Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 142/11
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 71/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Maßgeblich sind die Richtgrößen des Vorjahres, wenn ein Ausnahmefall für die rückwirkende Geltung nicht ersichtlich ist (vgl. BSG, Urt. v. 23.03.2011 - B 6 KA 9/10 R - juris Rdnr. 24 ff. m.w.N.). Sind nachträglich vereinbarte Richtgrößen (hier: für 2006) für den Vertragsarzt günstiger, sind diese maßgeblich.
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Gerichtskosten und die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu tragen. Weitere Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Festsetzung eines Regresses in Höhe von 7.545,28 EUR brutto bzw. 6.368,21 EUR netto im Rahmen einer Arznei-Richtgrößenprüfung für das Jahr 2006.
Der Kläger war als Facharzt für Chirurgie seit 1992 bis zum 31.10.2009 zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen. Vom 01.07. bis 31.12.2001 ruhte die Zulassung.
In den streitbefangenen Quartalen ergaben sich folgende Abrechnungswerte des Klägers im Vergleich mit seiner Fachgruppe der Fachärzte für Chirurgie:
Quartal I/06 II/06 III/06 IV/06
Anzahl Praxen/Ärzte 192/278 189/278 183/280 180/274
Fallzahl Kl 512 487 515 390
Fallzahl VG 962 986 1.017 986
Fallzahl M/F Kl 376 367 397 293
Fallzahl R Kl 136 120 118 97
Rentneranteil in % Kl 27 25 23 25
VG 30 30 29 30
Gesamtfallwert in EUR Kl 94,19 85,13 89,29 83,91
VG 103,26 94,74 92,56 96,99
Abweichung in % - 9 - 10 -4 - 13
Die Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen Hessen teilte dem Kläger unter Datum vom 17.06.2008 die Eröffnung eines Verfahrens wegen der Jahres-Richtgrößenprüfung Arzneimittel 2006 mit. Es liege eine Überschreitung der Richtgröße von 97% vor. Ohne weitere Substantiierung seitens des Klägers verbleibe eine gesetzlich festzusetzende Schadensersatzpflicht von 7.545,28 EUR.
Der Kläger teilte unter Datum vom 11.08.2008 mit, wie bereits im Jahr 2005 beruhten die Besonderheiten vorwiegend auf der hohen Anzahl von postoperativen Patienten. Den Anteil der Patienten, die mit Medikamenten aus anderen Fachgebieten von ihm versorgt würden, habe er im Anhang mit Krankengeschichte und Hintergründen erläutert. Im Vergleich zum Jahre 2005 habe er schon erheblich auf dem Rücken seiner Patienten eingespart. Er bitte dies zu berücksichtigen. Beigefügt war eine "Auflistung Massivkosten intensiver Patienten" mit sechs Patientennamen unter Angabe der Krankengeschichte, der Diagnose und der Verordnungen.
Die Prüfungsstelle setzte mit Bescheid vom 08.12.2008 die strittige Schadensersatzpflicht in Höhe von 7.545,28 EUR brutto bzw. 6.368,21 EUR netto fest. Zur Begründung führte sie aus, auf der Basis der vermittelten Verordnungsdaten habe sich für die Praxis des Klägers ein Volumen der Richtgröße in Höhe von 10.466,02 EUR ergeben. Diese Richtgröße habe der Kläger mit seinen Verordnungen im Jahr 2006 um 10.161,78 EUR, entsprechend +97% überschritten. Er habe den Mehraufwand festzusetzen gehabt, welcher größer als 25% der Richtgrößensumme entspreche, soweit keine Praxisbesonderheiten der Praxisstruktur, des Praxisklientels und/oder der Therapie festzustellen sei. In einer Vorabprüfung seien Praxisbesonderheiten nicht festzustellen gewesen. Die Vertragspartner hätten in Ergänzung zur Prüfvereinbarung vom 19.08.2004 eine Richtgrößenvereinbarung (RGV) als Anlage 4/II zur Prüfvereinbarung geschlossen. In der dortigen Anlage 2 vom 20.10.2006 sei eine Reihe von Erkrankungsbildern definiert, aus denen sich ein Mehrbedarf im Sinne einer Praxisbesonderheit in der Arzneiverordnungsweise ergeben könnte. Diesen habe die Beigeladene zu 1) die sog. Pseudoziffern 98501 bis 98519 EBM 2005 als Kennzeichnung vergeben. Zur Feststellung einer Praxisbesonderheit bedürfe es gegenüber der Fachgruppe eines erhöhten Ansatzes dieser Ziffern. Dies gelte insbesondere für fachgruppentypische Leistungen, denn grundsätzlich seien Praxisbesonderheiten definiert einerseits als fachgruppenuntypische Leistungen und/oder Leistungen, weswegen der einzelne Arzt in besonderem Maße aufgesucht werde. Darüber hinaus habe die Prüfungsstelle weitere Leistungen bzw. Leistungsansätze anerkannt, welche für sie ein Spiegelbild möglicher zwingender und erforderlicher Mehrverordnungen darstelle. Sie sei an die Empfehlungen der Vertragsparteien nicht gebunden. Zur Gegenprüfung der vom Kläger dargestellten Fälle habe sie sich der Honorarunterlagen über das von der Beigeladenen zu 1) zur Verfügung gestellte KV-NET bedient, indem auch die auf den jeweiligen Fall anfallenden Medikamente aufgeführt seien. Des Weiteren sei die Arzneimitteldatenbank der Spitzenverbände der Krankenkasse, die sogenannte GAMSI-Daten der Betrachtung unterlegt worden. Anhand der Frequenzstatistik sei festzustellen, dass der Kläger ambulante Operationen durchführe. Allerdings sei ein Mehr gegenüber der Fachgruppe nur bzgl. der Nr. 31101 festzustellen. Mit sechs Ansätzen je 100 Fällen gegenüber einem Ansatz der Fachgruppe. Die weiteren Leistungsziffern für ambulantes Operieren befänden sich auf dem Schnitt der Fachgruppe. Für die vom Kläger angeführten sechs Behandlungsfälle seien Verordnungskosten in Höhe von 1.118,56 EUR ermittelt worden. Vorsorglich Meldungen kostenintensiver Fälle lägen für das Jahr 2006 nicht vor. Kennziffern für Praxisbesonderheiten hätten nicht festgestellt werden können. Der Anzahl der Verordnung von Generika-Präparaten liege unter der Fachgruppe (50,2%/66,8%). Der Bruttoumsatz der DDD liege jedoch mit 0,67 EUR niedriger als der der Fachgruppe (0,83 EUR). Auffällig sei, dass Dolgit/Dolgit Schmerz auf Rang 3 der verordnungsstärksten Arzneimittel stehe im Gegensatz zu Rang 290 der Fachgruppe. Bei Dolgit Dragees (Wirkstoff Ibuprofen) handele es sich um ein verschreibungspflichtiges Medikament, auch in der Wirkstoffstärke von 200mg sei es verschreibungspflichtig. Ibuprofen in der Wirkstoffstärke von 200mg sei aber für Patienten frei in der Apotheke käuflich. Aus AMIS habe man entnehmen können, dass Dolgit in der Stärke von 800mg verordnet worden sei. Auch das apothekenpflichtige Medikament Contractubex, ein Präparat für Hypertrophie, keloidförmige Bewegungseinschränkungen und optisch störende Narben, Kontrakturen, Narbenschrumpfungen sei beim Kläger auf Rang 15 der verordnungsstärksten Arzneimittelspezialitäten, bei der Fachgruppe auf Rang 278. Insgesamt lasse sich entnehmen, dass der Kläger Arzneimittel verordne, die nicht seinem Fachgebiet entsprächen. FSME-Impfstoff, Magen-Darm-Mittel, Antiasthmatika, Urologika, Schilddrüsentherapeutika und Gichtmitteln fielen unter den 30 verordnungsstärksten Arzneimittelspezialitäten auf. Die Verordnungshoheit für diese Medikamentengruppen lägen bei anderen Fachgruppen. Bereits bei der Richtgrößenprüfung im Jahr 2005 sei aufgefallen, dass viele Patienten aus dem hausärztlichen sowie fachfremden Bereich versorgt worden seien. Es seien teure Originalpräparate sowie Medikamente, die in den privatärztlichen Bereich fielen, verordnet worden. Er halte daher daran fest, den sich ergebenden Mehrbedarf als Schadensersatzpflichtbetrag festzustellen, soweit dieser 25% überschreite. Der Nettobetrag errechne sich aus einem Abzug von 15,60% aufgrund der Patientenzuzahlungen sowie den Rabattzahlungen unter Anwendung eines durch die GAMSI-Daten belegten Pauschalsatzes.
