L 3 U 218/07

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 1 U 168/05
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 218/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 11/12 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die Tätigkeit des Zimmermanns erfüllt nicht die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr. 2109.

2. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr. 2109 bedingen eine kombinierte Belastung aus dem Tragen schwerer Lasten auf der Schulter und einer nach vorn und seitwärts erzwungenen Kopfzwangshaltung. Diese Voraussetzungen können nicht im Einzelfall aufgrund eines medizinischen Sachverständigengutachtens, das einen Kausalzusammenhang zwischen HWS-Schädigung und Tragebelastung auf der Schulter auch ohne entsprechende Kopfzwangshaltung für plausibel hält, entfallen.
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 6. Juli 2007 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob beim Kläger eine Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2109 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) vorliegt und Anspruch auf Rentenzahlung aus der gesetzlichen Unfallversicherung besteht.

Der 1945 geborene Kläger arbeitete von März 1960 bis einschließlich Oktober 2003 als Zimmerer bei der Firma XY. Holzbau GmbH in B-Stadt.

Seit 1998 befand sich der Kläger wegen schmerzhafter Bewegungseinschränkungen der Wirbelsäule in ambulanter orthopädischer Behandlung. Die damalige Landesversicherungsanstalt (LVA) Hessen bescheinigte in ihrem Reha-Entlassungsbericht vom 24. April 2003, dass der Kläger unter einem chronisch-degenerativen Hals- und Lendenwirbelsäulensyndrom leide.

Am 21. Mai 2004 zeigte der Kläger gegenüber der Beklagten an, dass er seit Jahren unter erheblichen Einschränkungen des Bewegungsapparates leide und beantragte, seine Erkrankung als BK im Sinne der BKV anzuerkennen.

Der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten sah die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Feststellung einer BK Nr. 2108 der Anlage zur BKV als gegeben an (Stellungnahme vom 13. Oktober 2004), nicht jedoch diejenigen für die Feststellung einer BK Nr. 2109 der Anlage 1 zur BKV (Stellungnahme vom 15. Oktober 2004). Zur Begründung verwies der TAD darauf, dass Tätigkeiten, bei denen schwere Lasten auf der Schulter - entsprechend dem Merkblatt von über 50 kg - mit gleichzeitig nach vorn und seitwärts erzwungener Kopfbeugehaltung fortgesetzt zu tragen gewesen seien, nicht in ausreichendem Maße aufgetreten seien. Der Beratungsarzt der Beklagten, Facharzt für Arbeitsmedizin Dr. NH., stellte in seiner Stellungnahme vom 18. November 2004 u.a. fest, der Kläger leide zwar an einem Halswirbelsäulen(HWS-)Syndrom, einer HWS-belastenden Exposition im Sinne der Ziffer 2109 der Anlage zur BKV, sei er aber nicht ausgesetzt gewesen. Die aktenkundigen bildtechnischen Befunde der HWS verwiesen in Höhe C5/6 und C6/7 neben den Bandscheibenschäden auf deutliche osteochondrotische und spondylotische Veränderungen.

Mit Bescheid vom 2. Februar 2005 lehnte die Beklagte Entschädigungsleistungen aufgrund Anerkennung einer BK ab und führte zur Begründung an, dass für eine BK Nr. 2108 der Anlage zur BKV die medizinischen Voraussetzungen, für eine BK Nr. 2109 die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht gegeben seien.

Zur Begründung seines hiergegen gerichteten Widerspruchs vom 28. Februar 2005 legte der Kläger einen Befundbericht des Orthopäden Dr. LM. vom 19. September 2003 vor, wozu die Beklagte eine Stellungnahme ihres beratenden Arztes NH. vom 7. April 2005 einholte. Die Beklagte wies daraufhin den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27. April 2005 zurück.

