S 1 KR 52/10

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Wiesbaden (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 1 KR 52/10
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
Sprungrevision
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 KR 20/11 R
Datum
Kategorie
Urteil
1. Der Bescheid vom "Juli 2009" in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.02.2010 wird aufgehoben, soweit als Beitragsbemessungsgrundlage ein die Mindestbeitragsbemessungsgrenze nach § 240 Abs. 4 S. 1 SGB V übersteigender Betrag zugrunde gelegt worden ist.

2. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

3. Die Sprungrevision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Höhe der Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung.

Der Kläger ist in einer stationären Einrichtung untergebracht und bezieht Grundsicherungsleistungen. Er ist bei der Beklagten freiwillig krankenversichert. Mit Bescheid vom "Juli 2009" setzte die Beklagte die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung ab 1. Juli 2009 neu fest. Zur Begründung führte sie aus, dass die Regierung ein 2. Konjunkturpaket auf den Weg gebracht habe. Danach werde der ermäßigte Beitragssatz von 14,9 auf 14,3 % gesenkt. Zeitgleich wirkten auch die einheitlichen Grundsätze des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen zur Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder. Nach diesen Grundsätzen gelte für Bezieher von Leistungen nach dem 12. Buch des Sozialgesetzbuches (SGB XII ), die in Einrichtungen lebten, der 3,6 fache Satz des Sozialhilferegelsatzes als Bemessungsgrundlage für die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge.

Somit ergebe sich ab dem 1.7.2009 folgender Monatsbeitrag: Beitrag zur Krankenversicherung 184,81 EUR Beitrag zur Pflegeversicherung 25,20 EUR Gesamtbetrag 210,01 EUR.

Dem widersprach der Kläger am 30.7.2009 und führte im Weiteren zur Begründung aus, dass die einzelnen Krankenkassen in der Vergangenheit in aller Regel eine Vereinbarung über die Beitragsbemessung ihrer freiwilligen Mitglieder in stationären Einrichtungen mit den jeweils zuständigen Sozialhilfeträgern abgeschlossen hätten. In Hessen sei das Dreifache des Sozialhilferegelsatzes vereinbart worden. Nunmehr habe der Spitzenverband Bund in seinen "Einheitlichen Grundsätzen zur Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder" als Beitragbemessungsgrundlage das 3,6- fache des Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes festgelegt. Vor diesem Hintergrund habe der Kläger einen um 35 EUR erhöhten Krankenversicherungsbeitrag monatlich zu zahlen. Die vom Spitzenverband Bund festgelegten Ausgangswerte bildeten in keiner Weise die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Mitglieder korrekt ab und entsprächen nicht mehr der Intention des Gesetzgebers.

Mit Bescheid vom 04.02.2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass der Gesetzgeber mit Gesetz vom 26. März 2007 in § 240 Absatz 1 S. 1 SGB V geregelt habe, dass ab 1. Januar 2009 für freiwillige Mitglieder die Beitragsbemessung einheitlich durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen geregelt werde. Der Spitzenverband Bund seinerseits habe die ihm übertragene Aufgabe mit dem Erlass der "Einheitlichen Grundsätze zur Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung und weiterer Mitgliedergruppen sowie zur Zahlung und Fälligkeit der von Mitgliedern selbst zu entrichtenden Beiträge, Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler", vom 27. Oktober 2008 wahrgenommen. Für freiwillig versicherte Sozialhilfeempfänger in stationären Einrichtungen sei wegen der Schwierigkeiten der Einkommensermittlung eine pauschalierende Regelung in Bezug auf die Beitragsbemessung zulässig. Eine solche pauschalierende Regelung könne sich nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts an einem Vielfachen des Regelsatzes für Haushaltsvorstände orientieren, wenn eine Berechnung der Durchschnittshöhe der Anteile an Sozialhilfe, die bei in Einrichtungen untergebrachten Sozialhilfeempfängern anzusetzen seien, in etwa zum gleichen Ergebnis kommen. Im Sinne dieser Vorgaben werde als Beitragsbemessungsgrundlage das 3,6- fache des Regelsatzes für Haushaltsvorstände festgesetzt. Abseits der modellhaften Berechnung des Durchschnittsbetrags der den Hilfeempfängern in Einrichtungen zuzurechnenden Einnahmen lägen folgende Ausgangswerte zu Grunde:
1. bundesweite Durchschnittswerte der Entgelte für Unterkunft und Verpflegung sowie Investitionskosten in der vollstationären Dauerpflege pro Person und Monat (nach Angaben aus dem 4. Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung der Pflegeversicherung - BT-Drucks. 16/7772): 914,70 EUR
2. Barbetrag zur persönlichen Verfügung in Höhe von 27 % des Regelsatzes für den Haushaltsvorstand pro Monat: 94,77 EUR
3. einmalige Hilfen (z.B. Kleidung in Höhe von 10 % des Regelsatzes für Haushaltsangehörige pro Monat: 28,10 EUR
4. Übernahme der Kranken und Pflegeversicherungsbeiträge durch den Sozialhilfeträger unter Berücksichtigung des ermäßigten Beitragssatzes in der Krankenversicherung in Höhe von 14,9 % und des Beitragssatzes in der Pflegeversicherung in Höhe von 1,95 % auf der Grundlage der Summe der Einzelpositionen 1-3: 210,26 EUR
5. Summe der Einzelpositionen 1-4: 1247,83 EUR

