L 8 SB 5941/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 13 SB 4037/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 5941/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 27.10.2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) streitig.

Die 1972 geborene Klägerin stellte am 15.02.2008 beim Landratsamt C. (LRA) einen Erstantrag nach § 69 SGB IX. Sie machte als Behinderungen eine Funktionsbeeinträchtigung der Wirbelsäule, Bluthochdruck, einen Diabetes mellitus sowie eine Steatosis hepatis geltend. Das LRA nahm ärztliche Berichte zu den Akten (Entlassungsbericht des Kreiskrankenhauses N. vom 24.02.2007 und Bericht vom 18.09.2006, Befundberichte des Facharztes für Chirurgie W. vom 23.06.2004 und Dr. M. vom 06.07.2004). Nach Einholung einer gutachtlichen Stellungnahme seines versorgungsärztlichen Dienstes (Dr. K. vom 16.03.2008) entsprach das LRA mit Bescheid vom 02.04.2008 dem Antrag der Klägerin auf Feststellung des GdB nicht.

Gegen den Bescheid vom 02.04.2008 legte die Klägerin am 21.04.2008 Widerspruch ein, mit dem sie wegen eines Diabetes mellitus sowie Wirbelsäulenbeschwerden einen GdB von mindestens 30 geltend machte. Das LRA holte die Befundscheine des Arztes W. vom 23.06.2008 sowie von Dr. H. vom 10.07.2008 ein, der weitere ärztliche Berichte (Dr. B. vom 17.09.2004 und 01.12.2005, Dr. D. vom 24.01.2005, Dr. J. vom 24.10.2006, Dr. H. vom 09.07.2007, Dr. K. vom 29.02.2008 sowie Laborberichte) vorlegte, und ließ diese versorgungsärztlich auswerten. Dr. D. empfahl in seiner gutachtlichen Stellungnahme vom 11.08.2008 einen Teil-GdB von 10 für eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule. Ein Diabetes mellitus hielt er für nicht nachgewiesen. Für den Bluthochdruck, die Steatosis hepatis und operierter Hämorrhoiden/Analabszess schätzte er den Teil-GdB auf jeweils unter 10 ein. Entsprechend dieser gutachtlichen Stellungnahme wurde der Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 02.04.2008 vom Regierungspräsidium S. - Landesversorgungsamt - mit Widerspruchsbescheid vom 04.09.2008 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Auswertung der ärztlichen Unterlagen habe ergeben, dass bei der Klägerin keine Gesundheitsstörungen vorlägen, die einen GdB von wenigstens 20 bedingten.

Hiergegen erhob die Klägerin am 12.09.2008 Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG). Sie machte geltend, die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule sei mit einem GdB von mindestens 20, der Bluthochdruck, die Steatosis hepatis, die Hämorrhoiden und der Analabszess sowie der Diabetes mellitus seien mit einem Teil-GdB von wenigstens 10 zu bewerten. Insgesamt bestehe ein GdB von 30. Das LRA habe es entgegen ihrer Anregung unterlassen, hinsichtlich des Diabetes mellitus und der Wirbelsäulenbeschwerden eine Stellungnahme des behandelnden Hausarztes bzw. eines Facharztes für Orthopädie einzuholen.

Das SG hörte Dr. H. und den Nervenarzt Dr. W. schriftlich als sachverständige Zeugen an. Dr. H. teilte in seiner am 08.06.2009 beim SG eingegangenen Stellungnahme unter Vorlage ärztlicher Berichte (insbesondere Dr. W. vom 30.01.2009, Dr. K. vom 21.01.2009, Dr. G. vom 17.11.2008 und Laborberichte) den Behandlungsverlauf sowie die Befunde und Diagnosen mit. Die Auffassung des versorgungsärztlichen Dienstes des Beklagten (gutachtliche Stellungnahme Dr. D. vom 11.08.2008) teilte er hinsichtlich nicht berücksichtigter Beeinträchtigungen Seitens des Nervensystems/Psyche und des Bluthochdrucks nicht. Dr. W. teilte in seiner Stellungnahme vom 20.05.2010 den Behandlungsverlauf sowie die Befunde und Diagnosen mit. Er teilte die Auffassung des versorgungsärztlichen Dienstes des Beklagten.

Der Beklagte trat der Klage unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. B. vom 05.10.2009 entgegen.