Am 29. April 2005 hat der Kläger hiergegen vor dem Sozialgericht Gießen (Sozialgericht) Klage erhoben. Mit Beschluss vom 27. Juli 2005 hat das Sozialgericht das Verfahren wegen einer BK Nr. 2109 abgetrennt und unter dem Aktenzeichen S 1 U 168/05 weitergeführt. Bezüglich der Feststellung einer BK Nr. 2108 (Az.: S 1 U 99/05) ist mit Beschluss vom 10. März 2006 das Ruhen des Verfahrens angeordnet worden.

Das Gericht hat im Erörterungstermin vom 10. März 2006 Beweis erhoben zur Arbeitssituation des Klägers bei der Firma XY. Holzbau durch Vernehmung des Zeugen V1. XY., Zimmermeister und Unternehmer. Wegen des Inhalts der Zeugenaussage wird auf die Sitzungsniederschrift vom 10. März 2006 Bezug genommen. Hierzu hat die Beklagte Stellungnahmen ihres Präventionsdienstes vom 19. Juni 2006 und vom 30. Oktober 2006 vorgelegt, wonach die vom Kläger erbrachte Tätigkeit die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Annahme einer BK Nr. 2109 der Anlage zur BKV nicht erfülle.

Anschließend hat das Sozialgericht ein fachorthopädisches Sachverständigengutachten von Prof. Dr. A., Leiter der Gutachtenambulanz im Orthopädischen Universitätsklinikum GR., vom 21. März 2007 eingeholt. Der Sachverständige hat bei dem Kläger mittelgradige degenerative Veränderungen im Bereich der Bewegungssegmente zwischen dem 5. und 7. Halswirbelkörper in Form einer Verschmälerung der Bandscheibenfächer sowie zwischen dem 2. und 5. Halswirbelkörper in Form nach vorne und hinten weisender knöcherner Randwülste an den Grund- und Deckplatten und den Wirbelbogengelenken festgestellt. Wenn man die arbeitstechnischen Voraussetzungen für eine BK Nr. 2109 annehme, dann müssten diese krankhaften Veränderungen im Bereich der HWS nach den Ausführungen des Gutachters auch als Folgen der BK Nr. 2109 angesehen werden. Der Sachverständige äußerte Zweifel, ob tatsächlich so schematisch zwischen der Belastung des Zimmermanns und der Belastung des Fleischträgers beim Tragen von Lasten auf den Schultern unterschieden werden könne. Wenn man unterstelle, dass in der hinreichenden Zahl von Arbeitsschichten entsprechend ausreichende Lasten auf den Schultern transportiert worden seien, dann erfordere das Tragen einer solchen Last eine Gegenspannung u.a. über andere Muskeln, die sowohl an der HWS als auch an den Schultern ansetzten (z.B. Kapuzenmuskel). Hierdurch werde ein entsprechender Druck auf die Bandscheiben der HWS ausgeübt. Prinzipiell erscheine es daher plausibel, dass unter diesen Bedingungen eine vorzeitige Degeneration der Bandscheibe verursacht werden könne. Wenn man also ohne Berücksichtigung der durch den TAD angesprochenen Kopfhaltung davon ausgehe, dass in einer ausreichenden Zahl von Arbeitsschichten entsprechende Gewichte auf den Schultern getragen worden seien, dann erscheine die Annahme des Vorliegens der arbeitstechnischen Voraussetzungen einer BK Nr. 2109 medizinisch plausibel. Da eine mittelgradige Einschränkung der Beweglichkeit in sämtlichen Bewegungsebenen vorliege, sei von einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 v.H. auszugehen.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 6. Juli 2007 die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 2. Februar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. April 2005 verurteilt, bei dem Kläger eine BK nach Nr. 2109 der Anlage zur BKV anzuerkennen und ihm Rente nach einer MdE von 20 v. H. zu zahlen. Das Gericht hat es als erwiesen angesehen, dass der Kläger im Rahmen seiner versicherten Tätigkeit schädigenden Einwirkungen ausgesetzt gewesen sei, die geeignet gewesen seien, eine Gesundheitsstörung im Bereich der HWS im Sinne einer BK Nr. 2109 der Anlage zur BKV zu verursachen. Zwar habe der Verordnungsgeber der BKV nicht alle beruflich verursachten Bandscheibenschäden im Bereich der HWS erfassen wollen; vorangegangen sein müsse vielmehr eine lang andauernde, die HWS in spezifischer Weise besonders strapazierende Tätigkeit. Jedoch sei entgegen der Ansicht der Beklagten davon auszugehen, dass diese Voraussetzungen im Fall des Klägers erfüllt seien. Das Sozialgericht ist zur Beurteilung der arbeitstechnischen Voraussetzungen den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. A. gefolgt, der nachvollziehbar begründet habe, dass auch das vom Kläger ausgeführte Tragen von Lasten auf der Schulter zu einer Belastung der HWS führe. Auch die haftungsausfüllende Kausalität für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge der schädigenden Einwirkung sei gegeben. Prof. Dr. A. habe nachvollziehbar begründet, dass die Bandscheibenschäden im Bereich der HWS des Klägers durch das Tragen schwerer Lasten auf einer Schulter in einer Vielzahl von Arbeitsschichten verursacht worden seien. Aufgrund der durch die HWS-Schädigung des Klägers verursachten mittelgradigen Einschränkung der Beweglichkeit in sämtlichen Bewegungsebenen sei von einer MdE von 20 v.H. auszugehen.

