L 3 U 532/10

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 1 U 5089/07
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 532/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 9/12 B
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Verstirbt ein gesetzlich Versicherter an den Folgen einer cerebralen Massenblutung, so ist dies regelmäßig schichsalshaft und nicht den Folgen eines Fuchsbandwurmsbefalls anzulasten, auch wenn dessen Folgen (hier: alveoläre Echinokokkose) als Berufskrankheit anerkannt wird.
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 22. November 2010 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der 1937 geborene Ehemann der Klägerin ist 2006 verstorben. Die Klägerin begehrt deswegen eine Hinterbliebenenrente gemäß § 63 Abs.1 Nr. 3 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII).

Die Beklagte hat bei dem verstorbenen Ehegatten der Klägerin nach Fuchsbandwurmbefall eine Berufskrankheit nach der Nr.3102 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) anerkannt. Festgestellt worden ist eine hieraus resultierende alveoläre Echinokokkose der Leber und in deren Folge eine chronische Infektion der Leber durch Echinococcus multilocularis. Infolge der Infektion ist eine zystische Raumforderung der Leber eingeteten, die zu einer Kompression der Gallenwege geführt hat. Der chronische Gallenstau ist wiederum verantwortlich gewesen für eine Erhöhung der Cholestaseparameter und einen chronischen Entzündungsreiz der Gallengänge. Aufgrund der Lokalisation an der Leberpforte ist eine entsprechende Operation nicht möglich gewesen. Einzige Therapiemöglichkeit ist eine lebenslange Therapie mit Eskazole (Albendazol) gewesen.

Gestützt auf das Gutachten des Prof.Dr.L. (Leiter der Abteilung für Infektions- und Drogenmedizin des Klinikums der Universität B-Stadt) vom 03.12.2002, die Stellungnahme des Gewerbeärztlichen Dienstes vom 18.02.2003 sowie eine Arbeitsplatzanalyse des Technischen Aufsichtsdienstes hat die Beklagte mit Bescheid vom 26.03.2003 ab 05.11.2001 eine Verletztenrente im Sinne von § 56 Abs.1 SGB VII nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 100 v.H. bewilligt.

Die Klägerin hat die Beklagte mit Nachricht vom 27.11.2003 informiert, dass ihr Ehegatte seit fünf Wochen aufgrund einer Gehirnblutung im Coma liege. Die Beklagte hat im Folgenden ärztliche Unterlagen beigezogen und vor allem die Entlassungsberichte des Krankenhauses B-Stadt vom 24.11.2003 und des Neurologischen Krankenhauses B-Stadt vom 18.01.2004, eine Stellungnahme des beratenden Arztes Dr.S. vom 09.02.2004 sowie das Gutachten des Dr.L. (Chefarzt des Therapie-Zentrums B.) vom 13.04.2004 sowie die weitere gewerbeärztliche Stellungnahme des Dr.V. vom 24.05.2004 eingeholt. - Dr.S. hat aufgrund der intracerebralen Massenblutungen keinen Zusammenhang mit der anerkannten Berufskrankheit gesehen. Dr.L. hat ausgeführt, dass die Folgen der Berufskrankheit völlig von der hinzugetretenen Gehirnmassenblutung überlagert und unter Berücksichtigung des gesamten Zustandsbildes eher in den Hintergrund getreten seien. Dr.V. hat bestätigend angegeben, ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Hirnblutung und der Echinokokkose bestehe nicht; es handele sich um eine berufskrankheitenunabhängige Erkrankung.

Im Folgenden hat die Beklagte mit bestandskräftigem Bescheid vom 14.06.2004 eine Verletztenrente auf unbestimmte Zeit bewilligt. Nicht als Folgen der Berufskrankheit sind anerkannt worden die Gehirnmassenblutung mit inkompletter rechts- und beinbetonter spastischer Tetraparese, die inkomplette Okulomotoriusparese rechts, die bestehende Inkontinenz, die Dysphagie sowie das hirnorganische Psychosyndrom.

