Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
SG Altenburg (FST)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
8
1. Instanz
SG Altenburg (FST)
Aktenzeichen
S 8 VM 617/06
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Der Bescheid vom 07.12.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.02.2006 wird aufgehoben. 2. Der Beklagte wird verurteilt, als weitere Schädigungsfolge nach dem Anti-D-Hilfegesetz eine psychische Beeinträchtigung anzuerkennen und Leistungen nach dem Anti-D-Hilfegesetz ab 01.08.2000 nach einem GdS von 40 zu gewähren. 3. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Anerkennung einer psychischen Erkrankung als Schädigungsfolge nach dem Anti-D-Hilfegesetz (AntiDHG) sowie die Erhöhung des Grades der Schädigung (GdS).
Die 1953 geborene Klägerin erhielt im Dezember 1978 im Rahmen der Entbindung ihres zweiten Kindes eine Anti-D-Prophylaxe, die mit Hepatitis-C-Viren verseucht war. Im Februar 1979 machten sich Anzeichen einer Hepatitis-C-Erkrankung bemerkbar. Die Klägerin wurde für 15 Wochen in einer Kinderklinik unter Quarantäne gestellt; sie durfte ihr Zimmer nicht verlassen; das Kind wurde von ihr getrennt. In der Folgezeit litt die Klägerin an körperlichen Beschwerden, insbesondere Abgeschlagenheit, erhöhtem Schlafbedürfnis, Kopfschmerzen, eingeschränkter Leistungsfähigkeit, Oberbauchdruck und Durchfall. Später kamen psychische Beschwerden hinzu.
Mit Bescheid vom 25.04.1995 erkannte der Beklagte nach dem Bundesseuchengesetz (BSeuchG) als Impfschaden eine chronisch persistierende Hepatitis an und gewährte Entschädigungsleistungen nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in Höhe von 30 v.H. ab 01.01.1991. Mit Bescheid vom 29.09.1999 wurde die anerkannte Schädigungsfolge als chronische Hepatitis C mit Progression bezeichnet. Im Hinblick auf die Höhe der MdE trat keine Änderung ein.
In den Jahren 2001/2002 hatte sich die Klägerin einer Interferon-Therapie unterzogen. Am 07.08.2000 stellte sie einen Antrag auf Verschlimmerung, in dem sie angab, zunehmende Depressionen seien ein Erscheinungsbild ihrer Krankheit. Auf der Grundlage durchgeführter Ermittlungen und einer versorgungsärztlichen Stellungnahme stellte der Beklagte mit Bescheid vom 07.12.2004 fest, dass der Anspruch nach dem AntiDHG mit Wirkung vom 01.02.2005 entfalle und ab diesem Zeitpunkt keine MdE mehr vorliege. Zur Begründung hieß es, Hepatitis-C-Viren seien nicht mehr nachweisbar. Mit Widerspruchsbescheid vom 01.02.2006 bestätigte der Beklagte seine Ausgangsentscheidung.
Am 01.03.2006 hat die Klägerin Klage erhoben. Über ihre Bevollmächtigten macht sie eine psychische Erkrankung als Schädigungsfolge geltend und verweist darauf, dass bereits in einem fachinternistischen Gutachten vom 18.05.1999 Angstgefühle und Depressionen benannt worden seien. Trotz der Kenntnis der vorliegenden Symptomatik habe der Beklagte keine ausreichende Sachaufklärung betrieben.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 07.12.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.02.2006 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, eine psychische Beeinträchtigung als Schädigungsfolge anzuerkennen sowie Leistungen nach dem Anti-D-Hilfegesetz nach einen GdS von 40 ab 01.08.2000 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er bezieht sich auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide, die er für rechtmäßig hält.
Das Gericht hat medizinische Unterlagen beigezogen und Beweis erhoben durch ein neuropsychiatrisches Sachverständigengutachten. Der Gutachter, Dr. R., kommt zu dem Ergebnis, dass die Klägerin in der Zeit vom 15.07.2003 bis 06.12.2006 unter einer anhaltenden affektiven Störung gelitten habe, die nicht auf die Schädigung zurückzuführen sei. In allen bisherigen Darstellungen ärztlicher Befunde der verschiedenen Fachrichtungen werde davon ausgegangen, dass die Viruserkrankung Hepatitis C nicht zu morphologischen oder funktionellen Hirnstörungen, einschließlich einer Depression, führe, da bisher das Virus in der Nervenflüssigkeit nicht nachgewiesen worden sei.
Das Gericht hat darüber hinaus den Hepatologen Prof. Dr. G. mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Der Sachverständige hat ausgeführt, die chronische Hepatitis-C-Erkrankung der Klägerin sei ausgeheilt. Als Schädigungsfolge bestehe eine Depression, die mit einem GdS von 30 zu bewerten sei. Es sei unstrittig durch zahlreiche Studien belegt, dass ein chronischer Hepatitis-C-Virusinfekt mit einer erhöhten Inzidenz depressiver Störungen einhergehe. Die Literaturangaben schwankten zwischen 30 und 40 Prozent. Es sei weiterhin unstrittig, dass eine depressive Störung verschlimmert bzw. ausgelöst werden könne, durch die - im Falle der Klägerin durchgeführte - Therapie mit Interferon. Es sei davon auszugehen, dass die Klägerin vor der Infektion mit der Hepatitis C eine gesunde junge Frau gewesen sei ohne weitere depressive Symptome. Schon relativ bald nach der Infektion hätten sich psychische Symptome entwickelt, die sich im weiteren Verlauf verschlimmerten. Es liege eine depressive Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnisfähigkeit vor.