Gegen dieses ihr am 24. Oktober 2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 29. Oktober 2007 Berufung bei dem Hessischen Landessozialgericht eingelegt.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass seitens des Klägers die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr. 2109 nicht erfüllt werden. Das Tragen von schweren Kanthölzern werde unstreitig mit geradem Kopf ausgeführt; nur beim Weiterschieben von schweren Lasten und bei deren Aufnehmen und Absetzen komme es kurzzeitig zu einer Zwangshaltung des Kopfes. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr. 2109 seien nur gegeben, wenn im Rahmen einer mindestens zehnjährigen beruflichen Tätigkeit während der überwiegenden Anzahl der Arbeitsschichten schwere Lasten (50 kg und mehr) auf der Schulter, einhergehend mit einer statischen Belastung der zervikalen Bewegungssegmente und einer außergewöhnlichen Zwangshaltung (nach vorn und seitwärts erzwungene Kopfhaltung) der HWS, in überdurchschnittlichem Maße getragen worden sei. Würden Lasten bei geradem Kopf auf der Schulter getragen, so werde das Lastgewicht über das Schulterblatt auf den relativ starren Brustkorb und damit weiter auf die LWS abgeleitet. Nur wenn, wie bei Fleischträgern durch Seitneigung des Kopfes aus HWS und Schulter eine Art Mulde gebildet werde, in der die Last ruhe, damit sie nicht von der Schulter rutsche, nehme die HWS an der Lastaufnahme teil. Fehle es aber – wie im Fall des Klägers - an einer Unförmigkeit der Last, welche die Zuhilfenahme des Kopfes zur Lastführung erfordere, wirke sich das Lastgewicht nur noch auf die LWS aus, wie dies beim Tragen mit den Händen der Fall sei. Einer medizinischen Auseinandersetzung bedürfe es daher nicht. Soweit jedoch erstinstanzlich medizinische Ermittlungen durchgeführt worden seien, stelle die Auffassung von Prof. Dr. A. eine Mindermeinung dar, die sich anhand medizinisch-wissenschaftlicher Literatur nicht belegen ließe.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 6. Juli 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Senat hat den Kläger in einem Erörterungstermin am 30. März 2010 nochmals zu den Tragebelastungen im Rahmen seiner Tätigkeit als Zimmermann gehört. Auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 30. März 2010 wird Bezug genommen.