Mit Urteil vom 27.10.2010 wies das SG die Klage ab. Es führte zur Begründung aus, Beeinträchtigungen an der Halswirbelsäule der Klägerin seien mit einem GdB von nicht über 10 zu bewerten. Hinsichtlich der Hypertonie, der Hämorrhoiden sei kein GdB von wenigstens 10 und hinsichtlich der Steatosis hepatis kein GdB von über 10 anzusetzen. Ein Diabetes mellitus sei nicht belegt. Wegen einer nicht dauerhaften Anpassungsstörung mit depressiver Reaktion habe Dr. W. die Auffassung des versorgungsärztlichen Dienstes geteilt. Es ergebe sich kein GdB von wenigstens 20.

Gegen das dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 06.12.2010 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 29.12.2010 Berufung eingelegt. Sie hat zur Begründung vorgetragen, nach den vom SG wiedergegebenen Maßstäben sei ein GdB von wenigstens 30 festzustellen. Entgegen der Ansicht des SG liege im Bereich der Wirbelsäule eine Gefügestörung L4/5 L5/S1 mit einem chronischen LWS-Syndrom mit muskulärer Dysbalance und Radikulopathie vor, wie sich aus der Stellungnahme von Dr. B. ergebe. Sie habe seit dem Jahr 2002 Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule rechts betont mit Ausstrahlung in das Bein. Sie könne deswegen schwere Lasten über 10 kg nicht mehr heben. Tiefe Sitzpositionen seien ausgeschlossen. Nachts müsse eine Stufenbettlagerung vorgenommen werden. Der im Jahr 2004 festgestellte Zustand habe sich verschlechtert. Hierzu hätte es der Untersuchung durch einen Orthopäden bedurft. Hinsichtlich der Wirbelsäule sei von einem GdB von mindestens 20 auszugehen. Hinzu komme ein immer wieder auftretender Spannungskopfschmerz, der zur Arbeitsunfähigkeit führe.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 27. Oktober 2010 sowie den Bescheid des Beklagten vom 2. April 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. September 2008 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, bei ihr den Grad der Behinderung mit 30 ab dem 15. Februar 2008 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Entgegen der von der Klägerin vertretenen Auffassung sei ein GdB von wenigstens 20 nicht zu objektivieren.

Der Senat hat den Orthopäden Dr. R. und Dr. W. schriftlich als sachverständige Zeugen angehört. Dr. W. hat in seiner Stellungnahme vom 05.08.2011 mitgeteilt, die Klägerin habe sich letztmals am 16.04.2010 in seiner ambulanten nervenärztlichen Behandlung befunden. Über den Gesundheitszustand der Klägerin nach Mai 2010 könne er keine Angaben machen. Dr. R. hat in seiner Stellungnahme vom 08.08.2011 über den Behandlungsverlauf, die Befunde und Diagnosen berichtet. Die Klägerin habe sich letztmals im Mai 2010 vorgestellt.

Wegen Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie ein Band Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 SGG auch insgesamt zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung des GdB von 20 oder höher. Der streitgegenständliche Bescheid des Beklagten vom 02.04.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.09.2008 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die GdB-Bewertung sind die Vorschriften des SGB IX. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt. Hierfür gelten gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB IX die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 17 des BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend.

Bis zum 31.12.2008 waren die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). Seit 01.01.2009 ist an die Stelle im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten AHP die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 17 BVG zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten diese Maßstäbe auch für die Feststellung des GdB. Eine inhaltliche Änderung der bisher angewandten Grundsätze und Kriterien erfolgte hierdurch nicht. Die VG haben vielmehr die AHP - jedenfalls soweit vorliegend relevant - übernommen und damit gewährleistet, dass gegenüber dem bisherigen Feststellungsverfahren keine Schlechterstellung möglich ist. In den VG ist ebenso wie in den AHP (BSG, Urteil vom 01.09.1999 - B 9 V 25/98 R - SozR 3-3100 § 30 Nr. 22) der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben. Dadurch wird eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht (ständige Rechtsprechung des erkennenden Senats; vgl. zum Vorstehenden auch LSG Baden Württemberg, Urteil vom 19.02.2009 - L 6 SB 4693/08 -).

Nach § 69 Abs. 3 SGB IX ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. Teil A Nr. 3 Seite 10 der VG). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung der VG in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3-3879 § 4 Nr. 5 zu den AHP).