Nach dem Tod des Ehegatten der Klägerin am 11.05.2006 hat die Beklagte die Sterbeurkunde beigezogen. Dort ist als Todesursache ein Atemstillstand nach ischämischem Krampfanfall als Folge von Apoplex mit Hirnschaden vermerkt.

Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 14.07.2006 hat die Beklagte daraufhin eine Hinterbliebenenbeihilfe gewährt und den Anspruch der Klägerin auf Hinterbliebenenrente abgelehnt. Der Tod sei nicht Folge des Versicherungsfalles.

Im Rahmen des sich anschließenden Widerspruchsverfahrens hat die Beklagte eine gutachterliche Stellungnahme des Prof.Dr.L. vom 08.11.2006 eingeholt, nach welcher kein Zusammenhang der Hirnmassenblutung mit der anerkannten Berufskrankheit bestehe. Die Folgen der Berufskrankheit hätten das Ableben als Folge der Hirnmassenblutung auch nicht beschleunigt. Der ergänzenden Stellungnahme des Dr.V. vom 28.09.2007 ist zu entnehmen, dass auch dieser keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Echinokokkose und der Hirnblutung als wahrscheinlich erachtet hat. Dementsprechend ist der Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 23.10.2007 zurückgewiesen worden.

Mit der am 23.11.2007 zum Sozialgericht München erhobenen Klage hat die Klägerin beantragt, die Entscheidung der Beklagten aufzuheben und diese zu verurteilen, Hinterbliebenenversorgung zu gewähren. - Zur Begründung ist ausgeführt worden, dass bei dem Befall mit einem Fuchsbandwurm grundsätzlich Komplikationen möglich seien, wonach Ausläufer des Parasitengewebes sich bilden und infiltrierend in die Umgebungsstrukturen einwüchsen oder diese komprimierten. Insbesondere könnten Komplikationen durch die metastatische Streuung in andere Organe wie Lunge und Gehirn auftreten. Gleichfalls komme eine Ruptur der zystischen Strukturen mit Aussaat der Erreger in die Bauchhöhle in Betracht. Der verstorbene Kläger der Ehegattin habe an Bewusstseinsstörungen sowie sensomotorischen Störungen gelitten. Die Gehirnblutungen wären nicht aufgetreten, wenn der verstorbene Ehegatte der Klägerin nicht an der berufskrankheitenbedingten Echinokokose gelitten hätte. Auf jeden Fall sei zu sagen, dass infolge der Berufskrankheit das Ableben um wenigstens ein Jahr beschleunigt worden sei.

Das Sozialgericht München hat weitere ärztliche Unterlagen eingeholt und Dr.S. (Chefarzt der Missionsärztlichen Klinik, Akademisches Lehrkrankenhaus der J.-Universität W., Tropenmedizin) gemäß § 106 Abs.3 Nr.5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beauftragt. Dieser hat mit Gutachten vom 10.10.2008 ausgeführt, dass es sich bei der Hirnmassenblutung um eine schicksalshafte Erkrankung gehandelt habe. Deren Eintritt und damit auch der Tod stünden nicht in Zusammenhang mit der anerkannten Berufskrankheit. Es sei somit auch nicht zu einer Beschleunigung des Todeseintritts gekommen.

Der nach § 109 SGG benannte und beauftragte Sachverständige Dr.H. (Facharzt für Allgemeinmedizin und Infektiologe) hat mit Gutachten vom 22.06.2010 bestätigt, es gebe im gesamten Verlauf keinerlei Hinweise darauf, dass die Echinokokkose ursächlich an der Massenblutung beteiligt gewesen sei. Die eingeholten Gutachten seien lückenlos, wissenschaftlich unangreifbar und vollständig.

