Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
45
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 45 SO 566/10
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
L 15 SF 97/11
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Streitigkeiten nach dem SGB XII (Sozialhilfe)
Hilfe zum Lebensunterhalt in einer stationären Einrichtung - Leistungsausschluss wegen Berufsausbildung gem. § 22 SGB XII - Annahme einer besonderen Härte gem. § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB XII
Orientierungssatz
1. Grundsätzlicher Leistungsausschluss für Leistungen nach dem 3./4. Kapitel SGB XII gem. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB XII für Auszubildenden, der Leistungen nach §§ 60 ff SGB III bezieht, und Hilfen nach dem 8. Kapitel in einer stationären Einrichtung erhält
2. Zur Annahme einer besonderen Härte gem. § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB XII
3. Zur vom Sozialleistungsträger zu treffenden Ermessensentscheidung gem. § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB XII
Hilfe zum Lebensunterhalt in einer stationären Einrichtung - Leistungsausschluss wegen Berufsausbildung gem. § 22 SGB XII - Annahme einer besonderen Härte gem. § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB XII
Orientierungssatz
1. Grundsätzlicher Leistungsausschluss für Leistungen nach dem 3./4. Kapitel SGB XII gem. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB XII für Auszubildenden, der Leistungen nach §§ 60 ff SGB III bezieht, und Hilfen nach dem 8. Kapitel in einer stationären Einrichtung erhält
2. Zur Annahme einer besonderen Härte gem. § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB XII
3. Zur vom Sozialleistungsträger zu treffenden Ermessensentscheidung gem. § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB XII
I. Der Bescheid vom 14.04.2008 in der Fassung des Teilabhilfebescheides vom 25.08.2008 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 25.10.2010 wird in Ziffer 3 aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet über die Leistungen nach dem 3. Kapitel SGB XII unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts für die Zeit 01.05.2008 bis 31.05.2009 erneut zu entscheiden.
II. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB XII in Form der Hilfe zum Lebensunterhalt in einer stationären Einrichtung in der Zeit 1.5.2008 bis 31.05.2009.
Der 1983 geborene Kläger wurde im Oktober 2007 in eine Einrichtung des Beigeladenen für Menschen in besonderen Lebenslagen aufgenommen. Mit Bescheid vom 9.11.2007 bewilligte der Beklagte dem Kläger für die Zeit 26.10.2007 bis 31.5.2009
a) Hilfe zum Lebensunterhalt in einer Einrichtung (aktuell 623 Euro),
b) einen Barbetrag (93,69 Euro),
c) Bekleidungsbeihilfen von maximal 384 Euro,
d) Hilfen zur Überwindung besonderer persönlicher Schwierigkeiten in der Einrichtung der H. (mtl. rund 2000 Euro) sowie
e) ab 7.11.2007 Tagesstruktur/Berufsförderung (Bl. 10 der Verwaltungsakte des Beklagten).
In Nr. 4 des Bescheides heißt es, dass mit der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes die Gewährung von Hilfen zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel entfalle, insbesondere die Leistungen unter den Buchstaben a) bis c).
Im Januar 2008 wurde mitgeteilt, dass der Kläger zum 1.2.2008 eine Berufsausbildung als Maler/Lackierer anfangen werde; Berufsausbildungsbeihilfe sei formlos beantragt worden. Ab 1.2.2008 werde sich daher die Leistungsart "Tagesstrukturierte Beschäftigung" in Ausbildung ändern (Bl. 36ff der Verwaltungsakte des Beklagten). Ausweislich des Ausbildungsvertrages vom 1.2.2008 zwischen dem Kläger und dem Beigeladenen als Ausbildungsbetrieb lief die Ausbildung vom 1.2.2008 bis 31.1.2011; die monatliche Vergütung betrug in der gesamten Ausbildungsdauer monatlich 93,69 Euro (Bl. 62 der Verwaltungsakte des Beklagten).
Im Januar 2008 wurden dem Kläger für die Zeit 1.2.2008 bis 31.7.2009 Leistungen der Berufsausbildungsbeihilfe gem. §§ 59ff SGB III bewilligt (Bescheid vom 21.1.2008). Für Februar und März 2008 monatlich 417 Euro, für April bis Juli 2008 monatlich 465 Euro und für die Zeit August 2008 bis Juli 2009 monatlich 514 Euro (Bl. 117 der Verwaltungsakte des Beklagten).
