. Mit Schriftsatz vom 13. April 2010 hat die Beklagte u.a. auf das Urteil das SG Gotha vom 22. März 2010 - Az.: S 38 KR 2243/06 Bezug genommen. Dort hat die 38. Kammer die zwischen einem Apotheker und der Beklagten anhängige Klage auf Zahlung von 24,85 Euro wegen der Abgabe einer zusätzlichen Babymaske abgewiesen. Hierzu hat die Klägerin ausgeführt, dieses Urteil sei kein Ruhmesblatt für die Rechtsprechung des SG; es grenze an Rechtsbeugung. Daraufhin hat sich die Vorsitzende der 38. Kammer - Richterin am Sozialgericht (RinSG) Wilmes - mit Schreiben vom 29. Oktober 2010 bei der Rechtsanwaltskammer Thüringen beschwert und u.a. ausgeführt, das Verhalten des Prozessbevollmächtigten könne unter keinen Umständen hingenommen werden. Er habe einen unsachlichen und sehr schwerwiegenden Vorwurf erhoben. Der Tatbestand der Rechtsbeugung nach § 339 des Strafgesetzbuches (StGB) stelle ein Verbrechen dar, welches mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren geahndet werde. Die Entgleisung könne auch schwerlich von Mandanteninteressen gedeckt sein. In beiden Fällen handele es sich um Bagatellfälle. Es bestehe der Verdacht, dass der Rechtsanwalt gegen Grundpflichten nach § 43 a der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) verstoßen habe. Sollte sich ein Anfangsverdacht für ein strafbares Verhalten des Prozessbevollmächtigten ergeben, stelle sie schon jetzt rein vorsorglich einen Strafantrag aus allen rechtlichen Gesichtspunkten. Schließlich bestehe der Verdacht, dass dieser gegen seine Fortbildungspflicht nach § 43 Abs. 6 BRAO verstoßen habe und ihm die verfassungsrechtlich garantierte Unabhängigkeit der Richter nicht bekannt sei.

Mit Wirkung zum 1. Oktober 2010 ist ein Wechsel der Kammerzuständigkeit erfolgt. Zuständig für die Bearbeitung des Rechtsstreits ist nunmehr die 38. Kammer (Az.: S 38 KR 590/10).

Am 17. Januar 2011 hat die Klägerin beantragt, die Vorsitzende der 38. Kammer RinSG Wilmes wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Sie habe durch deren Beschwerde vom 29. Oktober 2010 gegen ihren Prozessbevollmächtigten erfahren, dass sie den Rechtsstreit mit entscheide. Das Ablehnungsgesuch stütze sie auf das rechtswidrige Verhalten in dem vorangegangenen Verfahren gleichen Inhalts (Az.: S 38 KR 2243/06), die Übergehung des Anspruchs auf rechtliches Gehör in dem Verfahren Az.: S 38 KR 2918/05 und die Reaktion (Beschwerde an die Rechtsanwaltskammer Thüringen zwecks Einleitung eines anwaltsgerichtlichen oder strafgerichtlichen Verfahrens bei gleichzeitiger Stellung eines Strafantrages) auf die Urteilsschelte mit Schriftsatz vom 25. Mai 2010. Das Urteil in dem Verfahren Az.: S 38 KR 2918/05 sei durch mehrfache Rechtsverstöße zu Stande gekommen. Entgegen § 112 Abs. 1 und Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sei der Sachverhalt in der mündlichen Verhandlung nicht dargestellt und das Sach- und Streitverhältnis nicht erörtert worden. Das rechtliche Gehör nach Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) sei verletzt und eine Überraschungsentscheidung getroffen worden. Es sei deshalb nicht davon auszugehen, dass sie dieses Verfahren unbefangen führen und entscheiden werde. RinSG Wilmes habe schon einmal bei einer Klage einer Apotheke gegen eine Krankenkasse (Az.: S 38 KR 2918/05) den Anspruch auf rechtliches Gehör durch Überraschungsentscheidung missachtet. Insoweit bezieht sie sich auf die Beschwerdebegründung in dem Verfahren Az.: L 6 B 279/09 KR. Ihrem Prozessbevollmächtigten sei es, soweit er das Urteil vom 22. März 2010 angegriffen habe, darum gegangen, der Gefahr zu begegnen, dass aus einem anderen Urteil einfach abgeschrieben werde, ohne aufgrund des anhängigen Verfahrens eigene Überlegungen anzustellen. Deshalb habe er eine ausdrucksstarke Formulierung gewählt, um deutlich zu machen, in welch rechtswidriger Weise dieses Urteil zu Stande gekommen sei. Dass sich RinSG Wilmes bemüßigt gefühlt habe, mit einer Beschwerde an die Rechtsanwaltskammer vom 29. Oktober 2010 zu kontern, beweise ihre persönliche Betroffenheit und dass sie nicht mehr in der Lage sei, den Fall unvoreingenommen zu bearbeiten. Schließlich sei ihm die Anfrage an die Beklagte vom 9. Dezember 2010 nicht übersandt worden, nur deren Antwortschreiben vom 15. Dezember 2010. Eine Antwort lasse sich nur dann richtig verstehen, wenn man die Frage kenne.

