L 9 KA 1/11

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
9
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 17 KA 327/01
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 9 KA 1/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird als unzulässig verworfen.

Die außergerichtlichen Kosten des Beklagten und des Beigeladenen trägt die Klägerin. Im Übrigen sind keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Arzneikostenregresses (Verordnungsfähigkeit von Proleukin zur Inhalations-Therapie bei der Behandlung eines metastasierenden Nierenzellkarzinoms).

Der Beigeladene war Chefarzt der Klinik für Urologie im Städtischen Krankenhaus M -M in H. an der S. u.a. in der Zeit von 1997 bis 2001. In den Quartalen I-IV/1997 und I-II/1999 behandelte er den Versicherten der Klägerin, Herrn W A. (geb ... 1924), der an einem pulmonal metatasierenden Nierenzellkarzinom erkrankt war. Der Beigeladene verordnete dem Versicherten in diesem Zeitraum zahlreiche Ampullen Proleukin für die inhalative Anwendung.

Die Klägerin überprüfte diese Verordnungspraxis und ließ Dr. Hau. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Sachsen-Anhalt (MDK) ein sozialmedizinisches Gutachten vom 19. Oktober 1999 erstatten. Nach seinem Gutachten sei beim Versicherten am 13. Juli 1995 eine paraperitoneale Tumornehprektomie links erfolgt, bei der ein ca. 5 cm großes Nierenzellkarzinom gefunden worden sei. Im März 1996 seien Lungenmetastasen in der Klinik für Thoraxchirurgie der M -L -Universität H. W entfernt worden. Wegen weiterer Herde (pulmonal rechts) sei von Januar bis Mai 1997 eine Immuntherapie mit Interferon Alpha, Interleukin 2 und 5-Fluorouacil durchgeführt worden. Unter dieser Therapie sei es zu einer geringen Regredienz der pulmonalen Metastasen gekommen. Anschließend sei die inhalative Immuntherapie weitergeführt worden. Im August 1999 habe der Verdacht einer ossären Metastase im Bereich der rechten Ileosacralfuge bestanden. Die inhalative Anwendung von Proleukin sei nicht zugelassen und in ihrer Wirksamkeit auch nicht nachgewiesen. Die medizinische Notwendigkeit der Behandlung sei daher nicht gegeben. In einem am 23. Dezember 1999 beim Beklagten eingegangenen Schreiben machte die Klägerin die Feststellung eines sonstigen Schadens in Höhe von 46.993,75 DM (für das I Quartal 1999) geltend und verwies zur Begründung auf das beigefügte MDK-Gutachten. Der Beigeladene widersprach dem Antrag in einem Schreiben vom 10. August 2000 (Zugang beim Beklagten am 18. September 2000) und legte diverse Unterlagen vor, aus denen sich die Wirksamkeit der inhalativen Gabe von Proleukin bei dieser Erkrankung ergebe.

Am 28. März 2000 beantragte die Klägerin beim Beklagten erneut die Feststellung eines sonstigen Schadens für die weiteren Quartale I-IV/1997 in Gesamthöhe von 132.761,93 DM und für das Quartal II/1999 in Höhe von 46.993,75 DM gegenüber dem Beigeladenen. Hiergegen legte der Beigeladene in einem Schreiben vom 17. April 2000 (Zugang beim Beklagten am 20. April 2000) Widerspruch ein und verwies u.a. auf Studien von Dr. Hu ... (Universitätsklinikum H.-E ...). In einem Prüfbescheid vom 13. Juli 2000 stellte der Beklagte einen sonstigen Schaden für das Quartal I/1999 in beantragter Höhe gegenüber dem Beigeladenen fest. Hiergegen legte der Beigeladene mit Schreiben vom 10. August 2000 (Zugang beim Beklagten am 14. August 2000) Widerspruch ein. In einem weiteren Prüfbescheid vom 2. März 2001 stellte der Beklagte für die Quartale I-IV/1997 und II/1999 einen sonstigen Schaden in Höhe von 179.755,68 DM fest, wogegen sich der Widerspruch des Beigeladenen vom 29. März 2001 (Zugang beim Beklagten am 30. März 2001 und 2. April 2001) richtete. In zwei Beschlüssen vom 29. November 2001 hob der Beklagte die Prüfbescheide vom 13. Juli 2000 und vom 2. März 2001 wieder auf.

