L 8 SB 1808/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 1808/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwaltes für das Berufungsverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist im Hauptsacheverfahren die Herabsetzung des Grades der Behinderung (GdB) sowie die Aberkennung der Nachteilsausgleiche (Merkzeichen) "G" und "B" streitig.

Bei 1973 geborenen Kläger stellte das Versorgungsamt R. mit Bescheid vom 23.06.1998 wegen einer organischen Persönlichkeitsstörung mit Hydrozephalus internus (Teil-GdB 80), einem Halswirbelsäulensyndrom mit Cervikobrachialgie und chronischen Kopfschmerzen (Teil-GdB 20) sowie Beschwerden nach Erfrierung der Hände (Teil-GdB 10) den GdB mit 90 neu und außerdem die Merkzeichen "G" und "B" fest. Im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens wurde einem Antrag des Klägers auf Erhöhung des GdB und Feststellung der Merkzeichen "RF" und "1. Klasse" - unter Mitberücksichtigung eines im Betreuungsverfahren dem Landgericht Konstanz erstatteten psychiatrischen Gutachtens von Professor Dr. E. vom 01.10.2002 - vom Versorgungsamt R. mit Bescheid vom 09.09.2003 nicht entsprochen.

Im Juli 2008 leitete das zwischenzeitlich zuständige Landratsamt K. - Amt für Versorgung und Rehabilitation - (LRA) ein Nachprüfungsverfahren ein. Nachdem der Kläger keine Angaben zu den ihn behandelnden Ärzte machte, holte das LRA die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. B. vom 22.09.2008 ein, in der mitgeteilt wird, dass nach allgemeiner ärztlicher Erfahrung eine gewisse Stabilisierung der organischen Persönlichkeitsstörung bei Hydrozephalus internus angenommen werden und die Merkzeichen nicht mehr vorausgesetzt werden könnten. Das LRA wies den Kläger mit Schreiben vom 25.09.2008 auf seine Mitwirkungspflicht nach § 60 Abs. 1 SGB I sowie auf § 66 SGB I hin. Der Kläger teilte seinen Hausarzt Dr. R. mit, dessen Praxis von Dr. S. übernommen worden war. Nach einer telefonischen Mitteilung von Dr. S. seien die ärztlichen Unterlagen des Klägers am 07.04.2004 von Dr. R. ausgehändigt worden; bei Dr. S. habe sich der Kläger seit Jahren nicht mehr in ärztlicher Behandlung befunden (Gesprächsnotiz vom 19.11.2011). Das LRA zog vom Klinikum der Universität F. den Befundbericht der letzten Untersuchung des Klägers vom 18.01.1991 bei. Der Kläger teilte mit, weitere Unterlagen lägen nicht vor; eine Behandlung wie früher bei Dr. R. sei ihm nicht mehr möglich (Schreiben vom 15.01.2009). Mit Anhörungsschreiben vom 26.02.2009 teilte das LRA dem Kläger mit, dass beabsichtigt sei, einen Neufeststellungsbescheid zu erlassen (GdB 60; Aberkennung der Merkzeichen "G" und "B"). Hierzu teilte der Kläger mit, eine Besserung sei nicht eingetreten (Schreiben vom 03.03.2009). Mit Bescheid vom 17.04.2009 hob das LRA den Bescheid vom 23.06.1998 gem. § 48 SGB X auf und stellte fest, dass der GdB wegen einer organischen Persönlichkeitsstörung bei Hydrozephalus internus (Teil-GdB 50), Nervenwurzelreizer-scheinungen, Kopfschmerzsyndrom (Teil-GdB 20) und Sensibilitätsstörungen nach Erfrierung der Hände (Teil-GdB 10) nur noch 60 ab dem 24.04.2009 betrage und dass die Voraussetzungen für die Merkzeichen "G" und "B" nicht mehr vorlägen.