Unmittelbar vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung am 22.11.2010 hat der Bevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 13.11.2010 beantragt, den Internisten Dr.C. ergänzend gemäß § 109 SGG zu hören. Diesem Antrag hat das Sozialgericht München nicht stattgegeben und die Klage gegen den Bescheid vom 14.07.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.10.2007 mit Urteil vom 22.11.2010 abgewiesen. Alle am Verfahren beteiligten Ärzte hätten übereinstimmend ausgeführt, dass zwischen der cerebralen Massenblutung und der anerkannten Berufskrankheit kein Zusammenhang bestehe. Dr.S. habe zwar darauf hingewiesen, dass bei der alveolären Echinokokkose cerebrale Absiedelungen bekannt seien, jedoch nur sehr selten in einem Umfang von nur 1 %. Hieraus könne ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der anerkannten Berufskrankheit und dem Tod des Ehegatten der Klägerin nicht abgeleitet werden. Es hätten sich auch keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Berufskrankheit zu einer Lebensverkürzung um ein Jahr geführt hätte. Der am 16.11.2010 eingegangene Antrag der Klägerin, den Internisten Dr.C. ergänzend gemäß § 109 SGG zu hören, sei abzulehnen gewesen, da ein besonderer Grund für die Beauftragung eines weiteren Gutachters nicht vorliege. Im Übrigen würde die Einholung eines weiteren Gutachtens die Erledigung des Rechtsstreits verzögern, nachdem die Klägerin bereits mit gerichtlichem Schreiben vom 01.07.2010 darauf hingewiesen worden sei, dass die Klage aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme keine Aussicht auf Erfolg habe.

Die hiergegen gerichtete Berufung vom 23.11.2010 ging am 26.11.2010 beim Sozialgericht München ein und wurde von dort aus mit den zugehörigen erstinstanzlichen Streitakten an das Bayerische Landessozialgericht (BAyLSG) weitergeleitet. Des Weiteren zog der Senat die Unterlagen der Beklagten bei.

Der zweitinstanzlich erneut nach § 109 SGG benannte Dr.C. kam mit Gutachten vom 26.09.2011 wie die Vorgutachter zu dem Ergebnis, dass ein ischämischer Status epilepticus infolge einer cerebralen Massenblutung zum Tod des Versicherten geführt habe. Die Folgen der anerkannten Berufskrankheit hätten den Tod mit Wahrscheinlichkeit nicht verursacht (weder alleine noch gemeinsam mit anderen Leiden). Die Berufskrankheit habe das Leben des Versicherten auch nicht um ein Jahr verkürzt bzw. sei der Eintritt des Todes durch die Folgen der Berufskrankheit nicht mit Wahrscheinlichkeit um mindestens ein Jahr beschleunigt worden. - Ergänzend merkte Dr.C. jedoch an, wenn der Tod des Versicherten nicht durch die cerebarle Massenblutung herbeigeführt worden wäre, sei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass dann die Folgen der Berufserkrankung das Leben des Versicherten um mindestens ein Jahr verkürzt hätten.

Letzteres nahm der Bevollmächtigte der Klägerin zum Anlass, mit Schriftsatz vom 12.10.2011 darauf hinzuweisen, dass im Falle einer überholenden Kausalität eine Eintrittsverpflichtung der Beklagten bestehe.

In der Sitzung vom 22.11.2011 hebt die Klägerin nochmals hervor, dass ihr verstorbener Ehegatte zuletzt auch an Persönlichkeitsveränderungen gelitten habe, die ein Indiz dafür darstellen würden, dass infolge des Fuchsbandwurmbefalls auch Teile des Gehirns befallen worden seien.

Beide Beteiligten erklären ihr Einverständnis mit einer Einzelrichterentscheidung auch hinsichtlich der beantragten Kostenübernahme nach § 109 SGG bezüglich des Gutachtens des Dr.C. vom 26.09.2011.

Nach Herstellung der Öffentlichkeit stellt der Bevollmächtigte die Anträge aus dem Schriftsatz vom 23.11.2010:
I. Das Urteil des Sozialgerichts München vom 22.11.2010 wird aufgehoben.
II. Unter Abänderung des Bescheides der Beklagten vom 14.07.2006 und unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 23.10.2007 wird die Beklagte verurteilt, der Klägerin aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehemanns S. A. ab 11.05.2006 eine Hinterbliebenenrente zu bewilligen.

