L 1 KR 127/10

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 36 KR 3338/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 127/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen. Der Streitwert wird auf 1.933,37 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Im Streit zwischen den Beteiligten ist die Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung in Höhe von 1.933,37 Euro nebst Zinsen; die Klägerin ist ein in den Krankenhausplan aufgenommenes Krankenhaus, die Beklagte eine gesetzliche Krankenkasse (in Liquidation).

Die im Jahre 1951 geborene Frau R N (V.), die bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert ist, befand sich vom 21. September bis zum 27. September 2006 im Krankenhaus der Beklagten. Sie litt an einer chronisch rezidivierenden Sigmadivertikulitis. Am 22. September 2006 erfolgte eine laparoskopische Resektion von Teilen des Dickdarms. Die untere Resektionsgrenze lag 2 cm oberhalb der peritonealen Umschlagfalte.

Auf die Rechnung der Beklagten vom 28. September 2006 zahlte die Beklagte auf Grundlage der Diagnosis Related Group (DRG)-Fallpauschale G17Z - Andere Rektumresektion - 8.587,05 Euro. Es habe sich um eine hohe anteriore Rektumresektion unter Sphinterhaltung laparoskopisch mit Anastomose gehandelt.

Die Beklagte leitete ein Prüfungsverfahren ein und bat den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) um eine Kodierprüfung. Dieser kam in seiner Stellungnahme vom 07. Februar 2007 zu der Auffassung, es liege ein Eingriff am Dünn- und Dickdarm (G18Z) und nicht eine andere Rektumresektion (G17Z).vor, da bei der durchgeführten Sigmaresektion eine Mitresektion von Teilen des Rektums beinhaltet sei. Gestützt hierauf beanstandete die Beklagte mit Schreiben vom 23. Februar 2007 die Rechnung der Klägerin und forderte die Rückzahlung von 1.933,37 Euro, der Differenz zwischen den DRZ-Ziffern G17Z und G18Z. Zu den Einwendungen der Klägerin hiergegen vertrat der MDK die Auffassung, er verbleibe bei seiner Meinung, worauf die Beklagte mit Schreiben vom 05. Juli 2007 eine Aufrechnung in Höhe von 1.933,37 Euro gegen eine andere Forderung der Klägerin vornahm.

Mit der am 19. Dezember 2007 beim Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat die Klägerin die Auffassung vertreten, die Abrechnung der Fallpauschale G17Z sei richtig gewesen. Zwischen Sigmaresektion und Rektosigmoidresektion sei nicht abzugrenzen. Erst mit der OPS-Version 2007 seien einschränkende Kriterien insoweit eingeführt worden. Bei der Operation der V. sei ein Teil des Rektums mit seziert worden.

Die Beklagte ist bei der Ansicht verblieben, der Klägerin stehe der geltend gemachte Anspruch aus den vom MDK dargelegten Gründen nicht zu.

Das Sozialgericht hat ein Sachverständigengutachten des Dr. K vom 7. Mai 2009 eingeholt und eine ergänzende Stellungnahme hierzu. Hierauf wird Bezug genommen

In der mündlichen Verhandlung vom 18. März 2010 hat das Sozialgericht den Sachverständigen Dr. K und den behandelnden Arzt Dr. K gehört. Auf die Vernehmungsniederschrift wird Bezug genommen.

Sodann hat das Sozialgericht mit Urteil vom 18. März 2010 die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 1.933,37 Euro zzgl. Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18. Juli 2007 zu zahlen.

