L 5 R 3405/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 12 R 2765/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 3405/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 1.7.2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1968 geborene Klägerin, die keinen Beruf erlernt hat, war zuletzt bis August 2003 als Arbeiterin in einer Metallfabrik versicherungspflichtig beschäftigt. Am 2.2.2005 beantragte sie Rente wegen Erwerbsminderung.

Zuvor hatte die Klägerin vom 13.7. bis 3.8.2004 eine stationäre Rehabilitationsbehandlung in der Sch.klinik Bad B. absolviert. Im Entlassungsbericht vom 9.8.2004 sind die Diagnosen okuläre Form einer Myasthenia gravis ED 10/03 und Z.n. Thymektomie 6/04 festgehalten. Die Klägerin könne als Maschinenbedienerin 6 Stunden täglich und mehr arbeiten und leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts überwiegend im Stehen und Gehen bzw. ständig im Sitzen, in Tages- und Früh-/Spätschicht, jedoch ohne Tätigkeiten mit erhöhtem Anspruch an die visuelle Kontrolle, ebenfalls 6 Stunden täglich und mehr verrichten. Im Hinblick auf die Arbeitstherapie ist ergänzend ausgeführt, ein zusammenhängendes Erprobungsintervall von mehr als einer Stunde habe nicht durchgeführt werden können. Die Klägerin habe sich allerdings motiviert gezeigt, wieder eine Arbeitsstelle anzutreten. Mit der sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung sei sie einverstanden gewesen.

Mit Bescheid vom 24.3.2005 lehnte die Beklagte den Rentenantrag unter Hinweis auf den Entlassungsbericht der Sch.klinik, Bad B., ab.

Zur Begründung des dagegen eingelegten Widerspruchs trug die Klägerin vor, bei der während der Rehabilitationsbehandlung durchgeführten Arbeitstherapie habe sie kein zusammenhängendes Erprobungsintervall von mehr als einer Stunde erreicht.

Die Beklagte erhob das Gutachten des Neurologen Dr. P. vom 10.5.2005. Dieser diagnostizierte eine Myasthenia gravis II. Bei der Klägerin bestünden eine leichtgradige generalisierte Myasthenie sowie ein Zustand nach einer Thymektomie mit anschließender Besserung der myasthenischen Symptome. Bei der Untersuchung hätten sich keine okulären oder motorischen Defizite gezeigt. Mit einer weiteren Besserung der Beschwerden sei zu rechnen. Die Klägerin könne leichte bis mittelschwere Tätigkeiten (in Tagesschicht, ohne besondere Anforderungen an das Sehvermögen bei einer möglichen Doppelbild-Symptomatik) vollschichtig (6 Stunden täglich und mehr) verrichten; das gelte auch für die zuletzt ausgeübte Arbeit.

Mit Widerspruchsbescheid vom 9.8.2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, worauf die Klägerin am 15.8.2005 Klage beim Sozialgericht Reutlingen erhob. Wegen der Myasthenia gravis komme es u. a. zum Sehen von Doppelbildern und zu vorzeitiger starker Ermüdbarkeit; die in der Sch.klinik durchgeführte Arbeitstherapie habe dies gezeigt.

Das Sozialgericht befragte behandelnde Ärzte und erhob das Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. St. vom 11.5.2006 mit ergänzender Stellungnahme vom 28.3.2008 sowie auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Gutachten des Neurologen Prof. Dr. H. (Neurologische Klinik E.) vom 26.6.2007 und des Neurologen und Psychiaters Dr. M. vom 12.11.2007 mit ergänzender Stellungnahme vom 22.4.2008. Die Beklagte legte beratungsärztliche Stellungnahmen vor.

Der Allgemeinarzt Dr. Sch. teilte mit, nach der Diagnose der Myasthenia gravis sei eine medikamentöse Behandlung aufgenommen worden, wodurch eine deutliche Besserung habe erzielt werden können. Derzeit sei die Klägerin nur noch durch eine generalisierte Muskelschwäche und rasche Ermüdbarkeit eingeschränkt. Das für die Leistungsfähigkeit maßgebliche Leiden liege auf dem Fachgebiet der Neurologie. Die Klägerin könne nicht regelmäßig 6 Stunden täglich arbeiten, da oft unvermittelt Schwächezustände aufträten, die sie zur Ruhe zwängen (Bericht vom 28.9.2005). Der Neurologe und Psychiater Dr. R. gab an, bei der Klägerin lägen weiterhin deutliche Leistungseinbußen vor; sie könne nur unter 6 Stunden täglich arbeiten, was jedoch im Rahmen eines Gutachtens geklärt werden solle (Bericht vom 8.12.2005). Prof. Dr. Sch. (Klinik für Neurologie und Neurophysiologie, Ch. G.) teilte mit, unmittelbar postoperativ (Thymektomie am 21.6.2004) sei es bei der Klägerin zu einer erheblichen Verbesserung der myasthenischen Symptomatik gekommen. Seither bestünden jedoch weiterhin noch geringe vorwiegend okuläre Restsymptome. Die diskreten Schwächen der proximalen Muskulatur der Extremitäten seien bei nicht mehr nachweisbarem neuromuskulärem Block und negativen Antikörpern möglicherweise auch durch eine depressive Überlagerung bedingt. Die Klägerin habe erstmals im Februar von wahrscheinlich reaktiv-depressiv gefärbten Symptomen berichtet. Aus neurologischer Sicht könne sie leichte Tätigkeiten mindestens 6 Stunden täglich verrichten. Zu berücksichtigen sei, inwiefern sich eine die Leistungsfähigkeit nachhaltig einschränkende chronische Anpassungsstörung mit depressiver Reaktion entwickelt haben könnte; insoweit müsse gegebenenfalls ein Facharzt für psychosomatische Medizin hinzugezogen werden (Bericht vom 23.3.2006).

Die Beklagte legte die beratungsärztliche Stellungnahme des Sozialmediziners OMR F. vom 9.2.2006 vor. Darin ist u. a. ausgeführt, der von der Klägerin monierte Widerspruch zwischen den Ergebnissen der in der Sch.klinik durchgeführten Arbeitstherapie bzw. Belastungsprobe und der Leistungseinschätzung bestehe in Wahrheit nicht. Während der Belastungserprobung seien nur Betätigungen abgefordert worden, bei denen ein ständiger Blick in die Nähe erforderlich sei. Die Leistungsbeurteilung schließe jedoch Tätigkeiten mit erhöhter Beanspruchung der Blickkontrolle aus und sei nach wie vor gültig.