Der Betrag zu 5. entspreche gerundet dem 3,6 fachen des aktuellen Regelsatzes für Haushaltsvorstände. Ausgehend von dem Basiswert in Höhe von 359 EUR zum 1. Juli 2009 gemäß der Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt (Teil I Nr. 32 vom 22. Juni 2009, Seite 1342) und unter Berücksichtigung der bereits genannten Absenkung des Beitragssatzes auf 14,3 % ergebe sich ein monatlicher Beitrag zur freiwilligen Krankenversicherung in Höhe von 184,81 EUR. Für die Pflegeversicherung ergebe sich unter Berücksichtigung, dass bei dem Betreuten Elterneigenschaft vorliege, ein monatlicher Beitrag in Höhe von 25,20 EUR, somit ein Gesamtbetrag von 210,01 EUR.

Hiergegen richtet sich die am 4.3.2010 bei dem Sozialgericht Wiesbaden eingegangene Klage. Zur Begründung trägt der Kläger vor, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Sozialhilfeempfängern in stationären Einrichtungen nicht angemessen berücksichtigt sei. Er verfüge nach den Regelsätzen tatsächlich nur über ca. 993,88 EUR pro Monat, was allenfalls einem 2,8- fachen des Regelsatzes entspreche. Es sei nicht angemessen, auch die Investivkosten den Versicherten zuzurechnen. Die Tatsache, dass die speziellen Anforderungen eines Betriebes (Material aufwenden, Abschreibungen, Leasing, Instandsetzung und Instandhaltung der Anlagen) von den Bewohnern mitgetragen werden müssten, sei eine doppelte Bestrafung, wenn ihnen dieser Betrag dann als Einnahme angerechnet werde. Dies spiegele die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Bewohners in keiner Weise wieder. Eine Anrechnung sei nur möglich hinsichtlich der Einnahmen zum Lebensunterhalt und der Kosten der Unterkunft.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom Juli 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4.2.2010 aufzuheben, soweit als Beitragsbemessungsgrundlage ein die Mindestbeitragsbemessungsgrenze übersteigender Betrag zu Grunde gelegt worden ist, hilfsweise im Falle des Unterliegens die Sprungrevision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise
die Sprungrevision zuzulassen.

Die Beklagte trägt vor, dass nach Auffassung des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen zur Ermittlung eines Durchschnittswertes der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Gruppe der in Einrichtungen untergebrachten Hilfeempfänger die in Ansatz gebrachten Ausgangswerte sachgerecht seien. Die unter Punkt 1 im Widerspruchsbescheid angegebene modellhafte Berechnung der bundesweiten Durchschnittswerte spiegele die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines entsprechenden Hilfeempfängers abstrakt wieder und sei daher beitragsrechtlich zu berücksichtigen. Die modellhafte Berechnung der Ausgangswerte zu Punkten 2-4 des Widerspruchsbescheides seien vom Kläger hingegen nicht angegriffen worden.

Im Weiteren trägt die Beklagte vor, dass nach ihrer Auffassung der Gesetzgeber den GKV- Spitzenverband legitimiert habe, die Beitragsbemessung unter anderem für freiwillige Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung nach Maßgabe des § 240 SGB V zu regeln. Soweit das Hessische Landessozialgericht mit Beschluss vom 21. Februar 2011, Az. L 1 KR 327/10 B ER die demokratische Legitimation der "Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler" des Spitzenverbandes der Krankenkassen in Zweifel gezogen habe, könne dem nicht gefolgt werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten, auch im Vorbringen der Beteiligten, wird auf die Gerichtsakte und die Beklagtenakte Bezug genommen, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig und begründet.

