L 6 AS 381/08

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 8 AS 21/06
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AS 381/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 AS 60/10 BH
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 11. September 2008 wird als unzulässig verworfen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt für den Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis 30. Juni 2005 Unterkunftskosten in Höhe von 177,80 EUR pro Monat, vom 1. Juli 2005 bis 30. Juni.2006 Unterkunftskosten in Höhe von 190,84 EUR pro Monat und vom 1. Juli 2006 bis 30. Juni 2008 Unterkunftskosten in Höhe von 195,44 EUR pro Monat sowie Heizkosten für den Zeitraum vom 2. März 2007 bis 8. März 2008 in Höhe von 667,61 EUR und für den Zeitraum vom 9. März 2008 bis 30. Juni 2008 Heizkosten in Höhe von anteilig 45,00 EUR für März, 45,00 EUR für April und in Höhe von je 63,00 EUR für Mai und Juni 2008. Die nach erfolglosem Vorverfahren fristgemäß beim Sozialgericht Marburg erhobene Klage wurde vom Sozialgericht nach zeugenschaftlicher Vernehmung des kaufmännischen Angestellten X. X. sowie des Hausmeisters Y. Y. mit Urteil vom 11. September 2008 abgewiesen. Wegen des Sachverhalts und der Entscheidungsgründe im Einzelnen wird auf das Urteil Bezug genommen. Die Zustellung an die Prozessbevollmächtigte des Klägers erfolgte am 7. Oktober 2008 (Empfangsbekenntnis/Blatt 129 der Gerichtsakte).

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers mit Berufungsschriftsatz vom 6. November 2008, welcher den Eingangsstempel des Sozialgerichts Marburg vom 10. November 2008 trägt. Der bei der Gerichtsakte befindliche Umschlag (Bl. 142) trägt folgende Aufschrift:

"Umschlag aufbewahren, Urkunde! Bitte zusammen mit der Akte dem Berufungsgericht, Hess. LSG, vorzulegen!

Einwurf Fristenbriefkasten
Sozialgericht MR
am 07.11.2008 um 19.30 Uhr"
(Unterschrift).

Auf die Benachrichtigung seitens des Berichterstatters, die Berufung sei am 10. November 2008 eingegangen, erwiderte der Kläger mit Schriftsatz vom 19. November 2008, dies sei unzutreffend, vielmehr sei die Berufungsschrift von ihm persönlich fristwahrend am Freitag, den 7. November 2008, um 19.30 Uhr in den Fristbriefkasten des Sozialgerichts Marburg eingeworfen worden. Er nehme Bezug auf die urkundlichen Vermerke des Briefumschlags. Ihm sei voll bewusst gewesen, dass an diesem Freitag die Berufungsfrist ablaufen würde und er habe von der Einlegung der Berufung per Fax beim Hessischen Landessozialgericht abgesehen, da das Sozialgerichtsgesetz ausdrücklich die Berufungseinlegung fristwahrend beim Sozialgericht zulasse. Er versichere an Eides statt, die Berufungsschrift am Freitag, 7. November 2008, in den Fristenbriefkasten des Sozialgerichts Marburg eingelegt zu haben.

Mit Schreiben vom 20. November 2008 teilte der vormalige Berichterstatter dem Kläger mit, der 10. November 2008 sei ein Montag gewesen, weshalb - wörtlich weiter - "hier insoweit davon ausgegangen wird, dass die Berufung fristgerecht eingelegt worden ist".

Wegen des Berufungsvorbringens in der Sache wird auf die Schriftsätze des Klägers Bezug genommen, der sinngemäß beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Marburg vom 11. September 2008 gemäß seinen erstinstanzlichen Anträgen zu erkennen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, sie zurückzuweisen.

Sie hält die Berufung für verfristet und im Übrigen den Inhalt des angefochtenen Urteils für zutreffend.

Vom Senat wurde eine Auskunft des Sozialgerichts Marburg eingeholt. Auf die Antworten mit Schreiben vom 15. April 2010 sowie vom 28. Mai 2010 wird Bezug genommen. Ferner hat der Senat den inzwischen in den Ruhestand getretenen früheren Leiter der Poststelle des SG, Herrn B., in der mündlichen Verhandlung als Zeugen zur Frage des Eingangs der Berufungsschrift vernommen; auf die Niederschrift einschließlich derjenigen der parteiöffentlichen Vernehmung des Zeugen gemäß §§ 118 Abs. 2 Satz 3 Zivilprozessordnung (ZPO), 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sowie auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakten im Übrigen wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung gegen das Urteil des SG Marburg vom 11. September 2008 ist unzulässig, weil sie verspätet eingelegt wurde und Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vorliegen.