In ihrer dienstlichen Stellungnahme von 28. Februar 2011 hat RinSG Wilmes ausgeführt, soweit der Prozessbevollmächtigte sein Ablehnungsgesuch auf ihr angebliches Fehlverhalten in bereits abgeschlossenen Verfahren stütze, verweise sie auf § 43 der Zivilprozessordnung (ZPO) und nehme im Übrigen Bezug auf ihre Anzeige an die Rechtsanwaltskammer Thüringen. An ihrer Auffassung habe sich nichts geändert. Entgleisungen und persönliche Beleidigungen des Rechtsanwaltes halte sie für absolut inakzeptabel und bitte daher, dem Gesuch zu entsprechen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

die Richterin am Sozialgericht Wilmes wegen Besorgnis der Befangenheit in dem Verfahren Az.: S 38 KR 590/10 abzulehnen.

Die Beklagte hat sich zu dem Gesuch nicht geäußert.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Beschwerdeakte sowie der beigezogenen Gerichtsakte (Az.: S 38 KR 590/10) Bezug genommen.

II.

Das Gesuch der Klägerin ist begründet, denn es liegt ein Grund vor, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der RinSG Wilmes zu rechtfertigen (§ 60 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO.

Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 42 Abs. 1 Alternative 2 ZPO kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen (§ 42 Abs. 2 ZPO).

Gründe für ein solches Misstrauen sind gegeben, wenn ein am Verfahren Beteiligter von seinem Standpunkt aus, jedoch bei vernünftiger objektiver Betrachtung, Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln. Es müssen Anhaltspunkte für eine unsachliche Einstellung oder für Willkür des Richters vorliegen.

Im konkreten Fall ergibt sich eine Besorgnis der Befangenheit aus der Tatsache, dass RinSG Wilmes gebeten hat, dem Ablehnungsgesuch zu entsprechen. Wenn eine Richterin erklärt, sie fühle sich in der Sache befangen - dahingehend ist die dienstliche Äußerung vom 28. Februar 2011 auszulegen -, ist es bei objektiver Betrachtung nicht fern liegend, dass hierauf eine Partei besorgt, die Sicht der zur Entscheidung berufenen Richterin sei eingeschränkt und sie sei parteiisch. Dies gilt erst recht, wenn die richterliche Erklärung, sich befangen zu fühlen, auf persönlichen Vorwürfen gründet.

So liegt der Fall hier. Die abgelehnte Richterin hat sich in ihrer dienstlichen Äußerung vom 28. Februar 2011 dahingehend erklärt, sie halte die Entgleisungen und persönlichen Beleidigungen des Rechtsanwalts für absolut inakzeptabel; sie bitte daher darum, dem Gesuch des Rechtsanwalts zu entsprechen. Sie räumt damit ein, der Klägerin bzw. deren Prozessbevollmächtigten nicht unvoreingenommen gegenüber zu stehen. Hiernach hat die Klägerin bei vernünftiger Würdigung aller Umstände jedenfalls nunmehr aufgrund des Inhalts dieser dienstlichen Äußerung Anlass an der Unvoreingenommenheit der RinSG Wilmes zu zweifeln. Die Besorgnis der Befangenheit einer Richterin, die selbst vorträgt, wegen Entgleisungen und persönlichen Beleidigungen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin möge dem Ablehnungsgesuch entsprochen werden, ist bei objektiver Betrachtung begründet (vgl. OLG des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 29. Juli 2010 - Az.: 10 W 90/09, nach juris).

Der Senat sieht sich im Hinblick auf den vorliegenden Sachverhalt allerdings vorsorglich zu folgendem generellen Hinweis veranlasst: Seitens eines Verfahrensbeteiligten geäußerte herabsetzende Äußerungen oder grundlose Anschuldigungen einer Rechtsbeugung sind nicht geeignet, eine nachfolgende Ablehnung der Richterin durch diesen Beteiligten oder in der Regel auch eine Selbstablehnung der Richterin zu begründen (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Mai 2008 - Az.: L 6 SF 27/07, Sächsisches LSG, Beschluss vom 6. Februar 2003 – Az.: L 3 AR 123/02 AL; OLG Dresden, Beschluss vom 8. August 2001 – Az.: 10 Abl 19/01, nach juris;). Soweit RinSG Wilmes ein Beschwerdeschreiben an die Rechtsanwaltskammer Thüringen gerichtet hat, begründet dies allein ebenfalls keine Besorgnis der Befangenheit (vgl. Senatsbeschluss vom 15. Oktober 2006 - Az.: L 6 SF 515/06). Andernfalls müsste es sich jeder Richter zur Vermeidung eines begründeten Ablehnungsgesuchs gefallen lassen, sanktionslos zu sein und könnte zum Objekt persönlicher Schmähungen durch einen Beteiligten werden (vgl. Knoche, Besorgnis richterlicher Befangenheit wegen der Veranlassung strafrechtlicher Schritte, MDR 2000, S. 371, 375). Eine Richterablehnung kann grundsätzlich auch nicht mit Erfolg auf die vermeindliche Rechtsfehlerhaftigkeit von Entscheidungen in früheren Verfahren gestützt werden. Die Überprüfung richterlicher Entscheidungen hat allein im Rechtsmittelweg zu erfolgen, es sei denn, es liegen Anhaltspunkte für eine unsachliche Einstellung des Richters oder für Willkür vor. Verfahrensverstöße oder sonstige Rechtsfehler eines Richters bilden, selbst wenn sie objektiv vorliegen, grundsätzlich keinen Ablehnungsgrund. Insoweit stehen den Beteiligten die allgemeinen Rechtsbehelfe - auch zur Überprüfung von Verfahrensfehlern - zur Verfügung (vgl. Bundesfinanzhof (BFH), Beschluss vom 20. Juni 2003 - Az.: XI R 25/03).

Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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