L 4 KR 3514/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 16 KR 1080/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 3514/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 23. Juni 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin erhebt Anspruch auf eine Mammareduktionsplastik (im folgenden MRP).

Die am 1968 geborene Klägerin, Mutter und Hausfrau und zeitweise als Reinigungskraft beschäftigt, ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Im Juli 2009 (genaues Datum anhand der Verwaltungsakte nicht ersichtlich) beantragte die Klägerin durch Vorlage mehrerer ärztlicher Atteste bei der Beklagten die Bewilligung einer MRP. Oberarzt Dr. K. des Zentrums für Plastische Chirurgie am M.-hospital S. gab in seinem Attest vom 09. Juli 2009 an, die Klägerin leide an symptomatischer Mammahypertrophie beidseits, einer Depression und an Thalassämie (Mittelmeeranämie). Aus plastisch-chirurgischer Sicht werde eine MRP mit einem zu erwartenden Reduktionsgewicht von 600 bis 700 g pro Seite empfohlen. Facharzt für Psychiatrie Dr. G. gab in seiner fachärztlichen Bescheinigung vom 04. Juni 2009 an, bei der Klägerin sei eine schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome zu diagnostizieren. Die Klägerin leide an depressiven Verstimmungen mit Schmerzsymptomatik und verminderten Selbstwertgefühlen. Sie sei durch ihre Erscheinung der Brüste aufgrund der konstitutionellen Fehlstatik bei Megabrüsten sehr belastet. Aus fachärztlicher Sicht sei eine Reduktionsplastik dringend erforderlich. Orthopäde und Unfallchirurg Dr. Ko. berichtete in seinem Attest vom 08. Mai 2009 von einer chronischen Dorsalgie und einer Haltungskyphose der BWS. Eine Reduktionsplastik der Mammae sei schon 2002 befürwortet worden, dies werde nochmals bestätigt. Radiologe Dr. H. gab in seinem Bericht vom 30. Mai 2009 an, bei der Klägerin bestehe ein mammographisch unauffälliger Befund beidseits. Bei durchaus großen schweren Mammae mit sehr hoher Parenchymdichte und Zeichen einer geprägten fibrös-zystischen und nodulären Mastopathie bestünden weder mammographisch noch sonographisch Hinweise auf malignitätsverdächtige Veränderungen.

