L 13 R 750/10

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 12 R 410/09
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 13 R 750/10
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zu den Voraussetzungen einer Rente wegen Erwerbsminderung; Eintritt der Erwerbsminderung
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 10. August 2010 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Die Beteiligten streiten um Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1953 geborene Kläger war nach seinen Angaben von 1967 bis 1971 als Fabrikarbeiter, von 1971 bis 1975 als Holzhauer und von 1975 bis 1995 als Bauarbeiter/Maschinist tätig. Bis April 1995 war er arbeitslos beim Arbeitsamt gemeldet. Danach war er mit einem eigenen Baggerbetrieb bis zum 01.04.2000 selbständig. Ab 01.01.1996 hat der Kläger freiwillige Beiträge gezahlt. Im November 1999 wurde der Kläger wegen Kniegelenksbeschwerden aufgrund einer Pangonarthrose arbeitsunfähig und hat zunächst bis Juni 2001 Krankengeld bezogen. Ab 2005 hat er vorübergehend Arbeitslosengeld II bezogen.

Am 13.12.1999 wurde dem Kläger eine Kniegelenksendoprothese rechts eingesetzt. Im Anschluss daran befand sich der Kläger vom 03.01. bis 14.02.2000 auf Rehabilitation in der B. Klinik. Nach der Einschätzung im Entlassungsbericht konnte der Kläger die Tätigkeit als Baggerfahrer nach Abschluss der Rekonvaleszenz nur noch halb- bis untervollschichtig ausüben. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei er für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten vollschichtig einsetzbar.
Weitere Operationen am rechten Knie fanden am 16.02.2000 (Synvektomie und Mobilisation) und am 08.12.2000 (Arthroskopie wegen persistierender Schmerzen) statt.
Am 16.06.2000 wurde auch am linken Knie eine TEP-Implantation durchgeführt. Im Anschluss daran fand vom 11.07.2000 bis zum 08.08.2000 eine weitere Reha in der B.-Klinik statt. Bei der Entlassung wurde die Einschätzung festgehalten, dass der Kläger die letzte Tätigkeit nicht mehr ausüben, aber auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch vollschichtig tätig sein könne.

Den ersten Rentenantrag stellte der Kläger am 14.02.2001 und gab dabei an, dass er sich seit 1997 wegen Kniegelenksbeschwerden, Bronchitis u.a. für erwerbsunfähig halte.

Am 26.03.2001 und am 09.05.2001 wurde der Kläger erneut am rechten bzw. linken Knie operiert. Der Chirurg Dr. R. nahm am 28.05.2001 zu dem Rentenantrag Stellung und befürwortete aufgrund des komplizierten Verlaufs und der vielfach durchgeführten Revisionseingriffe eine Zeitrente von 2 Jahren.

Bei dem Radiologen Dr. P. klagte der Kläger über eine rechtsbetonte Lumboischialgie, die bis zu den Kniegelenken ausstrahle. Das MRT vom 01.03.2001 zeigte laut Dr. K. eine geringgradige Pseudospondylolisthese L5/S1, durch die es zu einer relativen Einengung der Neuroforamina und zu einer Vorwölbung der Bandscheibe kam.

Der Chirurg Dr. M. untersuchte den Kläger im Auftrag der Beklagten am 18.07.2001. Dort gab der Kläger u.a. an, dass er nach wie vor erhebliche Gang- und Kniegelenksschmerzen habe. Der Gutachter diagnostizierte:
1. Fortgeschrittene Abnutzungserscheinungen beider Kniegelenke; Z.n. TEP beidseits mit erheblichen Restbeschwerden,
2. Wirbelsäulenbeschwerden bei Abnutzungserscheinungen und Bandscheibenschaden,
3. Abnutzungserscheinungen an den Hüftgelenken.
Wesentlich sei, dass der Kläger seit Jahren zu Gichtanfällen neige. Es sei zu therapieresistenten Kniegelenksergüssen und einer fortschreitenden Gonarthrose gekommen. Das linke Knie sei verdickt, verplumpt mit Reizergussbildung. Belastbarkeit und Beweglichkeit seien erheblich eingeschränkt. Zusammenfassend kam der Gutachter zu dem Ergebnis, dass das Leistungsvermögen des Klägers erheblich beeinträchtigt sei. Trotz des jungen Alters von 48 Jahren seien Tätigkeiten von wirtschaftlichem Wert nicht mehr zumutbar. Mit einer wesentlichen Besserung könne nicht mehr gerechnet werden. Die Feststellungen würden seit dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit am 11.11.1999 gelten.