Anschließend hat der Präventionsdienst der Beklagten unter Einbeziehung des Klägers, der Prozessbevollmächtigten der Beteiligten sowie der früheren Arbeitgeber des Klägers, V2. und V1. XY., am Betriebssitz der Arbeitgeber Ermittlungen zu den relevanten Tragebelastungen durchgeführt. Wegen der hierbei erhobenen Angaben zur Tragebelastung auf der Schulter bei den vom Kläger ausgeübten Tätigkeiten wird auf die Stellungnahme des Präventionsdienstes vom 11. August 2010 Bezug genommen. Die dort getroffenen Feststellungen beziehen sich auf die Belastungen in den Jahren 1960 bis 1980; in den späteren Jahren war die Belastung geringer, nachdem 1975 in der Zimmerhalle ein Kran eingebaut und ab 1980 auf den Baustellen ein firmeneigener Kran eingesetzt worden war. Aus den Angaben der an den Gesprächen Beteiligten haben sich durchschnittlich 20 bis 25 Tragevorgänge pro Arbeitstag mit Lastgewichten von 50 kg und mehr auf der Schulter ergeben. Die Dauer des Tragens auf der Schulter ist mit maximal 30 Minuten pro Tag ermittelt worden. Abschließend wird in der Stellungnahme "Arbeitsplatzexposition" vom 11. August 2010 ausgeführt, beim Tragen von schweren Kanthölzern auf der Schulter werde zwar der Kopf leicht zur Seite geneigt, diese Kopfhaltung sei aber nicht vergleichbar mit der Forderung der BK Nr. 2109 im ärztlichen Merkblatt. Es könne beim Aufnehmen, Ablegen und Weiterreichen von Lasten auf der Schulter kurzzeitig zu der geforderten Zwangshaltung kommen; beim Tragen über größere Strecken von Lastgewichten über 50 kg seien die Voraussetzungen der BK Nr. 2109 nicht erfüllt.

Wegen der weiteren Einzelheiten, auch im Vorbringen der Beteiligten und in den medizinischen Unterlagen, wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist in dem im vorliegenden Verfahren angefochtenen, die Anerkennung einer BK Nr. 2109 betreffenden Umfang rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung seiner Gesundheitsstörungen im Bereich der HWS als BK Nr. 2109 der Anlage 1 zur BKV. Die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit des Zimmerers erfüllt bereits nicht die arbeitstechnischen Voraussetzungen zur Anerkennung einer solchen BK.

BKen sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch –SGB- VII (bis zum Inkrafttreten des SGB VII § 551 Abs. 1 Satz 2 Reichesversicherungsordnung –RVO-) Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Nach der BKV gehören zu den BKen auch "bandscheibenbedingte Erkrankungen der HWS durch langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter" (Nr. 2109), sofern sie zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. Voraussetzung für die Feststellung einer BK Nr. 2109 ist, dass die versicherte Tätigkeit, die arbeitstechnischen Voraussetzungen (schädigende berufliche Einwirkungen) sowie die Erkrankung, für die Entschädigungsleistungen geltend gemacht wird, im Vollbeweis (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) festgestellt werden (BSGE 61, 127; 45, 285, 287). Für die Feststellung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen den schädigenden Einwirkungen und den Gesundheitsstörungen genügt dagegen die hinreichende Wahrscheinlichkeit, die bloße Möglichkeit reicht jedoch nicht (vgl. Bundessozialgericht BSG- in SozR 2200 § 581 Nr. 26). Ein Zusammenhang ist wahrscheinlich, wenn bei der Abwägung der für den Zusammenhang sprechenden Erwägungen diese so stark überwiegen, dass darauf die Überzeugung der entscheidenden Stelle gegründet werden kann (vgl. BSGE 61, 127, 128; 58, 76, 78). Lassen sich unter Berücksichtigung der vorgenannten Grundsätze die anspruchsbegründenden Tatsachen nicht nachweisen, so geht dies nach dem auch im Sozialrecht geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Versicherten, wenn er hieraus eine ihm günstigere Rechtsfolge herleiten will (BSG in SozR 3-2200 § 548 Nrn. 11 und 14; BSGE 58, 76, 79; 43, 110, 111; 41, 297, 300 und 6, 70, 72).