Der Beklagte teilte daraufhin dem Kläger mit, dass gemäß der Nr. 4 des Bescheides vom 9.11.2007 die Hilfe zum Lebensunterhalt zum 1.2.2008 entfalle. Der Kläger gehöre nun zum anspruchsberechtigten Personenkreis nach dem SGB II, weshalb er gem. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB XII vom Leistungsbezug ausgeschlossen sei. Die Leistungen zum Lebensunterhalt von derzeit 623 Euro seien beim Maßnahmeträger ab 1.2.2008 direkt einzuzahlen (Schreiben vom 11.4.2008, Bl. 64 der Verwaltungsakte des Beklagten).
Mit Bescheid vom 14.4.2008 hob der Beklagte den Bescheid vom 9.11.2007 für die Zeit ab 1.2.2008 ganz auf (Nr. 1), bewilligte für die Zeit 1.2.2008 bis 31.5.2009 dem Kläger in der Einrichtung des Beigeladenen Hilfen zur Überwindung besonderer persönlicher Schwierigkeiten sowie Tagesstruktur/Berufsförderung (Nr. 2) und lehnte Grundsicherungsleistungen, Hilfe zum Lebensunterhalt in Einrichtungen, den Barbetrag und Bekleidungsbeihilfe ab (Nr. 3) (Bl. 69f der Verwaltungsakte des Beklagten). In der Begründung heißt es, dass die zum 1.2.2008 aufgenommene Ausbildung dem Grunde nach förderungsfähig nach dem Berufsausbildungsförderungsgesetz (BAB) sei. Gem. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB XII sei der Kläger daher von Leistungen für den Lebensunterhalt ausgeschlossen.
Dagegen erhob der Kläger Widerspruch (Bl. 79, 81f der Verwaltungsakte des Beklagten). Der Bescheid sei rechtswidrig, da einerseits ein Ermessensfehler vorliege, andererseits die Voraussetzungen des § 7 Abs. 4 Nr. 2 SGB II und § 22 SGB XII verkannt worden seien. Die Ausbildung stelle keine Tätigkeit unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes dar. Der Beklagte habe es unterlassen zu prüfen, ob ein Härtefall vorliege und Hilfe zum Lebensunterhalt als Beihilfe oder Darlehen erbracht werden müsse. Er stelle ausdrücklich nochmals einen Antrag auf Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt in Einrichtungen als Beihilfe.
Im Mai 2008 wurde der Antrag des Klägers auf Leistungen nach dem SGB II abgelehnt, weil die Ausbildung des Klägers dem Grunde nach förderfähig sei (§ 7 Abs. 5 und 6 SGB II; Bescheid vom 19.5.2008).
Der Beklagte half dem Widerspruch des Klägers teilweise ab (Bescheid vom 25.8.2008). Er hob den Bescheid vom 14.4.2008 teilweise auf und gewährte dem Kläger in der Zeit 1.2.2008 bis 30.4.2008 Leistungen in ursprünglichem Umfang (inklusive Hilfe zum Lebensunterhalt in Einrichtungen, Barbetrag, Bekleidungsbeihilfe). Für die Zeit ab 1.5.2008 bis 31.5.2009 verbleibe es beim Bescheid vom 14.4.2008. Eine rückwirkende Einstellung der Leistungen zum 1.2.2008 mit Bescheid vom 14.4.2008 sei fehlerhaft gewesen; die Einstellung für die Zukunft, d.h. zum 1.5.2008, müsse jedoch erfolgen.
Dagegen erhob der Kläger abermals Widerspruch (Bl. 111, 112f der Verwaltungsakte des Beklagten). Im Wesentlichen verwies der Kläger zur Begründung auf den bereits gegen den Bescheid vom 14.4.2008 erhobenen Widerspruch.
Am 16.8.2010 schloss der Kläger seine Berufsausbildung ab und schied mit Ablauf dieses Tages aus dem berufsfördernden Bereich der H. aus (Bl. 144 der Verwaltungsakte des Beklagten).
Mit Widerspruchsbescheid vom 25.10.2010 der Regierung von Oberbayern wurden die Widersprüche des Klägers gegen den Bescheid vom 14.4.2008 in der Fassung des Teilabhilfebescheids vom 25.8.2008, soweit keine Abhilfe erfolgte, zurückgewiesen (Bl. 161ff der Verwaltungsakte des Beklagten). Der Kläger sei gem. § 22 Abs. 1 SGB XII von den Leistungen ausgeschlossen. Ein besonderer Härtefall liege nicht vor, das Ermessen sei demnach wegen fehlen der Tatbestandsvoraussetzungen nicht auszuüben gewesen.