Bereits zuvor hatte die Klägerin gegen Prof. Dr. He (Universitätsklinikum H.-W ...) in einem vergleichbaren Sachverhalt des Versicherten G.d F ... ein Arzneikostenregressverfahren betrieben. Dieses Verfahren hatte die Quartale I-IV/1997 und II/1999 zum Gegenstand. Auf Antrag der Klägerin vom 23. März 2000 stellte der Beklagte zunächst einen Schaden fest (Prüfbescheid vom 3. November 2000). Nach einem fristgerechten Widerspruch von Prof. Dr. He ... wurde der Prüfbescheid mit Beschluss vom 3. September 2001 wieder aufgehoben. Hiergegen hatte die Klägerin am 28. September 2001 Klage beim Sozialgericht Magdeburg erhoben (S 17 KA 327/01). Die Klägerin hatte gegen Prof. Dr. He ... für die Quartale I-IV/1998 und IV/1999 und III/1999 (Versicherter: G ... F.) ein weiteres Verfahren auf Feststellung eines sonstigen Schadens angestrengt. Zunächst stellte der Beklagte mit zwei Prüfbescheiden vom 2. März 2001 für die Quartale I-IV/1998 und IV/1999 sowie für das Quartal III/1999 einen sonstigen Schaden fest. Nach entsprechendem Widerspruch von Prof. Dr. He ... hob der Beklagte diese Entscheidung in zwei Beschlüssen vom 29. November 2001 wieder auf.

Die Klägerin hat am 21. Dezember 2001 Klage beim Sozialgericht Magdeburg erhoben (S 17 KA 429/01). In dieser Klage hat sie nicht nur den Sachverhalt des Beigeladenen sondern auch den genannten Parallelsachverhalt von Prof. Dr. He des Universitätsklinikum H W zur gerichtlichen Überprüfung gestellt soweit diese die Quartale I-IV/1998 und III-IV/1999 des Versicherten F ... betrafen.

Mit Beschluss vom 18. Mai 2004 hat das Sozialgericht Magdeburg die Verfahren S 17 KA 327/01 und S 17 KA 429/01 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und das Verfahren S 17 KA 327/01 als führendes Verfahren bestimmt. Darüber hinaus hat das Sozialgericht in einem weiteren Beschluss vom selben Tage Herrn Prof. Dr. He beigeladen. Eine Beiladung des Beigeladenen in diesem Verfahren hat das Sozialgericht unterlassen.

Das Sozialgericht Magdeburg hat mit Urteil vom 17. August 2005 die Klage abgewiesen. Hierbei finden sich u.a. im Tatbestand folgende Ausführungen:

"Die Beteiligten streiten in dem verbundenen Verfahren über die Feststellung eines sonstigen Schadens für die Quartale I-IV/1997, I-IV/1998 sowie II-IV1999."( )

"Mit Schreiben vom 23. März 2000 (Quartale I-IV/1997 und II/1999), 27. Juni 2000 (Quartal III/1999) und 20. September 2000 (Quartale I-IV 1998 und IV/1999) stellte die Klägerin beim Prüfungsausschuss einen Antrag auf Feststellung eines sonstigen Schadens in Höhe von insgesamt 727.426,63 DM."( )

"Unter dem 20. April 2000, 25. September 2000 und 22. Dezember 2000 nahm der Beigeladene zu den Anträgen der Klägerin Stellung." ( )

"Aufgrund der Tatsache, dass der Patient im Januar 1999 69 Jahre alt gewesen sei und bei ihm diverse Begleiterkrankungen vorgelegen hätten, sei eine intravenöse Therapie nicht vertretbar gewesen." ( )

"Mit Bescheiden vom 3. November 2000, 2. März 2001 und 31. Mai 2001 gab der Prüfungssausschuss den Anträgen der Klägerin auf Feststellung eines sonstigen Schadens in oben genannter Höhe statt."( )

"Hiergegen erhob der Beigeladene unter dem 29. November 2000, 29. März 2001 und 5. Juni 2001 jeweils Widerspruch und begründete dies unter anderem mit Schreiben vom 25. Juni 2001."( )

Dagegen hat die Klägerin am 10. Oktober 2005 Berufung beim Landesozialgericht Sachen-Anhalt erhoben (L 9 KA 6/05) und ihr Begehren weiterverfolgt: Es habe im Zeitraum 1997 bis 1999 Behandlungsalternativen in Gestalt einer subcutanen Gabe von alpha-Interferon oder in Form der subcutanen Gabe eines niedrig dosierten Interleukin gegeben. Der Beklagte hat das vorinstanzliche Urteil verteidigt und hält die Vorraussetzungen eines sog. Off-Lable-Use für gegeben.