Dr. St. eruierte den Tagesablauf der Klägerin (Aufstehen um 7.00 Uhr, je nach Befinden Einkaufen, Essen zubereiten, wenn die Tochter aus der Schule komme, Erledigung des Haushalts für ein großes Haus, Kochen und Waschen für die ganze Familie – 3 Töchter und Ehemann -, Lesen, abends Fernsehen, zu Bett zwischen 21.00 Uhr und 22.00 Uhr, Hobbys Lesen und Kreuzworträtsel, Walking) und führte aus, die Klägerin suche einmal im Monat den Nervenarzt Dr. R. auf; alle drei bis vier Monate sei sie bei Prof. Dr. Sch ... Die Klägerin sei keinesfalls antriebsarm und wirke etwas schwunglos. Die affektive Schwingungsfähigkeit sei eingeschränkt, aber nicht aufgehoben. Konzentrationsvermögen und Auffassungsgabe seien ungestört. Hinweise auf soziale Rückzugstendenzen gebe es nicht. Die allgemein-klinische Untersuchung habe keinen auffälligen Befund ergeben. Auch die neurologische Befunderhebung sei völlig in Ordnung. Insbesondere hätten sich keine Auffälligkeiten provozieren lassen, mit denen normalerweise eine Myasthenie untersucht werde; Doppelbilder hätten sich nicht hervorrufen lassen und es habe sich auch kein herabhängendes Augenlid gezeigt. Sprechstörungen seien nicht aufgefallen, über Schluckstörungen habe die Klägerin nicht geklagt. Auch Muskellähmungen an Armen oder Beinen seien nicht feststellbar.

Der Gutachter diagnostizierte eine Myasthenia gravis (generalisierte Myasthenie mit anfänglicher Beteiligung der Augenmuskeln) anfänglich Grad IIa, unter laufender Behandlung erscheinungsfrei sowie eine leichte depressive Episode. Die Myasthenie (als Muskelkrankheit) gehöre grundsätzlich zu den gut behandelbaren Krankheiten. Auch in unbehandeltem Zustand habe bei der Klägerin stets nur eine leichtgradige Myasthenie vorgelegen. Nach Entfernung des Thymusrestkörpers habe sich der Zustand prompt und erheblich gebessert; das gehe aus den vorliegenden Berichten hervor. Unter laufender Medikation seien neurologische Auffälligkeiten nicht mehr feststellbar. Allerdings verSt.e sich die Muskelschwäche belastungsabhängig, weshalb man berücksichtigen müsse, dass die Ausdauerbelastung reduziert sein könne. Verschlechterungen der Krankheit wären problemlos weiter zu behandeln. Außerdem sei bei der Klägerin noch eine leichte depressive Episode, die bislang nicht behandelt werde, feststellbar. Mittlerweile habe sich ihr Zustand wohl wieder stabilisiert. Ein mittelgradiges oder schweres psychisches Störungsbild bestehe zweifelsfrei nicht. Die Klägerin könne leichte Tätigkeiten (unter qualitativen Einschränkungen: Vermeidung monotoner Haltungen und von Zwangshaltungen sowie von Spät- oder Nachtschicht und von Akkord- oder Fließbandarbeit) 6 Stunden täglich und mehr verrichten. Sie sei auch wegefähig. Zusätzliche Arbeitspausen seien nicht notwendig.

Prof. Dr. H. führte in seinem auf Antrag der Klägerin gem. § 109 SGG erstatteten Gutachten aus, Doppelbilder träten nach Angaben der Klägerin derzeit nicht auf; dazu sei es vor einigen Monaten gekommen. Sie fühle sich insgesamt sehr deprimiert, werde deswegen aber nicht behandelt. Der Gutachter diagnostizierte eine Myasthenia gravis sowie eine depressive Episode. Aktuell hätten sich keine sicheren Zeichen der Myasthenie nachweisen lassen, weshalb von einer stabilen Situation ohne klinische Zeichen einer Myasthenia gravis auszugehen sei. Im Hinblick darauf und die gewährleistete kontinuierliche Beobachtung und Betreuung, ggf. mit Anpassung der Medikation, bestehe vollschichtige Leistungsfähigkeit (unter qualitativen Einschränkungen) für leichte bis mittelschwere Arbeiten. Die (bei der Exploration festgestellten) Zeichen der depressiven Erkrankung hätten im Vergleich zur Begutachtung durch Dr. St. zugenommen; zur genauen Beurteilung werde eine psychiatrische Begutachtung empfohlen.

Dr. M. führte in seinem ebenfalls auf Antrag der Klägerin gem. § 109 SGG erstatteten Gutachten aus, die Klägerin versorge noch den gesamten Haushalt, so wie ihr das möglich sei, mit häufigeren Unterbrechungen und z. T. größeren Pausen. Sie habe ein ausgeprägtes Schlafbedürfnis und habe frühere Aktivitäten (etwa Sport und Hobbys oder soziale Kontakte) weitestgehend aufgegeben bzw. eingestellt. Der Gutachter diagnostizierte eine Myasthenia gravis ohne wesentliche Manifestationszeichen (insbesondere keine Doppelbilder) sowie eine Anpassungsstörung mit Angst und Depression gemischt bei mittelgradiger depressiver Symptomatik. Geeignete Therapiemaßnahmen (psychotherapeutische oder medikamentöse Behandlung) bezüglich der (für die Leistungsbeurteilung im Vordergrund stehenden) psychischen Störung seien bislang nicht unternommen worden. Mit ihrem Restleistungsvermögen könne die Klägerin zumindest den Haushalt alleine bewältigen und auch eine größere Urlaubsreise in die T. weitgehend alleine organisieren und durchstehen. Einer Doppelbelastung durch Haushalt und Beruf erscheine sie aber aktuell und auf absehbare Zeit nicht gewachsen. Die Klägerin könne leichte Tätigkeiten (unter qualitativen Einschränkungen, wie: keine längerdauernde körperliche Belastung bspw. Belastung durch permanentes Treppensteigen, kein häufiges Bücken, keine Akkord- oder Fließbandarbeit, keine Tätigkeit in Wechsel- oder Nachtschicht, keine Tätigkeit in Hitze, Kälte oder Zugluft oder mit besonderer geistiger Beanspruchung) 4 bis 6 Stunden täglich mit ein bis zwei kürzeren Pausen von 10 bis 20 Minuten verrichten; zusätzlich zu den üblichen Arbeitspausen seien weitere Pausen aber nicht notwendig. Durch eine konsequente Behandlung der depressiven Symptomatik, insbesondere im Rahmen einer stationären psychotherapeutischen Behandlung, sei eine wesentliche zusätzliche Besserung der Leistungsfähigkeit zu erwarten, sofern man die Klägerin hierfür in erforderlichem Umfang motivieren könne.