Dagegen erhob der Kläger am 26.11.2010 Klage zum Sozialgericht München. Der Beklagte habe übersehen, dass ein Härtefall gem. § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB XII vorliege. Es sei unberücksichtigt geblieben, dass er sich in einer stationären Maßnahme befunden habe. Der Bedarf sei daher nicht durch die Ausbildung begründet, sondern durch die Maßnahme. Eine Heranziehung von Unterhaltspflichtigen scheide regelmäßig aus. Die bewilligte Berufsausbildungsbeihilfe reiche nicht aus, um den Eigenanteil zu decken. Einen Barbetrag oder eine Bekleidungsbeihilfe sei davon noch nicht umfasst. Er stehe damit schlechter als andere Bewohner, nur weil er eine Ausbildung mache. Die Argumentation des Beklagten konterkariere die Hilfe nach §§ 67f SGB XII. Eine parallele Tätigkeit zu der Ausbildung und der Maßnahme sei nicht möglich. Das Verhalten des Beklagten zwinge ihn, schulden zu machen. Andererseits erhalte er die Hilfe um Schulden abzubauen. Der Kläger beantragt:
Der Bescheid vom 14.4.2008 in der Fassung des Teilabhilfebescheids vom 25.8.2008 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 25.10.2010 wird soweit er Leistungen nach dem 3. und 4. Kapitel ablehnt aufgehoben und der Beklagte wird verpflichtet die Leistungen nach dem 3. und 4. Kapitel für die Zeit 01.05.2008 bis 31.05.2009 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Der Beklagte beantragt
die Klageabweisung.
Der Kläger sei vom Leistungsbezug ausgeschlossen, weil er eine dem Grunde nach förderfähige Ausbildung absolviert habe, § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB XII. Das Vorliegen eines besonderen Härtefalles gem. Satz 2 der Vorschrift sei nicht erkennbar. Die Feststellung eines besonderen Härtefalles werde sehr restriktiv in Rechtsprechung und Literatur gesehen. Nachvollziehbare Gründe habe der Kläger nicht vorgetragen. Die Mittel nach der Berufsausbildungsförderung seien grundsätzlich bedarfsdeckend; sei dies nicht der Fall, weil evtl. Einkommen der Eltern angerechnet werde oder die Berechnung falsch sei, liege kein Härtefall vor. Berücksichtige man noch die Ausbildungsvergütung neben der Berufsausbildungsbeihilfe liege kein Härtefall vor. Selbst wenn ein Härtefall vorläge, kämen Leistungen nach dem 3. Kapitel nicht in Betracht, denn dann hätte der Kläger einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II, § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II, was wiederum Leistungen gem. § 21 SGB XII ausschließe. Zudem sei die Ausbildung auch nicht Teil der Maßnahme, sondern diese werde lediglich parallel dazu absolviert.
Mit Beschluss vom 19.10.2011 wurde H. beigeladen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen. Auf die Niederschrift vom 25.10.2011 wird ausdrücklich verwiesen.
Entscheidungsgründe:
I. Die zulässige Klage ist begründet. Die Ablehnung der Leistungen nach dem 3. Kapitel SGB XII ist rechtswidrig und der Beklagte hat über den Leistungsanspruch des Klägers für die Zeit 1.5.2008 bis 31.5.2009, mithin 13 Monate, erneut zu entscheiden.
1. Streitgegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 14.4.2008 in der Fassung des Teilabhilfebescheids vom 25.8.2008 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 25.10.2010 soweit er Leistungen nach dem 3. und 4. Kapitel ablehnt. Der Kläger wehrt sich erkennbar nicht gegen die Weitergewährung der Hilfen nach §§ 67f SGB XII in der Einrichtung des Beigeladenen.
Zwar wurden dem Kläger zunächst mit Bescheid vom 9.11.2007 Leistungen auch nach dem 3. Kapitel SGB XII gewährt, welche mit hier streitgegenständlichen Bescheiden ab 1.5.2008 aufgehoben wurden. Eine reine Kassation der streitigen Bescheide führt jedoch nicht zum vom Kläger beantragten Erfolg. Im Zeitpunkt der Aufhebung des Bescheides hatten sich die Verhältnisse der Bewilligung und damit auch die Rechtsgrundlage geändert. Der Beklagte hat über die Bewilligung von Leistungen nach dem 3./4. Kapitel wegen geänderter Verhältnisse auf Grundlage anderer Rechtsvorschriften neu entschieden. Ziel des Klägers ist es deshalb, die - nach erfolgter Aufhebung der Bewilligung - neu entschiedene Ablehnung der Leistung auf Grundlage des § 22 SGB XII zu korrigieren.