Nach § 69 Abs. 1 Satz 6 SGB IX ist vom Beklagten eine Feststellung nur zu treffen, wenn ein Grad der Behinderung von wenigstens 20 vorliegt.

Hiervon ausgehend hat der Beklagte es zu Recht abgelehnt, bei der Klägerin den GdB festzustellen. Denn auch zur Überzeugung des Senats steht fest, dass bei der Klägerin keine Behinderungen vorliegen, die die Feststellung eines GdB von wenigstens 20 (oder gar 30) seit dem 15.02.2008 rechtfertigen.

Eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, die mit einem Teil-GdB von über 10 zu bewerten ist, liegt bei der Klägerin - entgegen ihrer Ansicht - nicht vor. Nach den VG B 18.9 sind Wirbelsäulenschäden dann mit einem Teil-GdB von 20 zu werten, bei mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome). Solche mittelgradige funktionelle Auswirkungen liegen hinsichtlich der Wirbelsäule der Klägerin zur Überzeugung des Senats jedoch nicht vor. Nach den Angaben von Dr. R. in der vom Senat eingeholten schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 08.08.2011 bestehen bei der Klägerin ein chronisches Wirbelsäulensyndrom in einem Abschnitt, eine (milde) Lumbalskoliose sowie Arthrosen der kleinen Wirbelgelenke L5/S1. Dass deswegen bei der Klägerin mittelgradige Funktionsbeeinträchtigungen hervorgerufen werden, ist nach den von Dr. R. mitgeteilten Befunden nicht der Fall. Bei der Klägerin zeigten sich im Verlaufe der Behandlung durch Dr. R. nur einmalig Wirbelblockaden. Zwar besteht bei der Klägerin ein Fingen-Boden-Abstand von 40 cm. Dr. R. beschreibt in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage sonst jedoch keine pathologischen Befunde oder Funktionsbeeinträchtigungen hinsichtlich der Wirbelsäule der Klägerin. Danach kann bei der Klägerin - allenfalls - vom Vorliegen geringer Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule, die nach den VG einen Teil-GdB von 10 rechtfertigen, ausgegangen werden. Diese bestätigt auch Dr. H. in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage an das SG, der der Bewertung der Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit einem Teil-GdB von 10 durch den versorgungsärztlichen Dienst des Beklagten nicht widersprochen hat. Für das Vorliegen lediglich geringen Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule spricht auch, dass sich die Klägerin nach den Angaben von Dr. R. letztmalig am 01.06.2010 bei ihm vorgestellt und einen Termin am 08.11.2010 abgesagt hat.

Eine andere Bewertung rechtfertigen auch nicht die zu den Akten gelangten Befundberichte von Dr. B., auf die sich die Klägerin zur Begründung ihrer Berufung beruft. Zwar hat Dr. B. bei der Klägerin eine chronisches cervicobrachiales Syndrom mit GFS, MFS und muskulärer Dysbalance sowie eine Gefügestörung cervical C5/6 li. und C6/7 bds. (Befundbericht vom 01.12.2005) sowie eine Gefügestörung L4/5, L5/S1, ein chronisches Lumbalsyndrom mit MFS, eine muskuläre Dysbalance und eine Radiculopathie S1 bei V.a. NPP L5/S1 (Befundbericht vom 17.09.2004) diagnostiziert. Abgesehen davon, dass diese Befundberichte aus den Jahren 2004 und 2005 für die Bewertung des GdB ab 15.02.2008 allenfalls geringe Aussagekraft haben, worauf Dr. B. in der vom Beklagten an das SG vorgelegten versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 05.10.2009 zutreffend hinweist, und die genannten Diagnosen von Dr. R. zudem so nicht bestätigt werden, lässt sich diesen Befundberichten auch nicht entnehmen, dass bei der Klägerin wegen der von Dr. B. genannten Diagnosen - therapieresistent - mittelgradige Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule der Klägerin dauerhaft hervorgerufen werden. Das Vorliegen wesentlicher objektivierbarer Funktionseinschränkungen oder neurologische Ausfallerscheinungen ergeben sich aus den von Dr. B. mitgeteilten Wirbelsäulenbefunden nicht.