Die Beklagte ließ die Klägerin durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) sozialmedizinisch begutachten. Gutachterin Dr. D. berichtete in ihrem Gutachten vom 09. Oktober 2009 aufgrund einer zwei Tage zuvor durchgeführten Untersuchung der Klägerin vom Vorliegen einer Hypertrophie der Mamma bei Asymmetrie (N62), von Übergewicht (Adipositas Grad I), Depression, Thalassämie und chronischer Dorsalgie der BWS. Bei der Klägerin habe ein Brustgewicht von rechts 1322 g und links 1627 g festgestellt werden können. Damit bestehe eine ausgeprägte Mammahypertrophie beidseits im Sinne einer Gigantomastie. Allerdings sei die Klägerin erstgradig übergewichtig mit einem BMI von 28,8 kg/m2. Die Klägerin leide an therapieresistenten Hals-Schulter-Nacken-Beschwerden sowie an ausgeprägten Schmerzen in beiden Brüsten, wie sie häufig bei fibrozystischer Mastopathie anzutreffen seien. Bei einer Körpergröße der Klägerin von 152 cm komme in Relation die Brustgröße vermehrt zum Tragen. Regelmäßig fachärztlich-orthopädische sowie krankengymnastisch-physiotherapeutische Behandlung sei erfolgt. Ein kosmetischer Aspekt komme im vorliegenden Fall weniger in Betracht; im Mittelpunkt stehe der Wunsch der Klägerin nach Beseitigung der bestehenden Beschwerdesymptomatik. Aufgrund ihrer psychischen Belastung stehe die Klägerin in regelmäßiger fachärztlicher psychiatrischer bzw. psychotherapeutischer Behandlung zur Gesprächstherapie. Zur Erlangung von Normalgewichtigkeit ((/=BMI 25 kg/m2) müsste die Klägerin ca. neun kg Körpergewicht reduzieren, wodurch sich das Brustgewicht um ca. 180 g pro Seite vermindern könnte. Hieraus resultiere ein voraussichtliches Brustgewicht von ca. 1142 g rechts und 1447 g links. Somit sei nach Körpergewichtsreduktion nicht mehr von einer Mammahypertrophie beidseits im Sinne einer Gigantomastie auszugehen, sodass nach seinem (des Gutachters) sozialmedizinischen Verständnis ein regelwidriger Körperzustand nicht mehr vorliege. Auf dieser Basis könne eine Kostenübernahme der beantragten Mammareduktionsplastik aus sozialmedizinischer Sicht nicht empfohlen werden. Denn eine Brustlast über 1500 g pro Seite werde nicht als krankheitswertig angesehen, wenn sie nach rechnerischem Abzug von 20 g pro Kilogramm Übergewicht unter die Grenze von 1500 g falle. Somit sei unter Berücksichtigung der Adipositas im konkreten Fall die Brustlast nicht als regelwidrig zu beachten. Eine Gewichtsreduzierung sei dringend indiziert. Zusätzlich leide die Klägerin an einer starken Mastodenie (schmerzhafter Brust) bei ausgeprägter fibrozystischer Mastopathie laut Mammographiebefund. Hier stehe ein breites Spektrum an noninvasiven Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Aus den vorliegenden Unterlagen sei nicht nachvollziehbar, dass diese Maßnahmen ausgeschöpft und bei entsprechender Therapiedauer ohne therapeutische Erfolge durchgeführt worden seien. Bei Selbstwertproblemen komme weiterhin eine Psychotherapie in Betracht. Psychische Störungen seien überdies mit Psychotherapieverfahren zu behandeln und nicht chirurgisch. Die Behandlung müsse an der Erkrankung direkt ansetzen.

Mit Bescheid vom 12. Oktober 2009 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab.

Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Anders als von der Beklagten vertreten, sei sie sehr wohl als krank anzusehen. Unter Bezugnahme auf die "Leitlinie der Deutschen Plastischen Chirurgie" vom 28. Februar 2003 bestünden Gründe für eine medizinische Indikation aufgrund der dargestellten Rücken- und Nackenschmerzen. Bei der Makromastie sei die Indikation gegeben, wenn zusätzliche Beschwerden im Hals- und Brustwirbelsäulenbereich vorlägen, welche ebenfalls nicht gemindert werden könnten. Soweit der MDK ihre (der Klägerin) Beschwerden mit der Diagnose N62 einstufe (Hypertrophie der Mamma), handele es sich dabei um eine pubertätsbedingte Brustdrüsenveränderung im Sinne eines unkontrollierten Wachstums. Es sei nicht davon auszugehen, dass eine solche durch bloße Gewichtsreduktion vermindert werden könne. Zudem sei sie nicht fettleibig, sondern leide lediglich an einem - durchaus üblichen - leichten Übergewicht. Von Behandlungsbedarf werde erst ab einem BMI von über 29 bzw. 30 ausgegangen.

Die Beklagte holte ein weiteres sozialmedizinisches Gutachten beim MDK ein. Gutachter Dr. S. gelangte in seinem Gutachten nach Aktenlage vom 08. Dezember 2009 zu der Auffassung, dass sich aus dem Vorbringen der Klägerin keine neuen Gesichtspunkte ergäben. Nach schulmedizinischer Überzeugung seien Beschwerden am Stütz- und Halteapparat erst dann durch eine Mammareduktionsplastik zu beheben, wenn alle konservativen Behandlungsmaßnahmen ausgeschöpft seien und das Brustgewicht 1500 g pro Brust überschreite. Dabei müsse allerdings berücksichtigt werden, dass eine Gewichtsreduktion auch Fettentfernung an den Brüsten mit sich bringe. Im Falle eines Normalgewicht wögen die Brüste der Klägerin dann unter 1500 g. Bei diesem Befund seien Beschwerden am Stütz- und Halteapparat physiotherapeutisch zu behandeln und führten in der Regel auch immer wieder zu Linderungen. Auch aus der Asymmetrie der beiden Brüste sei eine Notwendigkeit der Mammareduktion nicht gegeben. Mit Widerspruchsbescheid vom 21. Januar 2010 wies der bei der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Zur Begründung bezog er sich auf die eingeholten sozialmedizinischen Gutachten.