Auf Grund der Einwände, die durch den Bevollmächtigten der Klägerin und den Sachverständigen Prof. Dr. G. gegenüber dem Gutachten Dr. R. erhoben worden sind, hat das Gericht einen weiteren psychiatrischen Sachverständigen bestellt. Der Psychiater und Psychotherapeut Dr. H. kommt in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, die Klägerin leide an einer chronischen depressiven Störung im Sinne einer Dysthymie. Differenzialdiagnostisch sei eine posttraumatische Belastungsstörung in Betracht zu ziehen. Auch eine Komorbidität beider Störungen sei denkbar. Es sei davon auszugehen, dass ein erheblicher Anteil in der Verursachung der Erkrankung durch die Hepatitis-C-Infizierung nach Anti-D-Prophylaxe herbeigeführt worden sei. Ursprünglich traumatisierendes Ereignis hinsichtlich der posttraumatischen Belastungsstörung sei die Situation nach der Entbindung des zweiten Sohnes der Klägerin mit einer zum damaligen Zeitpunkt durchaus vitalen Bedrohung der Klägerin gewesen, welche mit zu einer solchen Störung führenden Unterbringungsbedingungen einher gegangen sei. Es sei nicht zwangsläufig notwendig, dass sich derartige Störungen oder Symptome unmittelbar nach einem traumatisierenden Ereignis einstellten. Der Gesamt-GdS für die schädigungsbedingte psychische Erkrankung der Klägerin betrage 40.
Nach Auswertung des Sachverständigengutachtens geht der versorgungsärztliche Dienst des Beklagten davon aus, die Diagnose einer chronischen depressiven Störung sei gestellt und begründet worden, andere Fachgutachter hätten hierzu andere Auffassungen vertreten. Die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung sei nicht nachvollziehbar, da zum einen die zur Diagnosestellung geforderten Kriterien nicht belegt seien, zum anderen die vitale Bedrohung und die Unterbringungsbedingungen zum Zeitpunkt der Entbindung des zweiten Sohnes nicht als schädigendes Ereignis gewertet werden könnten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Akte des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet.
Die angefochtenen Bescheide des Beklagten sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in subjektiven Rechten. Die Klägerin hat ab 01.08.2000 einen Anspruch auf Feststellung einer psychischen Behinderung als Schädigungsfolge, die mit einem GdS von 40 zu bewerten ist.
Nach § 1 Abs. 1 Anti-DHG erhalten Frauen, die in dem in Art. 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet in Folge einer in den Jahren 1978 und 1979 durchgeführten Anti-D-Immunprophylaxe mit bestimmten Chargen des Bezirksinstituts für Blutspende- und Transfusionswesen des Bezirkes Halle mit dem Hepatitis-C-Virus infiziert wurden, aus humanitären und sozialen Gründen Krankenbehandlung und eine finanzielle Hilfe. Die finanzielle Hilfe setzt gemäß § 3 Abs. 2 AntiDHG einen Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 30 voraus. Der GdS bestimmt sich nach § 30 Abs. 1 und § 31 Abs. 2 des Bundesversorgungsgesetzes (§ 3 Abs. 4 AntiDHG). Danach ist der GdS nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Maßstab für die Höhe des GdS waren darüber hinaus nach früherer Rechtslage die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP).
Nach früherer Rechtslage war der GdS unter Heranziehung der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) in ihrer jeweils geltenden Fassung festzulegen (BSG, SozR 3 - 3870 § 3 Nr. 5, bestätigt durch Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 6. März 1995, SozR 3 - 3870 § 3 Nr. 6). Zwar beruhten die AHP weder auf dem Gesetz noch auf einer Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften, so dass sie keinerlei Normqualität hatten, dennoch waren sie als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen, die in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit wirkten, deshalb normähnliche Auswirkungen hatten und im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden waren. Daraus folgte: Die AHP unterlagen nur einer eingeschränkten Kontrolle durch die Gerichte und konnten nicht durch Einzelfallgutachten hinsichtlich ihrer generellen Richtigkeit widerlegt werden. Es galten die Prüfmaßstäbe wie bei der Prüfung untergesetzlicher Normen, d. h. die Rechtskontrolle beschränkte sich auf die Vereinbarung der AHP mit höherrangigem Recht und Fragen der Gleichbehandlung (BSG SozR 3 - 3870 § 4 Nr. 19). Auf der Grundlage des § 30 Abs. 17 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) trat ab 01.01.2009 die Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) in Kraft. Sie regelt die Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG, für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung nach § 1 Abs. 3 BVG, die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und der Stufen der Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 BVG und das Verfahren für deren Ermittlung und Fortentwicklung. Gemäß § 2 der VersMedV sind die in § 1 genannten Grundsätze und Kriterien in der Anlage zu dieser Verordnung als deren Bestandteil festgelegt. Die Anlage wird auf der Grundlage des aktuellen Stands der medizinischen Wissenschaft und der Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin erstellt und fortentwickelt. Die in den AHP niedergelegten Vorgaben zur Bestimmung des GdB und des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) wurden nahezu vollständig in die Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung übernommen. Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der aufgrund des § 30 Abs. 17 BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend.