Mit Bescheid vom 26.07.2001 wurde der Rentenantrag abgelehnt. Dabei wurde zugrunde gelegt, dass eine volle Erwerbsminderung seit 12.11.1999 bestehe, aber die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht vorliegen würden. Im maßgeblichen Zeitraum vom 12.11.1994 bis 11.11.1999 seien nur 7 Kalendermonate mit zu berücksichtigenden Beiträgen belegt.

Mit Bescheid vom 07.08.2001 wurde die Anerkennung von Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten abgelehnt.

Gegen die Bescheide erhob der Kläger Widerspruch. Er sei bereit, für den Zeitraum vom 01.05. bis 31.12.1995 freiwillige Beiträge nachzuzahlen. Es sei eine außerordentliche Härte, dass nur aufgrund der Lücke im Versicherungsverlauf keine Rentenzahlung erfolge. Er habe außerdem in der genannten Zeit seine Tochter M. erzogen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 10.01.2002 wurden die Widersprüche gegen die Bescheide vom 26.07.2001 und 07.08.2001 zurückgewiesen. Der Kläger sei nach Auswertung der vorliegenden ärztlichen Unterlagen seit 12.11.1999 voll erwerbsgemindert. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen lägen nicht vor. Die Zeiten Mai 1995 bis April 1996 und Juni 1996 bis November 1999 seien weder mit Pflichtbeiträgen noch mit Verlängerungstatbeständen belegt. Nach Abwägung der Gesamtumstände habe eine überwiegende Erziehung der Tochter durch den Kläger nicht vorgelegen. Freiwillige Beiträge könnten nur noch für die Zeit ab 01.01.1999 gezahlt werden. Auch im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs sei die weitere Nachzahlung nicht mehr zulässig. Der Kläger habe im Antrag auf Entrichtung freiwilliger Beiträge vom 25.10.1995 ausdrücklich erklärt, freiwillige Beiträge erst ab 01.01.1996 entrichten zu wollen. Im Bewilligungsbescheid vom 09.01.1996 sei er darauf hingewiesen worden, dass hierdurch ein Anspruch auf Rente wegen Berufs- und Erwerbsunfähigkeit nicht erworben werden könne. Weitere Klarstellung habe er nicht verlangt. Erst am 28.03.2000 habe er die Entrichtung von freiwilligen Beiträgen beantragt; dies sei mit Bescheid vom 04.05.2000 in Gestalt des - rechtskräftigen - Widerspruchsbescheids vom 20.09.2000 abgelehnt worden, weil die Entrichtungsfristen abgelaufen seien.

Die dagegen gerichtete Klage (S 3 RJ 124/02) vor dem Sozialgericht Landshut wurde in der mündlichen Verhandlung vom 09.05.2003 zurückgenommen.

In der Zwischenzeit hatte der Kläger nach einem Wechsel der Prothese am rechten Kniegelenk (11.04.2002) erneut vom 08.05.2002 bis zum 05.06.2002 an einer Reha in der B. Klinik teilgenommen. Im Entlassungsbericht wurde auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nach Abschluss einer Rekonvaleszenzzeit von ca. 10 Wochen eine vollschichtige Leistungsfähigkeit für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten gesehen.

Nachdem auch die Knieprothese links gelockert war und am 27.08.2002 gewechselt werden musste, fand wiederum eine Reha vom 17.09.2002 bis zum 15.10.2002 in der B.-Klinik statt. Der Kläger wurde arbeitsunfähig entlassen; auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt würde nach weiteren 6 bis 8 Wochen - ein störungsfreier Heilungsverlauf vorausgesetzt - eine vollschichtige Leistungsfähigkeit für leichte Tätigkeiten erreicht werden können.