Dem Verordnungstext zur BK Nr. 2109 können zwar die einzelnen Tatbestandsmerkmale der arbeitstechnischen Voraussetzungen dieser BK (langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter) nicht genau entnommen werden. Insoweit handelt es sich um einen auslegungsbedürftigen und -fähigen unbestimmten Rechtsbegriff, der jedoch noch nicht gegen das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot verstößt (vgl. BSG, Urteil vom 23. März 1999 - B 2 U 12/98 R - zur gleichgelagerten Problematik bei der BK Nr. 2108). Unter Berücksichtigung der in den Gesetzesmaterialien (Begründung zur Änderung der BKV, Abschnitt B zu Artikel 1 Nr. 4a) in BR-Drucks. 773/92, S. 9) und in dem vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA) herausgegebenen Merkblatt für die ärztliche Untersuchung zur BK Nr. 2109 (in Bundesarbeitsblatt 3/1993, S. 53) - im folgenden: Merkblatt zur BK 2109 - genannten arbeitstechnischen Kriterien, hält der Senat zur Bejahung einer beruflichen Exposition im Sinne der BK Nr. 2109 eine mindestens zehnjährige Tätigkeit mit dem Tragen von Lastgewichten von 50 kg und mehr auf der Schulter für erforderlich. Die Lasten müssen mit einer gewissen Regelmäßigkeit und Häufigkeit in der überwiegenden Zahl der Arbeitsschichten getragen worden sein. Hierbei sieht der Senat eine gewisse Regelmäßigkeit und Häufigkeit nur dann als gegeben an, sofern pro Arbeitsschicht mindestens eine Stunde lang Lasten von 50 kg und mehr auf der Schulter getragen worden sind, und zwar bei gleichzeitig nach vorn und seitwärts erzwungener Kopfhaltung (s. u.a. HLSG, Urteile vom 12. Februar 2008 - L 3 U 20/05 -, 3. Mai 2005 – L 3 U 71/04 -, 17. April 2004 – L 3 U 780/00 -, 20. August 2003 L 3 U 450/97 -, 28. Mai 2003 - L 3 U 785/00 – , 10. Dezember 2003 – L 3 U 981/00 ; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 11. November 1998 - L 2 U 883/98 -). Denn nach dem Willen der Verordnungsgeberin (vgl. BR-Drucks. 773/92, S. 8 und 9) sollen von dieser BK nur die Berufsgruppen erfasst werden, bei denen außergewöhnlich hohe Belastungen der Wirbelsäule durch Heben und Tragen von Lasten regelmäßig wiederkehrende Tätigkeitsmerkmale sind. Als hierfür typische Tätigkeiten sind bezüglich der BK Nr. 2109 die Fleischträger in Schlachthäusern, die Lasten auf der Schulter oder über Kopf unter Zwangshaltung im Bereich der HWS und maximaler Anspannung der Nackenmuskulatur transportieren, sowie als Berufsgruppe mit vergleichbaren Belastungen die Lastenträger, die schwere Säcke auf der Schulter tragen, genannt worden. Der Aufnahme der BK Nr. 2109 in die BKV lagen die epidemiologischen Studien über das Verhältnis zwischen HWS-Veränderungen und der Tätigkeit von Fleischabträgern von L. Hult von 1954 ("Cervical, dorsal and lumbar spinal syndromes, a field investigation of a non-selected material of 1 200 workers in different occupations with special reference to disc degeneration and so-called muscular rheumatism" in Acta Orthop. Suppl. 17, 1954) sowie von G. Schröter und W. Rademacher von 1971 ("Die Bedeutung von Belastung und außergewöhnlicher Haltung für das Entstehen von Verschleißschäden der Halswirbelsäule, dargestellt an einem Kollektiv von Fleischabträgern" in Zeitschrift für die gesamte Hygiene und ihre Grenzgebiete 17 (1971) 11, S. 841 bis 843) zugrunde (vgl. Merkblatt zur BK 2109 S. 5). Danach war die Arbeit der Fleischabträger durch das Tragen von Tierhälften oder -vierteln von 50 kg und mehr auf dem Kopf bzw. dem Schultergürtel geprägt. Die hierbei nach vorn und seitwärts erzwungene Kopfbeugehaltung und das gleichzeitige maximale Anspannen der Nackenmuskulatur führten zu einer Hyperlordosierung und auch zu einer Verdrehung der HWS. Das im Vergleich zu dem im vom BMA herausgegebenen Merkblatt für die ärztliche Untersuchung zur BK Nr. 2108 (in Bundesarbeitsblatt 3/1993, S. 50) genannte höhere Lastgewicht begründet sich mit dem Umstand, dass auf der Schulter bzw. dem Kopf die getragene Last achsennah einwirkt und der Hebelarm, der bei der Belastung der LWS durch Heben und Tragen schwerer Lasten zu berücksichtigen ist, entfällt. Zwar sind zur Frage der Häufigkeit oder zum Zeitanteil der Tragevorgänge je Arbeitsschicht weder den Gesetzesmaterialien noch dem Merkblatt zur BK Nr. 2109 konkrete Hinweise zu entnehmen, auch sind nach den Erkenntnissen des Senats bisher keine epidemiologischen Studien bekannt, in denen eine statistisch abgesicherte Korrelation zwischen der Häufigkeit der Tragevorgänge auf der Schulter und einer Erkrankung der HWS aufgestellt wurde. Gleichwohl sieht der Senat es als sachgerecht an, als Mindestkriterium einen täglichen Zeitanteil pro Arbeitsschicht von einer Stunde (netto) für die spezifische Tragetätigkeit zu fordern. Denn nach dem Willen der Verordnungsgeberin sollen von der BK Nr. 2109 nur Tätigkeiten, die mit einer außergewöhnlich hohen spezifischen Tragebelastung verbunden sind, erfasst werden. Orientiert man sich an den in den Gesetzesmaterialien genannten Berufsgruppen, den vollschichtig als Fleischabträger oder Lastenträger eingesetzten Versicherten, und berücksichtigt man weiterhin, dass die zugrunde liegenden Studien aus den Jahren 1954 und 1971 noch auf Arbeitsbedingungen beruhen, die seit Ende der 1960er Jahre wegen der massiv eingetretenen Mechanisierung des Lastentransportes durch Einführung von Kränen, Lastenaufzügen, Förderbändern, Rohrbahnen, Gabelstaplern u.ä. kaum noch anzutreffen sind, so muss die spezifische Tragetätigkeit einen deutlichen Teil der täglichen Arbeitszeit ausmachen, um sie als gefährdend im Sinne der BK Nr. 2109 ansehen zu können.

