L 5 AS 102/09

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 57 AS 1317/08
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 5 AS 102/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts vom 30. September 2009 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die am XXXXX geborene Klägerin wendet sich gegen die Aufhebung und Erstattung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – SGB II – in Höhe von 2.402,84 Euro für die Monate Oktober bis Dezember 2007 wegen der Anrechnung von Einkommen aus einer Steuerrückerstattung.

Die Klägerin beantragte am 1. Oktober 2007 Leistungen nach dem SGB II bei dem Beklagten. Mit Bescheid vom 17. Oktober 2007 wurden der Klägerin Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum von Oktober 2007 bis Dezember 2007 in Höhe von insgesamt 1.364,66 Euro bewilligt, nämlich Kosten der Unterkunft in Höhe von 857,66 Euro, Regelleistungen in Höhe von 347,- Euro und ein Zuschlag nach § 24 SGB II in Höhe von 160,- Euro.

Am 10. Oktober 2007 wurden der Klägerin Steuern für das Jahr 2005 in Höhe von 772,12 Euro und am 14. November 2007 Steuern für das Jahr 2004 in Höhe von 1.720,73 Euro erstattet. Dies teilte die Klägerin in ihrem Fortzahlungsantrag vom 18. Dezember 2007 dem Beklagten mit.

Mit Bescheid vom 3. März 2008 wurden die Leistungen an die Klägerin in Höhe von 2.492,84 Euro aufgehoben. Mit Bescheid vom gleichen Tage wurden die Leistungen an die Klägerin für den Zeitraum von Oktober 2007 bis Dezember 2007 in geänderter Höhe festgesetzt. Der Klägerin wurden nun für Oktober 2007 noch 592,54 Euro (160,- Euro befristeter Zuschlag nach § 24 SGB II sowie 432,54 Euro für Unterkunft und Heizung) bewilligt. Für November 2007 und Dezember 2007 wurden die Leistungen auf 504,30 Euro monatlich festgesetzt (160,- Euro Zuschlag nach § 24 SGB II und 344,30 Euro für Unterkunft und Heizung). Der Beklagte berücksichtigte im Oktober 2007 772,12 Euro und im November und Dezember 2007 jeweils 860,36 Euro als Einkommen.

Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein und führte aus, dass das Geld nicht mehr vorhanden sei. Es sei aber auch als Schonvermögen zu bewerten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 8. Mai 2008 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück und benannte als Rechtsgrundlage für die Aufhebungsentscheidung § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – SGB X –. Er führte aus, die Steuerrückerstattung sei für das Jahr 2004 in Höhe von 1.720,73 Euro auf die Monate November und Dezember 2007 verteilt worden. Die Steuerrückerstattung für das Jahr 2005 sei im Oktober als Einkommen berücksichtigt worden.