Die Bevollmächtigte der Beklagten beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird gemäß § 202 SGG in Verbindung mit § 540 Zivilprozessordnung (ZPO) sowie entsprechend § 136 Abs.2 SGG auf die beigezogenen Unterlagen der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 143, 144 und 151 SGG zulässig, jedoch unbegründet. Das Sozialgericht München hat die Klage gegen den Bescheid vom 14.07.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.10.2007 zutreffend mit Urteil vom 22.11.2010 abgewiesen.

Der Tod des Ehegatten der Klägerin am 11.05.2006 ist nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die Folgen der anerkannten Berufskrankheit nach der Nr.3102 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) zurückzuführen, vor allem nicht auf die alveoläre Echinokokkose. Ausweislich des Gutachtens des Dr.S. ist zwar bekannt, dass bei der alveolären Echinokokkose cerebrale Absiedelungen auftreten können, jedoch nur sehr selten in einem Umfang von 1 %. Wenn die Klägerin in der Sitzung vom 22.11.2011 nochmals hervorgehoben hat, bei ihrem verstorbenen Ehegatten hätten entsprechende Persönlichkeitsveränderungen vorgelegen, stellt dies nur ein Indiz für einen möglichen ursächlichen Zusammenhang zwischen den Folgen der anerkannten Berufskrankheit und dem Eintritt des Todes dar. Erforderlich ist jedoch eine hinreichende Wahrscheinlichkeit. Die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs ist gegeben, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände die auf dem Unfall bzw. der anerkannten Berufskrankheit beruhenden Faktoren so stark überwiegen, dass darauf die Entscheidung gestützt werden kann und wenn die gegen den ursächlichen Zusammenhang sprechenden Faktoren außer Betracht bleiben können, d.h. nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden (vgl. BSGE 32, 203, 209; 45, 285, 286).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der Senat zu der Auffassung gelangt, dass die cerebralen Massenblutungen bzw. der Atemstillstand nach ischämischem Krampfanfall als Folge von Apoplex mit Hirnschaden (vgl. Sterbeurkunde) der anerkannten Berufskrankheit alveoläre Echinokokkose nicht angelastet werden können. Denn in Übereinstimmung mit allen verwaltungsseitig und erstinstanzlich eingeholten ärztlichen Gutachten und Stellungnahmen hat auch der zweitinstanzlich gehörte Dr.C. mit Gutachten vom 26.09.2011 keinen entsprechenden cerebralen Fuchsbandwurmbefall feststellen können. Die Wahrscheinlichkeit eines solchen cerebralen Befalls sei bei dem Verstorbenen gegen null gegangen.

Weiterhin hat Dr.C. in Übereinstimmung mit allen ärztlichen Vorgutachten und Stellungnahmen bestätigt, dass hier die Berufskrankheit das Leben des Versicherten nicht um mindestens ein Jahr verkürzt hat bzw. der Eintritt des Todes durch die Folgen der Berufskrankheit um mindestens ein Jahr beschleunigt worden ist. Jedoch hat Dr.C. angemerkt, wenn der Tod des Versicherten nicht durch die cerebrale Massenblutung herbeigeführt worden wäre, sei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass dann die Folgen der Berufserkrankung das Leben des Versicherten um mindestens ein Jahr verkürzt hätten.

Insoweit ist auszuführen, dass eine fiktive Lebensverkürzung um ein Jahr rechtlich nicht anspruchsbegründend ist. Liegt wie hier der Fall einer überholenden Kausalität vor, besteht seitens der Beklagten keine Eintrittspflicht. Denn die Beklagte ist als Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung nur für die Folgen von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten einstandspflichtig. Treten andere alles überlagernde Umstände hinzu (hier: schicksalhaft eingetretene cerebrale Massenblutungen), kann die Klägerin nicht besser gestellt werden, als bei dem Eintritt des Todes aus sonstigen Gründen wie z.B. einem unverschuldeten privaten Verkehrsunfall. Vielmehr wird die Beklagte auch in solchen Fällen von ihrer weiteren Leistungspflicht befreit.

Nach alledem ist die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 22.11.2010 zurückzuweisen. Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Einzelrichterentscheidung erteilt (§ 155 Abs.3 und 4 SGG).

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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