Der Berichterstatter hat die Beteiligten mit Verfügung vom 23. Mai 2008 u.a. darum gebeten, klarzustellen, ob sich der vorliegende Rechtsstreit ausschließlich mit den Behandlungen des Versicherten G F ... beschäftige oder auch andere Versicherte davon betroffen seien und angekündigt, ein Sachverständigengutachten einholen zu wollen. Mit Schreiben vom 18. Juni 2008 hat die Klägerin diverse Unterlagen der Versicherten W. A. und G F. vorgelegt. Nähere Angaben zum Versicherten W A. ließen sich zunächst nicht ermitteln. Der Prozessbevollmächtigte des Beigeladenen im Verfahren L 9 KA 6/05 (Prof. Dr. He.) hat das Gericht mit Schreiben vom 29. Juli 2008 über den Tod des Versicherten G. F ... am 5. Juni 2000 informiert und dessen letzte Wohnanschrift mitgeteilt. Die Ehefrau des Versicherten F hat am 15. September 2008 eine Erklärung über die Entbindung der gesetzlichen Schweigepflicht abgegeben. Am 7. November 2008 hat die Beklagte die maßgeblichen Prüfvereinbarungen zur Gerichtsakte gereicht. Nach Eingang der Patientenunterlagen des Versicherten F ... hat der Berichterstatter mit Verfügung vom 27. November 2008 über die Geschäftsstelle des Gemeinsamen Bundesausschusses versucht, geeignete Sachverständige aus der Expertengruppe zum Off-Lable-Use zu ermitteln, die zum Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 18. April 2006 beigetragen haben. Mit Schreiben vom 11. Dezember 2008 hat der Gemeinsame Bundesausschuss auf das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte verwiesen. Am 27. Januar 2009 hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte die Mitglieder der Expertengruppe genannt. Zwischen den Beteiligten im Verfahren L 9 KA 6/05 konnte zunächst keine Einigung erzielt werden, welcher Sachverständige den vorliegenden Sachverhalt im allseitigen Einvernehmen begutachten könne. Nach der Ablehnung von insgesamt fünf möglichen Sachverständigen empfahl Prof. Dr. Ho ... (Deutsche Krebsgesellschaft e.V.) Prof. Dr. B. (Universitätsklinik F.) als möglichen Sachverständigen. In Vorbereitung einer Beweisanordnung hat der Berichterstatter die Beteiligten unter dem 16. Dezember 2010 erstmals darauf hingewiesen, dass der Sachverhaltskomplex Dr. Hei .../Patient W A aus dem vom Sozialgericht verbundenen Verfahren S 17 KA 429/01 in dem Beiladungs- und Verbindungsbeschluss der Vorinstanz nicht beachtet worden sei. Beide Sachverhaltskomplexe (Prof. Dr. He ; Patient: G. F bzw. Dr. Hei ...; Patient: W. A.) befänden sich daher in einem unterschiedlichen Ermittlungsstand, so dass eine Abtrennung in Betracht komme, um die Beweisanordnung im Verfahren L 9 KA 6/05 vornehmen zu können.

Mit Beschluss vom 25. Januar 2011 hat der Berichterstatter aus dem ehemaligen Verfahren S 17 KA 429/01die Klage betreffend die Bescheide vom 13. Juli 2000 sowie vom 2. März 2001 und die darauf bezogenen Beschlüsse des Beklagten vom 29. November 2001, soweit sie sich gegen den Beigeladenen gerichtet haben, abgetrennt. Diesen Beschluss hat der Senat am 6. September 2011 nochmals gefasst und dabei teilweise Klarstellungen vorgenommen.