In ihrer Entscheidungsfindung stützt sich die Kammer neben den Vorgaben der VersMedV auf die im Klageverfahren eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten des Internisten Prof. Dr. G. und des Psychiaters Dr. H ... Diese Gutachten sind schlüssig und widerspruchsfrei. Sie beruhen auf ambulanten Untersuchungen der Klägerin und decken sich mit den Bestimmungen der VersMedV. Die Entscheidung stützt sich hingegen nicht auf das von Herrn Dr. R. erstellte Gutachten. Dieses Gutachten ist von den beiden anderen Sachverständigen kritisiert worden. Die Kammer hat diese Kritik als berechtigt angesehen und ist davon ausgegangen, dass das Gutachten in entscheidenden Punkten nicht dem Stand der medizinischen Wissenschaft entspricht.
Unter Berücksichtigung der Feststellungen des Psychiaters Dr. H. steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Klägerin seit Anfang der 90er Jahre an einer chronischen depressiven Störung bzw. einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet. In Betracht kommt auch eine Komorbidität beider Störungen. Der Sachverständige hat festgestellt, dass die Klägerin zittrig und ängstlich wirke und dass das Angstniveau deutlich erhöht sei. Aufmerksamkeit, Konzentration und Menestik seien eingeschränkt. Vom Affekt her wirke die Klägerin deutlich bedrückt und depressiv, sie sei kaum schwingungsfähig und verbleibe in einem für den Untersucher nur schwer erreichbaren Stadium. Sie ziehe sich sozial erheblich zurück, schlafe viel und komme manchmal 2 bis 3 Tage gar nicht aus dem Bett. Der Gutachter hat nach Auswertung der Gerichtsakte festgestellt, dass die Klägerin seit weit über einem Jahrzehnt über Symptome klagt, die sich dem Formkreis affektiver (depressiver) Störungen zuordnen lassen. Auf der Symptomebene sei deshalb davon auszugehen, dass diese Beeinträchtigungen als depressive Erkrankung diagnostiziert werden könnten. Alle maßgeblichen Faktoren müssten bei der Klägerin als ausreichend sicher angesehen werden. Der Sachverständige hat darauf hingewiesen, dass nach dem ICD 10 bestimmte Symptome vorliegen müssen, um eine Depression anzunehmen, insbesondere verminderter Antrieb oder Aktivität, Schlaflosigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, sozialer Rückzug. Aus den Aktenunterlagen ergibt sich, dass die Klägerin jedenfalls seit Ende der 90-er Jahre über derartige Beschwerden berichtete. In einem Gutachten des Städtischen Klinikums St. Georg L. vom 18.05.1999 gab die Klägerin neben körperlichen Beschwerden auch eine schnelle Ermüdbarkeit, Leistungsschwäche, Angstgefühle und Depressionen an. In einem hausärztlichen Befundbericht vom Juni 2003 heißt es, die Klägerin sei wegen Depression schon früher in ärztlicher Behandlung gewesen. 2004 war die Klägerin in der evangelischen Lukasstiftung Altenburg in stationärer psychiatrischer Behandlung. Im Vordergrund standen rezidivierende Erschöpfungszustände, gestörter Schlaf-Wach-Rhythmus, verminderte Belastbarkeit, Zukunftsängste und sozialer Rückzug.
Der Sachverständige Prof. Dr. G. bestätigt das Vorliegen einer Depression. Zwar handelt es sich bei diesem Gutachter nicht um einen Psychiater. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass Prof. Dr. G. als Hepatologe und als Chefarzt des Zentrums für innere Medizin des Universitätsklinikums E. über eine langjährige Erfahrung in der Behandlung von Hepatitis-C-Erkrankten verfügt und deshalb eine über das übliche Maß hinausgehende Kompetenz aufweist. Das gilt insbesondere auch für die Beantwortung der Kausalitätsfrage. Prof. Dr. G. hat dargelegt, dass es mittlerweile unstrittig und durch zahlreiche epidemiologische prospektive und retrospektive Studien belegt sei, dass ein chronischer Hepatitis-C-Virusinfekt mit einer erhöhten Inzidenz depressiver Störungen einhergehe. Mit gutem Grund könne man sagen, dass etwa ein Drittel der Patienten mit chronischer Hepatitis-C-Erkrankung an einer mehr oder weniger ausgeprägten, mit klinischen Tests erfassbaren depressiven Störung leide. Außerdem sei es unstrittig, dass eine depressive Störung durch eine Interferon-Therapie verschlimmert bzw. ausgelöst werden könne. Der Sachverständige weist weiter darauf hin, dass die Klägerin bereits 1981 und 1983 im Rahmen von Begutachtungen Beschwerden angab, die zu den typischen Symptomen einer Depression zählten. Aus der Sicht der Kammer sind darüber hinaus auch die erheblichen körperlichen Beschwerden zu berücksichtigen unter denen die Klägerin ab 1980 bis zur Ausheilung der Hepatitis-C-Erkrankung litt und die in zahlreichen Gutachten, u.a. von 1980, 1983, 1995 und 1999 dokumentiert wurden. Es ist nachzuvollziehen, dass diese körperlichen Beschwerden geeignet waren, sich auf die psychische Befindlichkeit der Klägerin auszuwirken und eine Depression auszulösen bzw. zu verschlimmern. Entscheidend für die Annahme einer Kausalität zwischen der Hepatitis-C-Erkrankung und der Depression ist schließlich die Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen Dr. Hoffmann, der keine Zweifel daran hat, dass die psychische Erkrankung auf die schädigungsbedingte Hepatitis zurückzuführen ist.