Am 22. Februar 2010 erhob die Klägerin zum Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage. Zur Begründung wiederholte sie im Wesentlichen ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren. Ergänzend trug sie vor, dass es ihr bereits aus anderen gesundheitlichen Gründen nicht möglich sei, abzunehmen. Bei ihr sei ein Grad der Behinderung (GdB) von 60 festgestellt. Dies beruhe auf seelischen Störungen (u.a. Depressionen), funktionalen Organschäden, psychovegetativen Störungen, dem Verlust der linken Niere mit einem Nierensteinleiden rechts, einer Blutarmut, einer Refluxkrankheit der Speiseröhre, einem chronischen Schmerzsyndrom sowie einer Funktionsbehinderung der Wirbelsäule. Sie würde mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit ihren Gesundheitszustand eher noch gefährden, wenn sie eine Diät mache. Besonders beachtlich seien die psychologischen Nachteile. Sie habe bereits sämtliche Behandlungsmaßnahmen ausgeschöpft. Die angestrebte Brustverkleinerung sei als ultima ratio dringend notwendig, Alternativen hierzu bestünden nicht.

Die Beklagte trat dem Klagevorbringen entgegen.

In der Zeit vom 03. bis 24. März 2010 absolvierte die Klägerin eine stationäre Rehabilitation in der psychosomatischen Abteilung der Klinik Am Südpark in Bad Nauheim. Ausweislich des Reha-Entlassungsberichts der Leitenden Oberärztin für Psychosomatik Dr. A. vom 25. März 2010 wurden bei der Klägerin eine rezidivierende depressive Störung in gegenwärtig mittelgradiger Episode, eine somatoforme autonome Funktionsstörung des unteren Verdauungssystems, ein Zustand nach Nephrektomie links bei Steinniere, eine bekannte Nephrolithiasis rechtsseitig sowie die bekannte Eisenmangelanämie berichtet. Zum Rehabilitationsergebnis wird ausgeführt, die Motivation der Klägerin sei phasenweise vorhanden gewesen, die Kooperation nicht durchgängig spürbar. Die Rehaziele hätten nur teilweise erreicht werden können. Die Einstellung der Klägerin zu sich und ihrer Erkrankung habe sich kaum im Sinne einer Verantwortungsübernahme verändert. Die Klägerin habe sich in ihrer Leistungsfähigkeit deutlich geringer eingeschätzt als dies ärztlicherseits zutreffe. Es habe sich insgesamt ein problematischer Rehabilitationsverlauf gestaltet, in welchem die postulierten Rehaziele in nur geringem Maße hätten erreicht werden können.

Das SG zog überdies die Akten der Rechtsstreitigkeiten S 22 SB 3665/06, S 18 SB 3856/08 sowie des Rentenverfahrens S 24 R 42/08 bei. In letzterer befindet sich u.a. das psychosomatisch-psychiatrische Fachgutachten des Chefarztes der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin E. Dr. G. vom 21. April 2009. Darin wird ausgeführt, die Klägerin leide an einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung. Sie habe Schmerzen im ganzen Körper (Rücken und Kreuzbereich, Kopf, Bauch und Brustkorb), die durch die mehrfach durchgeführten neurologischen und orthopädischen Abklärungen nicht ausreichend organpathologisch erklärbar seien.