In einem weiteren Beschluss vom 6. April 2011 hat der Berichterstatter Dr. Hei ... beigeladen. Der anwaltlich vertretene Beigeladene hat die Ansicht vertreten, es sei aus dem Tatbestand des Urteils des Sozialgerichts Magdeburg erkennbar, dass die Vorinstanz über seinen Sachverhalt überhaupt nicht entschieden habe und ihn daher "übergangen" habe. Es fehlten beispielhaft Hinweise auf seine Widersprüche, den Patienten W. A ... sowie auf den Prüfbescheid vom 13. Juli 2000. Dies führe rechtlich zu § 140 Sozialgerichtsgerichtsgesetz (SGG) und lege der Klägerin die Pflicht auf, nach Zustellung des Urteils der Vorinstanz im Verfahren L 9 KA 6/05 einen Antrag auf Urteilsergänzung wegen eines irrtümlich übergangenen Sachverhalts mit anderen Beteiligten zu stellen. Dies habe sie versäumt, was zum Erlöschen der Rechtshängigkeit des vom Sozialgericht übergangenen Anspruchs geführt habe. Eine neuerliche Klage sei wegen Ablauf der Klagefrist ausgeschlossen. Die Zustimmung zu einer materiell-rechtlichen Entscheidung werde verweigert und eine rein verfahrensrechtliche Prüfung und Entscheidung des Senats verlangt.

Die Klägerin hat dem entgegnet: Aus der Höhe der Regresssumme (vgl. Aufstellung Bl. 868 d. GA) ergebe sich eine Entscheidung auch über den Sachverhaltskomplex des Beigeladenen. Selbst wenn dies nicht der Fall wäre, könne die Berufungsinstanz "Prozessreste heraufholen", was die Anwendung von § 140 SGG entbehrlich mache.

Mit Verfügung vom 18. April 2011 hat der Berichterstatter Bedenken geäußert, ob ein sog. "Heraufholen von Prozessresten" im vorliegenden Fall möglich sei, da es sich um einen grundlegend anderen Sachverhalt mit anderen Beteiligten bzw. Versicherten handele. Überdies habe der Beigeladene dieser Verfahrensweise nicht zugestimmt.

Die Klägerin ist dem entgegengetreten und meint, dem Senat sei es möglich, die möglicherweise übergangenen Ansprüche der Klägerin bezogen auf den neuen Beigeladenen als sog. "Prozessrest heraufzuholen".

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 17. August 2005 sowie die beiden Beschlüsse des Beklagten vom 29. November 2001 aufzuheben und die Prüfbescheide des Beklagten vom 13. Juli 2000 und 2. März 2001 wiederherzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hat sich den Bedenken des Berichterstatters angeschlossen und in der mündlichen Verhandlung vom 7. September 2011 ausdrücklich erklärt: "Eine Zustimmung zur Behandlung von Prozessresten wird nicht erteilt."

Der Beigeladene beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird ergänzend auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist unzulässig. Es fehlt an einer anfechtbaren Entscheidung erster Instanz zu ihren Lasten im Streitverhältnis zum Beigeladenen und damit an einem Rechtsschutzinteresse für die eingelegte Berufung. Das Sozialgericht Magdeburg hat in seinem Urteil vom 17. August 2005 über die Klagen gegen die Beschlüsse des Beklagten vom 29. November 2001, soweit sie sich auf die Behandlungen des Beigeladenen der Quartale I-IV/1997 und I-II/1999 für den Versicherten Herrn W. A ... (geb. 20. September 1924) bezogen haben versehentlich nicht entschieden, sondern den Anspruch der Klägerin in diesem Streitverhältnis "übergangen" (im Folgenden 1.). Die Klägerin hat es nach Zustellung des vom Sozialgericht Magdeburg versehentlich unvollständigen Urteils versäumt, dass hierfür gesetzlich vorgesehene Urteilsergänzungsverfahren nach § 140 SGG beim Sozialgericht Magdeburg zu betreiben. Nach Ablauf der Frist für ein Urteilsergänzungsverfahren ist die Klage – soweit sie sich auf den Beigeladenen bezogen hat – als nicht mehr anhängig anzusehen. Die der Klage zugrunde liegenden Beschlüsse des Beklagten vom 29. November 2001 sind damit bestandskräftig geworden (im Folgenden: 2.). Die Voraussetzungen eines sog. "Heraufholen von Prozessresten" im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgericht (BSG) liegen nicht vor (im Folgenden 3.).