Die Differenzierung zwischen einer depressiven Erkrankung und einer posttraumatischen Belastungsstörung ist aus der Sicht der Kammer nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Der Gutachter Dr. H. hat diese Erkrankung als Differenzialdiagnose diskutiert und auch eine Komorbidität beider Störungen nicht ausgeschlossen. Das für die posttraumatische Belastungsstörung ausschlaggebende traumatisierende Ereignis war die mit einer Quarantäne verbundene Unterbringung der Klägerin wenige Monate nach der Geburt. Die Klägerin hat die näheren Umstände dieses Aufenthalts sowohl dem Sachverständigen als auch dem Gericht gegenüber mit starker emotionaler Beteiligung geschildert. Der Sachverständige hat keine Zweifel daran, dass dieses Erlebnis den Ausschlag für eine posttraumatische Belastungsstörung gegeben haben kann, die sich erst im Laufe der Zeit einstellte. Die Kammer folgt dem Sachverständigen in seiner Einschätzung unter Berücksichtigung der Schilderungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung. Es ist deshalb nicht entscheidend, ob die psychische Behinderung der Klägerin auf eine Depression oder einer posttraumatischen Belastungsstörung oder auf beiden Erkrankungen beruht, weil ein einheitlicher GdS für die Auswirkungen beider Erkrankungen zu bilden ist und keinerlei Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die psychischen Einschränkungen der Klägerin andere Ursachen haben als die Hepatitis-C-Erkrankung bzw. die Vorgänge unmittelbar nach der Geburt.
Dem Gutachten des zunächst beauftragten Sachverständigen Dr. R. ist die Kammer nicht gefolgt. Dr. R. nimmt für die Zeit von 2003 bis 2006 eine psychische Störung in Form einer anhaltenden affektiven Störung an. Für die Zeit vor dem 15.07.2003 räumt er darüber hinaus ein, dass für 2000/2001 eine psychische Symptomatik ärztlicherseits angegeben worden sei. Die Diagnose einer anhaltenden affektiven Störung steht im Widerspruch zu der Einschätzung der Klinik für Psychiatrie A., die im August 2004 von einer rezidivierenden depressiven Störung ausging. Auch der behandelnde Facharzt für Psychiatrie, Dipl. med. J., nahm jedenfalls bis 2006 eine depressive Episode an und änderte diese Diagnose dann in eine anhaltende affektive Störung ab, die kaum mehr symptomfreie Intervalle zeigte. Weil auch die gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. G. und Dr. H. bei ihren Untersuchungen eine depressive Erkrankung der Klägerin feststellten, ist die Auffassung von Herrn Dr. R. nicht nachzuvollziehen, dass die Klägerin in der Zwischenzeit nicht unter psychischen Beschwerden litt. Wahrscheinlicher ist, dass während der Untersuchung durch Herrn Dr. R., die 2007 stattfand, ein symptomfreies Intervall vorlag. Im Ergebnis widersprechen die aktuellen gutachterlichen Einschätzungen, die älteren Arztberichte und der Befundbericht des behandelnden Psychotherapeuten der Auffassung von Herrn Dr. R., so dass die Kammer diesem Gutachten insoweit nicht folgt. Dasselbe gilt hinsichtlich der Kausalitätsfrage. Herr Dr. R. vertritt im Wesentlichen die Ansicht, es sei nicht nachgewiesen, dass eine Hepatitis-C-Erkrankung zu morphologischen oder funktionellen Hirnstörungen, einschließlich einer Depression führe, da bisher das Virus in der Nervenflüssigkeit nicht nachgewiesen worden sei. Der Sachverständige Dr. H. hat darauf hingewiesen, dass diese rein biologistische Sichtweise über die Ätiologie psychischer Störungen von der psychiatrischen Wissenschaft heute nicht mehr geteilt werde und dies eigentlich noch nie der Fall gewesen sei. Die derzeit gültigen internationalen psychiatrischen Diagnosemanuale ICD 10 und DSM IV zeichneten sich gerade dadurch aus, dass sie ätiologiefrei konstruiert seien. Der Sachverständige Prof. Dr. G. lehnt die Auffassung des Herrn Dr. R. mit ähnlicher Argumentation ab. Die Kammer schließt sich dieser Kritik an und hat deshalb die Schlussfolgerungen des Gutachters Dr. R. nicht in ihre Überlegungen einbezogen. Der GdS für die Schädigungsfolgen auf psychiatrischem Fachgebiet beträgt 40. Insoweit folgt die Kammer dem Sachverständigen Dr. H ... Es ist von einer stärker behindernden Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit in Form einer ausgeprägteren depressiven Störung auszugehen, die nach der AnlVersMedV mit einem GdS von 30 bis 40 zu bewerten ist. Auch der Sachverständige Prof. Dr. G. hat darauf hingewiesen, dass es sich um eine Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnisfähigkeit handele. Die Kammer teilt die Auffassung des Psychiaters Dr. H., dass innerhalb der Bewertungsbandbreite diese Erkrankung nach der AnlVersMedV der obere Wert heranzuziehen ist. Diese Einschätzung beruht im Wesentlichen auf dem durch Herrn Dr. H. dargelegten psychopathologischen Untersuchungsbefund, aus dem sich ergibt, dass die Klägerin sich beispielsweise sozial erheblich zurückzieht, manchmal 2 bis 3 Tage gar nicht aus dem Bett aufsteht und an einer erheblichen Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörung leidet.