Mit Gerichtsbescheid vom 23. Juni 2010 wies das SG die Klage ab. Die Brustgröße als solche stelle keine Krankheit im Sinne des § 27 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) dar. Die der Kammer vorliegenden medizinischen Unterlagen wiesen keine krankhaften Befunde der Brüste aus. Auch eine Entstellung sei nicht gegeben. Zur Behandlung der von der Klägerin beklagten orthopädischen und psychosomatisch-psychiatrischen Leiden sei die begehrte Operation nicht notwendig. Nach der Rechtsprechung des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg fehle es bereits an einem Nachweis der Wirksamkeit bzw. des therapeutischen Nutzens operativer Brustverkleinerungen für die Therapie orthopädischer Beschwerden der Wirbelsäule. Zudem sei die Kammer nicht davon überzeugt, dass die von der Klägerin begehrte Operation vorrangig geeignet sei, das von der Klägerin beklagte Beschwerdebild zu verbessern. Es spreche viel dafür, dass die von der Klägerin beklagten Beschwerden, insbesondere im Wirbelsäulenbereich, nicht vollständig auf einen organpathologischen Befund auf orthopädischem oder sonstigem Gebiet zurückgeführt werden könnten, sondern durch die somatoforme Schmerzstörung hervorgerufen bzw. qualitativ gesteigert würden. Hinzu komme, dass der Sachverständige Dr. G. der Klägerin Verdeutlichungstendenzen bescheinigt habe. Die ständige sozialgerichtliche Rechtsprechung (unter Verweis auf Bundessozialgericht (BSG) BSGE 82, 158, 163 ff. sowie das Urteil vom 19. Oktober 2004, B 1 KR 3/03 R, SozR 4-2500 § 27 Nr. 3) verneine jedoch die Durchführung von Operationen am gesunden Körper zur Behebung von psychischen Störungen. Die bei der Klägerin vorliegende depressive Erkrankung und somatoforme Schmerzstörung stellten zwar eine Erkrankung dar, die jedoch mit den Mitteln der Psychiatrie und Psychotherapie zu behandeln sei.

Gegen diesen ihr am 29. Juni 2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 27. Juli 2010 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie erneut darauf hingewiesen, dass durch einfache Reduzierung des Körpergewichts ihr Problem nicht in den Griff zu kriegen sei. Der Schwerpunkt ihrer Beschwerden liege nicht auf psychiatrischem Gebiet. Nach eigenem Bekunden der Beklagten leide sie unter einer - rein körperlichen - Mamma-Hypertrophie, indem das Gewicht insbesondere linksseitig 1627 g betrage. Es sei folglich nicht psychisch, sondern körperlich ein entsprechendes Krankheitsbild anzuerkennen. Die psychiatrischen Beschwerdebilder dienten lediglich zum Nachweis dafür, dass sich durch eine bloße Gewichtsreduktion nicht das körperliche Krankheitsbild beseitigen lasse, nachdem diese aus genannten Gründen unzumutbar sei und in körperlicher Hinsicht aufgrund des bekannten Jojo-Effektes eine weitere Verschlimmerung, insbesondere der bestehenden Asymmetrie, folgen würde. Zudem habe sie über ständige Schmerzen in der Brust zu klagen, weswegen noch nicht einmal ein gerades Sitzen möglich sei und sich die Schmerzen auch in den Schulter-/Nackenbereich verlagerten, was insgesamt zu massiven Schlafproblemen führe. In rechtlicher Hinsicht mache sie sich die Rechtsprechung des Sozialgerichts Leipzig (Urteil vom 15. Februar 2007 - S 8 KR 369/05 -, in juris) zu eigen, wonach in einem nahezu identischen Fall ein Krankheitsbild anerkannt worden sei. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung erweise sich der angegriffene Bescheid als rechtswidrig.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 23. Juni 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 12. Oktober 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr eine Mammareduktionsplastik zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil und ihre Bescheide für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten, die Gerichtsakten in den Verfahren S 22 SB 3665/06, S 18 SB 3856/08 und S 24 R 42/08 sowie die Gerichtsakten des vorliegenden Verfahrens in beiden Instanzenzügen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis beider Beteiligter durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nach § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheidet, ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der ablehnende Bescheid vom 12. Oktober 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 2010 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Bewilligung einer operativen Maßnahme zur Brustverkleinerung (MRP) als Sachleistung.