Die Festsetzung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung für die Beitragsbemessung von Empfängern von Leistungen nach dem SGB XII, die in Einrichtungen stationär untergebracht sind, ist nach Auffassung der Kammer rechtswidrig, soweit als Beitragsbemessungsgrundlage ein die Mindestbeitragsbemessungsgrenze nach § 240 Abs. 4 S. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) übersteigender Betrag zugrunde gelegt worden ist.

Rechtsgrundlage für die Beitragserhebung ist im konkreten Fall § 240 SGB V in Verbindung mit § 7 Abs. 10 der "Einheitlichen Grundsätze zur Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung und weiterer Mitgliedergruppen sowie zur Zahlung und Fälligkeit der von Mitgliedern selbst zu entrichtenden Beiträge (Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler)". Gemäß § 240 Abs. 1 S.1 SGB V wird für freiwillige Mitglieder die Beitragsbemessung einheitlich durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen geregelt. Der Vorstand des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen hat die "Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler" erlassen. Nach deren § 7 Abs. 10 gilt für die Beitragsbemessung von Empfängern von Leistungen nach dem SGBXII, die in Einrichtungen nach (§ 13 Abs. 2 SGB XII) untergebracht sind, als beitragspflichtige Einnahmen für den Kalendertag 1/30 des 3,6fachen des Regelsatzes für den Haushaltsvorstand. Als Regelsatz für den Haushaltsvorstand im Sinne des Satzes 1 ist der nach § 20 Abs. 2 S.1 und Abs.4 SGB II maßgebende bundeseinheitliche Betrag der monatlichen Regelleistung anzusetzen.

Soweit der Spitzenverband Bund der Krankenkassen die Beitragsbemessung einheitlich zu regeln berechtigt ist, beruht dies auf einer Gesetzesänderung durch Art. 2 Nr. 29 a des GKV- Wettbewerbsstärkungsgesetzes vom 26.3.2007 (BGBl I S. 37 8,441), die gem. Art. 46 Abs. 10 desselben Gesetzes am 1.1.2009 in Kraft getreten ist. Welcher Rechtsform sich der Spitzenverband Bund der Krankenkassen bei Erlass dieser Rechtsnormen zu bedienen hat, sagt das Gesetz nicht. Die gesetzliche Ermächtigung ist insofern unbestimmter als ihre bis zum 31.12.2008 geltende Vorläuferfassung, welche die Krankenkassen dazu ermächtigte, die Beitragsbemessung durch Satzung zu regeln.

In welcher Rechtsform die seit dem 1.1.2009 vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen zur Beitragsbemessung zu treffenden Regelungen nach der Vorstellung des Gesetzgebers erlassen werden sollten, lässt sich den Gesetzgebungsmaterialien nicht entnehmen. Der Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD für das GKV- Wettbewerbsstärkungsgesetz sah die maßgebliche Änderung des § 240 Abs. 1 SGB V noch unter Art. 1 Nr. 157 Buchst. a vor, zu dem der Gesetzentwurf folgende Erwägungen enthielt. (BT-Drucks. 16/3100 vom 24.10.2006 Seite 163 ff.):

"Der Spitzenverband Bund und nicht mehr die einzelne Krankenkasse legt künftig die Grundsätze für die Beitragseinstufung freiwilliger Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung fest. Da die Krankenkassen ab Einrichtung des Gesundheitsfonds kein originäres Interesse an der Beitragseinstufung freiwillig Versicherter mehr haben, ist es erforderlich, einheitliche, kassenartenübergreifende Regelungen zu schaffen. Zudem wird so eventuellen Verwerfungen im Wettbewerb vorgebeugt, denn die Krankenkassen haben nunmehr keine Möglichkeit, günstigere beitragsrechtliche Einstufungen mit dem Ziel der Mitgliederbindung oder -gewinnung vorzunehmen. Bislang fällt die Beitragseinstufung freiwilliger Mitglieder in die Satzungskompetenz der jeweiligen Krankenkasse. Zudem war es damit nach alter Rechtslage möglich, dass die Krankenkassen unterschiedliche Einstufungsgrundsätze praktizierten. Mit der Einführung des Gesundheitsfonds können derartige Unterschiede nicht mehr aufrechterhalten werden."

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum GKV- Wettbewerbsstärkungsgesetz vom 20.12.2006 (BT-Drucks. 16/3950) enthielt diesbezüglich keine Erwägungen.