Hiergegen legte der Kläger am 15.12.2008 Widerspruch ein. Er trug vor, der Bescheid sei nicht unterschrieben worden. Seine Arzthelferin habe keine Ahnung von den Pseudoziffern 98501 bis 98519 gehabt. Die Ziffern 98517 – Behandlung von Schmerzpatienten – hätte er in großer Anzahl absetzen können. Dolgit 800 sei seit Jahren sein meistverordnetes Schmerzmittel für die postoperative Phase als auch bei Schmerzpatienten z. B. mit Bandscheibenvorfällen. Ibuprofen 200 reiche leider gegen gewisse Schmerzen nicht aus. Er behandle tatsächlich viele Patienten mit Narbenbeschwerden wie Kontrakturen oder Keloidbildungen. Und hier habe er die Verbindung von Contractubex und Laser im Jahr 2006 erfolgreich getestet. Seit 2007 stehe diese Behandlungsart unter seinen Igel-Leistungen und die Patienten müssten für die Kosten alleine aufkommen. Zum FSME-Wirkstoff führt er aus, alle umliegenden Hausärzte überwiesen ihm jährlich unzählige Patienten zur chirurgischen Zeckenentfernung und logischerweise Überprüfung des Impfstatus und evtl. Ergänzung. Die Magen-Darm-Mittel seien absolut notwendig bei der Verordnung von Antiphlogistika zum Magenschutz. Dies gelte nur für Patienten mit ihm bekannten Magen-Darm-Beschwerden. Auch Gichtpatienten würden zur Diagnosefindung und erste Einleitung therapeutischer Maßnahmen ihm vom Hausarzt überwiesen werden. Diese Patienten erhielten eine Erstverordnung nach Diagnosefindung und würden dann wieder zum Hausarzt weitergeleitet werden. Alle anderen fachfremden Präparate würden in Vertretung verordnet werden. Es gelte auch das Recht auf freie Arztwahl. So habe er eine inzwischen verstorbene Patientin mit enormer Krankheitsgeschichte behandelt. Diese Frau habe zu ihm Vertrauen gehabt. Die gesamte Familie sehe ihn als ihren Hausarzt an.
Der Beklagte wies mit Bescheid vom 26.01.2011 aufgrund des Beschlusses vom 01.09.2010, dem Kläger am 27.01.2011, zugestellt, den Widerspruch mit der Maßgabe zurück, dass für das Jahr 2006 ein Netto-Regressbetrag in Höhe von 6.368,21 EUR festgesetzt wird. Zur Begründung führt er aus, die von der Prüfungsstelle festgestellten vermehrten ambulanten Operationen hätten keinen Einfluss auf die getätigten Verordnungen. In den streitbefangenen Quartalen habe der Kläger 81, 74, 96 und 62 postoperative Behandlungen durchgeführt. Die geringere Fallzahl sei nicht ausschlaggebend für die hohe Abweichung. Der Kläger habe Medikamente verordnet, die nicht seinem Fachgebiet entsprächen wie z. B. Magen-Darm-Mittel, Antihistaminika, Urologika, Schilddrüsentherapeutika, Gichtmittel, Antihypertonika. Als abzugsfähige Praxisbesonderheiten seien diese Verordnungen indessen nicht gesondert berücksichtigungsfähig. Es habe daher bei dem Ergebnis der Prüfungsstelle verbleiben müssen. Eine allgemeine Bewertung des Verordnungsverhaltens des Klägers bestätige dieses Ergebnis. Bereits in der willkürlichen Prüfung 2005 sei aufgefallen, dass viele Patienten aus dem hausärztlichen Bereich versorgt worden seien. Es sei nicht nur fachfremde Verordnungen getätigt worden, sondern häufig teure Originalpräparate rezeptiert worden. Bereits die Prüfungsstelle habe festgestellt, dass die Verordnungen von Generika mit 50,2% sehr deutlich unter dem Fachgruppendurchschnitt mit 66,8% lägen, wobei aber weniger Reimporte verordnet würden (18,9% zu 19,7% der Fachgruppe). Der Kläger weiche in dem Bereich der Indikationsgruppe der Analgetika/Antirheumatika (die 36,6% des Bruttoumsatzes ausmache) mit dem verordneten definierten Tagesdosen (DDD – daily defined dosis) mit einem Bruttoumsatz von 1,28 EUR von der Fachgruppe mit 1,03 EUR ab. Lediglich bei einigen wenigen am Bruttoumsatz eher untergewichtigen Indikationsgruppen sei insoweit eine Abweichung nach unten feststellbar. Die definierten Tagesdosen seien ein zumindest achtenswerter Indikator bei der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise. Im Falle des Klägers bestätige dieser Indikator das zuvor durch die Statistik gefundene Ergebnis.
Hiergegen hat der Kläger am 17.02.2011 die Klage erhoben. Er trägt vor, wesentlich sei der Aspekt der Schmerzbehandlung. Der Beklagte habe einen hohen Anteil postoperativer Behandlungen festgestellt. Er stütze dies auf Ziffer 31101, lasse jedoch die postoperativen Behandlungen nach den Ziffern 31602 sowie 31502 und 31609 völlig unberücksichtigt. Auch hier lägen wesentlich höhere Fallzahlen vor. Es werde dann die falsche Schlussfolgerung gezogen, dass die häufigen postoperativen Behandlungen keinen Einfluss auf die getätigten Verordnungen hätten. Bereits im Heilmittelverfahren für die Quartale II bis IV/02 sei wegen der postoperativen Behandlungen eine Restüberschreitung von 200% zugestanden worden. Gerade im Rahmen der postoperativen Behandlung falle naturgemäß ein erhöhtes Verordnungsvolumen für Schmerzmedikamente an. Unter den ersten zehn verordnungsstärksten Arzneimitteln in seiner Praxis seien alleine die ersten sechs Ränge mit Analgetika belegt. Im Vergleich zur Fachgruppe sei sein Anteil Analgetika doppelt so hoch. Mehr als 1/3 der Verordnungen würden im Bereich der Analgetika aufgebracht werden. Die Verordnung von Dolgit 800mg sei medizinisch notwendig gewesen, da Ibuprofen mit Wirkstoffmenge 200mg nicht ausreichend gewesen sei. Er habe bereits darauf hingewiesen, dass die Pseudoziffer 98517, Grundlage für die Anerkennung einer Praxisbesonderheit der Schmerztherapie, ihm im Jahr 2006 nicht bekannt gewesen sei. Er sei auch weiterhin der Auffassung, dass er die nicht seinem Fachgebiet entsprechenden Medikamente und die Magen-Darm-Mittel aus dem bereits im Verwaltungsverfahren genannten Gründen habe verordnen dürfen. Mehr als jeder vierte Patient komme auf Überweisung eines Allgemeinmediziners.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Bescheids des Beklagten vom 26.01.2011 den Beklagten zu verpflichten, ihn über seinen Widerspruch unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er trägt vor, aus den erhöhten Tagesdosen bei der Schmerzmittelverordnung ergebe sich, dass der Kläger im Vergleich zur Fachgruppe unwirtschaftlich verordne. Dies zeige auch die unterschiedliche Rangstelle bzgl. des Medikaments Dolgit/Schmerz Dolgit. Der Kläger habe keine Genehmigung nach der Schmerztherapievereinbarung, so dass bei Angabe der Pseudoziffer 98517 der Leistungsinhalt nicht erfüllt gewesen wäre. Der Kläger habe im Verwaltungsverfahren nicht substantiiert dargelegt, dass er eine überdurchschnittliche Anzahl an Schmerzpatienten behandelt habe. Aus der Abrechnungsfrequenz der Ziffer 31609 "postoperative Behandlung" oder der Ziffer 31502 "postoperative Überwachung" könne nicht auf eine überdurchschnittliche Anzahl von Schmerzpatienten geschlossen werden. Er habe kein von der Fachgruppe abweichendes Patientenklientel feststellen können. Der Kläger habe häufig kostenintensive Originalpräparate verordnet. Die Liste mit sechs Patienten, die unter anderem mit den Medikamenten anderer Fachgebiete versorgt worden seien, seien nicht geeignet, eine Praxisbesonderheit darzustellen. Der Hinweis auf die Heilmittelprüfung für Quartale des Jahres 2002 sei nicht maßgeblich, da es sich um unterschiedliche Zeiträume und Prüfverfahren handle. Der Kläger liege mit seinem Bruttoumsatz bei Magen-Darm-Mittel von 548,44 EUR und einem Anteil am Bruttoumsatz von 2,3% unter dem Anteil am Bruttoumsatz von 5,3% der Fachgruppe. Der FSME-Wirkstoff sei als Impfstoff nicht in das Verordnungsvolumen eingeflossen. Könne bei einem Datenabgleich ein Rezept nicht einem Behandlungsschein zugeordnet werden, so handle es sich um einen "Nicht-Treffer". Diese werden auf den Datenträgern nicht abgebildet. Für den Kläger seien 111 "Nicht-Treffer" ermittelt worden. Es bestehe die Möglichkeit, dass seitens der Krankenkassen eine Datennachlieferung erfolge. Sie füge als Anlage eine Übersicht der KV.net-Daten der streitbefangenen Quartale bei, aus denen das Verhältnis von "Anzahl" zu "Treffern" zu entnehmen sei. Ferner übersende sie einen Datenträger mit allen Verordnungen, unterteilt nach den Quartalen I bis IV/06 einschließlich der Zusammenfassung des Brutto- und Nettoverordnungsvolumens, der Zuzahlungen, dem Verhältnis von "Anzahl" und "Treffern" und eine Filterung der Heilmittel (Steuerungsgruppe 6), Hilfsmittel (Steuerungsgruppe 7), Impfstoffe (Steuerungsgruppe 8) und des Sprechstundenbedarfs (Steuerungsgruppe 9). Im Übrigen verweise sie auf ihre Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer hat in der Besetzung mit je einem Vertreter der Vertragsärzte und Psychotherapeuten sowie der Krankenkassen verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit des Vertragsarztrechts handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Sie konnte dies trotz des Ausbleibens eines Vertreters der Beigeladenen zu 1) bis 8) tun, weil diese ordnungsgemäß geladen und auf diese Möglichkeit hingewiesen worden sind (§ 110 Abs. 1 SGG).
Die Klage ist zulässig, denn sie sind insbesondere form- und fristgerecht bei dem zuständigen Sozialgericht erhoben worden.
Die Klage ist aber unbegründet. Der angefochtene Bescheid vom 26.01.2011 ist rechtmäßig. Er war daher nicht aufzuheben. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen den Beklagten darauf, ihn über seinen Widerspruch unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Gegenstand des Verfahrens ist nur der Bescheid des Beklagten, nicht auch der des Prüfungsausschusses. In Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung beschränkt sich die gerichtliche Kontrolle auf die das Verwaltungsverfahren abschließende Entscheidung des Beschwerdeausschusses. Dieser wird mit seiner Anrufung für das weitere Prüfverfahren ausschließlich und endgültig zuständig. Sein Bescheid ersetzt den ursprünglichen Verwaltungsakt des Prüfungsausschusses, der abweichend von § 95 SGG im Fall der Klageerhebung nicht Gegenstand des Gerichtsverfahrens wird. Eine dennoch gegen diesen Bescheid erhobene Klage ist unzulässig (vgl. BSG, Urt. v. 19.06.1996 - 6 RKa 40/95 - SozR 3-2500 § 106 Nr. 35 = NZS 1997, 135 = USK 96134, zitiert nach juris Rdnr. 12; BSG, Urt. v. 28.06.2000 - B 6 KA 36/98 R - USK 2000-165, juris Rdnr. 14). Sofern der Bescheid des Beklagten rechtswidrig ist, ist nur er, nicht dagegen auch ein ihm vorausgegangener - ebenfalls rechtswidriger - Bescheid des Prüfungsausschusses aufzuheben. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn der Beschwerdeausschuss etwa aus formalen Gründen gehalten wäre, den angefochtenen Bescheid des Prüfungsausschusses aufzuheben, z. B. weil eine Zuständigkeit der Prüforgane nicht gegeben war oder der für die Einleitung des Prüfverfahrens erforderliche Prüfantrag fehlte. Dies beruht auf dem Umstand, dass beide Ausschüsse rechtlich verselbständigte Gremien sind, denen kraft Gesetzes die Befugnis zusteht, im Einzelfall den Umfang der zu vergütenden ärztlichen Leistungen zu bestimmen und insofern ergänzend den Honoraranspruch des Arztes bzw. den Regress rechtsgestaltend festzulegen. Ihre Entscheidungen sind nicht einem anderen Rechtsträger, sondern ihnen selbst zuzurechnen. Diese sozialrechtliche Besonderheit beruht darauf, dass die Ausschüsse Einrichtungen der gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen sind und damit von verschiedenen Rechtsträgern getragen werden (s. § 106 Abs. 4 Satz 1 SGB V). Als Konsequenz dieser organisatorischen Verselbständigung hat das SGG den Prüfungs- und den Beschwerdeausschüssen die Beteiligtenfähigkeit zuerkannt (§ 70 Nr. 4 i. V. m. § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG) und ihnen damit zugleich im Rahmen ihrer Sachkompetenz die Prozessführungsbefugnis eingeräumt (vgl. BSG, Urt. v. 09.03.1994 6 RKa 5/92 - SozR 3-2500 § 106 Nr. 22 = BSGE 74, 59 = MedR 1995, 248 = USK 94119, juris Rdnr. 16 f. m. w. N.).
Rechtsgrundlage für die Entscheidung des Beklagten, den Kläger auf Grund seiner Arzneiverordnungen wegen Überschreitung der Richtgrößen in Regress zu nehmen, ist § 84 Abs. 6 i.V.m. § 106 Abs. 2 Nr. 1 u. Abs. 5a Satz 1 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V in der vom 01.01.2004 bis 07.11.2006 gültigen Fassung des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung vom 14.11.2003 und in den hier maßgeblichen Vorschriften auch unverändert für das gesamte Jahr 2006).
Danach wird die Wirtschaftlichkeit der Versorgung geprüft durch arztbezogene Prüfung ärztlich verordneter Leistungen bei Überschreitung der Richtgrößenvolumina nach § 84 (Auffälligkeitsprüfung) (§106 Abs. 2 Nr. 1 SGB V).
Nach § 84 Abs. 6 SGB V vereinbaren die Gesamtvertragspartner - die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen und die Kassenärztliche Vereinigung (§ 84 Abs. 1 SGB V), in der Fassung des ab 01.05.2006 geltenden Gesetzes zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung (Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz - AVWG) v. 26.04.2006, BGBl. I 984 hat dies bis zum 15. November für das jeweils folgende Kalenderjahr zu geschehen, was für das Jahr 2006 ohne Bedeutung ist - zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung für das auf das Kalenderjahr bezogene Volumen der je Arzt verordneten Arznei- und Verbandmittel (Richtgrößenvolumen) arztgruppenspezifische fallbezogene Richtgrößen als Durchschnittswerte unter Berücksichtigung der nach Abs. 1 getroffenen Arzneimittelvereinbarung (Satz 1). Zusätzlich sollen die Vertragspartner die Richtgrößen nach altersgemäß gegliederten Patientengruppen und darüber hinaus auch nach Krankheitsarten bestimmen (Satz 2). Die Richtgrößen leiten den Vertragsarzt bei seinen Entscheidungen über die Verordnung von Arzneimitteln nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot (Satz 3). Die Überschreitung des Richtgrößenvolumens löst eine Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 Abs. 5a SGB V unter den dort genannten Voraussetzungen aus (Satz 4).
Nach § 106 Abs. 5a Satz 3 SGB V hat der Vertragsarzt bei einer Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 v.H. nach Feststellung durch den Prüfungsausschuss den sich daraus ergebenden Mehraufwand den Krankenkassen zu erstatten, soweit dieser nicht durch Praxisbesonderheiten begründet ist. Die Vertragspartner bestimmen in Vereinbarungen nach Abs. 3 die Maßstäbe zur Prüfung der Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten (§ 106 Abs. 5a Satz 5 SGB V).
Auf dieser Grundlage hat zunächst das Landesschiedsamt Ärzte in Hessen mit Beschluss vom 24.06.2004 über die Arzneimittelvereinbarung nach § 84 Abs. 1 SGB V sowie Richtgrößen-Vereinbarung für Arzneimittel nach § 84 Abs. 6 SGB V für die Jahre 2003 und 2004 zwischen den Verbänden der Krankenkassen in Hessen und der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen entschieden, veröffentlicht durch Sonderrundschreiben der Beigeladenen zu 1) vom Juli 2004. Nach Nr. 2 des Beschlusses findet für das Jahr 2003 gegenüber dem Jahr 2002 keine Veränderung statt. Nach Nr. 4 vereinbarten die Vertragspartner die arztgruppenspezifischen fallbezogenen Richtgrößen für das Jahr 2004 unter Zugrundelegung des Arzneimittelvolumens nach Ziffer 3. Wird diese Vereinbarung nicht bis zum 31.07.2004 getroffen, treten an ihre Stelle die unter Berücksichtigung des Arzneimittelvolumens nach Ziffer 3 fortgeschriebenen Beträge nach Anlage 8 zum Antrag 8 der Antragstellerin vom 24.03.2004 (Spalten 5 und 6). Die KV Hessen hat die durch die Richtgrößen betroffenen Ärzte und Einrichtungen über die ab 01.08.2004 verbindlichen Regelungen unverzüglich zu unterrichten. Die ab 01.08.2004 geltenden Richtgrößen wurden im selben Rundschreiben veröffentlicht. Danach betragen die Richtgrößen für die Verordnung von Arznei- und Verbandmitteln für Chirurgen 3,21 EUR für Mitglieder/Familienangehörige und 5,64 EUR für Rentner. Die Vertragsparteien haben dann am 20.10.2006 als Anlage 4/II zur Prüfvereinbarung gem. § 106 Abs. 3 SGB V vom 19. August 2004 für die Zeit vom 01.01.2005 bis 31.12.2005 eine Vereinbarung über die Festsetzung von Richtgrößen und die Prüfung der Wirtschaftlichkeit bei Überschreitung der Richtgrößen gemäß §§ 84 Abs. 6, 106 SGB V (Richtgrößen-Vereinbarung Arznei- und Verbandmittel 2005) getroffen. Danach betragen die Richtgrößen für die Verordnung von Arznei- und Verbandmitteln für Chirurgen 4,50 EUR für Mitglieder/Familienangehörige und 6,96 EUR für Rentner. Aufgrund des Schiedsspruches für die vertragsärztliche Versorgung in Hessen vom 21.08.2006 wurden mit Rundschreiben der Beigeladenen zu 1), veröffentlicht in info.doc Nr. 6 vom Oktober 2006, Seite 16, die "Richtgrößen für Arzneimittel 2006" veröffentlicht. Danach betragen die Richtgrößen für die Verordnung von Arznei- und Verbandmitteln für Chirurgen 4,73 EUR für Mitglieder/Familienangehörige und 7,83 EUR für Rentner.
Maßgeblich sind hier daher die Richtgrößen des Vorjahres, soweit sie für den Kläger günstiger sind, da ein Ausnahmefall für die rückwirkende Geltung nicht ersichtlich ist (vgl. BSG, Urt. v. 23.03.2011 - B 6 KA 9/10 R - juris Rdnr. 24 ff. m.w.N.). Für den Kläger als Chirurgen sind aber am günstigsten die im Oktober 2006 veröffentlichten Richtgrößen mit 4,73 EUR für Mitglieder/Familienangehörige und 7,83 EUR für Rentner, wovon auch der Beklagte bei Berechnung des Richtgrößenvolumens ausgegangen ist, was er auf Anfrage des Gerichts in der Anlage zum Schriftsatz vom 01.11.2011 dargelegt hat.
Zutreffend geht der Beklagte davon aus, dass der gesetzlichen Konzeption nach §§ 106 Abs. 2c, 296 Abs. 2 SGB V für Richtgrößen- und Durchschnittswertprüfungen das einheitlich ausgestaltete Modell einer elektronischen Erfassung, Übermittlung und arztbezogenen Zusammenfassung der veranlassten Verordnungskosten zu Grunde liegt. Den auf diese Weise für den einzelnen Vertragsarzt erfassten Verordnungsdaten kommt die Vermutung ihrer Richtigkeit zu; sie begründen den Anscheinsbeweis für das Volumen der von ihm veranlassten Verordnungskosten. Durchschnittswert- und Richtgrößenprüfungen der Wirtschaftlichkeit von Arzneiverordnungen sind auf der Grundlage der von den Krankenkassen und den KVen ohne Versichertenbezug gemäß § 296 SGB V übermittelten elektronischen Daten und nicht auf der Grundlage von Originalbelegen durchzuführen (vgl. BSG, Urt. v. 23.03.2011 - B 6 KA 9/10 R - juris Rdnr. 34 m.w.N.). Der Kläger hat die Richtigkeit der Daten nicht beanstandet. Auch der Kammer sind keine Gründe ersichtlich, von der Unrichtigkeit der Daten auszugehen.
Ausgehend von den maßgeblichen Prüfvereinbarungen hat der Beklagte die Berechnung der Prüfungsstelle für richtig befunden, die von einer Überschreitung der Richtgröße von 10.466,02 EUR um + 97 % ausgegangen ist. Auch der Beklagte hat insoweit in nicht zu beanstandender Weise keine Praxisbesonderheiten festgestellt.
Als Praxisbesonderheiten des geprüften Arztes kommen nur solche Umstände in Betracht, die sich auf das Behandlungs- oder Verordnungsverhalten des Arztes auswirken und in den Praxen der Vergleichsgruppe typischerweise nicht oder nicht in derselben Häufigkeit anzutreffen sind. Für die Anerkennung einer Praxisbesonderheit ist es deshalb nicht ausreichend, dass bestimmte Leistungen in der Praxis eines Arztes erbracht werden. Vielmehr muss substantiiert dargetan werden, inwiefern sich die Praxis gerade in Bezug auf diese Merkmale von den anderen Praxen der Fachgruppe unterscheidet (vgl. BSG, Urt. v. 21.06.1995 - 6 RKa 35/94 - SozR 3-2500 § 106 Nr. 27 = USK 9588 = NZS 1996, 583, juris Rdnr. 16). Die betroffene Praxis muss sich nach der Zusammensetzung der Patienten und hinsichtlich der schwerpunktmäßig zu behandelnden Gesundheitsstörungen vom typischen Zuschnitt einer Praxis der Vergleichsgruppe unterscheiden, und diese Abweichung muss sich gerade auf die überdurchschnittlich häufig erbrachten Leistungen auswirken (vgl. BSG, Urt. v. 23.02.2005 - B 6 KA 79/03 R - USK 2005-108, juris Rdnr. 20). Ein bestimmter Patientenzuschnitt kann z. B. durch eine spezifische Qualifikation des Arztes, etwa aufgrund einer Zusatzbezeichnung bedingt sein kann (vgl. BSG, Urt. v. 06.09.2000 B 6 KA 24/99 R - SozR 3-2500 § 106 Nr. 50 = USK 2000-171, juris Rdnr. 18). Es muss sich um Besonderheiten bei der Patientenversorgung handeln, die vom Durchschnitt der Arztgruppe signifikant abweichen und die sich aus einem spezifischen Zuschnitt der Patientenschaft des geprüften Arztes ergeben, der im Regelfall in Wechselbeziehung zu einer besonderen Qualifikation des Arztes steht. Ein Tätigkeitsschwerpunkt allein stellt nicht schon eine Praxisbesonderheit dar (vgl. BSG, Urt. v. 06.05.2009 - B 6 KA 17/08 R SozR 4-2500 § 106 Nr. 23 = USK 2009-35 = Breith 2010, 4 = NZS 2010, 521, juris Rdnr. 27).
Der Kläger hat nicht im Einzelnen dargelegt, wie hoch die Zahl der von ihm versorgten postoperativen Patienten war und weshalb diese in welchem Umfang vermehrt mit Arzneimittel versorgt werden müssten. Gleiches gilt für die von ihm vorgetragene Behandlung von Schmerzpatienten. Auch wird nicht hinreichend deutlich, inwieweit der Kläger die Behandlung von Patienten mit Schmerzen oder von Schmerzpatienten mit chronifizierter Schmerzsymptomatik geltend macht. Der Beklagte weist ferner zutreffend darauf hin, aus den erhöhten Tagesdosen bei der Schmerzmittelverordnung ergebe sich, dass der Kläger im Vergleich zur Fachgruppe unwirtschaftlich verordne. Soweit er z. T. eingeräumt hat, ein Teil seiner Verordnungen würden seien 2007 nur auf Privatrezept erfolgt, räumt er selbst ein, dass die Verordnungen unzulässig waren. Mit der Verordnung von Magen-Darm-Mitteln liegt der Kläger unterhalb der Fachgruppe.
Im Ergebnis war die Klage daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten, da sie keinen Antrag gestellt und sich im Verfahren nicht geäußert haben.
2. Der Kläger hat die Gerichtskosten und die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu tragen. Weitere Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Festsetzung eines Regresses in Höhe von 7.545,28 EUR brutto bzw. 6.368,21 EUR netto im Rahmen einer Arznei-Richtgrößenprüfung für das Jahr 2006.
Der Kläger war als Facharzt für Chirurgie seit 1992 bis zum 31.10.2009 zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen. Vom 01.07. bis 31.12.2001 ruhte die Zulassung.
In den streitbefangenen Quartalen ergaben sich folgende Abrechnungswerte des Klägers im Vergleich mit seiner Fachgruppe der Fachärzte für Chirurgie:
Quartal I/06 II/06 III/06 IV/06
Anzahl Praxen/Ärzte 192/278 189/278 183/280 180/274
Fallzahl Kl 512 487 515 390
Fallzahl VG 962 986 1.017 986
Fallzahl M/F Kl 376 367 397 293
Fallzahl R Kl 136 120 118 97
Rentneranteil in % Kl 27 25 23 25
VG 30 30 29 30
Gesamtfallwert in EUR Kl 94,19 85,13 89,29 83,91
VG 103,26 94,74 92,56 96,99
Abweichung in % - 9 - 10 -4 - 13
Die Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen Hessen teilte dem Kläger unter Datum vom 17.06.2008 die Eröffnung eines Verfahrens wegen der Jahres-Richtgrößenprüfung Arzneimittel 2006 mit. Es liege eine Überschreitung der Richtgröße von 97% vor. Ohne weitere Substantiierung seitens des Klägers verbleibe eine gesetzlich festzusetzende Schadensersatzpflicht von 7.545,28 EUR.
Der Kläger teilte unter Datum vom 11.08.2008 mit, wie bereits im Jahr 2005 beruhten die Besonderheiten vorwiegend auf der hohen Anzahl von postoperativen Patienten. Den Anteil der Patienten, die mit Medikamenten aus anderen Fachgebieten von ihm versorgt würden, habe er im Anhang mit Krankengeschichte und Hintergründen erläutert. Im Vergleich zum Jahre 2005 habe er schon erheblich auf dem Rücken seiner Patienten eingespart. Er bitte dies zu berücksichtigen. Beigefügt war eine "Auflistung Massivkosten intensiver Patienten" mit sechs Patientennamen unter Angabe der Krankengeschichte, der Diagnose und der Verordnungen.
Die Prüfungsstelle setzte mit Bescheid vom 08.12.2008 die strittige Schadensersatzpflicht in Höhe von 7.545,28 EUR brutto bzw. 6.368,21 EUR netto fest. Zur Begründung führte sie aus, auf der Basis der vermittelten Verordnungsdaten habe sich für die Praxis des Klägers ein Volumen der Richtgröße in Höhe von 10.466,02 EUR ergeben. Diese Richtgröße habe der Kläger mit seinen Verordnungen im Jahr 2006 um 10.161,78 EUR, entsprechend +97% überschritten. Er habe den Mehraufwand festzusetzen gehabt, welcher größer als 25% der Richtgrößensumme entspreche, soweit keine Praxisbesonderheiten der Praxisstruktur, des Praxisklientels und/oder der Therapie festzustellen sei. In einer Vorabprüfung seien Praxisbesonderheiten nicht festzustellen gewesen. Die Vertragspartner hätten in Ergänzung zur Prüfvereinbarung vom 19.08.2004 eine Richtgrößenvereinbarung (RGV) als Anlage 4/II zur Prüfvereinbarung geschlossen. In der dortigen Anlage 2 vom 20.10.2006 sei eine Reihe von Erkrankungsbildern definiert, aus denen sich ein Mehrbedarf im Sinne einer Praxisbesonderheit in der Arzneiverordnungsweise ergeben könnte. Diesen habe die Beigeladene zu 1) die sog. Pseudoziffern 98501 bis 98519 EBM 2005 als Kennzeichnung vergeben. Zur Feststellung einer Praxisbesonderheit bedürfe es gegenüber der Fachgruppe eines erhöhten Ansatzes dieser Ziffern. Dies gelte insbesondere für fachgruppentypische Leistungen, denn grundsätzlich seien Praxisbesonderheiten definiert einerseits als fachgruppenuntypische Leistungen und/oder Leistungen, weswegen der einzelne Arzt in besonderem Maße aufgesucht werde. Darüber hinaus habe die Prüfungsstelle weitere Leistungen bzw. Leistungsansätze anerkannt, welche für sie ein Spiegelbild möglicher zwingender und erforderlicher Mehrverordnungen darstelle. Sie sei an die Empfehlungen der Vertragsparteien nicht gebunden. Zur Gegenprüfung der vom Kläger dargestellten Fälle habe sie sich der Honorarunterlagen über das von der Beigeladenen zu 1) zur Verfügung gestellte KV-NET bedient, indem auch die auf den jeweiligen Fall anfallenden Medikamente aufgeführt seien. Des Weiteren sei die Arzneimitteldatenbank der Spitzenverbände der Krankenkasse, die sogenannte GAMSI-Daten der Betrachtung unterlegt worden. Anhand der Frequenzstatistik sei festzustellen, dass der Kläger ambulante Operationen durchführe. Allerdings sei ein Mehr gegenüber der Fachgruppe nur bzgl. der Nr. 31101 festzustellen. Mit sechs Ansätzen je 100 Fällen gegenüber einem Ansatz der Fachgruppe. Die weiteren Leistungsziffern für ambulantes Operieren befänden sich auf dem Schnitt der Fachgruppe. Für die vom Kläger angeführten sechs Behandlungsfälle seien Verordnungskosten in Höhe von 1.118,56 EUR ermittelt worden. Vorsorglich Meldungen kostenintensiver Fälle lägen für das Jahr 2006 nicht vor. Kennziffern für Praxisbesonderheiten hätten nicht festgestellt werden können. Der Anzahl der Verordnung von Generika-Präparaten liege unter der Fachgruppe (50,2%/66,8%). Der Bruttoumsatz der DDD liege jedoch mit 0,67 EUR niedriger als der der Fachgruppe (0,83 EUR). Auffällig sei, dass Dolgit/Dolgit Schmerz auf Rang 3 der verordnungsstärksten Arzneimittel stehe im Gegensatz zu Rang 290 der Fachgruppe. Bei Dolgit Dragees (Wirkstoff Ibuprofen) handele es sich um ein verschreibungspflichtiges Medikament, auch in der Wirkstoffstärke von 200mg sei es verschreibungspflichtig. Ibuprofen in der Wirkstoffstärke von 200mg sei aber für Patienten frei in der Apotheke käuflich. Aus AMIS habe man entnehmen können, dass Dolgit in der Stärke von 800mg verordnet worden sei. Auch das apothekenpflichtige Medikament Contractubex, ein Präparat für Hypertrophie, keloidförmige Bewegungseinschränkungen und optisch störende Narben, Kontrakturen, Narbenschrumpfungen sei beim Kläger auf Rang 15 der verordnungsstärksten Arzneimittelspezialitäten, bei der Fachgruppe auf Rang 278. Insgesamt lasse sich entnehmen, dass der Kläger Arzneimittel verordne, die nicht seinem Fachgebiet entsprächen. FSME-Impfstoff, Magen-Darm-Mittel, Antiasthmatika, Urologika, Schilddrüsentherapeutika und Gichtmitteln fielen unter den 30 verordnungsstärksten Arzneimittelspezialitäten auf. Die Verordnungshoheit für diese Medikamentengruppen lägen bei anderen Fachgruppen. Bereits bei der Richtgrößenprüfung im Jahr 2005 sei aufgefallen, dass viele Patienten aus dem hausärztlichen sowie fachfremden Bereich versorgt worden seien. Es seien teure Originalpräparate sowie Medikamente, die in den privatärztlichen Bereich fielen, verordnet worden. Er halte daher daran fest, den sich ergebenden Mehrbedarf als Schadensersatzpflichtbetrag festzustellen, soweit dieser 25% überschreite. Der Nettobetrag errechne sich aus einem Abzug von 15,60% aufgrund der Patientenzuzahlungen sowie den Rabattzahlungen unter Anwendung eines durch die GAMSI-Daten belegten Pauschalsatzes.
Hiergegen legte der Kläger am 15.12.2008 Widerspruch ein. Er trug vor, der Bescheid sei nicht unterschrieben worden. Seine Arzthelferin habe keine Ahnung von den Pseudoziffern 98501 bis 98519 gehabt. Die Ziffern 98517 – Behandlung von Schmerzpatienten – hätte er in großer Anzahl absetzen können. Dolgit 800 sei seit Jahren sein meistverordnetes Schmerzmittel für die postoperative Phase als auch bei Schmerzpatienten z. B. mit Bandscheibenvorfällen. Ibuprofen 200 reiche leider gegen gewisse Schmerzen nicht aus. Er behandle tatsächlich viele Patienten mit Narbenbeschwerden wie Kontrakturen oder Keloidbildungen. Und hier habe er die Verbindung von Contractubex und Laser im Jahr 2006 erfolgreich getestet. Seit 2007 stehe diese Behandlungsart unter seinen Igel-Leistungen und die Patienten müssten für die Kosten alleine aufkommen. Zum FSME-Wirkstoff führt er aus, alle umliegenden Hausärzte überwiesen ihm jährlich unzählige Patienten zur chirurgischen Zeckenentfernung und logischerweise Überprüfung des Impfstatus und evtl. Ergänzung. Die Magen-Darm-Mittel seien absolut notwendig bei der Verordnung von Antiphlogistika zum Magenschutz. Dies gelte nur für Patienten mit ihm bekannten Magen-Darm-Beschwerden. Auch Gichtpatienten würden zur Diagnosefindung und erste Einleitung therapeutischer Maßnahmen ihm vom Hausarzt überwiesen werden. Diese Patienten erhielten eine Erstverordnung nach Diagnosefindung und würden dann wieder zum Hausarzt weitergeleitet werden. Alle anderen fachfremden Präparate würden in Vertretung verordnet werden. Es gelte auch das Recht auf freie Arztwahl. So habe er eine inzwischen verstorbene Patientin mit enormer Krankheitsgeschichte behandelt. Diese Frau habe zu ihm Vertrauen gehabt. Die gesamte Familie sehe ihn als ihren Hausarzt an.
Der Beklagte wies mit Bescheid vom 26.01.2011 aufgrund des Beschlusses vom 01.09.2010, dem Kläger am 27.01.2011, zugestellt, den Widerspruch mit der Maßgabe zurück, dass für das Jahr 2006 ein Netto-Regressbetrag in Höhe von 6.368,21 EUR festgesetzt wird. Zur Begründung führt er aus, die von der Prüfungsstelle festgestellten vermehrten ambulanten Operationen hätten keinen Einfluss auf die getätigten Verordnungen. In den streitbefangenen Quartalen habe der Kläger 81, 74, 96 und 62 postoperative Behandlungen durchgeführt. Die geringere Fallzahl sei nicht ausschlaggebend für die hohe Abweichung. Der Kläger habe Medikamente verordnet, die nicht seinem Fachgebiet entsprächen wie z. B. Magen-Darm-Mittel, Antihistaminika, Urologika, Schilddrüsentherapeutika, Gichtmittel, Antihypertonika. Als abzugsfähige Praxisbesonderheiten seien diese Verordnungen indessen nicht gesondert berücksichtigungsfähig. Es habe daher bei dem Ergebnis der Prüfungsstelle verbleiben müssen. Eine allgemeine Bewertung des Verordnungsverhaltens des Klägers bestätige dieses Ergebnis. Bereits in der willkürlichen Prüfung 2005 sei aufgefallen, dass viele Patienten aus dem hausärztlichen Bereich versorgt worden seien. Es sei nicht nur fachfremde Verordnungen getätigt worden, sondern häufig teure Originalpräparate rezeptiert worden. Bereits die Prüfungsstelle habe festgestellt, dass die Verordnungen von Generika mit 50,2% sehr deutlich unter dem Fachgruppendurchschnitt mit 66,8% lägen, wobei aber weniger Reimporte verordnet würden (18,9% zu 19,7% der Fachgruppe). Der Kläger weiche in dem Bereich der Indikationsgruppe der Analgetika/Antirheumatika (die 36,6% des Bruttoumsatzes ausmache) mit dem verordneten definierten Tagesdosen (DDD – daily defined dosis) mit einem Bruttoumsatz von 1,28 EUR von der Fachgruppe mit 1,03 EUR ab. Lediglich bei einigen wenigen am Bruttoumsatz eher untergewichtigen Indikationsgruppen sei insoweit eine Abweichung nach unten feststellbar. Die definierten Tagesdosen seien ein zumindest achtenswerter Indikator bei der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise. Im Falle des Klägers bestätige dieser Indikator das zuvor durch die Statistik gefundene Ergebnis.
Hiergegen hat der Kläger am 17.02.2011 die Klage erhoben. Er trägt vor, wesentlich sei der Aspekt der Schmerzbehandlung. Der Beklagte habe einen hohen Anteil postoperativer Behandlungen festgestellt. Er stütze dies auf Ziffer 31101, lasse jedoch die postoperativen Behandlungen nach den Ziffern 31602 sowie 31502 und 31609 völlig unberücksichtigt. Auch hier lägen wesentlich höhere Fallzahlen vor. Es werde dann die falsche Schlussfolgerung gezogen, dass die häufigen postoperativen Behandlungen keinen Einfluss auf die getätigten Verordnungen hätten. Bereits im Heilmittelverfahren für die Quartale II bis IV/02 sei wegen der postoperativen Behandlungen eine Restüberschreitung von 200% zugestanden worden. Gerade im Rahmen der postoperativen Behandlung falle naturgemäß ein erhöhtes Verordnungsvolumen für Schmerzmedikamente an. Unter den ersten zehn verordnungsstärksten Arzneimitteln in seiner Praxis seien alleine die ersten sechs Ränge mit Analgetika belegt. Im Vergleich zur Fachgruppe sei sein Anteil Analgetika doppelt so hoch. Mehr als 1/3 der Verordnungen würden im Bereich der Analgetika aufgebracht werden. Die Verordnung von Dolgit 800mg sei medizinisch notwendig gewesen, da Ibuprofen mit Wirkstoffmenge 200mg nicht ausreichend gewesen sei. Er habe bereits darauf hingewiesen, dass die Pseudoziffer 98517, Grundlage für die Anerkennung einer Praxisbesonderheit der Schmerztherapie, ihm im Jahr 2006 nicht bekannt gewesen sei. Er sei auch weiterhin der Auffassung, dass er die nicht seinem Fachgebiet entsprechenden Medikamente und die Magen-Darm-Mittel aus dem bereits im Verwaltungsverfahren genannten Gründen habe verordnen dürfen. Mehr als jeder vierte Patient komme auf Überweisung eines Allgemeinmediziners.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Bescheids des Beklagten vom 26.01.2011 den Beklagten zu verpflichten, ihn über seinen Widerspruch unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er trägt vor, aus den erhöhten Tagesdosen bei der Schmerzmittelverordnung ergebe sich, dass der Kläger im Vergleich zur Fachgruppe unwirtschaftlich verordne. Dies zeige auch die unterschiedliche Rangstelle bzgl. des Medikaments Dolgit/Schmerz Dolgit. Der Kläger habe keine Genehmigung nach der Schmerztherapievereinbarung, so dass bei Angabe der Pseudoziffer 98517 der Leistungsinhalt nicht erfüllt gewesen wäre. Der Kläger habe im Verwaltungsverfahren nicht substantiiert dargelegt, dass er eine überdurchschnittliche Anzahl an Schmerzpatienten behandelt habe. Aus der Abrechnungsfrequenz der Ziffer 31609 "postoperative Behandlung" oder der Ziffer 31502 "postoperative Überwachung" könne nicht auf eine überdurchschnittliche Anzahl von Schmerzpatienten geschlossen werden. Er habe kein von der Fachgruppe abweichendes Patientenklientel feststellen können. Der Kläger habe häufig kostenintensive Originalpräparate verordnet. Die Liste mit sechs Patienten, die unter anderem mit den Medikamenten anderer Fachgebiete versorgt worden seien, seien nicht geeignet, eine Praxisbesonderheit darzustellen. Der Hinweis auf die Heilmittelprüfung für Quartale des Jahres 2002 sei nicht maßgeblich, da es sich um unterschiedliche Zeiträume und Prüfverfahren handle. Der Kläger liege mit seinem Bruttoumsatz bei Magen-Darm-Mittel von 548,44 EUR und einem Anteil am Bruttoumsatz von 2,3% unter dem Anteil am Bruttoumsatz von 5,3% der Fachgruppe. Der FSME-Wirkstoff sei als Impfstoff nicht in das Verordnungsvolumen eingeflossen. Könne bei einem Datenabgleich ein Rezept nicht einem Behandlungsschein zugeordnet werden, so handle es sich um einen "Nicht-Treffer". Diese werden auf den Datenträgern nicht abgebildet. Für den Kläger seien 111 "Nicht-Treffer" ermittelt worden. Es bestehe die Möglichkeit, dass seitens der Krankenkassen eine Datennachlieferung erfolge. Sie füge als Anlage eine Übersicht der KV.net-Daten der streitbefangenen Quartale bei, aus denen das Verhältnis von "Anzahl" zu "Treffern" zu entnehmen sei. Ferner übersende sie einen Datenträger mit allen Verordnungen, unterteilt nach den Quartalen I bis IV/06 einschließlich der Zusammenfassung des Brutto- und Nettoverordnungsvolumens, der Zuzahlungen, dem Verhältnis von "Anzahl" und "Treffern" und eine Filterung der Heilmittel (Steuerungsgruppe 6), Hilfsmittel (Steuerungsgruppe 7), Impfstoffe (Steuerungsgruppe 8) und des Sprechstundenbedarfs (Steuerungsgruppe 9). Im Übrigen verweise sie auf ihre Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer hat in der Besetzung mit je einem Vertreter der Vertragsärzte und Psychotherapeuten sowie der Krankenkassen verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit des Vertragsarztrechts handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Sie konnte dies trotz des Ausbleibens eines Vertreters der Beigeladenen zu 1) bis 8) tun, weil diese ordnungsgemäß geladen und auf diese Möglichkeit hingewiesen worden sind (§ 110 Abs. 1 SGG).
Die Klage ist zulässig, denn sie sind insbesondere form- und fristgerecht bei dem zuständigen Sozialgericht erhoben worden.
Die Klage ist aber unbegründet. Der angefochtene Bescheid vom 26.01.2011 ist rechtmäßig. Er war daher nicht aufzuheben. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen den Beklagten darauf, ihn über seinen Widerspruch unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Gegenstand des Verfahrens ist nur der Bescheid des Beklagten, nicht auch der des Prüfungsausschusses. In Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung beschränkt sich die gerichtliche Kontrolle auf die das Verwaltungsverfahren abschließende Entscheidung des Beschwerdeausschusses. Dieser wird mit seiner Anrufung für das weitere Prüfverfahren ausschließlich und endgültig zuständig. Sein Bescheid ersetzt den ursprünglichen Verwaltungsakt des Prüfungsausschusses, der abweichend von § 95 SGG im Fall der Klageerhebung nicht Gegenstand des Gerichtsverfahrens wird. Eine dennoch gegen diesen Bescheid erhobene Klage ist unzulässig (vgl. BSG, Urt. v. 19.06.1996 - 6 RKa 40/95 - SozR 3-2500 § 106 Nr. 35 = NZS 1997, 135 = USK 96134, zitiert nach juris Rdnr. 12; BSG, Urt. v. 28.06.2000 - B 6 KA 36/98 R - USK 2000-165, juris Rdnr. 14). Sofern der Bescheid des Beklagten rechtswidrig ist, ist nur er, nicht dagegen auch ein ihm vorausgegangener - ebenfalls rechtswidriger - Bescheid des Prüfungsausschusses aufzuheben. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn der Beschwerdeausschuss etwa aus formalen Gründen gehalten wäre, den angefochtenen Bescheid des Prüfungsausschusses aufzuheben, z. B. weil eine Zuständigkeit der Prüforgane nicht gegeben war oder der für die Einleitung des Prüfverfahrens erforderliche Prüfantrag fehlte. Dies beruht auf dem Umstand, dass beide Ausschüsse rechtlich verselbständigte Gremien sind, denen kraft Gesetzes die Befugnis zusteht, im Einzelfall den Umfang der zu vergütenden ärztlichen Leistungen zu bestimmen und insofern ergänzend den Honoraranspruch des Arztes bzw. den Regress rechtsgestaltend festzulegen. Ihre Entscheidungen sind nicht einem anderen Rechtsträger, sondern ihnen selbst zuzurechnen. Diese sozialrechtliche Besonderheit beruht darauf, dass die Ausschüsse Einrichtungen der gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen sind und damit von verschiedenen Rechtsträgern getragen werden (s. § 106 Abs. 4 Satz 1 SGB V). Als Konsequenz dieser organisatorischen Verselbständigung hat das SGG den Prüfungs- und den Beschwerdeausschüssen die Beteiligtenfähigkeit zuerkannt (§ 70 Nr. 4 i. V. m. § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG) und ihnen damit zugleich im Rahmen ihrer Sachkompetenz die Prozessführungsbefugnis eingeräumt (vgl. BSG, Urt. v. 09.03.1994 6 RKa 5/92 - SozR 3-2500 § 106 Nr. 22 = BSGE 74, 59 = MedR 1995, 248 = USK 94119, juris Rdnr. 16 f. m. w. N.).
Rechtsgrundlage für die Entscheidung des Beklagten, den Kläger auf Grund seiner Arzneiverordnungen wegen Überschreitung der Richtgrößen in Regress zu nehmen, ist § 84 Abs. 6 i.V.m. § 106 Abs. 2 Nr. 1 u. Abs. 5a Satz 1 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V in der vom 01.01.2004 bis 07.11.2006 gültigen Fassung des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung vom 14.11.2003 und in den hier maßgeblichen Vorschriften auch unverändert für das gesamte Jahr 2006).
Danach wird die Wirtschaftlichkeit der Versorgung geprüft durch arztbezogene Prüfung ärztlich verordneter Leistungen bei Überschreitung der Richtgrößenvolumina nach § 84 (Auffälligkeitsprüfung) (§106 Abs. 2 Nr. 1 SGB V).
Nach § 84 Abs. 6 SGB V vereinbaren die Gesamtvertragspartner - die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen und die Kassenärztliche Vereinigung (§ 84 Abs. 1 SGB V), in der Fassung des ab 01.05.2006 geltenden Gesetzes zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung (Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz - AVWG) v. 26.04.2006, BGBl. I 984 hat dies bis zum 15. November für das jeweils folgende Kalenderjahr zu geschehen, was für das Jahr 2006 ohne Bedeutung ist - zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung für das auf das Kalenderjahr bezogene Volumen der je Arzt verordneten Arznei- und Verbandmittel (Richtgrößenvolumen) arztgruppenspezifische fallbezogene Richtgrößen als Durchschnittswerte unter Berücksichtigung der nach Abs. 1 getroffenen Arzneimittelvereinbarung (Satz 1). Zusätzlich sollen die Vertragspartner die Richtgrößen nach altersgemäß gegliederten Patientengruppen und darüber hinaus auch nach Krankheitsarten bestimmen (Satz 2). Die Richtgrößen leiten den Vertragsarzt bei seinen Entscheidungen über die Verordnung von Arzneimitteln nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot (Satz 3). Die Überschreitung des Richtgrößenvolumens löst eine Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 Abs. 5a SGB V unter den dort genannten Voraussetzungen aus (Satz 4).
Nach § 106 Abs. 5a Satz 3 SGB V hat der Vertragsarzt bei einer Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 v.H. nach Feststellung durch den Prüfungsausschuss den sich daraus ergebenden Mehraufwand den Krankenkassen zu erstatten, soweit dieser nicht durch Praxisbesonderheiten begründet ist. Die Vertragspartner bestimmen in Vereinbarungen nach Abs. 3 die Maßstäbe zur Prüfung der Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten (§ 106 Abs. 5a Satz 5 SGB V).