Die Beklagte legte die beratungsärztliche Stellungnahme des OMR F. vom 8.2.2008 vor. Darin ist ausgeführt, sollte Dr. M. eine quantitative Leistungseinschränkung annehmen wollen, könne dem nicht zugestimmt werden. Bei wiederholt einfließenden und für die sozialmedizinische Beurteilung unsicheren anamnestischen Angaben und subjektiven Selbsteinschätzungen der Klägerin sei eine sehr gravierende klinisch-psychopathologische Befunderhebung nicht zu erkennen. Außerdem seien entsprechende Behandlungsmaßnahmen bisher nicht in Anspruch genommen worden, was gegen einen allzu großen Leidensdruck der Klägerin spreche. Gegen gravierende Beeinträchtigungen sowohl im körperlichen wie auch im seelischen Bereich spreche auch die Urlaubsreise der Klägerin im Jahr 2007 zu den Eltern in der T ... Schließlich stelle Dr. M. für die Leistungsbeurteilung auf eine Doppelbelastung durch Beruf und Haushalt ab. Dabei handele es sich aber um ein primär organisatorisches und nicht um ein medizinisches Problem; für die sozialmedizinische Leistungsbeurteilung komme es darauf nicht an. Eine quantitative Leistungsbeeinträchtigung bestehe nach alledem nicht.

Dr. St. führte in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 28.3.2008 aus, die Diagnose des Dr. M. "Anpassungsstörung mit Angst und Depression, gemischt bei mittelgradiger depressiver Symptomatik – F43.2" gebe es in dieser Form im ICD-10 nicht. Die Zuordnung zur Kategorie F43.2 der Anpassungsstörungen bedeute, dass es sich um eine leichte psychische Erkrankung handele, die leichter sei als eine leichte depressive Episode. Daher hätte sich das Störungsbild gegenüber seiner Begutachtung sogar verbessert. Allerdings gehe Dr. M. offenbar von einer mittelschweren depressiven Episode und nicht von einer Anpassungsstörung aus. Im Gutachten des Dr. M. seien anamnestische Angaben der Klägerin mit vom Gutachter erhobenen Fakten vermischt. Der Gutachter beschreibe eine beginnende mittelschwere depressive Episode. Hierzu passe auch die Leistungsbeurteilung, die ein sechsstündiges Leistungsvermögen einschließe. Bei der Feststellung einer Depression müsse - ungeachtet des Schweregrads - stets beurteilt werden, ob das Störungsbild in einem überschaubaren Zeitraum behandelt werden könne; Dr. M. habe selbst festgestellt, dass eine entsprechende Behandlung zu Verbesserungen führen könne. Allgemein spreche ein Großteil depressiver Verstimmungszustände bereits innerhalb weniger Wochen auf eine adäquate und regelmäßige Medikation an und zeige eine deutliche Besserung und Stabilisierung. Zusammenfassend beschreibe Dr. M. ein beginnend mittelschwer depressives Krankheitsbild, das bislang unbehandelt sei und bei dem er durch eine adäquate Behandlung von einer weiteren Besserung und Stabilisierung ausgehe. Vor diesem Hintergrund könne ein unter sechsstündiges Leistungsvermögen nicht angenommen werden. Zunächst wäre eine adäquate Behandlung zu verlangen. Bei Durchsicht der Gutachten des Prof. Dr. H. und des Dr. M. ergäben sich keine Gesichtspunkte, die zu einer Änderung seiner (des Dr. St.) Leistungseinschätzung führen würden.

Dr. M. legte in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 22.4.2008 dar, mit der Beurteilung, die Klägerin könne bis zu 6 Stunden täglich arbeiten, habe er zum Ausdruck bringen wollen, dass, wie bereits OMR F. vermutet habe, keine quantitative Leistungseinschränkung vorliege, zumal durch geeignete therapeutische Maßnahmen eine zusätzliche Besserung der psychischen Belastbarkeit in absehbarer Zeit erwartet werden könne. Insoweit stimme er auch mit der Einschätzung des Dr. St. überein. Er habe nicht gemeint, die Klägerin sei 4 bis unter 6 Stunden täglich belastbar.

Nachdem die Klägerin abschließend geltend gemacht hatte, ihr Zustand habe sich jetzt noch weiter verschlechtert, wies das Sozialgericht die Klage mit Gerichtsbescheid vom 1.7.2008 ab. Zur Begründung führte es aus, die Klägerin sei weder teilweise noch voll erwerbsgemindert (§ 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch, SGB VI), weil sie leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) mindestens 6 Stunden täglich verrichten könne. Das ergebe sich insbesondere aus den Gutachten der Dres. St. und P ... Die Gutachter hätten abweichende Beurteilungen behandelnder Ärzte nicht bestätigt. Auch Prof. Dr. H. und Dr. M. hätten in ihren auf Antrag der Klägerin gem. § 109 SGG erhobenen Gutachten eine quantitative Leistungseinschränkung letztendlich nicht angenommen. Hinsichtlich der von der Klägerin zuletzt geltend gemachten Verschlechterung des Gesundheitszustandes müsse zunächst abgewartet werden, ob es sich um eine nur vorübergehende Veränderung handele. Sollte nach erfolgter Behandlung von einer Verschlechterung auf nicht absehbare Zeit auszugehen sein, könne die Klägerin einen neuen Rentenantrag stellen. Auch Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI) könne die Klägerin nicht beanspruchen.