Die Rechtsform der "Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler" ist deshalb von Bedeutung, weil die darin getroffenen Regelungen Beitragszahlungspflichten für freiwillige Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung begründen und deshalb Eingriffe in deren von Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz geschützte Grundrechte der allgemeinen Handlungsfreiheit darstellen (vgl. auch Urteil des SG München vom 02.03.2010 S 19 KR 873/09 –zitiert nach juris).

Die Kammer folgt vorliegend der Rechtsprechung des Hessischen Landessozialgerichts (Beschluss vom 21.02.2011 - L 1 KR 327/10 B ER- juris), wonach es sich bei den "Beitragsverfahrensgrundsätzen Selbstzahler" um bloße Verwaltungsvorschriften handelt. Sie wurden weder als Satzung noch durch das zur Rechtssetzung berufene Organ des Spitzenverbandes Bund erlassen. Sie wurden vielmehr formlos durch das Exekutivorgan in Gestalt des Vorstandes des GKV-Spitzenverbands beschlossen. Damit genügen sie auch nicht den Anforderungen des Art. 80 GG. Es handelt sich nicht um eine Rechtsverordnung. In den §§ 217e Abs. 2, 240 SGB V wird auch keiner der in Art. 80 GG genannten Adressaten ermächtigt. Sofern man überhaupt erwägen sollte, für die vorliegende Regelungsmaterie Art. 80 GG analog auf materielle Normen sui generis anzuwenden (vgl. zur Normsetzungsbefugnis des Gemeinsamen Bundesausschusses: BSG, Urteil vom 20. März 1996 - 6 RKa 62/94; Urteil vom 16. September 1997 - 1 RK 32/95; Urteil vom 27. September 2005 – B 1 KR 28/03 R; offen lassend BVerfG, Beschluss vom 6. Dezember 2005 - 1 BvR 347/98), so wäre § 240 Abs. 1 SGB V am Maßstab von Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG analog zu unbestimmt, da die Vorschrift dann Rechtssetzungsbefugnisse nicht an ein Exekutivorgan im Bereich der unmittelbaren Staatsverwaltung, sondern an einen Verband in Gestalt der Körperschaft des öffentlichen Rechts delegieren würde. Es bliebe wiederum unklar, welches Organ der Körperschaft zur Rechtssetzung in welcher Form berufen wäre. Dies unterscheidet die hiesige Konstellation von der Frage der Rechtssetzungsbefugnisse des Gemeinsamen Bundesausschusses.

Die namentlich im Umweltrecht anerkannte, mit Bindungswirkung gegenüber Verwaltung und Gerichten ausgestattet "normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift" setzt einen gesetzlich eingeräumten Beurteilungsspielraum voraus (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Oktober 1998 – 8 C 16/96 – juris Rn. 16). Eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung für die Einräumung eines solchen, etwa wegen der Fachkunde eines pluralistisch besetzten Gremiums o.ä., ist im Bereich des Beitragsrechts nicht denkbar.

Die "Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler" können schließlich auch nicht reduzierend als Allgemeinverfügung ausgelegt werden, da bei Beachtung des Regelungswillens des GKV-Spitzenverbandes die Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 SGB X nicht vorliegen. Sie sollen keinen generell-konkreten Einzelfall in Bezug auf einen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis regeln; vielmehr enthalten sie notwendige generell-abstrakte Essentialia des Beitragstatbestandes (vgl. HLSG a.a.O.).

Ungeachtet der Form der "Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler" verfügt der Vorstand nicht über die hinreichende demokratische Legitimation zur Rechtssetzung. Gesetzlich geregelt in Bezug auf die Aufgaben des Vorstandes ist die gerichtliche und außergerichtliche Vertretung des Spitzenverbandes (§ 217 b Abs. 2 S. 4 SGB V). Dem Spitzenverband als solchem sind gesetzlich zugewiesen hingegen Entscheidungen in Fach- und Rechtsfragen zum Beitrags- und Meldeverfahren (§ 217 f Abs. 3 SGB V). Für die Kammer ist daher die demokratische Legitimation des Vorstandes, der nach § 217 b Abs. 2 S.2 SGB V aus höchstens drei Personen besteht, aus dem Gesetz nicht ableitbar.