Hiergegen hat die Klägerin die Klage vor dem Sozialgericht Hamburg am 29. Mai 2008 erhoben (S 57 AS 1317/08). Mit Gerichtsbescheid vom 30.September 2009 hat das Sozialgericht der Klage in Höhe von 90,- Euro stattgegeben. Im Übrigen aber hat es die Klage abgewiesen. Leistungen nach dem SGB II würden nur insoweit erbracht, wie Hilfebedürftigkeit bestehe. Soweit Einkommen erzielt werde und dieses zu berücksichtigen sei, würden sich die Leistungen verringern (§ 9 SGB II). Der Klägerin seien im Oktober 2007 772,12 EUR und im November 2007 1.720,73 EUR zugeflossen. Bei diesen Steuerrückerstattungen handele es sich um Einkommen im Sinne des § 11 SGB II. Einkommen sei nämlich grundsätzlich alles das, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhalte und Vermögen das, was er vor Antragstellung bereits gehabt habe. Es handele sich insofern auch nicht um einen Zufluss aus freiwilliger Ansparleistung. Das Einkommen stelle eine sonstige einmalige Einnahme im Sinne vom § 2b der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld – Alg II-V – in der Gültigkeit vom 1. Januar 2007 bis 31. Dezember 2007 dar, für die § 2 Abs. 3 Alg II-V entsprechend anzuwenden sei. Danach seien einmalige Einnahmen von dem Monat an zu berücksichtigen, in dem sie zufließen. Einmalige Einnahmen seien, soweit nicht im Einzelfall eine andere Regelung angezeigt sei, auf einen angemessenen Zeitraum aufzuteilen und monatlich mit einem entsprechenden Teilbetrag anzusetzen. Die Beklagte habe zu Recht die Steuerrückzahlung für das Jahr 2005 vollständig im Oktober als Einkommen berücksichtigt und keine Verteilung vorgenommen. Es bestehe kein Anspruch auf Verteilung der einmaligen Einnahme, wenn durch die Berücksichtigung die Bedürftigkeit im Zuflussmonat nicht in vollem Umfang entfalle. Auch die Verteilung der im November 2007 zugeflossenen Steuerrückzahlung für das Jahr 2004 jeweils hälftig auf die Monate November und Dezember 2007 sei unter diesem Gesichtspunkt nicht zu beanstanden. Vermieden werden solle durch die Verteilung nämlich insbesondere der vollständige Wegfall von Leistungen, der zu einem Entfallen der Absicherung im Krankheitsfall führen und daher unverhältnismäßig sein könne. Dieser Zweckrichtung werde die vorliegend vorgenommene Aufteilung gerecht. Im Zeitpunkt der Auszahlung des Einkommens offene Schulden seien nicht vom Einkommen abzusetzen. Einkommen sei zunächst zur Sicherung des Lebensunterhalts der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft einzusetzen. Das erzielte Einkommen sei allerdings vorliegend noch nach § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB II in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-V um die sog. Versicherungspauschale in Höhe von 30,00 EUR monatlich zu bereinigen. Insoweit sei Einkommen in geringerer Höhe als von dem Beklagten angenommen zu berücksichtigen. Die Aufhebungsentscheidung sei im Zeitraum von Oktober bis Dezember daher in Höhe von insgesamt 90,00 EUR aufzuheben.

Gegen den der Klägerin am 7. Oktober 2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat sie am 20. Oktober 2009 Berufung eingelegt. Sie führt aus, die Steuererstattung sei Schonvermögen und nicht als Einkommen anzurechnen.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 30. September 2009 sowie die Bescheide vom 3. März 2008 und vom 8. Mai 2008 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts für zutreffend.

Dem Gericht haben neben der Gerichtsakte auch die Verwaltungsvorgänge des Beklagten sowie die Verfahrensakten L 5 AS 112/09 vorgelegen. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Für weitere Einzelheiten zum Sachverhalt wird hierauf Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist statthaft (§§ 143,144 SGG) und auch im Übrigen zulässig; insbesondere ist sie frist- und formgerecht erhoben.

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Die angefochtenen Bescheide in der vom Sozialgericht vorgenommenen Änderung sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Leistungsbewilligungen in dem hier streitgegenständlichen Zeitraum ist § 48 SGB X in Verbindung mit § 40 Abs. 1 Sätze 1 und 2 Nr. 1 SGB II in Verbindung mit § 330 Abs. 3 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch – SGB III – sowohl bezüglich der am 10. Oktober 2007 an die Klägerin geleisteten Steuerrückzahlung in Höhe von 772,12 Euro als auch hinsichtlich der am 14. November 2007 an die Klägerin überwiesenen Steuererstattung in Höhe von 1.720,73 Euro. Denn § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, 1. Alternative SGB X erfasst auch die Änderungen in den Verhältnissen, die zwischen Antragstellung und Erlass des Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung eintreten. Danach soll nämlich der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Liegen die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X vor, ist dieser mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, vgl. § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III, § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II.

Die Aufhebungsvoraussetzungen liegen vor. Die Klägerin hat nach Antragstellung am 1. Oktober 2007 zunächst am 10. Oktober 2007 eine leistungsschädliche Steuerrückzahlung für das Jahr 2005 erhalten; später – am 14. November 2007 – erhielt sie eine weitere Steuerrückzahlung für das Jahr 2004.