Gegen den Bescheid vom 17.04.2009 legte der Kläger am 24.04.2009 Widerspruch ein. Er führte zur Begründung aus, es mangele an einer tatsächlichen Besserung seiner Gesundheitssituation. Die Einstellung der Praxistätigkeit seines früheren Hausarztes und das Fehlen der Krankenakte rechtfertigten den Erlass des Bescheides nicht. Er sei mitwirkungsbereit gewesen und habe umfangreich zur Klärung der Situation beigetragen. Das LRA (Versorgungsarzt Dr. C., Stellungnahme vom 13.05.2009) veranlasste eine Begutachtung durch die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Reich. Der Kläger erschien zu Terminen zur gutachtlichen Untersuchung am 22.07.2009 (8:30 Uhr) und am 11.08.2009 (8:15 Uhr) jeweils unentschuldigt nicht. Das LRA holte weitere Stellungnahmen seines ärztlichen Dienstes (Dr. C. vom 12.08.2009 und der Fachärztin R. vom 11.08.2009) ein, die mitteilten, dass keine aktuelle Aussage zum Gesundheitszustand bzw. zur Höhe des GdB getroffen werden könne. Nach einem weiteren Hinweisschreiben an den Kläger vom 17.08.2009 wurde der Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 17.04.2009 vom Regierungspräsidium S. - Landesversorgungsamt - mit Widerspruchsbescheid vom 01.10.2009 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, wegen des Eintritts einer wesentlichen Änderung habe der GdB von bisher 90 auf 60 herabgesetzt und die Merkzeichen "G" und "B" hätten entzogen werden müssen. Nachdem eine Beiziehung aktueller ärztlicher Berichte nicht möglich gewesen sei und eine weitere medizinische Abklärung nicht habe erfolgen können, weil der Kläger den angesetzten Untersuchungen unentschuldigt ferngeblieben sei, müsse an der getroffenen Entscheidung festgehalten werden. Nach Aktenlage sei davon auszugehen, dass die zu erwartende Stabilisierung des psychischen Zustandes und damit eine wesentliche Änderung im Sinne von § 48 SGB X eingetreten sei. Die Festsetzung des GdB auf 60 sowie der Entzug der Merkzeichen "G" und "B" entspreche den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen.

Hiergegen erhob der Kläger am 07.10.2009 Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG). Er machte geltend, ohne erkennbaren Grund würden der rechtskräftig festgestellte GdB von 90 auf 60 herabgestuft sowie die Nachteilsausgleiche "G" und "B" aberkannt. Weiter wandte sich der Kläger gegen eine befristete Verlängerung seines Ausweises.

Auf Erinnerung des SG legte der Kläger eine eingeschränkte Erklärung über die Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht vor und machte Angaben über ärztliche Behandlungen und Untersuchungen (Zeitraum "ca. 1998" bis März 2007). Auf richterliche Verfügung vom 08.04.2010 (Hinweise insbesondere zur Mitwirkungspflicht und Frage zur Bereitschaft der Mitwirkung an einer gutachtlichen Untersuchung) zur Stellungnahme stellte der Kläger einen Befangenheitsantrag (Schreiben vom 06.05.2010), der mit Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 19.05.2010 (L 6 SF 2311/10 AB) zurückgewiesen wurde. Außerdem beantragte der Kläger die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwaltes (Schreiben vom 06.05.2010). Mit richterlicher Verfügung vom 02.06.2010 wurde der Kläger (unter Verweis auf die Ausführungen im Schreiben vom 08.04.2010) aufgefordert, die behandelnden Ärzte unter Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht zu benennen, gegebenenfalls mitzuteilen, seit wann keine ärztlichen Behandlungen, Untersuchungen oder Ähnliches mehr in Anspruch genommen worden seien, sowie mitzuteilen, ob einer durch das Gericht in Auftrag gegebenen gutachtlichen Untersuchung Folge geleistet oder eine derartige Untersuchung abgelehnt werde. Hierzu teilte der Kläger mit, weitere Äußerungen würden nur durch einen ihn vertretenden Rechtsanwalt abgegeben. An den Prozesskostenhilfeantrag werde erinnert (Schreiben vom 10.07.2010).