Auf den ihr am 14.7.2008 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 17.7.2008 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor, sie sei zwischenzeitlich in der Klinik für Psychiatrie R. stationär behandelt worden. Wegen der Kombination der Myasthenie und der Depression könne sie irgendwelchen Belastungen nicht standhalten. Auf Grund ihrer zarten Konstitution und der Erkrankung könne sie auch leichte Tätigkeiten nicht 6 Stunden täglich verrichten.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 1.7.2008 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 24.3.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9.8.2005 zu verurteilen, ihr Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren, hilfsweise, den Rechtsstreit zu vertagen und den Entlassungsbericht der Klinik Ch. wegen der Depressionserkrankung beizuziehen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Vom 27.6. bis 26.8.2008 ist die Klägerin in der Klinik für Psychiatrie R. stationär behandelt worden. Im Entlassungsbericht der Klinik sind die Diagnosen schwere depressive Episode, Myasthenia gravis, Z. n. Thymektomie (seit 2003) und Z. n. Cystitis (21.8.2008) festgehalten. Anlass für den ersten stationären Aufenthalt seien eine depressive Dekompensation mit akuter Suizidalität auf dem Hintergrund einer Myasthenie-Erkrankung sowie daraus resultierender Schwierigkeiten auch mit der Familie gewesen. Die Klägerin fühle sich zu Hause überfordert, im zwischenmenschlichen Bereich von niemandem verstanden, einsam und verzweifelt. Bei Aufnahme habe sie Suizidgedanken bestätigt; sie werde nicht mehr fertig mit der Welt, es klappe nichts mehr, damit meine sie den Haushalt und die Kinder. Die Suizidgedanken seien öfters da. Einen Suizidversuch habe sie vor drei bis vier Wochen unternommen, nach einem Streit mit der Tochter. Sie habe vermutlich Kopfschmerztabletten genommen und in diesem Moment auch sterben wollen. Die Klägerin sei in einem gebesserten Zustandsbild in die Weiterbehandlung entlassen worden. Zum Entlassungstermin sei sie nicht arbeitsfähig gewesen. Die Klägerin bedürfe dringend einer weiteren psychiatrischen und psychotherapeutischen Weiterbehandlung.

Der Senat hat zunächst den behandelnden Neurologen und Psychiater Dr. R. befragt und auf Antrag der Klägerin gem. § 109 SGG das psychiatrisch-schmerzpsychologische Gutachten des Dr. B. vom 11.11.2009 erhoben. Die Beklagte hat weitere beratungsärztliche Stellungnahmen vorgelegt.

Dr. R. hat im Bericht vom 11.5.2009 mitgeteilt, er kenne die Klägerin seit September 2003. Der letzte Kontakt habe im März 2009 stattgefunden; es fänden regelmäßige Kontakte statt. Bei der Klägerin bestehe eine gesicherte Myasthenia gravis, darüber hinaus eine Depression. Die Störung habe sich zunehmend chronifiziert. Die Leistungsfähigkeit der Klägerin sei deutlich eingeschränkt. Sie könne nur unter 6 Stunden täglich arbeiten; dies solle jedoch im Rahmen eines Gutachtens geklärt werden.

Nachdem OMR F. in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 26.5.2009 an der bisherigen Leistungseinschätzung festgehalten hatte, hat Dr. B. in seinem auf Antrag der Klägerin gem. § 109 SGG erstatteten Gutachten nach Eruierung eines Tagesablaufs der Klägerin und der Durchführung psychologischer Testverfahren (durch den Dipl.-Psych. Biebl) ausgeführt, die Psychomotorik sei erlahmt und es bestehe ein deutlicher Antriebsmangel. Die Schwingungsfähigkeit sei praktisch aufgehoben. Der Gutachter hat auf seinem Fachgebiet eine schwere depressive Episode mit psychotischen Symptomen, rezidivierend, einen Zustand nach Suizidversuch mit Tablettenintoxikation vor Jahren sowie Nikotinabusus diagnostiziert, außerdem eine Myasthenia gravis. Führend sei eine schwere rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mit psychotischen Symptomen und massivem Antriebsdefizit. Es springe ins Auge, dass die Klägerin an einer schwerst gehemmten depressiven Störung leide, jegliche Lebenslust verloren habe und nicht einmal mehr ausreichend alltagsfähig sei. Notwendig wäre eine akutstationäre psychiatrische Behandlung; nicht selten benötigten Patienten mehrere klinische Aufenthalte und mehrere medikamentöse Umstellungsversuche. Letzteres sei noch nicht ausgereizt. Der Tagesstruktur der Klägerin sei im Wesentlichen durch ein sich über den Tag Quälen gekennzeichnet. Die berufliche Leistungsfähigkeit sei zum jetzigen Zeitpunkt praktisch erloschen. Die Leistungseinschränkung liege zumindest seit der Behandlung im Krankenhaus R. vor; es spreche aber sehr viel dafür, dass das Leistungsvermögen schon vorher entsprechend vermindert gewesen sei. Therapieoptionen seien überhaupt nicht ausgeschöpft. Zu fordern wäre dringend eine stationäre psychiatrische Behandlung, gegebenenfalls mit anschließender psychiatrischer Rehabilitation. Bei erfolgreicher Behandlungskette könnte eine nachhaltige Besserung zu erwarten sein, die zu einer teilweisen Besserung der Leistungseinschränkung führen könnte. Ambulante Behandlungen wären völlig unzureichend. Die Abweichung von den Vorgutachten beruhe darauf, dass bislang eine fachgerechte psychiatrische Begutachtung noch nicht durchgeführt worden sei. Alle Vorgutachter hätten den Schwerpunkt auf die neurologische Erkrankung (Myasthenie) gelegt. Sie hätten nicht ganzheitlich gedacht und die psychiatrische Diagnostik bzw. Bewertung vollkommen ausgeblendet. Zu fordern wäre die Verlegung der Klägerin in ein spezialisiertes Zentrum für Psychiatrie mit Depressionsstationen, etwa in eine Universitätsklinik.

Die Beklagte hat hierzu die beratungsärztliche Stellungnahme des OMR F. vom 2.12.2009 vorgelegt. Darin ist ausgeführt, auffällig sei, dass die Klägerin trotz der vom Gutachter angenommenen schweren depressiven Episode die 8 ½ Stunden dauernde Begutachtung habe durchstehen können. Insgesamt könne die Annahme einer völligen Belastungsunfähigkeit nicht nachvollzogen werden. Dagegen sprächen etwa die durchaus noch vorhandenen Befähigungen im alltäglichen Bereich. Gleichwohl sei nachvollziehbar, dass die Klägerin aktuell nicht mindestens 6 Stunden täglich arbeiten könne. Am Gutachten des Dr. B. müssten gleichwohl Zweifel geäußert werden. So enthalte die psychische Befunderhebung nicht nur objektivierbare psychopathologische Befunde, sondern auch anamnestische Berichtsdaten, vereinzelt auch Deutungen durch den Gutachter. Nicht nachvollziehbar sei die Behauptung des Gutachters, bislang habe noch keine fachgerechte psychiatrische Begutachtung stattgefunden; insoweit sei auf die Gutachten der Dres. St. und M. zu verweisen. Im Hinblick auf die (durch den Begriff "Episode" ausgedrückte) Wechselhaftigkeit des Beschwerdebildes hätten sich bereits während der Behandlung in der Klinik R. Besserungstendenzen gezeigt. Insoweit sei nicht ausreichend dokumentiert, dass die während der Klinikbehandlung festgestellte Ausprägung des Beschwerdebildes weiter fortbestanden habe; das gelte auch im Hinblick auf den Befundbericht des Dr. R. vom 11.5.2009. Insgesamt müsse im Rahmen der Begutachtung durch Dr. B. allenfalls von Arbeitsruhe (bzw. Arbeitsunfähigkeit im Sinne der Krankenversicherung) ausgegangen werden. Zudem habe Dr. B. ebenfalls das Fehlen einer ausreichenden Behandlung bemängelt. Bei der Klägerin erscheine eine möglichst bald durchzuführende stationäre Therapie vordringlich. Danach wäre das Behandlungsergebnis im laufenden Berufungsverfahren zu berücksichtigen.