Statthafte Klageart ist damit eine Anfechtungs- und Verpflichtungsklage, gerichtet auf Aufhebung der Ablehnung und Verpflichtung des Beklagten erneut über den Anspruch zu entscheiden. Anders als der Beklagte unter Hinweis auf die Kommentierung bei Schellhorn (SGB XII, § 22 SGB XII, Rz. 26) geht das Gericht davon aus, dass es sich bei § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB XII um eine Ermessensvorschrift handelt. Als Rechtsfolge sieht die Vorschrift jedoch vor, dass Leistungen als Darlehen oder Beihilfe erbracht werden können. Damit steht es im Ermessen des Beklagten jedenfalls über die Form der Hilfe zu befinden (siehe dazu unter 3. c).
2. Der Kläger ist nicht gem. § 21 Satz 1 SGB XII in Verbindung mit § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen. Diese Rechtsauffassung hatte der Beklagte zunächst mit Schreiben vom 11.4.2008 und in Form einer Nebenbestimmung zum Ausgangsbescheid geäußert, später an dieser aber nicht mehr festgehalten. Es ist offensichtlich, dass der Kläger nicht unter den üblichen Bedingung des Arbeitsmarktes arbeitet. Allein der Blick auf die monatliche Vergütung widerlegt diese Annahme.
3. Der Kläger ist dem Grunde nach gem. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB XII vom Bezug nach dem 3./4. Kapitel SGB XII ausgeschlossen (unter a). Allerdings liegt ein besonderer Härtefall gem. § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB XII vor (unter b). Der Beklagte hat daher erneut über die Leistungsgewährung nach dem 3. Kapitel zu befinden (unter c).
a) Gem. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB XII haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes oder der §§ 60 bis 62 SGB III dem Grunde nach förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Leistungen nach dem 3. und 4. Kapitel.
Der Kläger hat am 1.2.2008 eine Ausbildung zum Maler/Lackierer begonnen. Diese Ausbildung ist dem Grunde nach gem. §§ 60 bis 62 SGB III förderfähig. Dem Kläger wurden tatsächlich Leistungen der Berufsausbildungsbeihilfe bewilligt.
Damit hat er keinen Anspruch auf Leistungen nach dem 3. und 4. Kapitel. Anhaltspunkte für einen Ausschluss des Satzes 1 gem. § 22 Abs. 2 SGB XII gibt es nicht.
b) In besonderen Härtefällen können Leistungen nach dem 3. oder 4. Kapitel als Beihilfe oder Darlehen gewährt werden, § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB XII. Ein solcher besonderer Härtefall liegt nach Auffassung der Kammer hier vor.
§ 22 SGB XII grenzt die Sozialhilfe gegenüber der Ausbildungsförderung ab und dient dazu, den Vorrang der speziellen Förderungsgesetze auch auf der Ebene des Sozialhilferechts durchzusetzen. Der generelle Anspruchsausschluss wird durch die Härteregelung abgemildert. Wegen des nicht bedarfsdeckenden Charakters der Ausbildungsförderung bedeutet der Anspruchsausschluss im Ergebnis, dass der Auszubildende die Ausbildung durch die Hilfe Dritter (z.B. Eltern), durch eine ausbildungsbegleitende Tätigkeit oder durch die Aufnahme eines Darlehens kofinanzieren muss. Stehen derartige Möglichkeiten nicht zur Verfügung, muss die Ausbildung ggf. unterbrochen oder sogar aufgegeben werden (vgl. dazu insgesamt Voelzke in jurisPK-SGBXII, § 22 SGB XII Rz. 7, 10, 12).
Der Begriff "besonderer Härtefall" ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der der vollen gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Die Reichweiter der Ausnahme ist durch eine Gegenüberstellung mit dem Regeltatbestandes des Satzes 1 zu ermitteln. Nur eine Abweichung vom Regelfall ermöglicht die Annahme einer Härte.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) lag ein besonderer Härtefall vor, wenn die Folgen des Anspruchsausschlusses über das Maß hinausgehen, das regelmäßig mit der Versagung von Hilfe zum Lebensunterhalt für eine Ausbildung verbunden ist und auch mit Rücksicht auf den Gesetzeszweck, die Sozialhilfe von den finanziellen Lasten einer Ausbildungsförderung freizuhalten, als übermäßig hart, das heißt als unzumutbar oder in hohem Maße unbillig erscheinen (vgl. Niewald in Münder, SGB XII, 8. Aufl., § 22 Rz. 27). Allein eine Bedarfsunterdeckung und der damit verbundene Abbruch der Ausbildung stellen für sich genommen keine besondere Härte dar, weil dies die regelmäßige Folge des Anspruchsausschlusses nach Satz 1 ist (vgl. Niewald a.a.O. Rz. 28).
Eine Kumulation von besonderen Umständen führt nach Auffassung des Gerichts zur Annahme einer besonderen Härte.
aa) Die vom Gesetzgeber für "normal" und zumutbar erachteten Selbsthilfemöglichkeiten (Nebentätigkeit, Unterstützung durch Eltern) versagen beim Kläger.
Der Kläger nahm während seiner Lehrzeit durchgehend an einer Maßnahme nach §§ 67 f SGB XII teil, die der Beklagte auch bewilligte. Aufgrund der engmaschigen Verzahnung zwischen Ausbildung und Maßnahme war es dem Kläger faktisch nicht möglich eine Nebentätigkeit auszuüben und damit die Bedarfsunterdeckung auszugleichen. Kläger und Beigeladener haben dargelegt, dass der Kläger nicht über "Freizeit" im klassischen Sinne verfügte, sondern dass aufgrund der Maßnahme pädagogisch sinnvolle Freizeitgestaltung auf dem Programm stand. Damit schieden Hinzuverdienstmöglichkeiten Abends oder am Wochenende aus.
Verglichen mit einem Auszubildenden außerhalb einer stationären Einrichtung war es ihm auch nicht möglich seine Unterkunftskosten oder Lebenshaltungskosten eigeninitiativ zu senken. Der Umzug in ein günstiges Zimmer in einer Wohngemeinschaft od.ä. war aufgrund der Maßnahme nicht möglich.
Ein Rückgriff auf eine Unterstützung durch die Eltern oder Dritte scheidet aus. Richtig ist zwar, wie der Beklagte ausführt, dass ein Rückgriff auf das Einkommen der Eltern des Klägers gem. § 68 Abs. 2 Satz 2 SGB XII für die Maßnahme selbst ausscheidet. Eine solche Regelung gibt es explizit für eine Ausbildung in § 22 SGB XII nicht. Allerdings sind die gesamten Umstände zu berücksichtigen. Sinn und Zweck des § 68 Abs. 2 Satz 2 SGB XII sind aber übertragbar, als andernfalls der Erfolg der Maßnahme als solches gefährdet wäre. Da Teil der Maßnahme auch der Abbau von Schulden und die Verhinderung von neuen Schulden war, scheidet eine darlehensweise Finanzierung durch Dritte ebenfalls aus.
bb) Der ungedeckte Bedarf wird durch die besondere Fürsorgebedürftigkeit des Klägers bestimmt und ist in der vorrangigen Ausbildungsförderung nicht berücksichtigt (vgl. zur Vorgängervorschrift des § 26 BSHG: Schellhorn, BSHG, 15. Aufl., § 26 Rz. 30).
Zum streitgegenständlichen Zeitpunkt absolvierte der Kläger eine Maßnahme nach §§ 67 f SGB XII. Die Notwendigkeit dieser Maßnahme wird von den Beteiligten nicht angezweifelt; der Beklagte hat diese bewilligt und finanziert. Der Kläger befand sich demnach in einer stationären Einrichtung des Beigeladenen und bedurfte deshalb der besonderen Fürsorge. Die aufgrund der stationären Unterbringung entstehenden Kosten gem. § 35 SGB XII resultieren daher aus dieser Fürsorgepflicht. Einflussnahmemöglichkeiten des Klägers, diese zu verringern gab es nicht (siehe dazu oben unter aa).
cc) Der regelmäßig hinzunehmende Abbruch der Ausbildung oder die Unterbrechung derselben hätte den Kläger übermäßig hart getroffen. Denn für den Kläger wäre nicht nur die Ausbildung verloren gewesen. Der gesamte Erfolg der Maßnahme selbst wäre damit gefährdet gewesen. Damit ist auch das Verhalten des Beklagten widersprüchlich, der einerseits die Maßnahme selbst finanziert bzw. bewilligt und andererseits deren Ziel gefährdet. Der mit dem Ausbildungsverlust einhergehende Abbruch der Maßnahme hätte für den gesamten weiteren Lebensweg des Klägers möglicherweise bedeutet, dass er auf staatliche Unterstützungsleistungen angewiesen wäre. Diese negative Folge ist vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt (vgl. dazu BSG, Urteil vom 6.9.2007, Az. B 14/7b AS 36/06 R).
dd) Auch nach dem vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gewonnen persönlichen Eindruck kam die Kammer zu der Auffassung, dass in der Person des Klägers ein erheblich vom Regelfall abweichender besonderer Härtefall zu bejahen ist. Der Kläger hat eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass er nach Abschluss der Berufsausbildung und Beendigung der Maßnahme nun auf eigenen Beinen steht und seit knapp einem Jahr eine feste Anstellung inne hat. Ohne die enge Verzahnung von Ausbildung und Maßnahme wäre dies wohl nicht möglich gewesen. Selbst nach Beendigung der Ausbildung wurde der Kläger noch weitere 10 Monate in der Maßnahme begleitet. Dies unterstreicht den besonderen Bedarf.
c) Nachdem die Kammer das Vorliegen einer "besonderen Härte" bejaht, können Leistungen nach dem 3. oder 4. Kapitel als Beihilfe oder Darlehen erbracht werden. Mit Vorliegen der Ermessensvoraussetzungen ist dem Beklagten Ermessen eröffnet.
Anders als der Beklagte geht das Gericht davon aus, dass ein Ermessensspielraum gegeben ist (vgl. Grube in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Aufl., § 22 Rz. 49). Zwar mag dem Beklagten - unter Hinweis auf die Kommentierung bei Schellhorn (a.a.O.) - beizupflichten sein, dass ein Entschließungsermessen hinsichtlich des "Ob" der Leistungsgewährung nicht zuzubilligen ist, weil bereits alle berücksichtigungsfähigen Gesichtspunkte bei der Prüfung des besonderen Härtefalles berücksichtigt wurden. Es verbleiben demnach keine Gesichtspunkte, die bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen ein Absehen von der Leistungsgewährung rechtfertigen könnten (so Voelzke a.a.O. Rz. 53 und Niewald a.a.O. Rz. 35).
Allerdings ist hinsichtlich Art und Maß der Hilfe Ermessen gegeben (Darlehen oder Beihilfe, Höhe der Leistung; vgl. Voelzke a.a.O., Rz. 54f, Grube a.a.O. Rz. 50). Dabei wird der Beklagte hinsichtlich Höhe, Art und Umfang zu entscheiden haben. Aspekte der Ermessensentscheidung können u.a. die Höhe der Unterdeckung (zwischen rund 18 Euro bis rund 67 Euro monatlich zum Eigenanteil zzgl. Barbetrag und ggf. Bekleidungsbeihilfe), finanzielle Belastbarkeit des Klägers nach Abschluss der Ausbildung oder Belastbarkeit des Klägers während der Ausbildung sein.
Der Einwand des Beklagten, der Kläger hätte keinen Anspruch auf Leistungen nach dem 3. Kapitel SGB XII, selbst wenn ein Härtefall vorläge, weil der Kläger dann einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II (§ 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II) hätte, was wiederum Leistungen nach § 21 SGB XII ausschließe, überzeugt nicht. Aufgrund der Tatsache, dass der Kläger stationär untergebracht ist, ist er von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossen, § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II. Eine Ausnahme nach Satz 2 der Vorschrift liegt nicht vor, weil der Kläger nicht unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig ist (siehe dazu oben a). Wegen dieses Ausschlusses ist eine Anwendung von § 7 Abs. 5 SGB II nicht eröffnet. Der Kläger verbleibt damit - in sachgerechter Weise - im Leistungssystem des SGB XII.
Demnach war die ablehnende Entscheidung des Beklagten aufzuheben und der Beklagte zu verurteilen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über den Antrag auf Leistungen nach dem 3. Kapitel SGB XII zu entscheiden.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
II. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB XII in Form der Hilfe zum Lebensunterhalt in einer stationären Einrichtung in der Zeit 1.5.2008 bis 31.05.2009.
Der 1983 geborene Kläger wurde im Oktober 2007 in eine Einrichtung des Beigeladenen für Menschen in besonderen Lebenslagen aufgenommen. Mit Bescheid vom 9.11.2007 bewilligte der Beklagte dem Kläger für die Zeit 26.10.2007 bis 31.5.2009
a) Hilfe zum Lebensunterhalt in einer Einrichtung (aktuell 623 Euro),
b) einen Barbetrag (93,69 Euro),
c) Bekleidungsbeihilfen von maximal 384 Euro,
d) Hilfen zur Überwindung besonderer persönlicher Schwierigkeiten in der Einrichtung der H. (mtl. rund 2000 Euro) sowie
e) ab 7.11.2007 Tagesstruktur/Berufsförderung (Bl. 10 der Verwaltungsakte des Beklagten).