Die Prinzipien der Selbstverwaltung und der Autonomie wurzeln im demokratischen Prinzip und entsprechen dem freiheitlichen Charakter der Verfassung; sie ermöglichen gesellschaftlichen Gruppen, in eigener Verantwortung die Ordnung der sie berührenden Angelegenheiten mit zu gestalten (vgl. zum Folgenden: BVerfG, Beschluss vom 13. Juli 2004 - 1 BvR 1298/94, 1 BvR 1299/94, 1 BvR 1332/95, 1 BvR 613/97 – Rn. 146ff. zitiert nach juris). Dabei legt die Verfassung nicht fest, in welcher Organisationsform funktionale Selbstverwaltung stattzufinden hat. Die Ausgestaltung liegt im staatlichen Gestaltungsermessen. Die Einrichtung von Selbstverwaltungskörperschaften als Ausprägung des Demokratieprinzips mit dem Ziel der Verwirklichung der freien Selbstbestimmung darf indes nicht dazu führen, dass der Gesetzgeber sich seiner Regelungsverantwortung entäußert. Überlässt er öffentlich-rechtlichen Körperschaften und Anstalten als Trägern funktionaler Selbstverwaltung bestimmte Aufgaben zur autonomen Regelung, darf er ihnen die Rechtsetzungsbefugnis nicht zur völlig freien Verfügung überlassen. Das Gesetz muss mittels Vorgaben für das Verfahren der autonomen Entscheidungsfindung eine angemessene Partizipation der Mitglieder an der Willensbildung gewährleisten. Die Organe müssen nach demokratischen Grundsätzen gebildet werden; es sind institutionelle Vorkehrungen vorzusehen, damit die Beschlüsse so gefasst werden, dass nicht einzelne Interessen bevorzugt werden. Der Spitzenverband Bund verfügt nach § 217b SGB V über drei Organe: einen Verwaltungsrat als Selbstverwaltungsorgan (Absatz 1), einen hauptamtlichen Vorstand, der den Spitzenverband Bund verwaltet und nach außen vertritt (Absatz 2), sowie eine Mitgliederversammlung, in die jede einzelne Kasse zwei Mitglieder ihres, aus den allgemeinen Sozialwahlen hervorgegangenen Verwaltungsrates entsendet (Absatz 3). Die Mitgliederversammlung hat den 41-köpfigen Verwaltungsrat zu wählen, welcher wiederum den bis zu dreiköpfigen Vorstand per Wahl zu bestimmen hat (vgl. zum Folgenden von Boetticher, SGb 2009, 15, 16). Die Mitgliederversammlung tritt nur jeweils nach den Sozialwahlen einmalig zum Wahlakt zusammen, hat kein Selbsteinberufungsrecht und auch keine Möglichkeiten, den Verwaltungsrat zu kontrollieren. Im Hinblick auf die demokratische Legitimation des Spitzenverbandes Bund weist zudem die Zusammensetzung der Mitgliederversammlung erhebliche Mängel auf: Es handelt sich nicht um von der jeweiligen Kassen gewählte, sondern nur um "entsandte" Mitglieder (§ 217b Abs. 3 Satz 3 SGB V). Dies erfolgt durch Benennung seitens eines hauptamtlichen Vorstandsmitgliedes gemäß § 6 Abs. 2 der Satzung (von Boetticher a.a.O.).

Angesichts dieser Struktur wird bereits aufgrund der Mängel in Bezug auf die demokratische Verfasstheit der Körperschaft an der hinreichenden Legitimation zur Rechtssetzung gezweifelt (HLSG a.a.O.; SG München a.a.O.; von Boetticher SGb 2009, 15, 18; Mühlhausen in: Becker/Kingreen, SGB V, 2. Aufl., § 217a Rn. 4ff. und § 217e Rn. 9; kritisch auch Peters in: Kasseler Kommentar, § 240 Rn. 25; Welti, SozSich 2006, 254, 259).

Diesen Zweifeln ist für den vorliegenden Fall jedenfalls insoweit zu folgen, als eine Rechtssetzung durch den Vorstand einer hinreichenden Legitimation entbehrt. Zu einer demokratischen Grundsätzen folgenden Organstruktur gehört nämlich, dass das durch Wahlen der Mitglieder hinreichend legitimierte Gremium die gesetzlich eingeräumten Legislativbefugnisse wahrnimmt. Dies wäre allenfalls – ungeachtet der insoweit ebenfalls bestehenden Legitimationsdefizite in Hinblick auf die Sozialwahlen und die Entsendung – der Verwaltungsrat. Die demokratische Legitimationskette von den Sozialwahlen zur Vorstandswahl weist über die Entsendung in die Mitgliederversammlung, die Verwaltungsratswahl und die Vorstandswahl drei weitere Glieder auf. Eine derart vielfache Delegation ist in § 240 Abs. 1 SGB V nach seinem Wortlaut weder vorgesehen noch begrenzt. Sie widerspricht zudem dem oben dargestellten, aus dem Demokratieprinzip abzuleitenden Partizipationsgedanken, wonach allein dem mitgliedschaftlich legitimierten Organ auch die Befugnis zur Rechtssetzung zukommt.