In der (weiteren) beratungsärztlichen Stellungnahme vom 22.12.2009 hat OMR F. auf die Anfrage des Berichterstatters, ob der Klägerin eine stationäre Rehabilitationsbehandlung angeboten werden könne, ausgeführt, prinzipiell wäre eine stationäre Heilbehandlung, etwa in der Schlossklinik Bad B., in Betracht zu ziehen. Erfahrungsgemäß sei die Motivation für Rehabilitationsbehandlungen während laufender Rentenverfahren aber eher gering. Dr. B. habe auch eher an eine psychiatrische Behandlung in einer spezialisierten Akut-Einrichtung gedacht. Nach einer solchen Behandlung könne eine stationäre psychosomatische Heilbehandlung in Betracht gezogen werden, sofern das vorliegende Berufungsverfahren vollständig abgeschlossen sei. Aus sozialmedizinischem Blickwinkel sei derzeit die Indikation zur Durchführung einer Heilbehandlung aus den genannten Gründen nicht zu sehen.

Die Klägerin hat sich zur Durchführung einer stationären Rehabilitationsmaßnahme bereit erklärt. Die Beklagte hat hierzu vorgetragen, vordergründig sei eine Behandlung in einer Akuteinrichtung durchzuführen. Danach könne überlegt werden, ob durch eine stationäre psychosomatische Heilbehandlung eine weitere Besserung erreicht werden könne.

Die Beklagte hat mit Bescheid vom 1.3.2010 einen Antrag der Klägerin auf Gewährung einer stationären Rehabilitationsmaßnahme abgelehnt. Zur Begründung ist ausgeführt worden, der derzeitige Gesundheitszustand der Klägerin lasse die Durchführung einer medizinischen Rehabilitationsbehandlung nicht zu; die Klägerin möge sich mit ihrem behandelnden Arzt besprechen. Der dagegen eingelegte Widerspruch der Klägerin wurde mit Widerspruchsbescheid vom 10.6.2011 zurückgewiesen. Klage wurde nicht erhoben.

Der Senat hat sodann (im Rahmen der Abklärung einer vergleichsweisen Erledigung des Rechtsstreits) den (weiteren) Bericht des Neurologen und Psychiaters Dr. R. vom 13.7.2010 und - nachdem die Klägerin einen Vergleichsvorschlag der Beklagten abgelehnt hatte - das Gutachten des Prof. Dr. F. (Ärztlicher Direktor der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, T.) vom 29.4.2011 erhoben.

Dr. R. hat mitgeteilt, es fänden sporadische Kontakte, etwa 1 bis 2mal jährlich, statt, zuletzt am 10.12.2009. Neben einer Myasthenie habe sich eine deutliche Depression entwickelt. Eine Besserung erkenne er nicht; dies sei auch durch ein stationäres Heilverfahren nicht zu erwarten.

Prof. Dr. F. hat nach Durchführung u.a. von testpsychologischen Untersuchungen (auch des Beck-Depressions-Inventar als Selbstbeurteilungsverfahren) ausgeführt, während sich die körperlichen Symptome der Myasthenia gravis unter kausaler Therapie deutlich zurückgebildet hätten und nur noch in minimalem Ausmaß vorhanden seien, weshalb von einer Remission gesprochen werden könne, habe sich begleitend eine psychiatrische Erkrankung entwickelt. Seit einem Jahr finde eine fachärztliche psychiatrische Betreuung nicht mehr statt. Die mehrfach durch Vorbehandler angeregte Aufnahme einer psychotherapeutischen Behandlung sei nicht umgesetzt worden. Auch eine stationäre psychiatrische oder psychosomatische Behandlung sei nicht durchgeführt worden. Aktuell hätten neben u.a. lebensmüden Gedanken mit konkreten Suizidgedanken, eine gedrückte Stimmungslage, eine deutlich verminderte Antriebssituation und Interesselosigkeit als die drei Hauptsymptome einer depressiven Episode in deutlicher Ausprägung festgestellt werden können. Insgesamt liege eine depressive Episode mit psychotischen Symptomen (akustische Pseudohalluzinationen und Derealisationserleben) vor, die prolongiert und chronifiziert verlaufe. Eine adäquate Behandlung sei erst im Jahr 2008 mit einer kombinierten psychopharmakologischen und psychotherapeutischen Therapie begonnen, jedoch hinsichtlich der psychotherapeutischen Komponente nach dem stationären Aufenthalt Juni/August 2008 (Klinik R.) nicht fortgesetzt worden. Die psychopharmakologische Komponente sei trotz fehlender Remission und nicht ausreichender Wirksamkeit nicht in den zur Verfügung stehenden Möglichkeiten modifiziert worden. Bei Verschlechterung bzw. Persistenz der Beschwerden sei im Weiteren weder eine tagesklinische noch eine vollstationäre Behandlung im psychotherapeutisch-psychiatrischen oder psychosomatischen Bereich durchgeführt worden. Die neurologische Symptomatik der Myasthenia gravis sei ausreichend behandelt, nach beinahe vollständiger Remission bestünden nur noch nicht behandlungsbedürftige Restzustände, die im Alltag kaum einschränkend seien. Hinsichtlich der psychiatrischen Behandlung sei wegen immer wieder auftretender Suizidgedanken eine stationäre Behandlung indiziert; danach wäre eine ambulante Psychotherapie erwägenswert.