Weitere Wechsel der Prothese fanden am 14.01.2003 (rechtes Knie) und am 13.09.2003 (linkes Knie) statt. Der Antrag auf anschließende Reha wurde von der Beklagten an die Krankenkasse weitergeleitet. Im Entlassungsbericht über den Aufenthalt vom 08.10.2003 bis zum 31.10.2003 an die Krankenkasse heißt es, dass der Kläger bei Bewältigung des Alltagslebens keine Schwierigkeiten erwarte; beruflich sehe er sich jedoch in keiner Weise leistungsfähig. Er wurde zunächst noch weiter arbeitsunfähig für die letzte Tätigkeit entlassen. Aufgrund des langjährigen Krankheitsverlaufs mit bereits wieder geklagten Schmerzen im Bereich des rechten Kniegelenks lasse sich eine verlässliche Aussage über die Dauer der Arbeitsunfähigkeit derzeit nicht treffen. Dies gelte sowohl für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit sowie auch für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.

Nach einem weiteren TEP-Wechsel am linken Knie am 27.09.2004 wurde wieder eine Reha durch die Beklagte vom 11.10.2004 bis 08.11.2004 durchgeführt. Es wurde ausgeführt, dass der Kläger nach dem letzten TEP-Wechsel im September 2003 zunächst weitgehend beschwerdefrei gewesen sei. Anfang Juni sei ein Arbeitsversuch unternommen worden. Bereits Anfang Juni 2004 sei jedoch eine erneute Lockerung der Knie-TEP diagnostiziert worden. Die Entlassung erfolgte als vorläufig arbeitsunfähig; auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestehe nach einer Rekonvaleszenzzeit vollschichtige Leistungsfähigkeit für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten.

Das Krankenhaus B. C-Stadt berichtete am 01.09.2005, dass der Kläger auch nach der Operation im September 2004 nie beschwerdefrei gewesen sei. Im August 2005 habe eine Entlastungsbohrung am Oberschenkel nahe der Prothesenspitze stattgefunden. Auch diese habe keinerlei Linderung erbracht. Der Patient beschreibe eine massive Schmerzproblematik; er könne nicht arbeiten.

Im April 2006 fand ein weiterer Wechsel der TEP links statt. Im Bericht des Krankenhauses der B. vom 26.04.2006 heißt es, dass sich der Kläger ausdrücklich gegen eine empfohlene Arthrodese ausgesprochen habe und einen erneuten TEP-Wech-sel gewünscht habe.

Im Entlassungsbericht der Klinik B. über den nachfolgenden Aufenthalt vom 02.05.2006 bis 10.06.2006 steht, dass der Kläger in erholtem und teilweise gebessertem Zustand entlassen worden sei. Er könne die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Baggerfahrer voraussichtlich nicht mehr ausüben.

Am 16.02.2007 stellte der Kläger einen erneuten Rentenantrag. Er sei seit 01.02.2007 wegen einer erneuten Knie-Operation (Kniegelenksspiegelung mit lateraler Bandplastik der Kniescheibe) erwerbsgemindert. Mit Bescheid vom 22.02.2007 wurde der Antrag abgelehnt. Die volle Erwerbsminderung bestehe seit 11.11.1999; im maßgeblichen Zeitraum vom 11.11.1994 bis 10.11.1999 seien nur 7 Kalendermonate belegt.

Mit dem Widerspruch machte der Kläger geltend, dass eine volle Erwerbsminderung nicht bereits am 11.11.1999 eingetreten sei, sondern erst am 01.02.2007. Er habe 2004 eine berufliche Tätigkeit aufgenommen und sei anschließend seit etwa Mitte 2004 ohne Unterbrechung der Agentur für Arbeit zur Verfügung gestanden und habe Arbeitslosengeld II bezogen. Laut einer Arbeitgeberauskunft des Bauunternehmens F. war der Kläger vom 14.06. bis 12.07.2004 bei dieser Firma als Baggerfahrer beschäftigt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 15.06.2007 wurde der Widerspruch zurückgewiesen.