Die Bildung eines Gesamt-GdS für die Zeit vom 01.08.2000 bis 31.10.2005 war nicht Streitgegenstand.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Anerkennung einer psychischen Erkrankung als Schädigungsfolge nach dem Anti-D-Hilfegesetz (AntiDHG) sowie die Erhöhung des Grades der Schädigung (GdS).
Die 1953 geborene Klägerin erhielt im Dezember 1978 im Rahmen der Entbindung ihres zweiten Kindes eine Anti-D-Prophylaxe, die mit Hepatitis-C-Viren verseucht war. Im Februar 1979 machten sich Anzeichen einer Hepatitis-C-Erkrankung bemerkbar. Die Klägerin wurde für 15 Wochen in einer Kinderklinik unter Quarantäne gestellt; sie durfte ihr Zimmer nicht verlassen; das Kind wurde von ihr getrennt. In der Folgezeit litt die Klägerin an körperlichen Beschwerden, insbesondere Abgeschlagenheit, erhöhtem Schlafbedürfnis, Kopfschmerzen, eingeschränkter Leistungsfähigkeit, Oberbauchdruck und Durchfall. Später kamen psychische Beschwerden hinzu.
Mit Bescheid vom 25.04.1995 erkannte der Beklagte nach dem Bundesseuchengesetz (BSeuchG) als Impfschaden eine chronisch persistierende Hepatitis an und gewährte Entschädigungsleistungen nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in Höhe von 30 v.H. ab 01.01.1991. Mit Bescheid vom 29.09.1999 wurde die anerkannte Schädigungsfolge als chronische Hepatitis C mit Progression bezeichnet. Im Hinblick auf die Höhe der MdE trat keine Änderung ein.
In den Jahren 2001/2002 hatte sich die Klägerin einer Interferon-Therapie unterzogen. Am 07.08.2000 stellte sie einen Antrag auf Verschlimmerung, in dem sie angab, zunehmende Depressionen seien ein Erscheinungsbild ihrer Krankheit. Auf der Grundlage durchgeführter Ermittlungen und einer versorgungsärztlichen Stellungnahme stellte der Beklagte mit Bescheid vom 07.12.2004 fest, dass der Anspruch nach dem AntiDHG mit Wirkung vom 01.02.2005 entfalle und ab diesem Zeitpunkt keine MdE mehr vorliege. Zur Begründung hieß es, Hepatitis-C-Viren seien nicht mehr nachweisbar. Mit Widerspruchsbescheid vom 01.02.2006 bestätigte der Beklagte seine Ausgangsentscheidung.
Am 01.03.2006 hat die Klägerin Klage erhoben. Über ihre Bevollmächtigten macht sie eine psychische Erkrankung als Schädigungsfolge geltend und verweist darauf, dass bereits in einem fachinternistischen Gutachten vom 18.05.1999 Angstgefühle und Depressionen benannt worden seien. Trotz der Kenntnis der vorliegenden Symptomatik habe der Beklagte keine ausreichende Sachaufklärung betrieben.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 07.12.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.02.2006 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, eine psychische Beeinträchtigung als Schädigungsfolge anzuerkennen sowie Leistungen nach dem Anti-D-Hilfegesetz nach einen GdS von 40 ab 01.08.2000 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er bezieht sich auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide, die er für rechtmäßig hält.
Das Gericht hat medizinische Unterlagen beigezogen und Beweis erhoben durch ein neuropsychiatrisches Sachverständigengutachten. Der Gutachter, Dr. R., kommt zu dem Ergebnis, dass die Klägerin in der Zeit vom 15.07.2003 bis 06.12.2006 unter einer anhaltenden affektiven Störung gelitten habe, die nicht auf die Schädigung zurückzuführen sei. In allen bisherigen Darstellungen ärztlicher Befunde der verschiedenen Fachrichtungen werde davon ausgegangen, dass die Viruserkrankung Hepatitis C nicht zu morphologischen oder funktionellen Hirnstörungen, einschließlich einer Depression, führe, da bisher das Virus in der Nervenflüssigkeit nicht nachgewiesen worden sei.
Das Gericht hat darüber hinaus den Hepatologen Prof. Dr. G. mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Der Sachverständige hat ausgeführt, die chronische Hepatitis-C-Erkrankung der Klägerin sei ausgeheilt. Als Schädigungsfolge bestehe eine Depression, die mit einem GdS von 30 zu bewerten sei. Es sei unstrittig durch zahlreiche Studien belegt, dass ein chronischer Hepatitis-C-Virusinfekt mit einer erhöhten Inzidenz depressiver Störungen einhergehe. Die Literaturangaben schwankten zwischen 30 und 40 Prozent. Es sei weiterhin unstrittig, dass eine depressive Störung verschlimmert bzw. ausgelöst werden könne, durch die - im Falle der Klägerin durchgeführte - Therapie mit Interferon. Es sei davon auszugehen, dass die Klägerin vor der Infektion mit der Hepatitis C eine gesunde junge Frau gewesen sei ohne weitere depressive Symptome. Schon relativ bald nach der Infektion hätten sich psychische Symptome entwickelt, die sich im weiteren Verlauf verschlimmerten. Es liege eine depressive Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnisfähigkeit vor.