Der Kläger leidet zwar an einer bandscheibenbedingten Erkrankung der HWS, gemessen an den zuvor genannten Kriterien steht zur Überzeugung des Senats jedoch nicht fest, dass diese mit Wahrscheinlichkeit durch langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter verursacht worden ist, da die von dem Kläger zwischen 1960 und 1980 ausgeführten beruflichen Tätigkeiten nicht den tatbestandlichen Voraussetzungen der BK Nr. 2109 entsprechen. Die diesbezügliche Überzeugung des Senats gründet sich auf alle im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren gewonnenen Erkenntnisse (§ 128 SGG), insbesondere die Angaben des Klägers sowie des Zeugen V1. XY. und des Seniorchefs des Arbeitgeberbetriebs des Klägers, V2. XY., zu den Tragebelastungen sowie auf den in der Arbeitsplatzanalyse des Präventionsdienstes der Beklagten vom 11. August 2010 dokumentierten Sachverhalt. Hiernach steht fest, dass der Kläger maximal 30 Minuten pro Arbeitsschicht schwere Lasten auf der Schulter tragen musste. Diese Feststellung wird nach den arbeitstechnischen Ermittlungen auch von Seiten des Klägers nicht in Frage gestellt, der vielmehr lediglich bestreitet, dass mit der Angabe eines täglichen Zeitlimits von 30 Minuten das Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr. 2109 abgelehnt werden könne.