Dagegen erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht Landshut (S 11 R 855/07). Der Gesundheitszustand habe sich seit 1999 deutlich gebessert. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen seien nun wieder erfüllt. Außerdem legte er eine Bescheinigung des Hausarztes Dr. K. vom 26.07.2007 vor, wonach er seit einer Operation am 24.05.2007 - Arthrodese linkes Kniegelenk - auf Dauer erwerbsunfähig sei.

Das Sozialgericht holte ein Gutachten nach § 106 SGG bei dem Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, spezielle Schmerztherapie Dr. M. ein. Dieser untersuchte den Kläger am 28.06.2008. Gegenüber dem Gutachter hat der Kläger u.a. angegeben, dass er nach der zweiten Endoprothese (2000) nie wirklich schmerzfrei geworden sei. Den Arbeitsversuch 2004 habe er wegen Schmerzen nach drei Wochen abbrechen müssen. Der Gutachter hat darauf hingewiesen, dass der Kläger inzwischen eine hochpotente Kombinationstherapie benötige, um sein Schmerzniveau im erträglichen Bereich zu halten. Er berichte plausibel über Müdigkeit. Die Belastbarkeit der Kniegelenke sei weiterhin erheblich reduziert. Hinsichtlich des zurückliegenden Zeitraums sei eine Dokumentation in dichter Abfolge vorhanden. Der Gutachter hat diagnostiziert:
1. Chronischer Schmerz bei Z.n. Versteifungsoperation des linken Kniegelenks, Z.n. Knietotalendoprothese mit mehrfachen Wechseloperationen bei Gichtarthropathie
Z.n. Knieendoprothese rechts mit Z.n. mehreren Revisionseingriffen und TEP-Wechsel bei Gichtarthropathie,
2. Leichtes Wirbelgleiten LWK 5, Asthma bronchiale.
Der Kläger könne leichte Arbeiten nur noch unter zwei Stunden ausüben und Tätigkeiten als Baggerführer gar nicht mehr. Das beschriebene Leistungsbild bestehe seit 11.11.1999. Die Beweglichkeit des rechten Kniegelenks habe sich seit der Begutachtung durch Dr. M. nicht gebessert. Die Situation an der linken unteren Extremität habe sich insofern verändert, als zwischenzeitlich nach mehrfacher TEP-Wechsel eine Arthrodese durchgeführt wurde. Bezüglich der Einschätzung der Leistungsfähigkeit habe sich aber keine Änderung ergeben.

Der Bevollmächtigte des Klägers hat zu dem Gutachten eine Stellungnahme des Dr. P. vom 20.11.2008 vorgelegt. Es sei nicht nachvollziehbar, warum eine Leistungsfähigkeit unter zwei Stunden bei alleiniger Einschränkung der Funktionsfähigkeit der Kniegelenke bei sonst altersentsprechender Funktionstüchtigkeit des Bewegungsapparats und ohne Hinweise einer geistigen oder psychischen Belastungsminderung bereits ab 1999 vorliegen solle.

Die Beklagte legte eine Stellungnahme des prüfärztlichen Diensts vom 08.01.2009 vor, wonach dem Gutachten des Dr. M. zu folgen sei.

Im Erörterungstermin am 15.01.2009 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit dessen Einverständnis den Rechtsstreit im Hinblick auf die Gutachtenslage für erledigt erklärt.

Mit streitgegenständlichem Antrag vom 16.02.2009 hat der Kläger erneut Rente wegen Erwerbsminderung beantragt. Er halte sich seit 16.02.2009 wegen der Knie und der Wirbelsäule für erwerbsgemindert. Der Antrag wurde mit Bescheid vom 20.02.2009 weiterhin mit der Begründung abgelehnt, dass eine volle Erwerbsminderung seit 11.11.1999 bestehe und dafür die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht vorlägen. Der Sachverhalt sei im vorangegangenen Klageverfahren erörtert worden; die Klage sei am 15.01.2009 zurückgenommen worden. Eine Änderung werde sich auch bei wiederholter Antragstellung nicht ergeben; eine erneute Sachaufklärung sei nicht erforderlich.
Dagegen erhob der Kläger Widerspruch, der mit Widerspruchsbescheid vom 23.03.2009 zurückgewiesen worden ist.

