L 19 AS 1936/11 B ER und L 19 AS 1937/11 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 36 AS 2367/11 ER
Datum
-
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AS 1936/11 B ER und L 19 AS 1937/11 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen geändert. Der Antragsgegner wird verpflichtet, dem Antragsteller für die Zeit vom 18.10. bis 01.11.2011 einen Regelbedarf in Höhe von 291,00 EUR monatlich vorläufig zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Der Antragsgegner trägt die Hälfte der Kosten des Verfahrens.
Dem Antragsteller wird für das erstinstanzliche Verfahren ratenfrei ab 21.10.2011 Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin T, H, beigeordnet.

Gründe:

I.
Seit dem 01.01.2005 bezieht der am 00.00.1990 geborene Antragsteller Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Zum 01.04.2011 zog er von der Wohnung, X 00, H, in die Wohnung seiner Mutter, Frau H, in der C-Straße 00, H, beste-hend aus 2,5 Zimmern, um. Er ist seit 07.04.2011 unter der Anschrift in der C-Straße 00, H, gemeldet.

Durch Bescheid vom 02.05.2011 bewilligte der Antragsgegner der Bedarfsgemeinschaft, bestehend aus dem Antragsteller und seiner Mutter, Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.04. bis 31.08.2011.

Der Außendienst des Antragsgegners führte am 27.07.2011 und am 21.09.2011 Hausbesuche in der Wohnung der Mutter des Antragstellers durch.

Am 15.08.2011 wurde die Fortzahlung der Leistungen beantragt. Durch Bescheid vom 24.08.2011 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 12.10.2011 bewilligte der Antragsgegner der Mutter des Antragstellers Leistungen nach dem SGB II in Höhe von ins-gesamt 827,00 EUR (364,00 EUR Regelleistung + 463,00 EUR Kosten für Unterkunft und Heizung).

Am 18.10.2011 legten der Antragsteller und seine Mutter gegen die Höhe der bewilligten Leistungen Widerspruch ein. Durch Widerspruchsbescheid vom 11.11.2011 wies der Antragsgegner den Widerspruch des Antragstellers als unbegründet zurück.

Am 18.10.2011 hat der Antragsteller im Wege des einstweiligen Rechtschutzes be-antragt, den Antragsgegner zur Gewährung von Leistungen nach dem SGB II für die Zeit ab dem 01.09.2011 zu verpflichten.

Durch Beschluss vom 31.10.2011 hat das Sozialgericht Gelsenkirchen den Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung und Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Es hat einen Anordnungsgrund als nicht glaubhaft gemacht angesehen.

Hiergegen hat der Antragssteller am 09.11.2011 Beschwerde eingelegt.

Nach Durchführung eines weiteren Hausbesuchs am 15.11.2011 hat der Antragsgegner dem Antragsteller durch Bescheid vom 03.11.2011 eine Regelleistung in Höhe von 291,00 EUR mtl. und Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 231,50 EUR mtl. für die Zeit vom 02.11.2011 bis 28.02.2012 bewilligt.

Der Antragsteller hat das Beschwerdeverfahren für die Zeit ab dem 02.11.2011 für erledigt erklärt.

II.
Die Beschwerde gegen die Ablehnung des Erlasses einer Regelungsanordnung ist teilweise begründet (A).
Die Beschwerde gegen die Ablehnung der Gewährung von Prozesskostenhilfe ist begründet (B).

A.
Der Antragsteller begehrt nach der Beschränkung seines Antrags durch die Erledigungs-erklärung für die Zeit ab dem 02.11.2011 im Beschwerdeverfahren die Verpflichtung des Antragsgegners zur vorläufigen Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 01.09. bis 01.11.2011.

Die Beschwerde des Antragsstellers ist insoweit begründet, als er die Verpflichtung des Antragsgegners zur vorläufigen Gewährung eines Regelbedarfs nach § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB II für die Zeit vom 18.10 bis 01.011.2011 begehrt. Im Übrigen ist die Beschwerde unbegründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruches (d.h. eines materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird) sowie das Vorliegen des Anordnungsgrundes (d.h. der Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten) voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bzw. die besondere Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -).