Mit Beschluss vom 05.04.2011 lehnte das SG die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ab und mit Gerichtsbescheid vom gleichen Tag wies es die Klage ab. Es führte zur Begründung aus, beim Kläger sei der GdB mit 60 ab 24.04.2009 zu bewerten. Ein GdB von weiterhin 90 sei weder in Ansatz zu bringen noch nachgewiesen. Ab diesem Zeitpunkt seien auch die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung der Merkzeichen "G" und "B" nicht mehr gegeben bzw. nicht mehr nachgewiesen. Ein Bescheid im Rahmen von § 66 SGB I wäre im vorliegenden Falle möglich und rechtmäßig gewesen. Dies ändere nichts daran, dass auch die erfolgte Entscheidung im Rahmen des § 48 SGB X zutreffend und nicht zu beanstanden sei. Denn die - wenn auch nur wenigen - ärztlichen Befundunterlagen erbrächten gleichwohl den Nachweis einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse im Sinne einer eingetretenen Besserung. Ohne die gebotene und zumutbare, jedoch vom Kläger ohne triftigen Grund unterlassene Mitwirkung sei eine weitere Aufklärung des medizinischen Sachverhaltes nicht möglich. Die Anforderungen an die Amtsermittlungspflicht verringerten sich, wenn ein Beteiligter seinen Mitwirkungspflichten nicht nachkomme. In einem solchen Falle habe nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast der Kläger die Folgen der Nichtfeststellbarkeit der den Anspruch auf Beibehaltung eines GdB von 90 sowie die weitere Zuerkennung der Merkzeichen "G" und "B" begründenden Tatsachen zu tragen.

Gegen den dem Kläger am 09.04.2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat er am 13.04.2011 Berufung eingelegt und gleichzeitig die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwaltes für das Berufungsverfahren beantragt. Der Kläger hat zur Begründung vorgetragen, der Beklagte habe den GdB mit 90 sowie die Merkzeichen "G" und "B" unbefristet gültig festgestellt und einen entsprechenden Ausweis auszustellen. Die Ansicht des Beklagten sei substanzlos und anzuzweifeln. Der Beklagte habe ohne erkennbaren Grund den Schwerbehindertenausweis um 1/3 gekürzt und die Merkzeichen "G" und "B" entzogen. Dieses Vorgehen sei unzulässig und verstoße gegen Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz sowie Art. 2a der Landesverfassung Baden-Württemberg. Ungeklärt bliebe auch, aufgrund welcher Sachlage er einer Untersuchung durch eine vom Beklagten festgelegte Psychiaterin zugeführt werden sollte. Offensichtlich herrsche beim Beklagten Willkür. Er habe um kein Gespräch bei einer Psychiaterin ersucht. Er werde vom SG im angefochtenen Gerichtsbescheid in einem unzutreffenden Duktus dargestellt.

Der Beklagte ist der Berufung entgegen getreten. Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Der vorliegende medizinische und rechtliche Sachverhalt sei zutreffend gewürdigt worden. Sachargumente, die eine abweichende Beurteilung begründen könnten, seien dem Berufungsvorbringen des Klägers nicht zu entnehmen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie zwei Band Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

II.

Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) ist zulässig, aber nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Bewilligung von PKH und Beiordnung eines Prozessbevollmächtigten für das Berufungsverfahren.

Ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält gemäß § 73a SGG i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Außerdem wird dem Beteiligten auf Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt seiner Wahl beigeordnet, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist (§ 121 Abs. 2 ZPO). Bei der Prüfung der Erfolgsaussicht ist in tatsächlicher Hinsicht in eng begrenztem Umfang auch eine vorweggenommene Beweiswürdigung (Beweisantizipation) zulässig (BVerfG NJW 1997, 2745, 2746). Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist aber anzunehmen, wenn eine Beweisaufnahme durchzuführen ist, weil die Entscheidung in der Hauptsache von der Klärung entscheidungserheblicher Tatsachen abhängt und keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Antragstellers ausgehen wird (vgl. BVerfG NJW 2003, 2976, 2977; BSG SozR 3-1750 § 62 Nr. 19).