Die psychiatrische Erkrankung der Klägerin (depressive Episode) sollte im Hinblick auf den heutigen Stand der Therapiemöglichkeiten und den Schweregrad psychopharmakologisch und psychotherapeutisch behandelt werden. Unter ärztlicher Mithilfe und der Voraussetzung entsprechender Motivation der Klägerin sei eine Besserung, evtl. sogar eine Remission der psychiatrischen Symptome innerhalb von Wochen bis Monaten, im speziellen innerhalb ½ Jahres möglich. Rezidivierende depressive Episoden seien phasenhafte Erkrankungen, die auf entsprechende Behandlungen in aller Regel gut ansprechen würden und innerhalb von Wochen bis wenigen Monaten zumindest eine Besserung zeigten. Im Rahmen der vorliegenden schweren depressiven Episode bestünden erhebliche Einschränkungen der Fähigkeit zur Teilnahme an den Aktivitäten des täglichen Lebens. Wegen der psychiatrischen Erkrankung bestehe aktuell keine berufliche Leistungsfähigkeit. Aufgrund der Schwere des depressiven Symptombildes und der Behandlungsbedürftigkeit im empfohlenen stationären Bereich sei derzeit keine berufliche Arbeitstätigkeit denkbar. Die Leistungseinschränkung bestehe vor allem in Berücksichtigung der Vorgutachten, aber auch der Angaben der Klägerin, seit 2008, jedoch sei seitdem nur eine inadäquate Therapie erfolgt. Aufgrund des episodischen Charakters der Erkrankung sei eine nachhaltige Besserung zu erwarten, so dass die Leistungseinschränkungen ganz oder teilweise wegfallen könnten. Bei entsprechender Therapie sei innerhalb von Wochen bis wenigen Monaten mit einer Besserung zu rechnen. Aktuell finde eine adäquate Therapie aber nicht statt.

Die Beklagte hat hierzu abschließend die beratungsärztliche Stellungnahme des OMR F. vom 15.7.2011 vorgelegt. Darin ist ausgeführt, Prof. Dr. F. habe sich zwar eingehend mit der Darstellung der Aktenlage und ausführlich mit der Biographie und Familienanamnese der Klägerin befasst und auch subjektive Beschwerdeschilderungen erhoben und Selbstbeurteilungstests durchgeführt. Zur Abschätzung der Belastbarkeit fänden sich aber nur relativ punktuell dargestellte Beeinträchtigungen im alltäglichen Bereich. Eine Befragung mit dem Ziel einer detaillierten Beschreibung eines gesamten, charakteristischen Tagesablaufes sei ersichtlich nicht erfolgt. Im Übrigen hätten gerade Betätigungen im Haushalt keineswegs uneingeschränkt leichten Belastungscharakter, weswegen aus vermehrten Pausen bei der Hausarbeit oder aus der Mithilfe Dritter nicht auf eine zeitliche Leistungseinschränkung für leichte Tätigkeiten geschlossen werden könne. Der Gutachter sehe gegenwärtig den Bedarf nach einer stationären (Akut-)Behandlung (und nicht einer Rehabilitationsmaßnahme) und halte eine Besserung der depressiven Beschwerden durch adäquate Behandlung innerhalb eines halben Jahres für möglich. Erhebliche Bedenken bestünden gegen den angenommenen Beginn der Leistungseinschränkung. Seit Jahren finde eine adäquate Behandlung wegen seelischer Beeinträchtigungen nicht statt, weswegen von einem allzu gravierenden Leidensdruck und somit auch von gravierenden Beeinträchtigungen im alltäglichen Bereich und im Berufsleben nicht auszugehen sei. Die Einschätzung des Prof. Dr. F. könne daher allenfalls als akut bestehende Arbeitsruhe aufgefasst werden. Der Verlauf der vom Gutachter angeregten Behandlung könne abgewartet werden.

Mit Verfügung vom 20.7.2011 ist die Klägerin um Mitteilung gebeten worden, ob eine Therapie wegen psychiatrischer Erkrankungen nunmehr stattfinde oder alsbald aufgenommen werde. Die Klägerin hat sich hierzu nicht geäußert.

Die Klägerin hat zuletzt mitteilen lassen, dass sie aufgrund eines im Spätsommer 2011 aufgetretenen Krankheitsschubs der Myastenie jetzt einen stationären Beobachtungs- und Behandlungstermin in der Zeit vom 8.11. bis 16.11.2011 in der Klinik Ch. habe. Zur stationären psychotherapeutischen Behandlung werde sie dann erneut ab 28.11.2011 aufgenommen. In der mündlichen Verhandlung des Senats hat die Klägerin sodann den vorläufigen Entlassbrief von Prof. Dr. S., dem Chefarzt der Klinik Ch., vom 16.11.2011 vorgelegt. Danach sei die Aufnahme wegen Verschlechterung der Doppelbildsymptomatik und der Gehfähigkeit bei vorbestehender seropositiver Myastenia gravis erfolgt. Die Klägerin sei medikamentös behandelt worden. Ein psychiatrisches Konsil habe zur stationären Aufnahme ab 28.11.2011 geführt.

Die Beklagte erklärte hierzu, die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung wären nur erfüllt, wenn die Leistungsminderung spätestens am 30.4.2008 eingetreten wäre. Nach Auffassung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung sei dies der Fall. Der Klägerin sei es insbesondere im Jahre 2008 besonders schlecht gegangen, wie der stationäre Aufenthalt in der Klinik für Psychiatrie in R. zeige.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gem. §§ 143, 144, 151 SGG statthafte und auch sonst zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, ihr Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren. Sie hat darauf keinen Anspruch.

Das Sozialgericht hat in seinem Gerichtsbescheid zutreffend dargelegt, nach welchen Rechtsvorschriften (§ 43 SGB VI) das Rentenbegehren der Klägerin zu beurteilen ist, und weshalb ihr danach Rente nicht zusteht. Der Senat nimmt zunächst auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheids Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG). Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen der Beteiligten und die Ergebnisse der Beweisaufnahme im Berufungsverfahren ist ergänzend anzumerken:

Auch der Senat ist der Auffassung, dass die Klägerin (jedenfalls) leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes (unter qualitativen Einschränkungen) mindestens 6 Stunden täglich verrichten kann, weshalb Erwerbsminderung nicht besteht (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Auf neurologischem Fachgebiet liegt eine sozialmedizinisch bedeutsame Erkrankung nicht vor. Die (leichtgradige - Gutachten Dr. St. vom11.5.2006) Myasthenia gravis ist nach entsprechender Therapie allenfalls noch in minimalem Ausmaß vorhanden bzw. remittiert und für das rentenrechtliche (zeitliche) Leistungsvermögen der Klägerin nicht von Belang. Das hat zuletzt Prof. Dr. F. im Gutachten vom 29.4.2011 festgestellt und damit die Einschätzung des Dr. P. (Gutachten vom 10.5.2005) bzw. des Prof. Dr. Sch. (Bericht vom 23.3.2006) und des Prof. Dr. H. (Gutachten vom 26.6.2007) bestätigt.