Dabei kann nach Auffassung der Kammer dahinstehen, ob die Übertragung der Befugnis zur Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder auf den Spitzenverband Bund der Krankenkassen rechtmäßig ist (hierzu ausführlich: SG München a.a.O.). Allerdings bleibt in der Tat festzustellen, dass die Krankenkassen ab Einrichtung des Gesundheitsfonds kein originäres Interesse an der Beitragseinstufung freiwillig Versicherter mehr haben. Nachvollziehbar war deshalb der gesetzgeberische Schritt, den Krankenkassen die Befugnis, die Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder durch Satzung zu regeln, zu nehmen. Warum allerdings der Spitzenverband Bund der Krankenkassen diese Aufgabe wahrnehmen soll nach dem gesetzgeberischen Willen, erschließt sich vor diesem Hintergrund allein deswegen nicht, weil auch dieser selbst kein größeres "originäres Interesse" an der Beitragseinstufung freiwillig Versicherter haben kann als alle seine Mitglieder – die gesetzlichen Krankenkassen – zusammen. Das einzige originäre Interesse an der Bemessung der Beiträge freiwilliger Mitglieder der Krankenversicherung liegt aber seit der zum 01.01.2009 in Kraft getretenen Gesundheitsreform beim Bund, der den Gesundheitsfonds als Sondervermögen führt und deshalb letztlich dessen Defizite aus seinem Haushalt auffangen muss, wenn sich die an die Krankenkassen zu zahlenden Zuwendungen nicht aus den Beitragseinnahmen finanzieren lassen. Die logische Konsequenz aus dem mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz geschaffenen Finanzierungssystem wäre gewesen, die Bemessung der Beiträge freiwillig Versicherter im SGB V selbst zu regeln, so wie es der Gesetzgeber für versicherungspflichtige Mitglieder in den §§ 226 – 239 SGB V auch schon zuvor getan hatte.

Selbst unter Hintanstellung derartiger Bedenken gegen diese gesetzliche Aufgabenzuweisung ist es nach Auffassung der Kammer indes rechtswidrig, die Beitragsbemessung auf den Vorstand zu übertragen. Für die freiwillig versicherten Mitglieder dürfte es aus grundrechtlicher Sicht nur noch schwer nachvollziehbar sein, dass ihre beitragspflichtigen Einnahmen von dem aus nur 1 bis 3 Personen bestehenden Vorstand ohne öffentliche Willensbildung bestimmt werden, während dies für die versicherungspflichtigen Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung durch den Deutschen Bundestag, der sich aus 622 vom Volk gewählten Abgeordneten zusammensetzt, in einem verfassungsrechtlich genau geregelten Verfahren der Gesetzgebung erfolgt.

Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Beitragsbemessung für freiwillige Mitglieder – im Gegensatz zur früheren Rechtslage, als jede der mehr als 1000 Krankenkassen dies noch eigenständig in einer eigenen Satzung regelte- nunmehr bundeseinheitlich durch die "Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler" erfolgt. Letztere haben daher eine weit größere Breitenwirkung als früher die Satzung einer einzelnen Krankenkasse. Die Beitragsverfahrensgrundsätze bilden daher die Rechtsgrundlage für Millionen von Beitragsbescheiden, verbunden mit einem entsprechend hohen Beitragsvolumen (hierzu auch Peters in: Kassler Kommentar § 240 Rdnr. 26).

Dies führt im Ergebnis dazu, dass die Beklagte zwar Beiträge erheben darf, indes in der Höhe beschränkt auf die geltende Mindestbemessungsgrundlage nach § 240 Abs. 4 SGB V, worüber zwischen den Beteiligten auch kein Streit besteht.

Auf die Frage, welche Berechnungsgrundlagen für in Einrichtungen lebende SGB XII- Leistungsbezieher bei den Einnahmen gelten sollen, kommt es daher nicht mehr entscheidungserheblich an.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Sprungrevision war zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und ihre Zulassung beantragt worden ist (§§ 161Abs. 1, 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved