L 12 AS 4978/11 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 4 AS 4269/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 4978/11 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 2. November 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt vom 10. Oktober 2011.

Der 1986 geborene Antragsteller bezieht laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Nach einem Gutachten des ärztlichen Dienstes der Bundesagentur für Arbeit vom 8. August 2011 besteht ein vollschichtiges Leistungsvermögen, die Belastbarkeit war jedoch bei am ehesten überlastungsbedingten Rücken- und Knieschmerzen eingeschränkt.

Der Antragsteller und der Antragsgegner schlossen am 18. August 2011 eine bis 31. Dezember 2011 gültige Eingliederungsvereinbarung. Hierin war u.a. als Bemühung des Antragstellers festgeschrieben: "Teilnahme an der Maßnahme FTEC bei U. in R., Teilnahme kurzfristig nach Anruf/schriftlich (Warteliste) Dauer: 12 Wochen." Der Antragsteller wandte sich mit Schreiben vom 31. August 2011 an die Geschäftsstelle der U. R. und bat um Klärung, ob auch Kurse im Bereich IT oder IT-Elektroniker angeboten würden. Die laut Flyer angebotenen Kurse seien allesamt nicht geeignet, seinen Neigungen auch nur im Ansatz entgegen zu kommen. Bei einer persönlichen Vorsprache am 22. September 2011, bei der die Teilnahme an der Maßnahme FTEC (Feststellungs-, Trainings- und Erprobungscenter) ab 27. Oktober 2011 angeboten wurde, äußerte der Antragsteller nur Bereitschaft zu einer IT-Ausbildung. Mit Bescheid vom 10. Oktober 2011 ersetzte daraufhin der Antragsgegner eine neue Eingliederungsvereinbarung für die Zeit vom 10. Oktober 2011 bis 9. April 2012 durch Verwaltungsakt und verpflichtete den Antragsteller zur Teilnahme an der Maßnahme FTEC verbindlich ab 27. Oktober 2011 für die Dauer von 12 Wochen.

Am 14. Oktober 2011 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Seine Wiedereingliederungschancen würden durch die vorgesehene Maßnahme nicht verbessert. Zudem sei kein Ermessen ausgeübt worden und seine Wünsche und Möglichkeiten nicht berücksichtigt worden.

Mit Beschluss vom 2. November 2011 hat das SG den Antrag abgelehnt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, das Gericht entscheide über die gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) aufgrund einer Interessenabwägung. Bei offensichtlicher Aussichtslosigkeit der Hauptsache überwiege in der Regel das Vollzugsinteresse. Vorliegend bestünden keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des nach § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II ergangenen Bescheids vom 10. Oktober 2011. Der Antragsgegner habe in nicht zu beanstandender Weise eine Eingliederungsvereinbarung durch Verwaltungsakt vom 10. Oktober 2011 erlassen, nachdem der Antragsteller seinen Pflichten aus der Eingliederungsvereinbarung vom 18. August 2011 offensichtlich nicht nachgekommen sei. Verfahrensfehler seien nicht ersichtlich, insbesondere seien die völlig substanzlosen Einwendungen gegen die inhaltliche Bestimmtheit und Verständlichkeit des angefochtenen Bescheids nicht nachvollziehbar. Der Bescheid vom 10. Oktober 2011 ändere die vom Antragsteller akzeptierte Eingliederungsvereinbarung vom 18. August 2011 inhaltlich nicht ab. In dieser Eingliederungsvereinbarung habe sich der Antragsteller verpflichtet, an FTEC-Maßnahmen bei U. in R. teilzunehmen. Nachdem er davon nichts mehr wissen wolle, habe der Antragsgegner ihm diese Pflicht nun mit dem angefochtenen Bescheid sofort vollziehbar auferlegt. Auch materiell-rechtlich sei das Begehren des Antragstellers offensichtlich aussichtslos. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) entscheide der jeweilige Sachbearbeiter des Leistungsträgers darüber, ob Verhandlungen über den Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung geführt würden, eine solche durch Verwaltungsakt ersetzt werde oder von vornherein ein Verwaltungsakt über Eingliederungsleistungen erlassen werde (unter Hinweis auf BSG SozR 4-4200 § 15 Nr. 1 = BSGE 104, 185). Der Antragsteller habe keinen Anspruch darauf, dass seine spezifischen Ausbildungs- und Berufswünsche berücksichtigt würden. Leistungsempfängern seien grundsätzlich alle Arbeiten zur Überwindung der Arbeitslosigkeit zumutbar. Hinzu komme, dass der Antragsteller, der keinen Beruf erlernt habe, vom Antragsgegner bereits zur Lagerfachkraft qualifiziert worden sei. Nach dem amtsärztlichen Gutachten sei der Antragsteller bei vollschichtigem Leistungsbild in seiner Belastbarkeit herabgesetzt. Dies stehe der angestrebten IT-Ausbildung derzeit entgegen, hindere aber nicht an der Teilnahme an der vorgesehenen Maßnahme. Diese diene überhaupt erst dazu, die Durchhaltefähigkeit des Antragstellers zu stärken und solle helfen, ihn überhaupt erst "ausbildungsfähig" zu machen. Der Antragsgegner habe in dem angefochtenen Bescheid auch eigene Pflichten in hinreichendem Maß übernommen.

Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner am 16. November 2011 eingelegten Beschwerde. Die bereits vorliegenden Eignungsprüfungen durch das amtsärztliche Gutachten würden nicht berücksichtigt, ebenso das Zeugnis der C. über die Teilnahme an einer Maßnahme mit Mehraufwandsentschädigung, die seinen Einsatzwillen zeige. Es frage sich, wie viele Eignungsfeststellungen, betriebliche Erprobungen und Unterstützung bei Bewerbungsbemühungen noch vermittelt werden sollten, nachdem Fachleute der BA seine Eignung schon festgestellt hätten.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten des Antragsgegners Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Die Beschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt (§ 173 Satz 1 SGG), sie ist auch statthaft, insbesondere wäre in der Hauptsache die Berufung nicht ausgeschlossen (§ 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG). Die zulässige Beschwerde ist indes nicht begründet, denn ein Grund für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung liegt nicht vor.

Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen (§ 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG). Das SG hat in Anwendung dieser rechtlichen Maßstäbe zutreffend das einstweilige Rechtsschutzbegehren des Antragstellers dahingehend ausgelegt, dass dieser hinsichtlich des Eingliederungsverwaltungsakts vom 10. Oktober 2011 die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG begehrt, nachdem sein Widerspruch - entgegen § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG - aufgrund der Regelung des § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m.§ 39 Satz 1 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung hat (vgl. Conradis in LPK-SGB II, 4. Aufl., § 39 Rdnr. 8).

Die Eilentscheidung in Anfechtungssachen verlangt eine Interessenabwägung, wobei das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes und das durch Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes verfassungsrechtlich geschützte Aussetzungsinteresse gegeneinander abzuwägen sind (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 86b Rdnrn. 12 ff.). Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung in die Betrachtung einzubeziehen sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs; dabei kommt dem voraussichtlichen Ausgang des Hauptsacheverfahrens bei der Abwägung jedenfalls insoweit entscheidende Bedeutung zu, als der Rechtsbehelf offensichtlich begründet oder aussichtslos erscheint (so schon BSG in BSGE 4, 151, 155; ferner Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2. Aufl., Rdnrn. 208 ff.; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 86b Rdnr. 12c). Ist der Verfahrensausgang dagegen als offen zu bezeichnen, ist darüber hinaus bei der Interessenabwägung in Anlehnung an die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur einstweiligen Anordnung entwickelten Grundsätze (vgl. BVerfG NJW 1997, 479, 480 f.; NJW 2003, 1236 f.; Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927 ff.) auch die Schwere und Unabänderlichkeit des Eingriffs zu berücksichtigen, sodass - namentlich bei den der Existenzsicherung dienenden Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) - insoweit eine Güter- und Folgenabwägung vorzunehmen ist (vgl. Krodel, a.a.O., Rdnr. 205); in dieser Beziehung hat das Vollziehungsinteresse umso eher zurückzustehen, je schwerer und nachhaltiger die durch die Versagung einstweiligen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen.

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist wegen fehlender Erfolgsaussichten in der Hauptsache vorliegend die aufschiebende Wirkung nicht anzuordnen. Zwar ist der Antragsteller vor Erlass des Bescheids vom 10. Oktober 2011 nicht angehört worden. Nach § 24 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ist, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Diese Anhörung wurde vor Erlass des Bescheids vom 10. Oktober 2011 nicht durchgeführt, es liegt auch keiner der Ausnahmefälle des § 24 Abs. 2 SGB X vor, in denen von einer Anhörung abgesehen werden kann. Indes kann auch nach Erlass des belastenden Verwaltungsaktes die Anhörung rechtswirksam nachgeholt werden (§ 41 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 2 SGB X). Dies ist bis zur letzten Tatsacheninstanz des sozialgerichtlichen Verfahrens möglich. Die Behörde kann damit grundsätzlich im Rahmen ihrer originären Befugnis jederzeit versäumte Verfahrenshandlungen nachholen. Zudem kann nach § 114 Abs. 2 Satz 2 SGG das Gericht das Hauptsacheverfahren zur Heilung von Verfahrens- und Formfehlern aussetzen. Angesichts dieser noch bestehenden Möglichkeit zur Korrektur des Verfahrensfehlers kann nicht von Erfolgsaussichten in der Hauptsache ausgegangen werden (vgl. Keller in Meyer-Ladewig u.a., a.a.O., § 86b Rdnr. 12f; Sächs. Landessozialgericht, Beschluss vom 12. März 2002 - L 1 KR 27/01 KR-ER - (juris)).

Der Erlass des Bescheides vom 10. Oktober 2011 ist auch nicht aus sonstigen Gründen rechtswidrig. Der Senat nimmt insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des angefochtenen Beschlusses Bezug und weist die Beschwerde aus diesen Gründen zurück (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG). Nur ergänzend wird nochmals darauf hingewiesen, dass auch aus Sicht des Senats die Festlegung der Pflicht zur Teilnahme an der Maßnahme FTEC bei U. R. keinen unzulässigen Inhalt des die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakts darstellt (§ 15 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und Satz 6 SGB II). Insbesondere kann aufgrund der Gesamtsituation nicht von vornherein eine Geeignetheit der Maßnahme ausgeschlossen werden. Das arbeitsamtsärztliche Gutachten weist ausdrücklich auf eine eingeschränkte Belastbarkeit hin, so dass die vorgesehene 12wöchige Maßnahme hier weitere Klarheit bringen kann. Zudem ist die Durchhaltefähigkeit des Antragstellers aktuell auch durch die Arbeitsgelegenheit bei der C. im Jahr 2010 nicht geklärt, zumal diese Maßnahme nicht in Vollzeit ausgeübt wurde.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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