In Nr. 4 des Bescheides heißt es, dass mit der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes die Gewährung von Hilfen zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel entfalle, insbesondere die Leistungen unter den Buchstaben a) bis c).
Im Januar 2008 wurde mitgeteilt, dass der Kläger zum 1.2.2008 eine Berufsausbildung als Maler/Lackierer anfangen werde; Berufsausbildungsbeihilfe sei formlos beantragt worden. Ab 1.2.2008 werde sich daher die Leistungsart "Tagesstrukturierte Beschäftigung" in Ausbildung ändern (Bl. 36ff der Verwaltungsakte des Beklagten). Ausweislich des Ausbildungsvertrages vom 1.2.2008 zwischen dem Kläger und dem Beigeladenen als Ausbildungsbetrieb lief die Ausbildung vom 1.2.2008 bis 31.1.2011; die monatliche Vergütung betrug in der gesamten Ausbildungsdauer monatlich 93,69 Euro (Bl. 62 der Verwaltungsakte des Beklagten).
Im Januar 2008 wurden dem Kläger für die Zeit 1.2.2008 bis 31.7.2009 Leistungen der Berufsausbildungsbeihilfe gem. §§ 59ff SGB III bewilligt (Bescheid vom 21.1.2008). Für Februar und März 2008 monatlich 417 Euro, für April bis Juli 2008 monatlich 465 Euro und für die Zeit August 2008 bis Juli 2009 monatlich 514 Euro (Bl. 117 der Verwaltungsakte des Beklagten).
Der Beklagte teilte daraufhin dem Kläger mit, dass gemäß der Nr. 4 des Bescheides vom 9.11.2007 die Hilfe zum Lebensunterhalt zum 1.2.2008 entfalle. Der Kläger gehöre nun zum anspruchsberechtigten Personenkreis nach dem SGB II, weshalb er gem. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB XII vom Leistungsbezug ausgeschlossen sei. Die Leistungen zum Lebensunterhalt von derzeit 623 Euro seien beim Maßnahmeträger ab 1.2.2008 direkt einzuzahlen (Schreiben vom 11.4.2008, Bl. 64 der Verwaltungsakte des Beklagten).
Mit Bescheid vom 14.4.2008 hob der Beklagte den Bescheid vom 9.11.2007 für die Zeit ab 1.2.2008 ganz auf (Nr. 1), bewilligte für die Zeit 1.2.2008 bis 31.5.2009 dem Kläger in der Einrichtung des Beigeladenen Hilfen zur Überwindung besonderer persönlicher Schwierigkeiten sowie Tagesstruktur/Berufsförderung (Nr. 2) und lehnte Grundsicherungsleistungen, Hilfe zum Lebensunterhalt in Einrichtungen, den Barbetrag und Bekleidungsbeihilfe ab (Nr. 3) (Bl. 69f der Verwaltungsakte des Beklagten). In der Begründung heißt es, dass die zum 1.2.2008 aufgenommene Ausbildung dem Grunde nach förderungsfähig nach dem Berufsausbildungsförderungsgesetz (BAB) sei. Gem. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB XII sei der Kläger daher von Leistungen für den Lebensunterhalt ausgeschlossen.
Dagegen erhob der Kläger Widerspruch (Bl. 79, 81f der Verwaltungsakte des Beklagten). Der Bescheid sei rechtswidrig, da einerseits ein Ermessensfehler vorliege, andererseits die Voraussetzungen des § 7 Abs. 4 Nr. 2 SGB II und § 22 SGB XII verkannt worden seien. Die Ausbildung stelle keine Tätigkeit unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes dar. Der Beklagte habe es unterlassen zu prüfen, ob ein Härtefall vorliege und Hilfe zum Lebensunterhalt als Beihilfe oder Darlehen erbracht werden müsse. Er stelle ausdrücklich nochmals einen Antrag auf Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt in Einrichtungen als Beihilfe.
Im Mai 2008 wurde der Antrag des Klägers auf Leistungen nach dem SGB II abgelehnt, weil die Ausbildung des Klägers dem Grunde nach förderfähig sei (§ 7 Abs. 5 und 6 SGB II; Bescheid vom 19.5.2008).