Ein Anordnungsanspruch hinsichtlich der Gewährung eines Regelbedarfs nach § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB II für die Zeit vom 18.10. bis 01.11.2011 ist glaubhaft gemacht. Nach der im einstweiligen Rechtschutzverfahren möglichen Prüfungsdichte hat der Antragsteller in der Zeit vom 18.10. bis 01.11.2011 die Voraussetzungen für den Bezug von Leistungen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II dem Grunde nach erfüllt, als er in diesem Zeitraum das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet sowie seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik gehabt hat und hilfebedürftig gewesen ist. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Antragsteller in der Zeit vom 18.10. bis 01.11.2011 Einkommen erzielt oder über Vermögen verfügt hat, mit dem er seinen Lebensunterhalt i.S.v. §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 9 Abs. 1 SGB II bestreiten konnte. In der eidesstattlichen Erklärung vom 21.10.2011 hat der Antragsteller darlegt, dass er seit dem 01.09.2011 kein Einkommen erzielt hat. Diese Angabe korrespondiert mit der Angabe des Antragstellers in der Erklärung über seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen, wonach er seinen Lebensunterhalt von Naturalleistungen seiner Mutter bestreitet sowie mit den im Beschwerdeverfahren vorgelegten Kontounterlagen, die seit dem 01.09.2011 keine Kontoumsätze aufweisen. Zweifel an der Erwerbsfähigkeit des Antragstellers ergeben sich weder aus dem Akteninhalt noch aus dem Vortrag des Antragstellers. Anhaltspunkte dafür, dass in dem Zeitraum vom 18.10. bis 01.11.2011 der Ausschlussgrund des § 7 Abs. 4a SGB II gegeben gewesen ist, sind nicht ersichtlich. Der Antragsgegner hat im Hinblick auf die Ergebnisse der Hausbesuche vom 27.07.2011 und am 21.09.2011 Zweifel am ständigen Aufenthalt des Antragsgegners in der Wohnung seiner Mutter geäußert. Zwar sind die beengten Verhältnisse der Wohnung wie auch der geringe Umfang der persönlichen Sachen des Antragstellers in der Wohnung geeignet, Zweifel an seinem Aufenthalt in der Wohnung zu begründen. Jedoch sind diese Zweifel durch das Ergebnis des Hausbesuches vom 15.11.2011 nicht verstärkt, sondern eher widerlegt worden. Die vom Außendienst des Antragstellers am 15.11.2011 getroffenen Feststellungen - Auffinden von Kleidungstücken des Antragstellers, von Hygieneartikeln des Antragstellers im Bad sowie von aktuellen Poststücken, adressiert an den Antragsteller, in der Küche - stehen in Übereinstimmung mit den Angaben des Antragstellers in der eidesstattlichen Versicherung vom 21.10.2011, wonach er seinen Lebensmittelpunkt in der Wohnung seiner Mutter hat, er in der Wohnung schläft und sich dort aufhält. Nach der im einstweiligen Rechtschutzverfahren möglichen Prüfungsdichte ist auch der Antragsgegner nach § 36 Satz 1 SGB II für die Leistung zuständig.

Der Antragssteller hat durch die Vorlage der eidesstattlichen Erklärung vom 21.10.2011 sowie seine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, wonach er von Naturalleistungen seiner Mutter lebt, die Leistungen nach dem SGB II bezieht, auch einen Anordnungsgrund hinsichtlich der Gewährung des Regelbedarfs nach § 20 SGB II glaubhaft gemacht.

Hinsichtlich der Leistungen für Unterkunft und Heizung hat der Antragsteller keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Das Vorliegen eines Anordnungsgrundes kann nur bejaht werden, wenn der Antragssteller schwere und unzumutbare Nachteile drohen, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr revidiert werden können. Eine Gefährdung der Wohnung, C-Straße 00, H, hat in dem streitigen Zeitraum vom 01.09. bis 01.11.2011 nicht vorgelegen (vgl. zum Erfordernis einer Wohnungsgefährdung für eine Regelungsanordnung hinsichtlich Leistungen nach § 22 SGB II: LSG NRW, Beschluss vom 21.09.2011 - L 19 AS 1371/11 B ER mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Denn der Antragsgegner hat die vollen Kosten für Unterkunft und Heizung der Mutter des Antragstellers, die gemeinsam mit dem Antragsteller die Wohnung C-Straße 00, H nutzt, durch Änderungsbescheid vom 12.10.2011 für die Zeit ab dem 01.09.2011 bewilligt.

Ebenfalls ist eine Glaubhaftmachung der Eilbedürftigkeit der gerichtlichen Regelung nicht erfolgt, soweit der Antragsteller die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im Wege des einstweiligen Rechtschutzes rückwirkend für den Zeitraum vom 01.09. bis 17.10.2011 begehrt. In der Regel ist ein Anordnungsgrund nicht gegeben, soweit ein Antragsteller Leistungen für im Zeitpunkt der Antragstellung beim erstinstanzlichen Gericht, vorliegend dem 18.10.2011, bereits zurückliegenden Zeitraume begehrt (vgl. LSG NRW Beschluss vom 14.07.2010 - L 19 AS 912/10 B ER). Im einstweiligen Rechtschutzverfahren sollen nur diejenigen Mittel zur Verfügung gestellt werden, die zur Behebung einer aktuellen, d.h. noch gegenwärtigen Notlage erforderlich sind. Nur ausnahmsweise, wenn die Nichtgewährung der begehrten Leistung in der Vergangenheit noch in die Gegenwart fortwirkt und infolgedessen eine aktuelle Notlage besteht, kann von diesem Grundsatz eine Ausnahme gemacht werden. Gesichtspunkte, die in diesem Einzelfall ein Abweichen von diesem Grundsatz gebieten können, sind hier nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

B.
Die Beschwerde gegen die Ablehnung der Gewährung von Prozesskostenhilfe ist begründet.

Zum Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrags - Vorlage der vollständig ausgefüllten und unterschriebenen Erklärung über die persönlichen und wirt-schaftlichen Verhältnisse am 21.10.2011 - hat der Antrag des Antragstellers für die Zeit ab dem 18.10.2011 hinsichtlich der Leistungen nach § 20 SGB II hinreichende Erfolgsaussicht geboten. Der Antragsteller hat den Anordnungsgrund - entgegen der Auffassung des Sozialgerichts - durch die Vorlage der eidesstattlichen Erklärung vom 21.10.2011 zusammen mit der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, glaubhaft gemacht. Zudem hat die eidesstattliche Erklärung Anlass geboten, den Sachverhalt, insbesondere hinsichtlich des Aufenthalts des Antragstellers, weiter aufzuklären. Die teilweise Erfolgsaussicht des Begehrens genügt für die Bewilli-gung der Prozesskostenhilfe.

Der Antragsteller ist nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen außerstande, die Kosten der Prozessführung aufzubringen (§ 73a SGG i.V.m. § 115 ZPO), so dass ihm für das erstinstanzliche Verfahren ratenfrei Prozesskostenhilfe zu bewilligen ist.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht erstattungsfähig (§ 73a SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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