Leistungen nach dem SGB II werden nur insoweit erbracht, wie Hilfebedürftigkeit besteht. Soweit Einkommen erzielt wird und dieses zu berücksichtigen ist, verringern sich die Leistungen (§ 9 SGB II); die Leistungsbewilligung erfährt dadurch eine rechtsrelevante Änderung. Zutreffend hat das Sozialgericht die Steuererstattungen an die Klägerin als Einkommen bewertet. Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 SGB II ist grundsätzlich alles das, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält, und Vermögen das, was er vor Antragstellung bereits hatte. Dabei ist vom tatsächlichen Zufluss auszugehen, es sei denn, rechtlich wird ein anderer Zufluss als maßgeblich bestimmt (BSG, Urteil vom 30.9.2008, B 4 AS 29/07 R). Insbesondere handelt es sich bei der Einkommensteuer-erstattung nicht um Schonvermögen, wie die Klägerin meint. Bereits begrifflich liegt kein Vermögen im Sinne des § 12 SGB II vor. Dass es sich bei der Steuererstattung um Einkommen und nicht um Vermögen handelt, ist ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG, Urteil vom 13.5.2009, B 4 AS 49/08 R; BSG, Urteil vom 16.12.2008, B 4 AS 48/07 R; BSG, Urteil vom 30.9.2008, s.o.; BSG, Urteil vom 30.7.2008, B 14/7b AS 12/07 R). Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich auch, dass die Klägerin – wie im Parallelverfahren L 5 AS 112/09 geschehen – gegen die Anrechnung der Einkommenssteuerrückerstattung nicht einwenden kann, sie habe immer sehr hohe Steuern gezahlt und durch die verspätete Erstattung des Jahressteuerausgleichs komme die Anrechnung einer Enteignung gleich, denn sie sei an einer Vermögensbildung durch ihre DDR-Vergangenheit und als alleinerziehende Mutter gehindert gewesen. Bereits im Urteil vom 13. Mai 2009 hat das Bundessozialgericht (Az.: B 4 AS 49/08 R) entschieden, dass die Steuererstattung nicht zu den bereits erlangten Einkünften gehöre, mit denen Vermögen angespart werde. Die zu hoch entrichtete Steuer habe der Steuerpflichtige nicht freiwillig angespart. Die Steuererstattung diene auch nicht dem Vermögensaufbau. Es fehle bereits an einer dafür typischen Verzinsung. Auch das Schicksal der Forderung sei nicht entscheidend, um von der Maßgeblichkeit des tatsächlichen Zuflusses als Differenzierungskriterium zwischen Einkommen und Vermögen abzuweichen. Dieses gebiete auch nicht der Umstand, dass es sich bei der Steuererstattung um einen Geldzufluss handele, dessen zugrunde liegende Forderung zu einem früheren Zeitpunkt fällig geworden wäre, wenn der Erstattungsberechtigte eine andere steuerliche Disposition getroffen hätte.

Das Bundesverfassungsgericht hat diese Rechtsprechung jüngst bestätigt (Nichtannahmebeschluss vom 8.11.2011 – 1 BvR 2007/11) und ausgeführt, dass die Anrechnung einer Einkommensteuererstattung das Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 Grundgesetz – GG – unberührt lasse. Denn damit werde nicht der Steuererstattungsanspruch verkürzt, sondern vielmehr der Sozialleistungsanspruch, der aber bei steuerfinanzierten Fürsorgeleistungen wie denen nach dem SGB II nicht unter dem Schutz der Eigentumsgarantie stehe.

Steht damit die Anrechnungsfähigkeit der Steuerrückerstattungen fest, ist auch die Berechnung des Sozialgerichts im Einzelnen nicht zu beanstanden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision ist nicht nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen. Es liegen keine die Zulassung der Revision rechtfertigenden Gründe im Sinne des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG vor. Weder ist der Sache grundsätzliche Bedeutung beizumessen noch beruht die Entscheidung des Senats auf einer Abweichung von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts.
Rechtskraft
Aus
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