1. Aus dem Urteil des Sozialgericht Magdeburg vom 17. August 2005 ergibt sich, dass der Sachverhaltskomplex des von der Vorinstanz verbundenen Verfahren S 17 KA 429/01 (Zeitraum: Quartale I-IV/1997 sowie I-II 1999; Behandler: Dr. Hei.; Versicherter: W. A ) nicht entschieden, sondern versehentlich übergangen worden ist. Hierfür spricht bereits der Einleitungssatz, der keinen Hinweis auf das den Beigeladenen betreffende Quartal I/1999 enthält. Auch der auf den Beigeladenen bezogene Prüfbescheid vom 13. Juli 2000 wird im Tatbestand an keiner Stelle erwähnt. Gegen eine Befassung mit dem Sachverhalt und eine Entscheidung sprechen auch die fehlenden Urteilsausführungen zu den gesonderten Einwänden des Beigeladenen und der völlig fehlende Hinweis über den Patienten des Beigeladenen – Herrn W ... A ... Auch der Einwand der Klägerin, aus der im Urteil festgestellten Regesssumme ergebe sich eine gegenteilige Bewertung, vermag nicht zu überzeugen. Auf Seite 2 des Urteils vom 17. August 2005 wird ein Antrag der Klägerin im Gesamtschadensumfang von 727.426,63 DM beschrieben. Diese Summe übersteigt deutlich die von der Klägerin vorgelegte Aufstellung für den Sachverhaltskomplex Prof. Dr. He., da hierfür eine Gesamtsumme von 784.485,61 DM (392.242,91 EUR) anzusetzen wäre. Wäre tatsächlich auch der Sachverhalt des Beigeladenen entschieden worden, hätte die Vorinstanz den Gesamtschaden sogar auf 1.081.927,70 DM beziffern müssen. Auch die von der Vorinstanz dargestellte Regresssumme spricht daher für ein Übergehen des Sachverhalts des Beigeladenen durch die Vorinstanz. Daneben ist auch der Beiladungsbeschluss des Sozialgerichts Magdeburg 18. Mai 2004 als weiteres Indiz in diesem Sinne zu verstehen. Die Vorinstanz hat die Voraussetzungen einer notwendigen Beiladung gemäß § 75 Abs. 2 SGG zutreffend erkannt und hätte diese auf den Beigeladenen dieses Verfahrens erweitert, wenn es den gesonderten Sachverhaltskomplex auch erkannt hätte. Die Vorinstanz hat damit den Sachverhalt des Beigeladenen "übergangen" und nicht entschieden. Dies erfolgte auch versehentlich, da keine Hinweise für ein gewolltes Teil- oder Zwischenurteil aus dem Urteil sowie aus der Gerichtsakte erkennbar sind.