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, denn die Berufung des Klägers hat keine hinreichende Erfolgsaussicht. Der im Hauptsacheverfahren streitgegenständliche Bescheid des Beklagten vom 17.04.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 01.10.2009 dürfte sich im durchzuführenden Berufungsverfahren voraussichtlich als rechtmäßig erweisen. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG dürfte im Ergebnis nicht zu beanstanden sein.

Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Eine wesentliche Änderung im Hinblick auf den GdB gegenüber einer vorausgegangenen Feststellung liegt nur dann vor, wenn im Vergleich zu den den GdB bestimmenden Funktionsausfällen, wie sie der letzten Feststellung des GdB tatsächlich zugrunde gelegen haben, insgesamt eine Änderung eingetreten ist, die einen um wenigstens 10 geänderten Gesamt-GdB bedingt und die Voraussetzungen für die Zuerkennung von Merkzeichen entfallen sind. Dabei ist die Bewertung nicht völlig neu, wie bei der Erstentscheidung, vorzunehmen. Vielmehr ist zur Feststellung der Änderung ein Vergleich mit den für die letzte bindend gewordene Feststellung der Behinderung oder eines Nachteilsausgleiches (Merkzeichen) maßgebenden Befunden und behinderungsbedingten Funktionseinbußen anzustellen. Eine ursprünglich falsche Entscheidung kann dabei grundsätzlich nicht korrigiert werden, da die Bestandskraft zu beachten ist. Sie ist lediglich in dem Maße durchbrochen, wie eine nachträgliche Veränderung eingetreten ist. Rechtsverbindlich anerkannt bleibt nur die festgestellte Behinderung mit ihren tatsächlichen Auswirkungen, wie sie im letzten Bescheid in den Gesamt-GdB eingeflossen, aber nicht als einzelne (Teil-)GdB gesondert festgesetzt worden sind. Auch der Gesamt-GdB ist nur insofern verbindlich, als er im Sinne des § 48 Abs. 3 SGB X bestandsgeschützt ist, nicht aber in der Weise, dass beim Hinzutreten neuer Behinderungen der darauf entfallende Teil-GdB dem bisherigen Gesamt-GdB hinzuzurechnen ist (vgl. BSG SozR 1300 § 48 Nr. 29). Die Verwaltung ist nach § 48 SGB X berechtigt, eine Änderung zugunsten und eine Änderung zuungunsten des Behinderten in einem Bescheid festzustellen und im Ergebnis eine Änderung zu versagen, wenn sich beide Änderungen gegenseitig aufheben (BSG SozR 3-3870 § 3 Nr. 5). Maßgeblich dürfte dabei hinsichtlich des GdB der dem Bescheid vom 09.09.2003 zugrunde liegende Behinderungszustand des Klägers sein, da mit diesem Bescheid ein Neufeststellungsantrag des Klägers abgelehnt und damit - konkludent- der GdB mit 90 bestätigt wurde, hinsichtlich der Merkzeichen "G" und "B" der Bescheid vom 23.06.1998.

Bei der Prüfung dieser Voraussetzungen beurteilt sich die Begründetheit der vom Kläger gegen die streitgegenständlichen Bescheide erhobenen Anfechtungsklage zum Zeitpunkt des Abschlusses des Widerspruchsverfahrens, hier dem Widerspruchsbescheid vom 01.10.2009. Danach eingetretene Änderungen sind nicht zu berücksichtigten (vgl. BSG, Urteil vom 10.09.1997 - 9 RVs 15/96 -, SozR 3-3870 § 3 Nr. 7). Hierüber wäre im Rahmen eines Neufeststellungsverfahrens wegen Verschlimmerung zu befinden, das nicht Gegenstand des vorliegenden Berufungsverfahrens ist.

Beim Kläger dürfte im Hauptsacheverfahren davon auszugehen sein, dass der Beklagte zu Recht das Vorliegen einer wesentlichen Änderung im Sinne einer Besserung festgestellt hat, die es rechtfertigt, ab dem 24.04.2009 den GdB auf 60 herabzusetzen und die Nachteilsausgleiche "G" und "B" abzuerkennen, wovon auch das SG im angefochtenen Gerichtsbescheid ausgeht.

Allerdings konnte der Beklagte im Verwaltungsverfahren ärztliche Befundunterlagen über den aktuellen Gesundheitszustand des Klägers nicht beziehen. Auch das vom LRA in Auftrag gegebene Gutachten durch die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Reich kam nicht zustande. Damit lagen dem Beklagten zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt (Widerspruchsbescheid vom 01.10.2009) keine medizinischen Unterlagen vor, die eine Aussage zum aktuellen Gesundheitszustand des Klägers und damit zu der Tatsache einer wesentlichen Änderung ermöglichten. Davon gehen auch der versorgungsärztliche Dienst des Beklagten (Dr. C. in seiner Stellungnahme vom 12.08.2009) sowie die Fachärztin R. in ihrer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 11.08.2009 übereinstimmend aus.

Für die Tatsache einer eingetretenen wesentlichen Änderung (Besserung) dürfte nicht der Kläger, sondern die Beklagte die objektive Beweislast tragen. Allein der Umstand, dass zum maßgeblichen Zeitpunkt der Beurteilung der Sach- und Rechtslage (Widerspruchsbescheid vom 01.10.2009) aktuelle medizinische Befundunterlagen (mangels Behandlung des Klägers) nicht beigebracht werden konnten und sich der Kläger einer (deswegen) in Auftrag gegebenen Begutachtung bei der Fachärztin R. ohne Entschuldigungsgründe nicht unterzogen hat, dürfte eine Umkehr der Beweislast zu Lasten des Klägers (noch) nicht rechtfertigen (vgl. BSG, Beschluss vom 04.04.1998 - B 2 U 304/97 -, juris).

In rechtlicher Hinsicht dürften sich jedoch aus dem Verhalten des Klägers, der sich der vom Beklagten in Auftrag gegebenen und wegen fehlender sonstiger aktueller ärztlicher Unterlagen auch notwendigen Begutachtung durch die Fachärztin R. nicht unterzogen hatte, Konsequenzen für die Beweiswürdigung ergeben.

Der Kläger dürfte zur Mitwirkung bei der Begutachtung verpflichtet sein. Die Pflicht zur Mitwirkung ergibt sich allerding nicht aus der unmittelbaren Anwendung der Vorschriften der §§ 60 ff. SGB I. Denn im Hauptsacheverfahren ist keine Sozialleistung (§ 11 SGB I) streitig, sondern die feststellende Tätigkeit der Versorgungsbehörde zur Höhe des GdB und zum Vorliegen der Voraussetzungen von Merkzeichen "G" und "B" (vgl. Hess. Landessozialgericht, Urteil vom 21.01.2009 - L 4 SB 36/08 -, juris). Für das Sozialrechtsverhältnis besteht jedoch ein allgemeiner Mitwirkungsgrundsatz zwischen einem Antragsteller oder Versicherten und einem Sozialleistungsträger, der aus dem auch im öffentlichen Recht Anwendung findenden Grundsatz von Treu und Glauben resultiert. Die aus diesem Mitwirkungsgrundsatz sich ergebenden Mitwirkungspflichten bestehen darin, dass der Antragsteller oder Versicherter und der Versicherungsträger alles in ihren Kräften stehende und zumutbare zu tun haben, um sich gegenseitig von vermeidbaren, das Sozialrechtsverhältnis betreffende Nachteile oder Schäden zu bewahren. Diese Grundsätze gelten auch im Schwerbehindertenrecht (vgl. zum Vorstehenden auch, BSG, Urteil vom 12.02.1997 - 9 RVs 2/96 -, SozR 3-3870 § 4 Nr. 17, m.w.N.).