Auf Grund der Einwände, die durch den Bevollmächtigten der Klägerin und den Sachverständigen Prof. Dr. G. gegenüber dem Gutachten Dr. R. erhoben worden sind, hat das Gericht einen weiteren psychiatrischen Sachverständigen bestellt. Der Psychiater und Psychotherapeut Dr. H. kommt in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, die Klägerin leide an einer chronischen depressiven Störung im Sinne einer Dysthymie. Differenzialdiagnostisch sei eine posttraumatische Belastungsstörung in Betracht zu ziehen. Auch eine Komorbidität beider Störungen sei denkbar. Es sei davon auszugehen, dass ein erheblicher Anteil in der Verursachung der Erkrankung durch die Hepatitis-C-Infizierung nach Anti-D-Prophylaxe herbeigeführt worden sei. Ursprünglich traumatisierendes Ereignis hinsichtlich der posttraumatischen Belastungsstörung sei die Situation nach der Entbindung des zweiten Sohnes der Klägerin mit einer zum damaligen Zeitpunkt durchaus vitalen Bedrohung der Klägerin gewesen, welche mit zu einer solchen Störung führenden Unterbringungsbedingungen einher gegangen sei. Es sei nicht zwangsläufig notwendig, dass sich derartige Störungen oder Symptome unmittelbar nach einem traumatisierenden Ereignis einstellten. Der Gesamt-GdS für die schädigungsbedingte psychische Erkrankung der Klägerin betrage 40.
Nach Auswertung des Sachverständigengutachtens geht der versorgungsärztliche Dienst des Beklagten davon aus, die Diagnose einer chronischen depressiven Störung sei gestellt und begründet worden, andere Fachgutachter hätten hierzu andere Auffassungen vertreten. Die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung sei nicht nachvollziehbar, da zum einen die zur Diagnosestellung geforderten Kriterien nicht belegt seien, zum anderen die vitale Bedrohung und die Unterbringungsbedingungen zum Zeitpunkt der Entbindung des zweiten Sohnes nicht als schädigendes Ereignis gewertet werden könnten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Akte des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet.
Die angefochtenen Bescheide des Beklagten sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in subjektiven Rechten. Die Klägerin hat ab 01.08.2000 einen Anspruch auf Feststellung einer psychischen Behinderung als Schädigungsfolge, die mit einem GdS von 40 zu bewerten ist.
Nach § 1 Abs. 1 Anti-DHG erhalten Frauen, die in dem in Art. 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet in Folge einer in den Jahren 1978 und 1979 durchgeführten Anti-D-Immunprophylaxe mit bestimmten Chargen des Bezirksinstituts für Blutspende- und Transfusionswesen des Bezirkes Halle mit dem Hepatitis-C-Virus infiziert wurden, aus humanitären und sozialen Gründen Krankenbehandlung und eine finanzielle Hilfe. Die finanzielle Hilfe setzt gemäß § 3 Abs. 2 AntiDHG einen Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 30 voraus. Der GdS bestimmt sich nach § 30 Abs. 1 und § 31 Abs. 2 des Bundesversorgungsgesetzes (§ 3 Abs. 4 AntiDHG). Danach ist der GdS nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Maßstab für die Höhe des GdS waren darüber hinaus nach früherer Rechtslage die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP).
Nach früherer Rechtslage war der GdS unter Heranziehung der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) in ihrer jeweils geltenden Fassung festzulegen (BSG, SozR 3 - 3870 § 3 Nr. 5, bestätigt durch Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 6. März 1995, SozR 3 - 3870 § 3 Nr. 6). Zwar beruhten die AHP weder auf dem Gesetz noch auf einer Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften, so dass sie keinerlei Normqualität hatten, dennoch waren sie als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen, die in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit wirkten, deshalb normähnliche Auswirkungen hatten und im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden waren. Daraus folgte: Die AHP unterlagen nur einer eingeschränkten Kontrolle durch die Gerichte und konnten nicht durch Einzelfallgutachten hinsichtlich ihrer generellen Richtigkeit widerlegt werden. Es galten die Prüfmaßstäbe wie bei der Prüfung untergesetzlicher Normen, d. h. die Rechtskontrolle beschränkte sich auf die Vereinbarung der AHP mit höherrangigem Recht und Fragen der Gleichbehandlung (BSG SozR 3 - 3870 § 4 Nr. 19). Auf der Grundlage des § 30 Abs. 17 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) trat ab 01.01.2009 die Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) in Kraft. Sie regelt die Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG, für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung nach § 1 Abs. 3 BVG, die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und der Stufen der Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 BVG und das Verfahren für deren Ermittlung und Fortentwicklung. Gemäß § 2 der VersMedV sind die in § 1 genannten Grundsätze und Kriterien in der Anlage zu dieser Verordnung als deren Bestandteil festgelegt. Die Anlage wird auf der Grundlage des aktuellen Stands der medizinischen Wissenschaft und der Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin erstellt und fortentwickelt. Die in den AHP niedergelegten Vorgaben zur Bestimmung des GdB und des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) wurden nahezu vollständig in die Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung übernommen. Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der aufgrund des § 30 Abs. 17 BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend.