Die Klägerin beruft sich für ihr Rentenbegehren im Wesentlichen auf eine Depressionserkrankung und damit auf eine Erkrankung des psychiatrischen Fachgebiets. Hierzu sind im Gerichtsverfahren beider Rechtszüge eingehende Ermittlungen angestellt worden. Diese haben eine zu rentenberechtigenden (zeitlichen) Leistungsminderungen führende Erkrankung des depressiven Formenkreises jedoch nicht ergeben.

Dr. St. diagnostizierte im Gutachten vom 11.5.2006 überzeugend eine nur leichtgradig ausgeprägte depressive Episode. Er befand die Klägerin bei nur eingeschränkter affektiver Schwingungsfähigkeit nicht antriebsarm, was durch den eingehend eruierten Tagesablauf unterstrichen wird. Dieser erwies sich weder als inhalts- noch als strukturarm. Die Klägerin versorgte vielmehr ihren Mehrpersonenhaushalt in einem großen Haus und ging ohne soziale Rückzugstendenzen einem adäquaten Freizeitverhalten nach. Hinweise für eine höhergradige Depressionserkrankung gab es daher nicht, weswegen Dr. St. ein mittelgradiges oder schweres psychisches Störungsbild ausschließen konnte.

Die vom Neurologen Prof. Dr. H. (Gutachten vom 26.6.2007) empfohlene (weitere) Begutachtung ergab ebenfalls keine rentenberechtigende Leistungseinschränkung wegen Erkrankungen des psychiatrischen Fachgebiets. Dr. M. nahm im auf Antrag des Klägerin gem. § 109 SGG erstatteten Gutachten vom 12.11.2007 zwar zunächst ein 4- bis 6stündiges Leistungsvermögen an, begründete etwaige Leistungseinschränkungen aber im Kern mit einer (nicht zu bewältigenden) Doppelbelastung durch Haushalt und Beruf. Hierauf kommt es für die Gewährung von Erwerbsminderungsrente freilich nicht an. Ausschlaggebend ist vielmehr, ob die Fähigkeit zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit wegen Krankheit oder Behinderung, nicht aber wegen der Belastung mit der Führung eines Haushalts, beeinträchtigt ist (§ 43 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Im Übrigen wies OMR F. in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 8.2.2008 mit Recht darauf hin, dass das Fehlen einer Depressionsbehandlung gegen einen entsprechenden Leidensdruck der Klägerin spricht. Dr. St. lehnte in der ergänzenden Stellungnahme vom 28.3.2008 deswegen zu Recht eine zeitliche Leistungseinschränkung (auf unter 6 Stunden täglich) ab. Dem schloss sich Dr. M. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 22.4.2008 letztendlich an und stellte klar, dass er ein auf unter 6 Stunden täglich abgesunkenes Leistungsvermögen nicht habe befürworten wollen.

Im Berufungsverfahren hat sich ein wesentlich anderes Bild nicht ergeben. Die Klägerin ließ sich zwar gegen Ende des sozialgerichtlichen Verfahrens in der Klinik für Psychiatrie, R., vom 27.6. bis 26.8.2008 stationär behandeln. Dem lag offenbar eine akute, durch Überforderungen in Haushalt und Familie verursachte, seelische Dekompensation zugrunde, die sodann zu einer schweren depressiven Episode führte. Aus der Akutbehandlung wurde die Klägerin sodann in wieder gebessertem Zustandsbild entlassen mit der Empfehlung einer ambulanten psychiatrischen und psychotherapeutischen Weiterbehandlung. Dazu ist es in der Folgezeit jedoch nicht gekommen. Eine adäquate psychiatrische, psychopharmakologische und psychotherapeutische Behandlung fand - von dem genannten (Akut-)Aufenthalt in der Klinik R. abgesehen - zu keiner Zeit statt und ist entgegen wiederholten Anratens, zuletzt durch Prof. Dr. F., von der Klägerin auch bis heute ersichtlich nicht aufgenommen worden. Auf die entsprechende Anfrage des Berichterstatters vom 20.7.2011 hat sie nicht geantwortet. Wenn (tatsächlich) eine sozialmedizinisch (rentenrechtlich) beachtliche Erkrankung des depressiven Formenkreises vorliegt, finden – schon wegen des entsprechenden Leidensdrucks – aber angemessene psychopharmakologische, psychotherapeutische bzw. psychiatrische Behandlungen statt. Darauf hatte OMR F. schon in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 8.2.2008 zu Recht hingewiesen (vgl. auch Senatsurteil vom 11.5.2011, - L 5 R 1823/10 -). Depressionserkrankungen führen auch nicht unbesehen zur Berentung; sie sind vielmehr - wie die psychiatrischen Gutachter Dres. St., M. und Prof. Dr. F. nachdrücklich betont haben – gut behandelbar und auch zu behandeln, bevor Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI angenommen werden kann.

Angesichts dessen kann das auf Antrag der Klägerin gem. § 109 SGG erhobene Gutachten des Dr. B. vom 11.11.2009 nicht überzeugen. Die Annahme einer schweren depressiven Episode ist durch einen aussagekräftigen und konsistenten psychopathologischen Befund nicht schlüssig belegt. Darauf hat OMR F. in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 2.12.2009 zu Recht hingewiesen und moniert, dass die Befunderhebung anamnestische Berichtsdaten, teils auch Deutungen des Gutachters, miteinander vermengt. Psychologische Testverfahren, die (wie das Beck-Depressions-Inventar) als Selbstbeurteilungsverfahren auf den Angaben des Rentenbewerbers beruhen, können Defizite in der Erhebung des psychopathologischen Befunds nicht kompensieren. Sie sind für therapeutische Fragestellungen geeignet, für die sozialmedizinische Begutachtung in Rentenverfahren jedoch nicht validiert. Hierfür sind sie nicht aussagekräftig und in der Begutachtungssituation durch bewusste Falschangaben leicht manipulierbar (vgl. auch insoweit Senatsurteil vom 11.5.2011, - L 5 R 1823/10 -). Dr. B. hat in seinem Gutachten auch im Wesentlichen eine Therapieempfehlung ausgesprochen und eine akutstationäre psychiatrische Behandlung angeraten, eine fundierte sozialmedizinische Leistungseinschätzung indessen nicht abgegeben. Der Verweis auf eine "ganzheitliche" Denkweise genügt als nachvollziehbare Begründung seiner Auffassung nicht, zumal Dr. B. sich mit den gegenläufigen Erkenntnissen der psychiatrischen Vorgutachter nicht hinreichend auseinandergesetzt hat. Entgegen der Annahme des Dr. B. hat nicht nur eine neurologische Vorbegutachtung - wegen der Myasthenie-Erkrankung - sondern auch eine eingehende psychiatrische Vorbegutachtung durch die Dres. St. und M. stattgefunden. Es trifft deswegen nicht zu, dass der Schwerpunkt bislang auf die neurologische Erkrankung gelegt und die psychiatrische Diagnostik und Bewertung vollkommen ausgeblendet worden sei; insoweit geht Dr. B. - wie OMR F. in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 2.12.2009 zutreffend dargelegt hat - von einer fehlerhaften Beurteilungsgrundlage aus. Schließlich hat auch er das Fehlen einer adäquaten Therapie hervorgehoben, die zu nachhaltiger Besserung führen könnte,