Mit der dagegen gerichteten Klage beim SG Landshut ist vorgetragen worden, dass der Kläger auch noch nach dem 11.11.1999 gearbeitet habe. Er habe dem allgemeinen Arbeitsmarkt zur Verfügung gestanden und Krankengeld bezogen. Die häufigen Operationen seien durch die Schmerzproblematik initiiert worden, aber offensichtlich nicht indiziert gewesen. Die Ursachen seien nicht ausreichend erörtert worden. Dies stelle die Gutachten von Dr. M. und Dr. M. in Frage. Die Behandlungen seien nur deshalb von den Ärzten durchgeführt worden, weil diese ausreichende Aussicht auf Besserung sahen. Damit habe zumindest bis zum Januar 2008 keine Erwerbsunfähigkeit vorgelegen. Es sei zu fragen, ob bei genauer Prüfung der Schmerzsymptomatik eine bessere Behandlung hätte durchgeführt werden können. Der Kläger habe sich laufend mit dem Ziel der Erhaltung und Wiederherstellung seines Leistungsvermögens in Behandlung gefunden. Die unterbliebene richtige Behandlung könne nicht dazu führen, dass er bereits seit 11.11.1999 erwerbsunfähig sei. Der Kläger glaube daran, dass seine Leistungsfähigkeit wieder hergestellt werden könne. 1999 hätte der Kläger noch sitzende Tätigkeiten durchführen können. Erst mittlerweile sei von einer Chronifizierung auszugehen.

Die Klage ist mit Urteil vom 10.08.2010 abgewiesen worden. Das Sozialgericht war davon überzeugt, dass die Beklagte bei der Feststellung des Versicherungsfalls vom richtigen Zeitpunkt ausgegangen ist. Dies ergebe sich aus den überzeugenden Darlegungen des Sachverständigen Dr. M ... Die Argumentation des Klägers, die Schmerzsymptomatik hätte erfolgreich behandelt werden können, wenn das Thema von der rein orthopädischen Sichtweise losgelöst worden wäre, sei nicht durchgreifend. Entscheidend sei allein der tatsächlich Krankheitsverlauf, nicht der hypothetische Erfolg therapeutischer Bemühungen, die vielleicht angezeigt gewesen sein mögen, aber nicht stattgefunden haben.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger am 10.09.2010 Berufung eingelegt.
Auf Antrag des Klägers ist ein Gutachten bei Prof. C. (Untersuchung am 02.05.2011) eingeholt worden. Der Gutachter hat darin ausgeführt, dass seit der letzten Untersuchung im Juni 2008 Beschwerden im Bereich LWS hinzugekommen seien. Im Dezember 2008 und im März sowie November 2009 hätten Versteifungsoperationen der Wirbelsäule stattgefunden. Es bestünden weiterhin deutliche Schmerzen in beiden unteren Extremitäten mit täglicher Schmerzmitteleinnahme. Er kommt zu dem Ergebnis, dass der Kläger seit Versteifung des linken Kniegelenks im Mai 2007 aus medizinischer Sicht nur noch leichte Arbeiten mit vorwiegend sitzender bzw. geringfügig stehender Arbeit durchführen könne. Arbeiten im Freien seien nicht möglich. Täglich könne er drei bis unter sechs Stunden arbeiten. Die noch zumutbaren Arbeiten könnten nur unter Einhaltung verlängerter Pausenzeiten durchgeführt werden. Eine Gehstrecke von mehr als 500 m viermal pro Tag könne nicht mehr innerhalb von jeweils ca. 30 Minuten durchgeführt werden. Ein möglicher Arbeitsplatz sei mit einem Kfz mit Automatikgetriebe erreichbar, wenn die Fahrzeit nicht über 30 Minuten betrage. Die Einschränkungen bestünden seit der Gelenkversteifung im Mai 2007 und würden fortbestehen. Es sei unwahrscheinlich, dass die Erwerbsminderung behoben werden könne.