Anspruchsgrundlage für die begehrte Behandlung ist § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Danach haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Nach Nr. 5 der Vorschrift umfasst die Krankenbehandlung (notwendige) Krankenhausbehandlung im Sinne des § 39 SGB V. Krankheit im Sinne der Vorschrift ist ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, der die Notwendigkeit einer ärztlichen Behandlung - oder Arbeitsunfähigkeit - zur Folge hat. Regelwidrig ist ein Zustand, der vom Leitbild des gesunden Menschen abweicht. Eine Krankenbehandlung ist hierbei notwendig, wenn durch sie der regelwidrige Körper- oder Geisteszustand behoben, gebessert, vor einer Verschlimmerung bewahrt wird oder Schmerzen und Beschwerden gelindert werden können (ständige Rechtsprechung seit BSG, Urteil vom 28. April 1967 - 3 RK 12/65 - BSGE 26, 240). Dabei kommt nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit Krankheitswert im Rechtssinne zu. Die Rechtsprechung hat diese Grundvoraussetzung für die krankenversicherungsrechtliche Leistungspflicht vielmehr dahingehend präzisiert, dass eine Krankheit nur vorliegt, wenn der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder wenn die anatomische Abweichung entstellend wirkt (vgl. BSG, Urteil vom 09. Juni 1998 - B 1 KR 18/96 R - BSGE 82, 158, 163f. = SozR 3-2500 § 39 Nr. 5; Urteil vom 13. Juli 2004 - B 1 KR 11/04 R - BSGE 93, 94 ff. = SozR 4-2500 § 13 Nr. 4).

Anhaltspunkte für das Fehlen der Funktionsfähigkeit der Brüste der Klägerin ergeben sich im konkreten Fall nicht. Überdies ist die Klägerin sterilisiert, sodass eine Funktionalität selbst bei deren Fehlen nicht mehr herzustellen wäre. Im Übrigen dient die Brustverkleinerungsoperation ohnehin nicht dazu, Funktionsmängel zu beheben.

Die bei der Klägerin vorhandene Hypertrophie der Mammae stellt als solche aber nach den zuvor aufgezeigten Maßstäben keine Krankheit dar. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats lässt sich ein Normgewicht der Brust nicht bestimmen. Es besteht vielmehr ein großer Schwankungsbereich, der in Bezug auf Brustgröße und Brustgewicht abhängig ist von Körperlänge und Körpergewicht. Daher verbietet es sich, von einer Krankheit zu sprechen, wenn die Brust ein gewisses Gewicht aufweist oder eine Gewichtsreduktion in einer bestimmten Größenordnung vorgenommen werden kann. Ein sehr kleiner Brustumfang entspricht ebenso wie ein sehr großer Brustumfang dem Leitbild einer gesunden Frau (vgl. die Urteile des erkennenden Senats vom 18. Oktober 2002 - L 4 KR 4692/01 -, vom 23. Januar 2004 - L 4 KR 1609/02 -, beide veröffentlicht in www.sozialgerichtsbarkeit.de, vom 11. Mai 2007 - L 4 KR 5584/06 - und vom 18. Januar 2008 - L 4 KR 5962/06 - nicht veröffentlicht). Unerheblich ist aus Sicht des Senats in diesem Zusammenhang daher auch, ob die Grenze von 1500 g pro Brust überschritten worden ist bzw. durch Gewichtsreduktion wieder unterschritten werden kann (worauf die Gutachterin Dr. D. in ihrem Gutachten vom 08. Oktober 2009 abstellt) oder nicht.

Auch aufgrund der bei der Klägerin weiter diagnostizierten Mastopathie ergibt sich kein Krankheitsbild, das eine Operationsindikation bedingt. Radiologe Dr. H. hat in seinem Attest vom 30. Mai 2009 insoweit von einem mammographisch und sonograpfisch unauffälligen Befund ohne Hinweise auf malignitätsverdächtige Veränderungen beidseits berichtet. Ein chirurgischer Behandlungsbedarf ergibt sich hieraus nicht. Schon Dr. H. selbst hat eine Operationsindikation in Frage gestellt und allenfalls im Zusammenhang mit den von der Klägerin geklagten orthopädischen Beschwerden gesehen. Auch dem Gutachten von Dr. D. vom 08. Oktober 2009 lässt sich insoweit aber keine krankhafte Veränderung der Brüste entnehmen, die einen chirurgischen Eingriff zu begründen vermöchte. Die Gutachterin hat vielmehr zu Recht darauf hingewiesen, dass zur Behandlung der fibrozystischen Mastopathie ein breites Spektrum an noninvasiven Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung steht, das die Klägerin noch nicht ausgeschöpft hat.