2. Bei versehentlich übergangenen Ansprüchen – wie beim hier vorliegenden Urteil vom 15. August 2005 – sieht das SGG in § 140 ein besonderes Ergänzungsverfahren vor. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift "wird" ein Urteil, welches einen erhobenen Anspruch ganz oder teilweise übergeht, auf Antrag nachträglich ergänzt. In Abs. 2 bis 4 des § 140 SGG finden sich weitere Verfahrensvoraussetzungen. Es spricht daher viel dafür, das Ergänzungsverfahren bei versehentlich übergangenen Ansprüchen als einzige Möglichkeit anzusehen, um "unerkannt oder verdeckte Teilurteile" (vgl. Bernsdorff in Hennig, SGG, Band 2, Februar 2009, zu § 157 Rdn. 10) zu korrigieren bzw. zu vervollständigen. Ein Rechtsmittel kann nur eingelegt werden, wenn das anzufechtende Urteil als inhaltlich falsch bewertet wird. Hat das Gericht jedoch über den geltend gemachten Anspruch ganz oder teilweise nicht entschieden, liegt eine Nichtentscheidung vor, die einer Berufung dem Grunde nach überhaupt nicht zugänglich ist. Das Rechtschutzbedürfnis für eine Berufung gegen eine unterlassene Entscheidung fehlt, da eine dafür notwendige Beschwer nicht erkennbar ist. Diese dogmatisch überzeugende Auffassung findet zu Recht in anderen Gerichtszweigen (vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), BVerwGE 81 (1990), S. 12, 14; Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 16. Februar 2005 – VIII ZR 133/04, zitiert nach juris; Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 23. Juni 1993 – 2 AZR 56/93, zitiert nach juris; Bundesfinanzhof (BFH) Beschluss vom 10. November 1998 – I B 84, zitiert nach juris) und in der Literatur sehr starke Zustimmung (z.B. Zeihe, SGb 1999 S.290 ff; Bernsdorff in Hennig, SGG, Band 2, Februar 2009, zu § 157 Rdn. 10; Eyermann/Fröhler, VwGO, 12. Auflage 2006 zu § 120 Rdn. 11; Zöller, ZPO, 28. Auflage 2010 zu § 321 Rdn. 2; Baumbach/Lauterbach, ZPO, 67. Auflage 2009, zu § 321 Rdn. 8). Neben der dogmatischen Überzeugungskraft spricht für diese Auffassung auch, dass es dem gesetzgeberischen Willen des Gesetzgebers entspricht, ein eigenständiges, spezielles Verfahren gemäß § 140 SGG für ungewollte, verdeckte Teilentscheidungen vorzusehen. Auch der Zweck des § 140 SGG lässt sich für diese Bewertung heranziehen. Hiernach soll diese Vorschrift den Beteiligten gerade die vereinfachte Möglichkeit eröffnen, bei versehentlich unterbliebenen Entscheidungen in einem speziellen Verfahren auszukommen, ohne ein aufwändiges Rechtsmittel einzulegen oder eine neue Klage erheben zu müssen. Es handelt sich daher bei § 140 SGG um eine vorrangige und auch spezielle Norm, die der Berufung in diesen Fällen vorangeht. Es kann daher nicht in das wahlweise Belieben der Beteiligten gestellt werden ein Ergänzungsverfahren zu betreiben oder eine Berufung einzulegen (so aber offenbar Eckertz unter Hinweis auf § 123 SGG, Lüdtke, SGG, 3. Auflage zu § 143 Rdn. 33). Ein solches Wahlrecht in Fällen eines versehentlichen Übergehens von Ansprüchen würde die vom Gesetzgeber ausdrücklich vorgesehene spezielle Norm umgehen. Das Ergänzungsverfahren und das Rechtsmittel der Berufung stehen daher in einem Ausschlussverhältnis. Dieses Ausschließlichkeitsverhältnis von § 140 SGG auf der einen Seite und der Berufung auf der anderen Seite gewährleistet auch die klare Festlegung des gesetzlichen Richters, dem sogar Verfassungsrang zukommt (vgl. Art. 101 Grundgesetz). Schließlich ist für das Ergänzungsverfahren das Gericht erster Instanz und für die Berufung allein das jeweilige Landessozialgericht zuständig. Die hier vertretene Ansicht führt auch nicht zu einer unzumutbaren Erschwerung der Erlangung effektiven Rechtsschutzes gegen Verwaltungsakte (so aber Eckertz unter Hinweis auf § 123 SGG, Lüdtke, SGG, 3. Auflage zu § 143 Rdn. 32). Dem Rechtssuchenden ist lediglich abzuverlangen, die zugestellte Entscheidung des Gerichts auf ihre Vollständigkeit hin zu überprüfen. Dies hat der Gesetzgeber dem Rechtssuchenden durch die Regelung des § 140 SGG auch bewusst zugemutet, was in anderen Gerichtszweigen als völlig unproblematisch bewertet wird. Ein freies Wahlrecht kann bei verdeckten Teilentscheidungen, wie hier, in dem gewollt mehrere Klagebegehren in einer Klage verfolgt werden (sog. Klagehäufung gemäß § 56 SGG) zu gravierenden Rechtsnachteilen für einen Beteiligten führen. So würde dem Beigeladenen und auch dem Beklagten im konkreten Fall eine volle Tatsacheninstanz genommen.

Im vorliegenden Fall hat die Klägerin kein Ergänzungsverfahren nach § 140 SGG beantragt und auch keinen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt. Mit Ablauf der Frist für einen derartigen Antrag ist die Rechtshängigkeit des Anspruchs im Sachverhaltskomplex (Zeitraum: Quartale I-IV/1997 sowie I-II 1999; Behandelnder Arzt: Dr. Hei ...; Versicherter: W. A ...) erloschen. Dies führt zur Bestandskraft der Beschlüsse vom 29. November 2011 soweit sie den Beigeladenen betreffen.