Zur Begründung hat das Sozialgericht im Wesentlichen ausgeführt, bei der V. sei nicht lediglich eine Sigmaresektion, sondern auch eine Rektumresektion durchgeführt worden, so dass die Klägerin Anspruch auf die Bezahlung dieser teureren Operation habe. Ausschlaggebend sei nicht, wie groß der Teil des Rektums sei, der entfernt worden sei und um welchen Teil es sich handele, sondern ob überhaupt ein Teil des Rektums entfernt worden sei. Die vom MDK vorgenommene Auslegung, unter dem Begriff Sigmaresektion sei auch eine erweiterte Sigmaresektion zu verstehen, bei der Teile des oberen Rektums mit entfernt werden, fände im Wortlaut der OPS-Version 2006 keine Stütze. Es sei jedoch auf den Wortlaut abzustellen (Hinweis auf Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 18. September 2008 - B 3 KR 15/07 R -). Dass bei der V. tatsächlich nicht nur Teile des Sigmas, sondern auch des Rektums entfernt worden seien, ergebe sich aus der Zeugenaussage des behandelnden Arztes Dr. K, die nicht im Widerspruch zu den Ausführungen des Sachverständigen Dr. K stünde. Dieser habe seine Meinung, es habe eine Sigmaresektion vorgelegen, ausschließlich damit begründet, in den Patientenakten hätten sich keine Hinweise darauf gefunden, dass tatsächlich auch Teile des Rektums entfernt worden seien. Dass dies aber der Fall gewesen sei, habe die Aussage des Zeugen Dr. K ergeben.

Gegen dieses dem damaligen Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 06. April 2010 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung vom 19. April 2010, mit der das Vorbringen aus dem erstinstanzlichen Verfahren wiederholt und vertieft wird. Eine Sigmaresektion bezeichne die Entfernung des letzten Abschnitts des Dickdarms, der in das Rektum münde. Eine Rektumresektion könne nur dann gezahlt werden, wenn sie unzweifelhaft erbracht worden sei, was hier nicht der Fall sei. Die Aussage des Zeugen Dr. K, der bei der Klägerin abhängig beschäftigt sei, vermöge diesen Beweis nicht erbringen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. März 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Zwischen den Angaben des Sachverständigen Dr. K und des Zeugen Dr. K bestünde kein Widerspruch. Beide stimmten darin überein, dass es für die Abgrenzung zwischen Sigma und Rektum nicht allein auf die variable Umschlagfalte ankomme, sondern dass Sigma und Rektum klar voneinander abgegrenzt werden könnten. Diese Abgrenzung habe der Zeuge Dr. K als behandelnder Operateur dahingehend vorgenommen, dass er Teile des Rektums entfernt habe.

Die Beteiligten haben übereinstimmend ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die Patientenakte der Klägerin und auf die Gerichtsakte verwiesen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung des Senats gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Über die zulässige Berufung konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten ihr Einverständnis mit einem derartigen Verfahren erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Die Klägerin hat den geltend gemachten Anspruch gegen die Beklagte, so dass das diesem zusprechenden Urteil des Sozialgerichts keiner Beanstandung unterliegt.

Anspruchsgrundlage ist § 109 Abs. 4 Satz 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - SGB V - i.V.m. § 7 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz - KHEntgG - und der Anlage 1 Teil A KFPV 2004 sowie der Krankenhausbehandlungsvertrag für das Land Berlin nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V.

Nach § 7 Satz 1 KHEntgG werden die Leistungen der Krankenhäuser entsprechend den in den Nrn. 1 bis 8 dieser Vorschrift abschließend aufgezählten Entgelten abgerechnet. Es handelt sich um die Abrechnung von Fallpauschalen nach dem Entgeltkatalog. Die Grundlage dieser Regelungen des KHEntgG findet sich in § 17 b Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG), auf den § 9 KHEntgG mehrfach Bezug nimmt. Danach ist für die Vergütung der allgemeinen Krankenhausleistungen ein durchgängiges, leistungsorientiertes und pauschalierendes Vergütungssystem einzuführen, das Komplexitäten und Komorbiditäten abzubilden hat. Sein Differenzierungsgrad soll praktikabel sein. Mit diesen Entgelten werden die allgemeinen vollstationären und teilstationären Krankenhausleistungen für einen Behandlungsfall vergütet.