Die Leistungspflicht der Beklagten lässt sich auch nicht damit begründen, dass die Klägerin wegen äußerlicher Entstellung als behandlungsbedürftig anzusehen wäre. Um eine Entstellung annehmen zu können, genügt nicht jede körperliche Anormalität. Vielmehr muss es sich objektiv um eine erhebliche Auffälligkeit handeln, die naheliegende Reaktionen der Mitmenschen wie Neugier oder Betroffenheit bewirkt und damit zugleich erwarten lässt, dass die Betroffene ständig viele Blicke auf sich zieht, zum Objekt besonderer Beachtung anderer wird und sich deshalb aus dem Leben in der Gemeinschaft zurückzuziehen und zu vereinsamen droht, sodass die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gefährdet ist (vgl. dazu das BSG zur Frage der Notwendigkeit einer Brustvergrößerungsoperation, Urteil vom 28. Februar 2008 - B 1 KR 19/07 R - SozR 4-2500 § 27 NR. 20). Um eine Auffälligkeit eines solchen Ausmaßes zu erreichen, muss eine beachtliche Erheblichkeitsschwelle überschritten sein: Es genügt nicht allein ein markantes Gesicht oder generell die ungewöhnliche Ausgestaltung von Organen, etwa die Ausbildung eines sechsten Fingers an einer Hand. Vielmehr muss die körperliche Auffälligkeit in einer solchen Ausprägung vorhanden sein, dass sie sich schon bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen quasi "im Vorbeigehen" bemerkbar macht und regelmäßig zur Fixierung des Interesses anderer auf den Betroffenen führt (vgl. mit diesem Maßstab das BSG, Urteil vom 19. Oktober 2004 - B 1 KR 9/04 R - SozR 4-2500 § 27 Nr. 14). Die bei der Klägerin festgestellte Vergrößerung der Brüste (Mamma-Hypertrophie beidseits) bei vorhandener Asymmetrie ist danach nicht als entstellend zu werten. Zwar sind nach Mitteilung der Gutachterin Dr. D. in ihrem Gutachten vom 08. Oktober 2009 die Brüste der Klägerin aufgrund deren verhältnismäßig geringer Körpergröße in einer gewissen Disproportionalität zu sehen. Darin liegt jedoch keine im Sinne der oben geschilderten Rechtsprechung begründete körperliche Auffälligkeit, die sich schon bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen quasi "im Vorbeigehen" bemerkbar machte. Gleiches gilt hinsichtlich der festgestellten Asymmetrie bei einem Brustgewicht von 1627 g links und 1322 g rechts links. Mit dieser Differenz ist die festgestellte Asymmetrie ausweislich des Gutachtens von Dr. D. als leicht einzustufen. Eine Entstellung wird hierdurch offenkundig nicht begründet. Im Übrigen lässt sich dem Gutachten von Dr. D. entnehmen, dass auch bei der Klägerin selbst der kosmetische Aspekt nicht im Vordergrund steht.