In ihrer Entscheidungsfindung stützt sich die Kammer neben den Vorgaben der VersMedV auf die im Klageverfahren eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten des Internisten Prof. Dr. G. und des Psychiaters Dr. H ... Diese Gutachten sind schlüssig und widerspruchsfrei. Sie beruhen auf ambulanten Untersuchungen der Klägerin und decken sich mit den Bestimmungen der VersMedV. Die Entscheidung stützt sich hingegen nicht auf das von Herrn Dr. R. erstellte Gutachten. Dieses Gutachten ist von den beiden anderen Sachverständigen kritisiert worden. Die Kammer hat diese Kritik als berechtigt angesehen und ist davon ausgegangen, dass das Gutachten in entscheidenden Punkten nicht dem Stand der medizinischen Wissenschaft entspricht.
Unter Berücksichtigung der Feststellungen des Psychiaters Dr. H. steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Klägerin seit Anfang der 90er Jahre an einer chronischen depressiven Störung bzw. einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet. In Betracht kommt auch eine Komorbidität beider Störungen. Der Sachverständige hat festgestellt, dass die Klägerin zittrig und ängstlich wirke und dass das Angstniveau deutlich erhöht sei. Aufmerksamkeit, Konzentration und Menestik seien eingeschränkt. Vom Affekt her wirke die Klägerin deutlich bedrückt und depressiv, sie sei kaum schwingungsfähig und verbleibe in einem für den Untersucher nur schwer erreichbaren Stadium. Sie ziehe sich sozial erheblich zurück, schlafe viel und komme manchmal 2 bis 3 Tage gar nicht aus dem Bett. Der Gutachter hat nach Auswertung der Gerichtsakte festgestellt, dass die Klägerin seit weit über einem Jahrzehnt über Symptome klagt, die sich dem Formkreis affektiver (depressiver) Störungen zuordnen lassen. Auf der Symptomebene sei deshalb davon auszugehen, dass diese Beeinträchtigungen als depressive Erkrankung diagnostiziert werden könnten. Alle maßgeblichen Faktoren müssten bei der Klägerin als ausreichend sicher angesehen werden. Der Sachverständige hat darauf hingewiesen, dass nach dem ICD 10 bestimmte Symptome vorliegen müssen, um eine Depression anzunehmen, insbesondere verminderter Antrieb oder Aktivität, Schlaflosigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, sozialer Rückzug. Aus den Aktenunterlagen ergibt sich, dass die Klägerin jedenfalls seit Ende der 90-er Jahre über derartige Beschwerden berichtete. In einem Gutachten des Städtischen Klinikums St. Georg L. vom 18.05.1999 gab die Klägerin neben körperlichen Beschwerden auch eine schnelle Ermüdbarkeit, Leistungsschwäche, Angstgefühle und Depressionen an. In einem hausärztlichen Befundbericht vom Juni 2003 heißt es, die Klägerin sei wegen Depression schon früher in ärztlicher Behandlung gewesen. 2004 war die Klägerin in der evangelischen Lukasstiftung Altenburg in stationärer psychiatrischer Behandlung. Im Vordergrund standen rezidivierende Erschöpfungszustände, gestörter Schlaf-Wach-Rhythmus, verminderte Belastbarkeit, Zukunftsängste und sozialer Rückzug.
Der Sachverständige Prof. Dr. G. bestätigt das Vorliegen einer Depression. Zwar handelt es sich bei diesem Gutachter nicht um einen Psychiater. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass Prof. Dr. G. als Hepatologe und als Chefarzt des Zentrums für innere Medizin des Universitätsklinikums E. über eine langjährige Erfahrung in der Behandlung von Hepatitis-C-Erkrankten verfügt und deshalb eine über das übliche Maß hinausgehende Kompetenz aufweist. Das gilt insbesondere auch für die Beantwortung der Kausalitätsfrage. Prof. Dr. G. hat dargelegt, dass es mittlerweile unstrittig und durch zahlreiche epidemiologische prospektive und retrospektive Studien belegt sei, dass ein chronischer Hepatitis-C-Virusinfekt mit einer erhöhten Inzidenz depressiver Störungen einhergehe. Mit gutem Grund könne man sagen, dass etwa ein Drittel der Patienten mit chronischer Hepatitis-C-Erkrankung an einer mehr oder weniger ausgeprägten, mit klinischen Tests erfassbaren depressiven Störung leide. Außerdem sei es unstrittig, dass eine depressive Störung durch eine Interferon-Therapie verschlimmert bzw. ausgelöst werden könne. Der Sachverständige weist weiter darauf hin, dass die Klägerin bereits 1981 und 1983 im Rahmen von Begutachtungen Beschwerden angab, die zu den typischen Symptomen einer Depression zählten. Aus der Sicht der Kammer sind darüber hinaus auch die erheblichen körperlichen Beschwerden zu berücksichtigen unter denen die Klägerin ab 1980 bis zur Ausheilung der Hepatitis-C-Erkrankung litt und die in zahlreichen Gutachten, u.a. von 1980, 1983, 1995 und 1999 dokumentiert wurden. Es ist nachzuvollziehen, dass diese körperlichen Beschwerden geeignet waren, sich auf die psychische Befindlichkeit der Klägerin auszuwirken und eine Depression auszulösen bzw. zu verschlimmern. Entscheidend für die Annahme einer Kausalität zwischen der Hepatitis-C-Erkrankung und der Depression ist schließlich die Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen Dr. Hoffmann, der keine Zweifel daran hat, dass die psychische Erkrankung auf die schädigungsbedingte Hepatitis zurückzuführen ist.