Mit Wirkung zum 01. Januar 2004 wurde von den betroffenen Spitzenverbänden ein Vergütungssystem auf der Grundlage von DRG als erste Fassung eines deutschen Fallpauschalenkatalogs verbindlich eingeführt. Dieser ist nach Fallgruppen geordnet, wobei die Zuordnung jedes Behandlungsfalles in zwei Schritten erfolgt. In einem ersten Schritt wird die Behandlung nach ihrem Gegenstand und ihren prägenden Merkmalen nach den Deutschen Kodierrichtlinien - DKR - und der OPS 301 verschlüsselt. Danach wird im zweiten Schritt der Code einer DRG zugeordnet und nach Maßgabe des Fallpauschalenkatalogs und der Pflegesatzvereinbarung die von der Krankenkasse zu zahlende Vergütung errechnet. Dazu werden zertifizierte Softwareprogramme eingesetzt, die vom Krankenhaus nicht beeinflusst werden können. Ziel dieser Verfahrensweise ist, Vergütungsregelungen für die routinemäßige Abwicklung in zahlreichen Behandlungsfällen streng nach Wortlaut der Vergütungsregelungen sowie den dazu vereinbarten Anwendungsregeln zu handhaben und keinen Raum für weitere Bewertungen und Abwägungen zu lassen (vgl. BSG, Urteil vom 13. Dezember 2003 - B 3 KR 1/01 R - SozR 3-5565 § 14 Nr. 2 zu anderen Fallpauschalen und Sonderentgeltkatalogen). Ergeben sich bei der Abrechnung Wertungswidersprüche und sonstige Ungereimtheiten, haben es die jeweils zuständigen Stellen durch Änderungen im Fallpauschalenkatalog, im OPS 301 und in den Kodierrichtlinien in der Hand, diese für die Zukunft zu beseitigen, wenn sie Handlungsbedarf sehen (BSG, Urteil vom 18. September 2008 - B 3 KR 15/07 R -, zitiert nach juris, Rdnr. 18). Grundprinzip des DRG-Systems ist es, monokausal einen durchgeführten Eingriff möglichst mit allen Einzelaspekten in einem Code abzubilden. Es sind alle signifikanten Prozeduren zu codieren, die vom Zeitpunkt der Aufnahme bis zum Zeitpunkt der Entlassung vorgenommen wurden und im OPS 301 abbildbar sind. Signifikant sind Prozeduren chirurgischer Art, die ein Eingriffsrisiko in sich bergen, die ein Anästhesierisiko in sich bergen oder die Spezialeinrichtungen, Geräte und spezielle Ausbildung erfordern.

Ausschlaggebend für die hier entscheidende Frage, ob eine Rektumresektion durchgeführt wurde, ist bei einer eng am Wortlaut orientierten Auslegung also lediglich, ob ein Teil des Rektums entfernt wurde. Zutreffend hat das Sozialgericht dargelegt, dass es unerheblich ist, wie groß dieser Teil ist und um welchen Teil es sich handelt, da die OPS-Version 2006 keine weiteren Einschränkungen bzw. Klarstellungen enthält. Für eine erweiternde Auslegung, wie sie der MDK und Beklagte vornehmen, nämlich dass die Sigmaresektion auch eine so genannte "erweiterte Sigmaresektion" mit Entfernung intraperitonealer Anteile des Rektums umfasse, bleibt insoweit kein Raum. Wenn die Krankenkassen es für nötig halten, so haben sie mit ihren Spitzenverbänden darauf hinzuwirken, dass Ungereimtheiten beseitigt werden, so wie es vorliegend der OPS-Version 2007 bei der OPS 5-455.75 zu entnehmen ist. Dies bedeutet, dass vor Einführung der Version 2007 diese Differenzierung nicht vorzunehmen ist.