Auch der von der Klägerin geltend gemachte Spannungskopfschmerz rechtfertigt keinen GdB von wenigstens 20. Nach dem zu den Akten gelangten Befundbericht von Dr. D. bestanden bei der Klägerin im Jahr 2004 lediglich drei ganztägige Kopfschmerzattacken. Dr. D. diagnostizierte ein Spannungskopfschmerz und Migräne mit seltenen Anfällen. Nach dem Befundbericht von Dr. J. vom 24.10.2006 klagte die Klägerin über nahezu täglich auftretenden Kopfschmerz. Das EEG und die neurologische Untersuchung waren jedoch unauffällig. Auch eine am 17.11.2008 durchgeführte radiologische Untersuchung der Klägerin ergab wegen der Kopfschmerzen keinen relevanten Befund (Bericht Dr. G. vom 17.11.2008). Nach der schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage von Dr. W. an das SG vom 20.05.2010 besteht bei der Klägerin ein (chronischer) Spannungskopfschmerz, wobei auch Dr. W. keine neurologischen Auffälligkeiten beschreibt. Nach diesen Befunden ist eine GdB von wenigstens 20 wegen der Migräne/Kopfschmerzen nicht gerechtfertigt. Nach den VG B 2.3 bedingt eine echte Migräne erst bei mittelgradiger Verlaufsform (häufigere Anfälle, jeweils einen oder mehrere Tage anhaltend) einen GdB von 20 (bis 40). Ungeachtet dessen, dass bei der Klägerin eine echte Migräne nicht nachgewiesen ist, läge bei ihr auch eine mittelgradige Verlaufsform nicht vor. Eine leichte Verlaufsform (Anfälle durchschnittlich einmal monatlich) ist nach den VG lediglich mit einem GdB von 0 bis 10 zu bewerten. Entsprechendes gilt für den diagnostizierten Spannungskopfschmerz der Klägerin. Dr. W. hat in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage eine bei der Bildung des GdB zu berücksichtigende Behinderung der Klägerin durch den Spannungskopfschmerz nicht angenommen, sondern sich vielmehr der Ansicht des versorgungsärztlichen Dienstes des Beklagten (gutachtliche Stellungnahme Dr. D. vom 11.08.2008) angeschlossen. Auch Dr. H. hat in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage an das SG eine zu berücksichtigende Behinderung der Klägerin wegen der Spannungskopfschmerzen nicht genannt und hat auch insoweit der Ansicht des versorgungsärztlichen Dienstes des Beklagten nicht widersprochen. Danach kann bei der Klägerin wegen der Spannungskopfschmerzen allenfalls von einem Teil-GdB von 10 ausgegangen werden.

Entgegen der von Dr. H. in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage an das SG geäußerten Ansicht liegen bei der Klägerin keine bei der Bildung des GdB zu berücksichtigende Gesundheitsstörungen auf nervenärztlichem Gebiet vor. Vielmehr hat Dr. W. in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 20.05.2010 das Vorliegen einer dauerhaften Gesundheitsstörung der Klägerin auf nervenärztlichem Fachgebiet (bisher) verneint. Diese Bewertung ist nach dem von ihm mitgeteilten psychischen Befund für den Senat nachvollziehbar und überzeugend. Gegen eine relevante Gesundheitsstörung der Klägerin auf psychiatrischem Gebiet spricht auch, dass sich die Klägerin zuletzt am 16.04.2010 bei Dr. W. in ambulanter nervenärztlicher Behandlung befunden hat, wie Dr. W. in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage weiter mitgeteilt hat. Dr. H. nennt keine Befunde, die seine abweichende Ansicht nachvollziehbar und plausibel macht. Der abweichenden Ansicht von Dr. H., folgt der Senat daher nicht. Danach kann bei der Klägerin auf psychiatrischem Gebiet von keinem Teil-GdB von 10 ausgegangen werden. Im Übrigen hat auch die Klägerin zur Begründung ihrer Berufung eine psychische Gesundheitsstörung nicht mehr geltend gemacht.