Entgegen dieser Mitwirkungspflicht hat der Kläger im Rahmen des vom Beklagten berechtigt eingeleiteten Nachprüfungsverfahren durch sein unentschuldigtes Fernbleiben zu zwei Untersuchungsterminen eine notwendige Begutachtung durch die Fachärztin R. vereitelt. Entschuldigungsgründe hat der Kläger nicht vorgetragen und sind auch nicht ersichtlich. Entsprechend pflichtwidrig hat er sich im Klageverfahren vor dem SG verhalten. Trotz richterlicher Aufforderungen hat er brauchbare Angaben, die für das SG zu weiteren Ermittlungen Ansätze hätten geben können, nicht gemacht. Seine vorgelegte Entbindungserklärung war eingeschränkt auf ärztliche Untersuchungen in der Vergangenheit. Dies gilt auch für Angaben seiner behandelnden Ärzte. Auf das richterliche Schreiben vom 02.06.2010 hat der Kläger lediglich mitgeteilt, weitere Angaben durch einen Rechtsanwalt zu machen. In einem solchen Fall dürfte der auch im Sozialgerichtsprozess aus § 444 ZPO entwickelte allgemeine Rechtsgedanke zum Tragen kommen, dass derjenige, der durch schuldhaftes Handeln oder Unterlassen eine an sich mögliche Beweisführung vereitelt, wie dies beim Kläger zutreffen dürfte, sich gegebenenfalls so behandeln lassen muss, als sei die Beweisführung gelungen (vgl. BSG, Beschluss vom 13.09.2005 - B 2 U 365/04 B -, m.w.N, juris).

Hiervon ausgehend dürfte im Hauptsacheverfahren davon auszugehen sein, dass sich die gesundheitlichen Verhältnisse des Klägers in einem Ausmaß gebessert haben, dass die Herabsetzung des GdB auf 60 und die Aberkennung der Merkzeichen "G" und "B" gerechtfertigt ist, wie auch das SG im angefochtenen Gerichtsbescheid annimmt. Nach der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. B. vom 22.09.2008 können nach allgemeiner ärztlicher Erfahrung eine gewisse Stabilisierung der organischen Persönlichkeitsstörung bei Hydrozephalus internus angenommen und die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Merkzeichen ("G" und "B") nicht mehr vorausgesetzt werden. Besserungstendenzen lassen sich auch dem im Betreuungsverfahren dem Landgericht Konstanz erstatteten psychiatrischen Gutachtens von Professor Dr. E. vom 01.10.2002 entnehmen. Weiter spricht der Umstand, dass sich der Kläger nach den - von ihm bestätigten - Angaben von Dr. S. seit Jahren nicht mehr in regelmäßiger ärztlicher Behandlung befunden hat, für eine Besserung seines Behinderungszustandes. Unter diesen Umständen drängt sich - jedenfalls nach derzeitiger Aktenlage - auf, dass der Kläger durch sein pflichtwidriges Verhalten bei der Klärung des entscheidungserheblichen medizinischen Sachverhaltes versucht, eine tatsächlich eingetretene Besserung seines Behinderungszustandes, der die Herabsetzung des GdB auf 60 sowie die Aberkennung der Merkzeichen "G" und "B" rechtfertigt, zu verheimlichen. Die Einschätzung des Ausmaßes der funktionellen Beeinträchtigung mit einem GdB von 60 beruht auf versorgungsärztlichem Erfahrungswissen, was keinen rechtlichen Bedenken unterliegen dürfte. Dies gilt auch für die Beurteilung des Wegfalls der Voraussetzungen für die Merkzeichen.

Verstöße gegen das Grundgesetz bzw. die Verfassung des Landes Baden-Württemberg dürften bei dieser Sachlage nicht vorliegen.

Nach alledem kann somit nicht von einer hinreichenden Erfolgsaussicht der Berufung des Klägers ausgegangen werden, weshalb der Antrag auf PKH abzulehnen war.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG)
Rechtskraft
Aus
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