Die Beklagte hat dazu die Stellungnahme des prüfärztlichen Diensts vorgelegt. Es ergebe sich kein neuer medizinischer Aspekt im Hinblick auf die Vergangenheit; zum Besseren hin habe sich seit November 1999 nichts verändert.

Die Prozessbevollmächtigte hält die Ausführungen des Prof. C. für umfassend und zutreffend. Prof. C. ordne der Schmerzsymptomatik zu Recht nicht die zentrale Bedeutung zu. Die Beklagte habe sein Gutachten nicht wissenschaftlich widerlegt. Der Kläger habe im Rahmen des sozialrechtlichen Wiederherstellungsanspruchs das Recht, dass die nachteiligen Annahmen der Beklagten richtig gestellt würden.

Die Prozessbevollmächtigte des Klägers hat in der mündlichen Verhandlung den Antrag gestellt,
das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 10. August 2010 sowie den Bescheid vom 20.Februar 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. März 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ab 1. Juni 2007 Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu zahlen.

Die Beklagte stellt den Antrag,
die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakte sowie der Akten des gerichtlichen Verfahrens Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das SG hat zu Recht die Klage gegen den Bescheid vom 20. Februar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. März 2009 abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Dem Kläger steht auf seinen Antrag vom 16.02.2009 kein Anspruch auf Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 1, 2 SGB VI zu. Auch eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 SGB VI kommt nicht in Betracht.
Beim Kläger liegt seit 11.11.1999 durchgehend eine volle Erwerbsminderung vor, doch waren zu diesem Zeitpunkt die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit nicht erfüllt.
Nach § 43 Abs. 1 bzw. Abs. 2 Nr. 2 SGB VI ist Voraussetzung, dass in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vorliegen. In dem Zeitraum von 12.11.1994 bis 11.11.1999 sind ausweislich des Versicherungsverlaufs nur 7 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen belegt.
Verlängerungstatbestände nach § 43 Abs. 4 oder § 241 Abs.1 SGB VI liegen nicht vor. Auch die Voraussetzungen einer vorzeitigen Wartezeiterfüllung nach § 43 Abs. Abs. 5 i.V.m. § 53 SGB VI (Arbeitsunfall etc.) sind nicht gegeben. Die Belegung mit freiwilligen Beiträgen ab 01.01.1996 führt nicht zum Erhalt des Versicherungsschutzes nach § 241 Abs. 2 SGB VI, da eine lückenlose Belegung seit 01.01.1984 nicht gegeben ist. Unbelegt sind die Monate Mai bis Dezember 1995. Eine Beitragszahlung ist für diese fehlenden Monate im Jahr 1995 nicht mehr zulässig. Die Voraussetzungen für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch sind laut bestandskräftigem Widerspruchsbescheid vom 10.01.2002 nicht erfüllt; der Kläger wollte ausdrücklich erst ab 01.11.1996 freiwillige Beiträge entrichten und ist im Bescheid vom 09.01.1996 auf die Rechtsfolgen hingewiesen worden. Die Lücke konnte auch nicht durch Kindererziehungszeiten bzw. Berücksichtigungszeiten geschlossen werden. Solche Zeiten liegen nach dem bestandskräftigen Bescheid vom 07.08.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.01.2002 beim Kläger nicht vor.

Erst ab Januar 2007 wären wegen des zwischenzeitlichen beitragspflichtigen Sozialleistungsbezugs die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen - vorübergehend - wieder gegeben. Die volle Erwerbsminderung ist aber nach Überzeugung des Senats bereits vor diesem Zeitpunkt eingetreten.

Alle Gutachter kommen zu der Auffassung, dass beim Kläger insbesondere wegen der Beschwerden im Bereich der Knie eine volle Erwerbsminderung besteht.

Dabei stellen Dr. M. und Dr. M. fest, dass nicht nur eine Einschränkung der Gehfähigkeit sondern eine erhebliche quantitative Leistungseinschränkung vorliegt. Auch Prof. C. beschränkt die zumutbare Arbeitszeit auf drei bis unter sechs Stunden und fordert dazu noch verlängerte Pausenzeiten. Diese Einschätzungen, die letztlich allesamt zur Annahme einer vollen Erwerbsminderung im Sinne von § 43 SGB VI führen, erscheinen angesichts des ungewöhnlichen Verlaufs der Erkrankung mit zahlreichen operativen Eingriffen plausibel. Dr. M. weist auf die persistierende ausgeprägte Schmerzhaftigkeit der Kniebeschwerden und die Müdigkeit aufgrund Schlafproblemen und Medikamenteneinnahme hin.