3. Zum gleichen Ergebnis würde der Senat auch gelangen, wenn er die mit Blick auf § 140 SGG sehr weitgehende Rechtsprechung des BSG zugrunde legen würde. Nach Auffassung des BSG ist es unabhängig von § 140 SGG über die Rechtsfigur des sog. "Heraufholens von Prozessresten" möglich, von der Vorinstanz versehentlich übergangenen Prozessstoff in die nächste Instanz "heraufzuholen". Nur über diese Rechtsfigur und den vom BSG dafür aufgestellten Voraussetzungen könnte die Klägerin den Sachverhaltskomplex des Beigeladenen (Zeitraum: Quartale I-IV/1997 sowie I-II 1999; Behandelnder Arzt: Dr. Hei ...; Versicherter: W A ) zum Gegenstand des Berufungsverfahrens machen. Dies setzt jedoch die Zustimmung aller Beteiligter voraus, wobei diese auch konkludent erfolgen kann (vgl. BSGE, Bd. 97 (2008), S. 217 [226]). Im Falle des § 96 SGG wäre die Einbeziehung sogar gegen den Widerspruch eines Beteiligten möglich, da es sich lediglich um einen Fall der gesetzlichen Klageänderung handeln würde (vgl. BSG, Urteil vom 17. November 2005 – B 11a/11 AL 57/04 R, zitiert nach juris). Diese aus den oben genannten Gründen nicht unproblematische Rechtsfigur findet ihre eigentliche Rechtfertigung im § 99 Abs. 1 SGG, nach der eine Änderung der Klage mit Einwilligung der Beteiligten zulässig ist, da den Beteiligten durch das Zustimmungserfordernis kein Rechtsnachteil entstehen kann.

Die vom BSG geforderten Voraussetzungen liegen jedoch nicht vor. Es fehlt an der erforderlichen Zustimmung aller Beteiligter. Der Beklagte und auch der Beigeladene haben einer Einbeziehung des streitigen Sachverhaltes (Zeitraum: Quartale I-IV/1997 sowie I-II 1999; Behandler: Dr. Hei.; Versicherter: W. A ) ausdrücklich widersprochen und die Zustimmung endgültig verweigert. Dieses Zustimmungserfordernis ist unverzichtbar, um Rechtnachteile von weiteren Beteiligten sicher auszuschließen. Im vorliegenden Fall entspricht das "Heraufholen des Prozessstoffes" auch nur dem Interesse der Klägerin, nicht aber dem Interesse des Beklagten und des Beigeladenen, was prozessökonomische Überlegungen und die Frage einer Sachdienlichkeit von vornherein ausschließt. Auch sind ernste Zweifel anzumelden, ob es sich im vorliegenden Fall überhaupt um ein "Heraufholen von Prozessresten" handeln kann. Der Begriff eines bloßen Restes an Prozessstoff meint üblicherweise bloße Nebenentscheidungen oder im Verlauf des Verfahrens eingetretene nachträgliche Teilentscheidungen zwischen den jeweiligen Beteiligten, die aus prozessökonomischen Gründen im allseitigen Interesse zum Gegenstand des Verfahrens zweiter Instanz gemacht werden sollen. Dies kann im vorliegenden Fall nicht bejaht werden. Schließlich betrifft das abgetrennte Verfahren einen völlig eigenständigen Sachverhaltskomplex, der sich im Vergleich zum Verfahren (L 9 KA 6/05) in zahlreichen Punkten unterscheidet (behandelnder Arzt; Person des Versicherten; konkreter Erkrankung des Versicherten sowie weitere Umstände). Auch ein vom BSG für möglich gehaltener Ausnahmefall des § 96 SGG liegt im vorliegenden Sachverhalt erkennbar nicht vor. Vom Beklagten wurde kein ursprünglicher Verwaltungsakt durch einen neuen Verwaltungsakt geändert oder ersetzt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden und hier anzuwendenden Fassung (vgl. BSG, Urteil vom 30. Januar 2002 – B 6 KA 12/01 R, zitiert nach juris).

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil es sich um die Entscheidung eines Einzelfalls auf gesicherter rechtlicher Grundlage handelt (§ 160 SGG).
Rechtskraft
Aus
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