Die Notwendigkeit des von der Klägerin begehrten operativen Eingriffs ergibt sich auch nicht aus ihrem Vorbringen, ihre Wirbelsäulenbeschwerden würden durch die begehrte Maßnahme merklich gelindert. Eine Krankenbehandlung durch ärztliche Behandlung muss unmittelbar an der Krankheit selbst ansetzen. Liegt eine Krankheit vor, wird Behandlungsbedürftigkeit und Behandlungsfähigkeit verlangt, die anhand der genannten Behandlungsziele zu beurteilen ist. Behandlungsbedürftigkeit liegt vor, wenn die Behandlungsziele ohne die beabsichtigte ärztliche Behandlung wahrscheinlich nicht und auch nicht mit Aussicht auf Erfolg zu erreichen sind. Die Prüfung der Wahrscheinlichkeit ist als Prognose unter Berücksichtigung aller Umstände vorzunehmen, wobei auch ein wissenschaftlich begründeter Nachweis der Wirksamkeit der begehrten Behandlung hinsichtlich des Behandlungsziels verlangt wird. Wissenschaftliche Studien, die einen Zusammenhang zwischen der Größe der Brüste und dem Auftreten von Wirbelsäulenbeschwerden belegen würden, liegen demgegenüber nicht vor. Allein ein bestimmtes Brustgewicht rechtfertigt den Anspruch nicht, weil Wirbelsäulenbeschwerden unterschiedlichste Ursachen haben können, wobei sich die Ursachen meist wechselseitig beeinflussen (vgl. Urteile des erkennenden Senats vom 18. Oktober 2002 - L 4 KR 2692/01 - und vom 23. Januar 2004 - L 4 KR 1609/02 -, vom 11. Mai 2007 - L 4 KR 5584/06 - und vom 18. Januar 2008 - L 4 KR 5962/06, sowie Beschlüsse vom 24. Februar 2005 - L 4 KR 3936/03 - und vom 19. Januar 2007 - L 4 KR 3005/03 -; vgl. auch Bayerisches LSG, Urteile vom 10. April 2003 - L 4 KR 226/01 - und vom 19. Januar 2006 - L 4 KR 235/05). Den betreffenden Versicherten günstigere Entscheidungen sind nur ergangen, wenn über diesen Erkenntnisstand hinausgehende Besonderheiten im Einzelfall festgestellt werden konnten, bei denen sich ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Brustgröße und Wirbelsäulenbeschwerden und damit ein hochgradiger Erfolg der Operation aufdrängte (Sächsisches LSG, Urteil vom 24. September 2003 - L 1 KR 84/01 - und LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 24. Juni 2004 - L 5 KR 129/03 -).

Das aber ist hier nicht der Fall. Von einem solchen hochgradigen Erfolg einer MRP kann nach Auffassung des Senats keinesfalls ausgegangen werden. Wie schon zuvor das SG ist auch der Senat nicht davon überzeugt, dass die von der Klägerin gewünschte Operation dazu geeignet ist, das von ihr beklagte Beschwerdebild im Bereich der Wirbelsäule zu verbessern. Denn zwar hat der behandelnde Orthopäde Dr. Ko. der Klägerin eine Haltungskyphose der BWS und degenerative Veränderungen an der Wirbelsäule bescheinigt. Jedoch sind nach der über die Klägerin vorhandenen umfangreichen weiteren medizinischen Dokumentation die orthopädischen Befunde insgesamt nicht gravierender Art. Dies belegen insbesondere die über die Klägerin in der Rentenakte S 24 R 42/08 vorhandenen ärztlichen Stellungsnahmen. Vor allem das Sachverständigengutachten des Dr. G. vom 21. April 2009 arbeitet klar heraus, dass die bei der Klägerin orthopädischerseits und neurologischerseits erfolgte Abklärung keinen ausreichenden organpathologischen Befund ergeben hat, der ihre Schmerzsymptomatik im Bereich der Wirbelsäule erklären könnte. Zwar waren ausgeprägte Muskelverspannungen im Wirbelsäulenbereich feststellbar, jedoch war die Beweglichkeit der Wirbelsäule nicht eingeschränkt, und der Finger-Boden-Abstand betrug sogar 0 cm. Dr. G. diagnostiziert vielmehr - auf der Grundlage dieser Befunde für den Senat überzeugend - eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung; er erklärt die bei der Klägerin vorhandene Schmerzsymptomatik also nervenfachärztlich, nicht dagegen orthopädisch. Erläuternd führt er aus, dass die Schmerzsymptomatik stets in Verbindung mit emotionalen Konflikten auftritt und erstmals im Zusammenhang mit einer Nephrektomie feststellbar war. Die Schmerzsymptomatik war daher zunächst auf den Bauchraum bezogen und hat sich erst in der Folgezeit über den weiteren Körper auch unter Einbeziehung der Wirbelsäule ausgedehnt. Dr. G. hat damit das typische Bild einer somatoformen Schmerzstörung aufzuzeigen vermocht. Die Richtigkeit seiner Einschätzung einer vor allem nervenfachärztlich zu begründenden Schmerzsymptomatik im Wirbelsäulenbereich wird aus Sicht des Senats bestätigt anhand zahlreicher weiterer über die Klägerin in der Rentenakte vorhandener Arztberichte. So führt etwa Chefarzt Dr. A. des Städtischen Krankenhauses Si. in seinem Entlassungsbericht vom 16. Oktober 2006 aus, der Klägerin werde zur Behandlung ihrer somatisch nicht erklärbaren Wirbelsäulenbeschwerden empfohlen, sich in psychosomatische Behandlung zu begeben. Schmerztherapeut Dr. Z. führt unter dem 26. September 2009 aus, dass bei der Klägerin ein unspezifischer Rückenschmerz (bei degenerativer Veränderung der Wirbelsäule) vorliege, der jedoch keine typische Lumboischialgie verursache. Schließlich ergibt sich aber auch anhand des Reha-Entlassungsberichts von Dr. A. vom 25. März 2010 wieder, dass die Schmerzsymptomatik der Klägerin nicht vorrangig organisch bedingt ist. Dr. A. berichtet im körperlichen Befund des Berichts von einem altersbezogen weitgehend unauffälligen Untersuchungsbefund des Bewegungsapparates; im medizinischen Verlauf wird ausgeführt, dass die Klägerin aus somatischer Sicht während des stationären Aufenthaltes im Wesentlichen beschwerdefrei war. Diagnostiziert wurden - neben den bekannten internistischen Beschwerden - vor allem nervenfachärztliche Erkrankungen (eine Depressivität sowie eine somatoforme Störung des Verdauungsorgans). Auch hiernach ergibt sich ein organisch begründbarer Anhaltspunkt für die Schmerzsymptomatik im Bereich der Wirbelsäule nicht. Dies alles spricht aus Sicht des Senats gegen eine wahrscheinliche Beseitigung der bei der Klägerin vorhandenen Wirbelsäulenbeschwerden durch die gewünschte Brustverkleinerung.