Gerade der eng dokumentierte Verlauf der Erkrankung spricht auch für den Eintritt der vollen Erwerbsminderung bereits 1999 oder jedenfalls in den Jahren danach und nicht erst 2007. Dies bestätigte der Gutachter Dr. M., der sich ausführlich mit der Krankengeschichte des Klägers auseinandersetzte. Für einen Beginn der Erwerbsminderung weit vor 2007 spricht auch, dass der Kläger selbst bereits im Jahr 2001 einen Antrag auf Erwerbsminderung gestellt hat.

Dr. M., dessen Gutachten im Wege des Urkundsbeweises herangezogen werden kann, hat bereits zu einem relativ frühen Zeitpunkt (Juli 2001) auf die Therapieresistenz der Beschwerden hingewiesen. Bei dieser Einschätzung hat der Gutachter wesentlich auf die zugrunde liegenden Gichtanfälle, die zu Gelenksergüssen führten, und eine schnell fortschreitende Arthrose abgestellt. Er folgerte ausdrücklich, dass mit einer Besserung des Beschwerdebildes nicht zu rechnen sei. Der weitere Verlauf bestätigte diese Einschätzung des Gutachters.

Der Chirurg Dr. R. sah zwar im Mai 2001 noch eine Wiederherstellungschance, hat aber doch zunächst eine Zeitrente von 2 Jahren zur Schonung für "zwingend erforderlich" gehalten.
Die optimistischen Aussagen in den ersten Reha-Entlassungsberichten wurden durch die immer wieder auftretenden Beschwerden und Verschlechterungen relativiert. So hielt die B.-Klinik zwar noch im Oktober 2002 eine vollschichtige Leistungsfähigkeit für leichte Tätigkeiten für realistisch, setzte dabei aber einen störungsfreien Heilungsverlauf und eine weitere Rekonvaleszenzzeit voraus. Nach der Reha im Oktober 2003 wurde auch die Prognose der B.-Klinik vorsichtiger. Im Abschlussbericht gegenüber der Krankenversicherung heißt es, dass aufgrund des langjährigen Krankheitsverlaufs mit bereits wieder geklagten Schmerzen eine verlässliche Aussage über die Dauer der Arbeitsunfähigkeit derzeit nicht getroffen werden könne; dies gelte sowohl für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit sowie auch für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Auch nach der dort wiedergegebenen Selbsteinschätzung des Klägers zu diesem Zeitpunkt, sah sich dieser beruflich "in keiner Weise leistungsfähig".
Die Aussage im Reha-Entlassungsbericht 2006, dass der Kläger in erholtem und teilweise gebessertem Zustand entlassen worden sei, muss vor der bekannten Entwicklung als Momentaufnahme relativiert werden. Insoweit kann auch das Gutachten der Arbeitsagentur vom 07.12.2006, das allein auf Befunde aus dieser Zeit von August 2005 bis Juni 2006 verweist, nicht überzeugen.