Selbst wenn man eine Tragebelastung von 30 Minuten als ausreichend im Sinne der BK Nr. 2109 erachten würde, ist vorliegend aber im Rahmen dieser Gesamttragebelastung allenfalls für wenige Minuten eine dem Belastungsmuster, wie es dem Merkblatt zur BK Nr. 2109 zu entnehmen ist, vergleichbare Tätigkeit feststellbar. Nach dem dort zugrunde gelegten wissenschaftlichen Kenntnisstand ist ein erheblich häufigeres Vorkommen von Verschleißschäden der HWS beim Tragen schwerer Lasten auf der Schulter von statischer Belastung und abnormer Haltung der Wirbelsäule abhängig. Der Arbeitsvorgang beim Fleischabträger ist (früher) von dieser besonderen Belastung geprägt gewesen. Das Belastungsprofil des Klägers in seiner Tätigkeit als Zimmerer unterscheidet sich hiervon deutlich. Die Arbeit der Fleischabträger ist durch das Tragen von Tierhälften oder -vierteln von 50 kg und mehr auf Kopf und Schultergürtel geprägt, wobei der Kopf durch die Last nach vorn oder seitwärts gedrückt wird. Die räumliche Orientierung der Fleischträger erfordert das Andrücken des Kopfes gegen die Last. Dabei wird die Nackenmuskulatur maximal angespannt und die HWS in Hyperlordosierung gebracht. Wird der Kopf durch die Last seitwärts gedrückt, wird daneben auch eine Drehung der HWS zur Seite der Last hin erforderlich. Die Tätigkeit des Klägers umfasste dagegen abwechslungsreiche Aufgaben, bei denen es sich zwar um körperlich schwere Arbeiten handelte, es bestand aber – schon in zeitlicher Hinsicht – keine auch nur annähernd vergleichbare Belastung durch das Tragen von Lasten auf der Schulter. Beim Tragen starrer Gegenstände ist zudem allenfalls eine seitliche Abkippung der HWS festzustellen, nicht aber die bei den Fleischträgern erforderliche abnorme Haltung der Wirbelsäule (vgl. auch Landessozialgericht Niedersachsen, Urteil vom 29. April 1999 L 6 U 206/98 - in HVBG Rundschreiben VB 100/99). Eine entsprechende Zwangshaltung der HWS ergibt sich im Rahmen der Tätigkeit des Klägers nur für die Bewegungsabläufe beim Aufnehmen, Ablegen und Weiterreichen von Lasten auf der Schulter und damit allenfalls in einem untergeordneten Anteil der mit maximal 30 Minuten pro Arbeitsschicht anzunehmenden Gesamttragebelastung. Demgegenüber vermögen auch die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. A. eine abweichende Bewertung der arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr. 2109 nicht zu begründen. Dem Sachverständigen kann nicht darin gefolgt werden, wenn dieser eine Kopfzwangshaltung, wie sie im Merkblatt zur BK Nr. 2109 in Kombination mit dem Tragen schwerer Lasten vorausgesetzt wird, nicht für erforderlich hält. Dabei wird der von Prof. Dr. A. angenommene Umstand einer Gegenspannung u.a. über Muskeln, die an der HWS und an den Schultern ansetzen, und eines hierdurch entstehenden Drucks auf die Bandscheiben der HWS nicht in Abrede gestellt. Für die positive Feststellung der arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr. 2109 genügt es jedoch nicht, wenn der Sachverständige zu diesen Muskelanspannungen ausführt, es erscheine ihm prinzipiell plausibel, dass unter diesen Bedingungen eine vorzeitige Degeneration der Bandscheibe verursacht werde. Dass es auch für andere – auch weitere denkbare - Belastungen prinzipiell plausibel erscheint, dass diese zu einer bandscheibenbedingten Erkrankung der HWS führen, vermag den Umstand, dass der Kläger im Rahmen der von ihm ausgeübten Tätigkeit nicht in vergleichbarem Maße und Umfang belastet war, wie dies dem Belastungsmuster der BK Nr. 2109 entspricht, nicht zu beseitigen. Der Sachverständige übersieht dabei auch, dass das Merkblatt nicht nur im Rahmen der Gefahrenquellen eine solche kombinierte Belastung der HWS, wie sie bei Fleischträgern typisch ist, als Voraussetzung anführt, sondern dass auch das festzustellende Schadensbild gerade als Folge der Tragebelastung unter der außergewöhnlichen Kopfhaltung begründet wird. Im Rahmen der Pathophysiologie wird ausgeführt, dass die Zug- und Kompressionskräfte im Bereich der Wirbelgelenkfacetten in Verbindung mit Seitverbiegung und Verdrehung dazu beitragen, dass insbesondere oberhalb von C5/6 degenerative Bandscheibenveränderungen beobachtet wurden, die in der Allgemeinbevölkerung weniger häufig anzutreffen sind. Auch dies zeigt, dass die Kopfzwangshaltung, wie sie beim Kläger allenfalls äußerst kurzzeitig und keineswegs als das Tätigkeitsbild des Zimmerers prägend beobachtet werden kann, notwendiger Bestandteil der arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr. 2109 ist.

Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass sich auch an der arbeitsmedizinischen Bewertung durch den Sachverständigen Prof. Dr. A. Zweifel aufdrängen. Bandscheibenbedingte Veränderungen ergeben sich aus dem Gutachten von Prof. Dr. A. in den Segmenten C5/6 und C6/7. Dies ergab bereits die Kernspintomographie der HWS vom 15. Juni 1999. Der im Rahmen der Begutachtung durch Prof. Dr. A. am 14. März 2007 erhobene Röntgenbefund ergab entsprechende Verschmälerungen der Bandscheibenfächer in ebendiesen Segmenten, außerdem mittlerweile mittelgradige degenerative Veränderungen an den Wirbelbogengelenken im darüberliegenden Bereich vom zweiten bis fünften Halswirbelkörper; Bandscheibenveränderungen in diesem Bereich werden aber auch weiterhin nicht beschrieben. Der Sachverständige hat ausgeführt, die pathomorphologischen Veränderungen insbesondere im Bereich zwischen dem 5. und 7. Halswirbelkörper erfüllten die Kriterien, die auch für die Lendenwirbelsäule genannt worden seien; damit seien insbesondere die belastungsadaptiven Veränderungen und das belastungskonforme Schadensbild angesprochen. Zu den Verhältnissen an der Lendenwirbelsäule hat der Sachverständige mit Blick auf die Frage der Anerkennung bandscheibenbedingter Erkrankungen dargelegt, dass wegen der relevanten Druckkräfte ein von oben nach unten zunehmender Ausprägungsgrad der belastungsadaptiven Veränderungen zu erwarten sei. Wenn der Sachverständige dies nun auf die BK Nr. 2109 überträgt, übersieht er, dass hier eine ganz andere Belastungsform als bei den LWS-Erkrankungen, nämlich die oben beschriebene kombinierte Belastung, vorliegt. Während aufgrund der Druckkraftverhältnisse im Bereich der LWS von einer Schädigung schwerpunktmäßig im unteren LWS-Bereich ausgegangen wird, tragen bei den Berufsbildern, die im Sinne der BK Nr. 2109 belastet sind, nach dem Merkblatt die Zug- und Kompressionskräfte im Bereich der Wirbelgelenkfacetten in Verbindung mit Seitverbiegung und Verdrehung dazu bei, dass insbesondere oberhalb von C5/6 bis zu C2/3 degenerative Veränderungen beobachtet werden, die in der Allgemeinbevölkerung weniger häufig anzutreffen sind. Dem entspricht das bei dem Kläger festgestellte Bild einer bandscheibenbedingten Erkrankung im Bereich der HWS-Segmente C5/6 und C6/7 aber gerade nicht.

Vor dem Hintergrund der bereits nicht im Vollbeweis festzustellenden arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr. 2109 können vorliegend jedoch weitergehende medizinische Sachermittlungen unterbleiben.

Das Urteil des Sozialgerichts war daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, diejenige über die Nichtzulassung der Revision auf § 160 Abs. 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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