Gemäß § 151 Abs.1 Sozialgerichtsgesetz - SGG - ist die Berufung bei dem Landesozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Das Urteil des SG ist ausweislich des Empfangsbekenntnisses und zwischen den Beteiligten unstreitig am 7. Oktober 2008 der Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt worden. Mit dieser Zustellung beginnt die Berufungsfrist des § 151 Abs.1 SGG zu laufen und endet Freitag, den 7. November 2008. Eingegangen ist die Berufungsschrift jedoch erst nach diesem Datum, nachweislich des Eingangsstempels des Sozialgerichts nämlich am Montag, den 10. November 2008. Der Eingangsstempel ist eine öffentliche Urkunde (§ 418 Abs.1 ZPO), wobei jedoch der Gegenbeweis zulässig ist (§ 418 Abs. 2 ZPO). Dieser Gegenbeweis ist dem Kläger, der die materielle Beweislast trägt (vgl. Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG-Kommentar, 9. Auflage, München 2008, § 151 Rdnr. 10 m.w.N.) nach der freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gebildeten Überzeugung des Senats nicht gelungen. Insbesondere spricht die außergewöhnliche Tatsache des handschriftlichen Vermerks auf dem Umschlag nicht für, sondern umgekehrt gegen den fristgerechten Einwurf in den Gerichtsbriefkasten. Denn der Kläger hat nicht etwa dargelegt, dass und/oder warum er Anlass gehabt habe, der Fristendokumentation des Briefkastens zu misstrauen. Gerade weil der Kläger nach seinem eigenen Vortrag große Erfahrung in diesen Fragen besaß, konnte er entweder auf die ordnungsgemäße Registrierung oder im Falle des Defekts darauf vertrauen, dass dieser erkannt oder jedenfalls ein Grund zur Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entstehen würde. So geht aus dem Vermerk nach Überzeugung des Senats nur deutlich hervor, dass der Kläger jedenfalls den Fristablauf vor Augen hatte. Unter Berücksichtigung seines Vermerks auf dem Umschlag wendet sich nach Überzeugung des Senats auch die Einlassung des Klägers, warum er von einer Einlegung per Fax abgesehen habe, gegen ihn, weil ungleich plausibler nämlich die Schlussfolgerung ist, dass der Kläger von der Einlegung per Fax deshalb abgesehen hat, weil aus ihr die Verspätung ersichtlich geworden wäre.

In Befolgung seiner Pflicht, die Zulässigkeit der Berufung von Amts wegen zu prüfen, hat der Senat deshalb dem Inhalt der eidesstattlichen Versicherung des Klägers auch keinen Glauben schenken können und hat den ehemaligen Leiter der Poststelle zeugenschaftlich vernommen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. Juli 2008 - 9 B 41/07). Dieser hat ausgeführt, er könne sich an den Vorgang noch gut erinnern, weil er außergewöhnlich gewesen sei. Der Berufungsschriftsatz mit dem auffallenden Umschlag habe am 10. November 2008 auf der Klappe des Nachtbriefkastens zusammen mit der Tagespresse vom selben Tag gelegen, müsse also nach Schließen der Klappe eingeworfen worden sein. Eine Störung des Mechanismus sei ihm nicht erinnerlich und wäre selbst bei einem Stromausfall nicht anzunehmen, weil dann der Kontakt zur Klappenschließung nicht ausgelöst worden wäre. Der Zeuge hat zudem die Richtigkeit der Auskunft des SG auf die Anfrage des Senats ausdrücklich bestätigt. Dies alles hat den Senat überzeugt. Damit steht die Verfristung zur Überzeugung des Senats fest.

Ein Grund zur Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 67 SGG ist nicht ersichtlich. Gemäß § 67 Abs 1 SGG ist dem Betroffenen auf seinen Antrag hin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er ohne Verschulden daran gehindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Die Berufungseinlegungsfrist nach § 151 Abs 1 SGG ist eine solche gesetzliche Verfahrensfrist im Sinne des § 67 SGG. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 67 SGG scheidet vorliegend jedoch schon aufgrund der – widerlegten - Behauptung des Klägers aus, er habe die Berufungsschrift rechtzeitig eingeworfen. Damit fehlt es zugleich an dem gemäß § 67 Abs 1 SGG erforderlichen Antrag. Dass schließlich der vormalige Berichterstatter wegen des Wochenendes irrtümlich von der Rechtzeitigkeit der am Montag, dem 10. November 2008 eingegangenen Berufung ausging, ist zudem rechtlich ebenso unbeachtlich wie die auf dem Schreiben des vormaligen Berichterstatters RLSG C. fußende Stellungnahme des Direktors des SG Marburg vom 5. Dezember 2008. Dass der Kläger sich hierüber auch im Klaren war, belegen seine diesbezüglichen Schriftsätze.

Soweit der Kläger mit Schriftsatz vom 11. Mai 2009 im Verfahren zu L xxxxx den dortigen Spruchkörper - darunter auch VRLSG Q. sowie RLSG Ü. wegen des Beschlusses vom 5. Mai 2008 nachträglich "wegen Besorgnis der Befangenheit in allen derzeit anhängigen Verfahren" abgelehnt und hierauf im vorliegenden Verfahren mit Schriftsatz vom 13. Juni 2009 Bezug genommen hat, hinderte dieses Gesuch die genannten Richter nicht an der vorliegenden Entscheidung, weil es offensichtlich unzulässig und deshalb unbeachtlich war. Das folgt schon aus dem Umstand, dass es sich um eine Pauschalablehnung aller Richter des Spruchkörpers handelte, die zudem nach Beendigung eines anderen Verfahrens zunächst für dieses erfolgte. Schon das dort eingelegte Rechtsmittel war nach Auffassung des erkennenden Senats rechtsmissbräuchlich, wie sich aus dem Inhalt des Beschlusses vom 5. Mai 2008 ergibt. Dort heißt es nämlich unter anderem: "Die am 30. Dezember 2008 beim Sozialgericht Marburg (SG) wie dem Hessischen Landesozialgericht eingegangene, vom Kläger so bezeichnete "Berufung" geht schon mangels eines Urteils des SG ins Leere. Seine ausweislich der Schriftsätze des Klägers von diesem bevollmächtigte Vertreterin hat die Klage mit Schriftsatz vom 21. November 2007 (Blatt 60 der Gerichtsakte) unter Verwahrung gegen die Kostenlast für erledigt erklärt, nachdem der Beklagte den angefochtenen Bescheid aufgehoben hat. Die Kostenfrage hat sich ebenfalls erledigt, indem der Beklagte die von der Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Kostenfestsetzungsantrag vom 2. Januar 2008 geltend gemachten Kosten in voller Höhe übernommen hat. Die Prozessbevollmächtigte hat daraufhin mit Schriftsatz vom 1. Februar 2008 den Kostenfestsetzungsantrag zurückgenommen (Blatt 81 der Gerichtsakte). Der Rechtsstreit hat dadurch in vollem Umfang seine Erledigung gefunden. Bei dieser Sachlage ist weder Raum für ein Urteil 1. Instanz noch für eine Berufung. Der Kläger wendet sich genau betrachtet somit gegen nichts anderes als die in der Schlussverfügung der Kammervorsitzenden dokumentierte Beendigung des erstinstanzlichen Verfahrens. Diese Verfügung ist aber eine interne, nicht an den Kläger gerichtete und deshalb auch nicht rechtsschutzfähige interne Amtshandlung des SG. Wollte der Kläger das erstinstanzliche Verfahren fortsetzen, käme somit nur die Anfechtung der Rücknahmeerklärung seiner Bevollmächtigten infrage, für welche wiederum aber keinerlei Rechtsschutzbedürfnis zu sehen ist. Das Begehren des Klägers ist - Prozessfähigkeit unterstellt - nach allem schlicht mutwillig." Wenn der Kläger bei dieser Sachlage mit Schriftsatz vom 13. Juni 2009 die behauptete Verletzung von "Verfahrensgrundrechten" in dem Rechtstreit L xxxxx zur Grundlage einer Ablehnung aller Richter des Spruchkörpers "in allen derzeit anhängigen Verfahren" macht, ist dies ebenso haltlos, abwegig und mutwillig und erweist sich das Ablehnungsgesuch als völlig ungeeignet, weil für seine Verwerfung als unzulässig jedes Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens entbehrlich ist (vgl. Vollkommer in Zöller, Zivilprozessordnung, Kommentar, 27. Aufl., § 45, Rz. 4). Ohnehin ist fraglich, ob der Kläger das späterhin nicht mehr erwähnte Gesuch nach vergeblicher Bemühung des Bundessozialgerichts (BSG, Beschluss vom 23. Juli 2009 - B 14 B 14 AS 75/09 S) überhaupt weiter aufrecht erhalten wollte, weshalb zusätzlich ein Fall der Verwirkung vorliege.

Im Ergebnis das gleiche gilt hinsichtlich des Schreibens des Klägers vom 17. August 2010, sofern man hierin ein wiederholtes Ablehnungsgesuch gegen den Senatsvorsitzenden Q. sehen wollte. Auch dieses wäre jedenfalls unzulässig und unbeachtlich, denn über die bereits mit Gesuch vom 9. August 2010 zur Begründung der Besorgnis der Befangenheit vorgetragenen Gründe hatte der Senat ohne den abgelehnten Richter unmittelbar zuvor mit zurückweisendem Beschluss vom 12. August 2010 entschieden, auf welchen Bezug genommen wird (L yyyyy).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Die Revision war mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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