Auf dieser Grundlage hat zunächst das Landesschiedsamt Ärzte in Hessen mit Beschluss vom 24.06.2004 über die Arzneimittelvereinbarung nach § 84 Abs. 1 SGB V sowie Richtgrößen-Vereinbarung für Arzneimittel nach § 84 Abs. 6 SGB V für die Jahre 2003 und 2004 zwischen den Verbänden der Krankenkassen in Hessen und der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen entschieden, veröffentlicht durch Sonderrundschreiben der Beigeladenen zu 1) vom Juli 2004. Nach Nr. 2 des Beschlusses findet für das Jahr 2003 gegenüber dem Jahr 2002 keine Veränderung statt. Nach Nr. 4 vereinbarten die Vertragspartner die arztgruppenspezifischen fallbezogenen Richtgrößen für das Jahr 2004 unter Zugrundelegung des Arzneimittelvolumens nach Ziffer 3. Wird diese Vereinbarung nicht bis zum 31.07.2004 getroffen, treten an ihre Stelle die unter Berücksichtigung des Arzneimittelvolumens nach Ziffer 3 fortgeschriebenen Beträge nach Anlage 8 zum Antrag 8 der Antragstellerin vom 24.03.2004 (Spalten 5 und 6). Die KV Hessen hat die durch die Richtgrößen betroffenen Ärzte und Einrichtungen über die ab 01.08.2004 verbindlichen Regelungen unverzüglich zu unterrichten. Die ab 01.08.2004 geltenden Richtgrößen wurden im selben Rundschreiben veröffentlicht. Danach betragen die Richtgrößen für die Verordnung von Arznei- und Verbandmitteln für Chirurgen 3,21 EUR für Mitglieder/Familienangehörige und 5,64 EUR für Rentner. Die Vertragsparteien haben dann am 20.10.2006 als Anlage 4/II zur Prüfvereinbarung gem. § 106 Abs. 3 SGB V vom 19. August 2004 für die Zeit vom 01.01.2005 bis 31.12.2005 eine Vereinbarung über die Festsetzung von Richtgrößen und die Prüfung der Wirtschaftlichkeit bei Überschreitung der Richtgrößen gemäß §§ 84 Abs. 6, 106 SGB V (Richtgrößen-Vereinbarung Arznei- und Verbandmittel 2005) getroffen. Danach betragen die Richtgrößen für die Verordnung von Arznei- und Verbandmitteln für Chirurgen 4,50 EUR für Mitglieder/Familienangehörige und 6,96 EUR für Rentner. Aufgrund des Schiedsspruches für die vertragsärztliche Versorgung in Hessen vom 21.08.2006 wurden mit Rundschreiben der Beigeladenen zu 1), veröffentlicht in info.doc Nr. 6 vom Oktober 2006, Seite 16, die "Richtgrößen für Arzneimittel 2006" veröffentlicht. Danach betragen die Richtgrößen für die Verordnung von Arznei- und Verbandmitteln für Chirurgen 4,73 EUR für Mitglieder/Familienangehörige und 7,83 EUR für Rentner.
Maßgeblich sind hier daher die Richtgrößen des Vorjahres, soweit sie für den Kläger günstiger sind, da ein Ausnahmefall für die rückwirkende Geltung nicht ersichtlich ist (vgl. BSG, Urt. v. 23.03.2011 - B 6 KA 9/10 R - juris Rdnr. 24 ff. m.w.N.). Für den Kläger als Chirurgen sind aber am günstigsten die im Oktober 2006 veröffentlichten Richtgrößen mit 4,73 EUR für Mitglieder/Familienangehörige und 7,83 EUR für Rentner, wovon auch der Beklagte bei Berechnung des Richtgrößenvolumens ausgegangen ist, was er auf Anfrage des Gerichts in der Anlage zum Schriftsatz vom 01.11.2011 dargelegt hat.
Zutreffend geht der Beklagte davon aus, dass der gesetzlichen Konzeption nach §§ 106 Abs. 2c, 296 Abs. 2 SGB V für Richtgrößen- und Durchschnittswertprüfungen das einheitlich ausgestaltete Modell einer elektronischen Erfassung, Übermittlung und arztbezogenen Zusammenfassung der veranlassten Verordnungskosten zu Grunde liegt. Den auf diese Weise für den einzelnen Vertragsarzt erfassten Verordnungsdaten kommt die Vermutung ihrer Richtigkeit zu; sie begründen den Anscheinsbeweis für das Volumen der von ihm veranlassten Verordnungskosten. Durchschnittswert- und Richtgrößenprüfungen der Wirtschaftlichkeit von Arzneiverordnungen sind auf der Grundlage der von den Krankenkassen und den KVen ohne Versichertenbezug gemäß § 296 SGB V übermittelten elektronischen Daten und nicht auf der Grundlage von Originalbelegen durchzuführen (vgl. BSG, Urt. v. 23.03.2011 - B 6 KA 9/10 R - juris Rdnr. 34 m.w.N.). Der Kläger hat die Richtigkeit der Daten nicht beanstandet. Auch der Kammer sind keine Gründe ersichtlich, von der Unrichtigkeit der Daten auszugehen.
Ausgehend von den maßgeblichen Prüfvereinbarungen hat der Beklagte die Berechnung der Prüfungsstelle für richtig befunden, die von einer Überschreitung der Richtgröße von 10.466,02 EUR um + 97 % ausgegangen ist. Auch der Beklagte hat insoweit in nicht zu beanstandender Weise keine Praxisbesonderheiten festgestellt.
Als Praxisbesonderheiten des geprüften Arztes kommen nur solche Umstände in Betracht, die sich auf das Behandlungs- oder Verordnungsverhalten des Arztes auswirken und in den Praxen der Vergleichsgruppe typischerweise nicht oder nicht in derselben Häufigkeit anzutreffen sind. Für die Anerkennung einer Praxisbesonderheit ist es deshalb nicht ausreichend, dass bestimmte Leistungen in der Praxis eines Arztes erbracht werden. Vielmehr muss substantiiert dargetan werden, inwiefern sich die Praxis gerade in Bezug auf diese Merkmale von den anderen Praxen der Fachgruppe unterscheidet (vgl. BSG, Urt. v. 21.06.1995 - 6 RKa 35/94 - SozR 3-2500 § 106 Nr. 27 = USK 9588 = NZS 1996, 583, juris Rdnr. 16). Die betroffene Praxis muss sich nach der Zusammensetzung der Patienten und hinsichtlich der schwerpunktmäßig zu behandelnden Gesundheitsstörungen vom typischen Zuschnitt einer Praxis der Vergleichsgruppe unterscheiden, und diese Abweichung muss sich gerade auf die überdurchschnittlich häufig erbrachten Leistungen auswirken (vgl. BSG, Urt. v. 23.02.2005 - B 6 KA 79/03 R - USK 2005-108, juris Rdnr. 20). Ein bestimmter Patientenzuschnitt kann z. B. durch eine spezifische Qualifikation des Arztes, etwa aufgrund einer Zusatzbezeichnung bedingt sein kann (vgl. BSG, Urt. v. 06.09.2000 B 6 KA 24/99 R - SozR 3-2500 § 106 Nr. 50 = USK 2000-171, juris Rdnr. 18). Es muss sich um Besonderheiten bei der Patientenversorgung handeln, die vom Durchschnitt der Arztgruppe signifikant abweichen und die sich aus einem spezifischen Zuschnitt der Patientenschaft des geprüften Arztes ergeben, der im Regelfall in Wechselbeziehung zu einer besonderen Qualifikation des Arztes steht. Ein Tätigkeitsschwerpunkt allein stellt nicht schon eine Praxisbesonderheit dar (vgl. BSG, Urt. v. 06.05.2009 - B 6 KA 17/08 R SozR 4-2500 § 106 Nr. 23 = USK 2009-35 = Breith 2010, 4 = NZS 2010, 521, juris Rdnr. 27).
Der Kläger hat nicht im Einzelnen dargelegt, wie hoch die Zahl der von ihm versorgten postoperativen Patienten war und weshalb diese in welchem Umfang vermehrt mit Arzneimittel versorgt werden müssten. Gleiches gilt für die von ihm vorgetragene Behandlung von Schmerzpatienten. Auch wird nicht hinreichend deutlich, inwieweit der Kläger die Behandlung von Patienten mit Schmerzen oder von Schmerzpatienten mit chronifizierter Schmerzsymptomatik geltend macht. Der Beklagte weist ferner zutreffend darauf hin, aus den erhöhten Tagesdosen bei der Schmerzmittelverordnung ergebe sich, dass der Kläger im Vergleich zur Fachgruppe unwirtschaftlich verordne. Soweit er z. T. eingeräumt hat, ein Teil seiner Verordnungen würden seien 2007 nur auf Privatrezept erfolgt, räumt er selbst ein, dass die Verordnungen unzulässig waren. Mit der Verordnung von Magen-Darm-Mitteln liegt der Kläger unterhalb der Fachgruppe.
Im Ergebnis war die Klage daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten, da sie keinen Antrag gestellt und sich im Verfahren nicht geäußert haben.
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