Soweit also bei der Klägerin vorrangig ganz erhebliche nervenfachärztliche Probleme (in Form einer Depressionserkrankung sowie einer somatoformen Schmerzstörung) vorliegen, sind diese Erkrankungen durch entsprechende nervenfachärztliche Therapiemöglichkeiten zu behandeln. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG rechtfertigen psychische Beeinträchtigungen nämlich den begehrten operativen Eingriff nicht. Das BSG verneint in ständiger Rechtsprechung einen Leistungsanspruch auf Heilbehandlung in Form körperlicher Eingriffe, wenn diese Maßnahmen nicht durch Fehlfunktionen oder durch Entstellung, also nicht durch einen regelwidrigen Körperzustand iS der dargestellten krankenversicherungsrechtlichen Grundsätze veranlasst werden (BSG, Urteil vom 09. Juni 1998 - B 1 KR 18/96 R - BSGE 82, 158, 163 f; Urteil vom 28. Februar 2008 - B 1 KR 19/07 R - BSGE 100, 119; zuletzt BSG, Urteil vom 28. September 2010 - B 1 KR 5/10 R - SozR 4-2500 § 27 Nr. 20). Operationen am krankenversicherungsrechtlich betrachtet - gesunden Körper, die psychische Leiden beeinflussen sollen, sind daher nicht als "Behandlung" iS von § 27 Abs. 1 SGB V zu werten. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass es aufgrund von medizinischen Untersuchungen Hinweise darauf gab und gibt, dass bei Patienten, die wegen einer als Makel empfundenen körperlichen Besonderheit psychisch erkranken, operative Interventionen sogar zu einer Verschlimmerung des psychischen Krankheitsbildes führen können und daher als kontraindiziert angesehen werden müssen (vgl. dazu BSG, Urteil vom 19. Oktober 2004 - B 1 KR 9/04 R -). Nach alledem lässt sich ein signifikanter Einzelfall, der gegen die fehlenden allgemeinen medizinischen Erkenntnisse einen wahrscheinlichen Zusammenhang zwischen Brustgröße und Beschwerden und damit auch die hochgradige Erwartung einer wesentlichen Besserung durch die begehrte Maßnahme erkennen ließe, nicht begründen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe zur Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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