Dr. M. hat demgegenüber die Angaben des Klägers, dass er seit Einsetzen der Endoprothese links im Juni 2000 nie wirklich schmerzfrei geworden sei, hervorgehoben. Er hat darauf abgestellt, dass stabile Verhältnisse insbesondere am linken Knie nie erreicht wurden. Der Kläger hat seit Ende 1999 nahezu ununterbrochen zwei Unterarmgehstützen genutzt. Zwischenzeitliche Erleichterungen durch die Operationen sind immer nur von vorübergehender Dauer gewesen, eine nachhaltige Besserung ist nicht eingetreten. Seit 1999 ist kein Jahr vergangen, in dem nicht ein stationärer Aufenthalt oder ein operativer Eingriff an den Kniegelenken stattfand. Dr. M. hat darauf hingewiesen, dass in den ärztlichen Berichten jeweils von länger andauernden und erheblichen Kniebeschwerden die Rede war. Der Gutachter setzt sich auch mit der Situation im und nach dem Jahr 2004 auseinander; eine nachhaltige Besserung ist auch seitdem nicht nachgewiesen. Zwar wurde damals ein Arbeitsversuch unternommen, dieser wurde aber schon bald wegen massiver Schmerzen abgebrochen. Auch weitere stationäre Behandlungen unter Einschluss spezieller schmerztherapeutischer Maßnahmen in den Jahren 2004 und 2005 führten zu keinem Erfolg. Bereits Anfang Juli 2004 erfolgte wieder eine Aufnahme in das Krankenhaus und wurde eine erneute Lockerung der Knie-TEP links diagnostiziert. Nach dem TEP-Wechsel im September 2004 fand eine Reha im November 2004 statt. Auch danach war der Kläger nie beschwerdefrei (so ausdrücklich der Entlassungsbericht der B. Klinik vom 12.06.2006). Im August 2005 ist schließlich die Entlastungsbohrung durchgeführt worden. Weitere Eingriffe fanden 2006 und 2007 statt.

Das Gutachten des Prof. C. kann vor diesem Hintergrund nicht überzeugen.

Prof. C. stellt für den Zeitpunkt der Erwerbsminderung auf den Zeitpunkt der Knieversteifung links (Mai 2007) ab. Daraus folgt zunächst, dass er die ab Juni 2008 hinzugekommenen Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule und die seitdem dort durchgeführten Versteifungsoperationen offenbar nicht für ausschlaggebend hält.
Es ist aber nicht überzeugend, dass gerade die Versteifungsoperation des Knies zu einer entscheidenden Verschlechterung der Situation beigetragen haben soll. Zwar ist mit der Versteifung des Knies dessen Beweglichkeit weitgehend aufgehoben. Die Beweglichkeit allein ist jedoch für die Frage der Erwerbsminderung im vorliegenden Fall nicht ausschlaggebend, sonst wäre nicht plausibel, warum der Gutachter zustandsangemessene Tätigkeiten nicht vollschichtig für zumutbar hält. Die Vorgutachter haben insoweit überzeugend auf die Schmerzhaftigkeit und die Instabilität der Lage hingewiesen, die aber bereits vor der Versteifung bestanden und durch die zahlreichen Operationen augenfällig wurden. Die Durchführung einer Versteifungsoperation setzt eine entsprechende Indikation voraus. Bereits im August 2005 wurde dem Kläger zu einer Arthrodese geraten, was der Kläger aber noch ablehnte. Es ist nicht plausibel, dass gerade durch die Durchführung der Arthrodese, die sicherlich der Besserung der Schmerzhaftigkeit dienen sollte, eine entscheidende Verschlimmerung eingetreten sein soll. Der Kläger hat selbst auch bereits am 16.02.2007 einen erneuten Rentenantrag gestellt und auf eine Operation im Februar 2007 (Kniegelenksspiegelung mit lateraler Bandplastik der Kniescheibe) verwiesen.
Sollte wirklich nach 2007 eine weitere erhebliche Verschlechterung eingetreten sein, so wird dadurch die Annahme einer bereits 1999 eingetretenen Erwerbsminderung nicht widerlegt. Wie in der sozialmedizinischen Stellungnahme der Beklagten zu Recht hingewiesen wird, ergibt sich aus dem Gutachten des Prof. C. kein befundlich neuer medizinischer Aspekt im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit des Versicherten in der Vergangenheit. Es ist daher vor dem Hintergrund der Krankengeschichte des Klägers nicht überzeugend, dass gerade die Eingriffe nach erneutem Erreichen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (Januar 2007) die Erwerbsminderung herbeigeführt haben sollen.

Der Vortrag, dass der Kläger mit einer anderen Behandlung erfolgreich hätte behandelt werden können, ist im Urteil des Sozialgerichts überzeugend zurückgewiesen worden. Entscheidend sind tatsächliche und nicht hypothetische Verläufe.

Die Berufung des Klägers ist daher nicht erfolgreich. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten (§ 193 SGG).

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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