Entscheidungserheblich ist also, ob bei der Sigmaresektion auch ein Teil des Rektums entfernt wurde. Davon ist der Senat in Übereinstimmung mit dem Sozialgericht überzeugt:

Der Einwand der Beklagten, der Zeuge Dr. K hätte nicht als Zeuge, sondern als Partei vernommen werden müssen, übersieht, dass im sozialgerichtlichen Verfahren die Parteivernehmung nicht stattfindet, da § 118 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG - nicht auf §§ 445 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) verweist (BSG, Entscheidung vom 13. Dezember 2005 - B 13 RJ 245/05 B - m.w.N.). Die Tatsache, dass der Zeuge bei der Klägerin angestellt ist, ist allenfalls bei der Bewertung einer Aussage zu berücksichtigen, wobei allerdings auch einbezogen werden muss, dass Ärzte in Bezug auf von ihnen vorgenommene Eingriffe keinen direkten Weisungen des Krankenhausträgers unterliegen, mithin eine gewisse Unabhängigkeit bei der Berufsausübung haben. Der Zeuge Dr. K leitet nach seiner glaubwürdigen Aussage den Bereich Koloproktologie der Klägerin und führt im Jahr zirka 1000 bis 1200 operative Eingriffe durch, davon zirka 600 bis 700 koloproktologische. Er hat dargelegt, dass von der Klinik der Klägerin mit der Diagnose einer gutartigen Divertikelerkrankung, wie bei der V., standardmäßig neben dem Sigma auch der obere Teil des Rektums, die so genannte Hochdruckzone, entfernt wird. Sigma und Rektum seien anhand der Beschaffenheit ihrer Außenwände klar voneinander abzugrenzen. Dies werde bei der Operation gesehen. Werde aber die Hochdruckzone mit entfernt, so betreffe dies 2 bis 4 cm des Rektums. Glaubhaft hat der Zeuge dargelegt, dass er sich zwar nicht an die V. erinnern könne, dass er sich aber mit Sicherheit daran erinnern würde, wenn aus irgendeinem Grund ausnahmsweise entgegen der ständigen Praxis der Klinik bei einer solchen Operation keine Teile des Rektums entfern würden. Dies ergibt sich auch aus der Bescheinigung der Pathologen Prof. K und T vom 10. November 2009, wonach es sich bei dem Präparat der V. um Sigma mit Anteilen des oberen Rektums handeln könne, wobei - in Übereinstimmung mit dem Zeugen Dr. K - diese Frage nicht vom Pathologen am Mikroskop, sondern nur vom Operateur anhand der anatomischen Gegebenheiten vorgenommen werden könne. Somit zeigt die Aussage des Zeugen Dr. K, das Rektumteile resektiert worden sind.

Dem Sozialgericht ist auch darin zuzustimmen, dass dies nicht in Widerspruch zum Gutachten des Dr. K steht. Denn dieser führt lediglich aus, dass sich aus der Dokumentation der Operation keine eindeutigen Hinweise ergäben, dass neben der Sigmaresektion auch Teile des Rektums entfernt worden seien. Dass dann, wenn Teile des Rektums entfernt werden, dies die von der Klägerin vorgenommene Codierung auslöst, sieht auch der Sachverständige Dr. K so (vgl. S. 4/4 Abschnitt 3 des Gutachtens). Seine Annahme aus den OP-Unterlagen hingegen ist durch die Aussage des Zeugen Dr. K widerlegt.

Der Zinsanspruch folgt aus § 12 Abs. 5 des Krankenhausbehandlungsvertrags für das Land Berlin.

Damit war die Berufung mit der Kostenfolge aus § 197 a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung zurückzuweisen.

Der Beschluss über den Streitwert folgt aus § 52 Gerichtskostengesetz; er kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).

Für die Zulassung der Revision liegt keiner der Gründe des § 160 Abs. 2 SGG vor.
Rechtskraft
Aus
Saved