Entsprechendes gilt für die von Dr. H. in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage außerdem geäußerte Ansicht, nicht nachvollziehbar sei, weshalb der versorgungsärztliche Dienst ein Bluthochdruckleiden der Klägerin bei der Bildung des GdB nicht berücksichtigt habe. Nach den VG B 9.3 rechtfertigt eine Hypertonie (Bluthochdruck) erst bei einer mittelschweren Form mit Organbeteiligung leichten bis mittleren Grades (Augenhintergrundveränderungen - Fundus hypertonicus I - II - und/oder Linkshypertrophie des Herzens und/oder Proteinurie), diastolischer Blutdruck mehrfach über 100 mm Hg trotz Behandlung, je nach Leistungsbeeinträchtigung einen GdB von 20 (bis 40). Dass bei der Klägerin ein mittelschwerer Bluthochdruck mit Organbeteiligung besteht, lässt sich weder den Angaben von Dr. H. (Blutdruck 150/100 bzw. 125/80) noch den sonst zu den Akten gelangten medizinischen Befundunterlagen entnehmen (Befundbericht Dr. H. an das LRA vom 10.07.2008: Blutdruck 130/80 bzw. 125/80). Dass bei der Klägerin ein - zu berücksichtigendes - Bluthochdruckleiden besteht, ist nach den vorliegenden Befundunterlagen für den Senat nicht nachgewiesen, weshalb der Ansicht von Dr. H. auch insoweit nicht gefolgt werden kann. Jedenfalls kann bei der Klägerin wegen Bluthochdrucks von einem GdB von 10 (oder höher) nicht ausgegangen werden. Im Übrigen hat auch die Klägerin zur Begründung ihrer Berufung eine Bluthochdruckerkrankung nicht mehr geltend gemacht.

Dies gilt auch für die Steatosis hepatis (Fettleber) der Klägerin. Nach den VG B 10.3.3 rechtfertigt diese Gesundheitsstörung einen GdB von 0 bis 10. Bei der Klägerin liegt nach dem Bericht des Kreiskrankenhauses N. vom 18.09.2006 eine milde Verlaufsform - ohne Folgeerkrankungen - vor, weshalb kein Anlass besteht, den GdB-Rahmen nach oben auszuschöpfen. Im Übrigen hat auch die Klägerin zur Begründung ihrer Berufung eine Lebererkrankung nicht mehr geltend gemacht.

Dass die Klägerin an einem Diabetes mellitus erkrankt ist, ist nicht nachgewiesen. Dr. H. hat in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage bei der Klägerin einen Diabetes mellitus nicht genannt. Die Diagnose eines Diabetes mellitus lässt sich auch den sonst zu den Akten gelangten Befundberichten nicht entnehmen. Soweit Dr. W. in seinem Befundbericht vom 30.01.2009 einen latenten Diabetes mellitus erwähnt, stützt sich diese Angabe ersichtlich nur auf Vorbringen der Klägerin, wie auch die Angaben von Dr. W. in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage an das SG bestätigen. Eine auf eigene Untersuchungen gestützte Diagnose hat Dr. W. nicht gestellt. Im Übrigen hat auch die Klägerin zur Begründung ihrer Berufung eine Diabeteserkrankung nicht mehr geltend gemacht.

Schließlich liegt bei der Klägerin ein zu berücksichtigendes Hämorrhoidenleiden/Analabszess nicht mehr vor. Nach dem Bericht von Dr. K. vom 29.02.2008 erfolgte bei der Klägerin im Februar 2007 eine operative Intervention. Es verblieb eine chronische Analfissur bei Beschwerdefreiheit. Eine Proktoskopie erbrachte keinen Nachweis von Hämorrhoiden.

Sonstige dauerhafte Gesundheitsstörungen der Klägerin mit funktionellen Behinderungen lassen sich den zu den Akten gelangten Befundunterlagen und den Angaben der als sachverständige Zeugen gehörten Ärzte nicht entnehmen und werden im Übrigen von der Klägerin auch nicht geltend gemacht.

Damit liegen bei der Klägerin keine Gesundheitsstörungen vor, die mit einem Teil-GdB von mehr als 10 zu bewerten sind, weshalb nach den oben dargestellten Grundsätzen zur Bildung des Gesamt-GdB ein GdB von wenigstens 20 bei der Klägerin nicht gegeben ist.

Anlass zu weiteren Ermittlungen besteht nicht. Der für die Entscheidung relevante Sachverhalt ist durch die vom SG und vom Senat durchgeführten Ermittlungen und die zu den Akten gelangten Befundunterlagen für den Senat geklärt. Verschlimmerungen im Gesundheitszustand der Klägerin sind nicht ersichtlich. Das nicht substantiierte Vorbringen der Klägerin, der von Dr. B. festgestellte Zustand habe sich seit dem Jahr 2004 verschlechtert, findet in der schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage von Dr. R. vom 08.08.2011 keine Bestätigung. Der Senat sieht sich deshalb auch nicht gedrängt, den Sachverhalt hierzu weiter aufzuklären.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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