Es ist insbesondere durch Arztberichte nicht dokumentiert, dass das Beschwerdebild, das zur Akutbehandlung in der Klinik R. im Jahr 2008 geführt hatte und an das Dr. B. für seine Beurteilung ersichtlich anknüpft, in der Folgezeit fortbestanden hätte. Dem Bericht des behandelnden Nervenarztes Dr. R. vom 13.7.2010 ist eine höhergradige Depressionserkrankung gerade nicht zu entnehmen, nachdem die Klägerin diesen nur noch sporadisch, etwa 1 bis 2-mal im Jahr (und damit noch seltener als zuvor) konsultiert. Der letzte Kontakt fand am 10.12.2009 statt; weitere Behandlungen hat die Klägerin auch auf Nachfrage nicht mitgeteilt. Damit mag es im Jahr 2008 zu einer krisenhaften Zuspitzung ihrer psychischen Verfassung, ausgelöst offenbar durch eine Überforderungssituation in der Familie, mit der Notwendigkeit einer stationären Akutbehandlung gekommen sein; eine auf nicht absehbare Zeit (§ 43 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 SGB VI) anhaltende Einschränkung der Fähigkeit, mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein, ist indessen nicht festzustellen.

Eine rentenberechtigende Leistungseinschränkung kann der Senat auch dem ebenfalls auf Antrag der Klägerin gem. § 106 SGG erhobenen Gutachten des Prof. Dr. F. vom 29.4.2011 nicht entnehmen. Prof. Dr. F. hat sich im Kern ebenfalls auf therapeutische Aspekte konzentriert, eine schlüssige rentenrechtliche Leistungseinschätzung jedoch nicht abgegeben. Er hat (ebenfalls) das Fehlen einer adäquaten (sei es ambulanten, tagesklinischen oder stationären) Behandlung sowohl in psychiatrischer, psychopharmakologischer wie psychotherapeutischer Hinsicht hervorgehoben, indessen - was nach dem Gesagten naheliegen muss - nicht erörtert, ob dies nicht möglicherweise darauf beruht, dass bei der Klägerin der Leidensdruck einer höhergradigen Depressionserkrankung nicht vorhanden ist. OMR F. hat in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 15.7.2011 außerdem zu Recht Defizite des psychopathologischen Befunds im Gutachten des Prof. Dr. F. moniert. Dieser hat sich (ähnlich wie Dr. B.) weitgehend auf anamnestische Angaben und subjektive Beschwerdeschilderungen, ergänzt durch psychologische Testverfahren (u.a. das Beck-Depressions-Inventar) gestützt, was für eine wesentlich therapeutisch ausgerichtete Beurteilung angemessen ist, für eine sozialmedizinische Einschätzung des rentenrechtlich maßgeblichen (Rest-)Leistungsvermögens, wie vorstehend dargelegt, aber nicht ausreicht.

Schließlich hat Prof. Dr. F., wie auch Dr. B., im Kern nicht Erwerbsminderung im rentenrechtlichen Sinne (als dauerhaften Zustand), sondern allenfalls Arbeitsunfähigkeit im krankenversicherungsrechtlichen Sinn (als vorübergehenden Zustand, § 44 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch, SGB V) dargetan; OMR F. hat hierauf in den beratungsärztlichen Stellungnahmen vom 2.12.2009 und 15.7.2011 mit Recht hingewiesen. Prof. Dr. F. hat wie zuvor schon Dr. St. in der Stellungnahme vom 28.3.2008 (auch Dr. M. in der Stellungnahme vom 22.4.2008) nämlich betont, dass bei adäquater (und zumutbarer) Therapie - die bislang offenbar nicht vorhandene Therapiemotivation der Klägerin freilich vorausgesetzt - mit einer Besserung bis hin zur Remission der (von ihm angenommenen) psychiatrischen Symptomatik innerhalb von Wochen bis Monaten, jedenfalls innerhalb eine halben Jahres, gerechnet werden kann.

Bei dieser Sachlage drängen sich dem Senat weitere Ermittlungen, etwa weitere Begutachtungen, nicht auf.

Dem hilfsweise gestellten Antrag der Klägerin auf Vertagung der mündlichen Verhandlung musste nicht entsprochen werden. Der Senat konnte offenlassen, zu welchen abschließenden Ergebnissen die nervenärztlichen Untersuchungen und Behandlungen in der Klinik Ch. im November 2011 (vgl. vorläufiger Entlassbericht Prof. Dr. S. vom 16.11.2011) bezüglich der Myastenia gravis und die anschließende stationäre psychiatrische Behandlung führen. Denn für den Anspruch auf Erwerbsminderungsrente sind sie ohne Bedeutung, weil der Versicherungsfall bis spätestens 30.4.2008 hätte eingetreten sein müssen. Leistungsminderungen nach dem 1.5.2008 vermögen somit einen Rentenanspruch nicht zu begründen. Entgegen der Auffassung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung ist eine rentenberechtigende Leistungsminderung auch nicht vor dem 30.4.2008 eingetreten, wie aus den obigen Ausführungen folgt. Dies gilt auch dann, wenn man mit dem Vertreter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung des Senats davon ausginge, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen bis 30.4.2010 vorgelegen haben.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, weshalb die Berufung der Klägerin erfolglos bleiben muss. Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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