Die Differenzierung zwischen einer depressiven Erkrankung und einer posttraumatischen Belastungsstörung ist aus der Sicht der Kammer nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Der Gutachter Dr. H. hat diese Erkrankung als Differenzialdiagnose diskutiert und auch eine Komorbidität beider Störungen nicht ausgeschlossen. Das für die posttraumatische Belastungsstörung ausschlaggebende traumatisierende Ereignis war die mit einer Quarantäne verbundene Unterbringung der Klägerin wenige Monate nach der Geburt. Die Klägerin hat die näheren Umstände dieses Aufenthalts sowohl dem Sachverständigen als auch dem Gericht gegenüber mit starker emotionaler Beteiligung geschildert. Der Sachverständige hat keine Zweifel daran, dass dieses Erlebnis den Ausschlag für eine posttraumatische Belastungsstörung gegeben haben kann, die sich erst im Laufe der Zeit einstellte. Die Kammer folgt dem Sachverständigen in seiner Einschätzung unter Berücksichtigung der Schilderungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung. Es ist deshalb nicht entscheidend, ob die psychische Behinderung der Klägerin auf eine Depression oder einer posttraumatischen Belastungsstörung oder auf beiden Erkrankungen beruht, weil ein einheitlicher GdS für die Auswirkungen beider Erkrankungen zu bilden ist und keinerlei Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die psychischen Einschränkungen der Klägerin andere Ursachen haben als die Hepatitis-C-Erkrankung bzw. die Vorgänge unmittelbar nach der Geburt.
Dem Gutachten des zunächst beauftragten Sachverständigen Dr. R. ist die Kammer nicht gefolgt. Dr. R. nimmt für die Zeit von 2003 bis 2006 eine psychische Störung in Form einer anhaltenden affektiven Störung an. Für die Zeit vor dem 15.07.2003 räumt er darüber hinaus ein, dass für 2000/2001 eine psychische Symptomatik ärztlicherseits angegeben worden sei. Die Diagnose einer anhaltenden affektiven Störung steht im Widerspruch zu der Einschätzung der Klinik für Psychiatrie A., die im August 2004 von einer rezidivierenden depressiven Störung ausging. Auch der behandelnde Facharzt für Psychiatrie, Dipl. med. J., nahm jedenfalls bis 2006 eine depressive Episode an und änderte diese Diagnose dann in eine anhaltende affektive Störung ab, die kaum mehr symptomfreie Intervalle zeigte. Weil auch die gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. G. und Dr. H. bei ihren Untersuchungen eine depressive Erkrankung der Klägerin feststellten, ist die Auffassung von Herrn Dr. R. nicht nachzuvollziehen, dass die Klägerin in der Zwischenzeit nicht unter psychischen Beschwerden litt. Wahrscheinlicher ist, dass während der Untersuchung durch Herrn Dr. R., die 2007 stattfand, ein symptomfreies Intervall vorlag. Im Ergebnis widersprechen die aktuellen gutachterlichen Einschätzungen, die älteren Arztberichte und der Befundbericht des behandelnden Psychotherapeuten der Auffassung von Herrn Dr. R., so dass die Kammer diesem Gutachten insoweit nicht folgt. Dasselbe gilt hinsichtlich der Kausalitätsfrage. Herr Dr. R. vertritt im Wesentlichen die Ansicht, es sei nicht nachgewiesen, dass eine Hepatitis-C-Erkrankung zu morphologischen oder funktionellen Hirnstörungen, einschließlich einer Depression führe, da bisher das Virus in der Nervenflüssigkeit nicht nachgewiesen worden sei. Der Sachverständige Dr. H. hat darauf hingewiesen, dass diese rein biologistische Sichtweise über die Ätiologie psychischer Störungen von der psychiatrischen Wissenschaft heute nicht mehr geteilt werde und dies eigentlich noch nie der Fall gewesen sei. Die derzeit gültigen internationalen psychiatrischen Diagnosemanuale ICD 10 und DSM IV zeichneten sich gerade dadurch aus, dass sie ätiologiefrei konstruiert seien. Der Sachverständige Prof. Dr. G. lehnt die Auffassung des Herrn Dr. R. mit ähnlicher Argumentation ab. Die Kammer schließt sich dieser Kritik an und hat deshalb die Schlussfolgerungen des Gutachters Dr. R. nicht in ihre Überlegungen einbezogen. Der GdS für die Schädigungsfolgen auf psychiatrischem Fachgebiet beträgt 40. Insoweit folgt die Kammer dem Sachverständigen Dr. H ... Es ist von einer stärker behindernden Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit in Form einer ausgeprägteren depressiven Störung auszugehen, die nach der AnlVersMedV mit einem GdS von 30 bis 40 zu bewerten ist. Auch der Sachverständige Prof. Dr. G. hat darauf hingewiesen, dass es sich um eine Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnisfähigkeit handele. Die Kammer teilt die Auffassung des Psychiaters Dr. H., dass innerhalb der Bewertungsbandbreite diese Erkrankung nach der AnlVersMedV der obere Wert heranzuziehen ist. Diese Einschätzung beruht im Wesentlichen auf dem durch Herrn Dr. H. dargelegten psychopathologischen Untersuchungsbefund, aus dem sich ergibt, dass die Klägerin sich beispielsweise sozial erheblich zurückzieht, manchmal 2 bis 3 Tage gar nicht aus dem Bett aufsteht und an einer erheblichen Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörung leidet.
Die Bildung eines Gesamt-GdS für die Zeit vom 01.08.2000 bis 31.10.2005 war nicht Streitgegenstand.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
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