Der Beklagte half dem Widerspruch des Klägers teilweise ab (Bescheid vom 25.8.2008). Er hob den Bescheid vom 14.4.2008 teilweise auf und gewährte dem Kläger in der Zeit 1.2.2008 bis 30.4.2008 Leistungen in ursprünglichem Umfang (inklusive Hilfe zum Lebensunterhalt in Einrichtungen, Barbetrag, Bekleidungsbeihilfe). Für die Zeit ab 1.5.2008 bis 31.5.2009 verbleibe es beim Bescheid vom 14.4.2008. Eine rückwirkende Einstellung der Leistungen zum 1.2.2008 mit Bescheid vom 14.4.2008 sei fehlerhaft gewesen; die Einstellung für die Zukunft, d.h. zum 1.5.2008, müsse jedoch erfolgen.
Dagegen erhob der Kläger abermals Widerspruch (Bl. 111, 112f der Verwaltungsakte des Beklagten). Im Wesentlichen verwies der Kläger zur Begründung auf den bereits gegen den Bescheid vom 14.4.2008 erhobenen Widerspruch.
Am 16.8.2010 schloss der Kläger seine Berufsausbildung ab und schied mit Ablauf dieses Tages aus dem berufsfördernden Bereich der H. aus (Bl. 144 der Verwaltungsakte des Beklagten).
Mit Widerspruchsbescheid vom 25.10.2010 der Regierung von Oberbayern wurden die Widersprüche des Klägers gegen den Bescheid vom 14.4.2008 in der Fassung des Teilabhilfebescheids vom 25.8.2008, soweit keine Abhilfe erfolgte, zurückgewiesen (Bl. 161ff der Verwaltungsakte des Beklagten). Der Kläger sei gem. § 22 Abs. 1 SGB XII von den Leistungen ausgeschlossen. Ein besonderer Härtefall liege nicht vor, das Ermessen sei demnach wegen fehlen der Tatbestandsvoraussetzungen nicht auszuüben gewesen.
Dagegen erhob der Kläger am 26.11.2010 Klage zum Sozialgericht München. Der Beklagte habe übersehen, dass ein Härtefall gem. § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB XII vorliege. Es sei unberücksichtigt geblieben, dass er sich in einer stationären Maßnahme befunden habe. Der Bedarf sei daher nicht durch die Ausbildung begründet, sondern durch die Maßnahme. Eine Heranziehung von Unterhaltspflichtigen scheide regelmäßig aus. Die bewilligte Berufsausbildungsbeihilfe reiche nicht aus, um den Eigenanteil zu decken. Einen Barbetrag oder eine Bekleidungsbeihilfe sei davon noch nicht umfasst. Er stehe damit schlechter als andere Bewohner, nur weil er eine Ausbildung mache. Die Argumentation des Beklagten konterkariere die Hilfe nach §§ 67f SGB XII. Eine parallele Tätigkeit zu der Ausbildung und der Maßnahme sei nicht möglich. Das Verhalten des Beklagten zwinge ihn, schulden zu machen. Andererseits erhalte er die Hilfe um Schulden abzubauen. Der Kläger beantragt:
Der Bescheid vom 14.4.2008 in der Fassung des Teilabhilfebescheids vom 25.8.2008 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 25.10.2010 wird soweit er Leistungen nach dem 3. und 4. Kapitel ablehnt aufgehoben und der Beklagte wird verpflichtet die Leistungen nach dem 3. und 4. Kapitel für die Zeit 01.05.2008 bis 31.05.2009 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Der Beklagte beantragt
die Klageabweisung.
Der Kläger sei vom Leistungsbezug ausgeschlossen, weil er eine dem Grunde nach förderfähige Ausbildung absolviert habe, § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB XII. Das Vorliegen eines besonderen Härtefalles gem. Satz 2 der Vorschrift sei nicht erkennbar. Die Feststellung eines besonderen Härtefalles werde sehr restriktiv in Rechtsprechung und Literatur gesehen. Nachvollziehbare Gründe habe der Kläger nicht vorgetragen. Die Mittel nach der Berufsausbildungsförderung seien grundsätzlich bedarfsdeckend; sei dies nicht der Fall, weil evtl. Einkommen der Eltern angerechnet werde oder die Berechnung falsch sei, liege kein Härtefall vor. Berücksichtige man noch die Ausbildungsvergütung neben der Berufsausbildungsbeihilfe liege kein Härtefall vor. Selbst wenn ein Härtefall vorläge, kämen Leistungen nach dem 3. Kapitel nicht in Betracht, denn dann hätte der Kläger einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II, § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II, was wiederum Leistungen gem. § 21 SGB XII ausschließe. Zudem sei die Ausbildung auch nicht Teil der Maßnahme, sondern diese werde lediglich parallel dazu absolviert.
Mit Beschluss vom 19.10.2011 wurde H. beigeladen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen. Auf die Niederschrift vom 25.10.2011 wird ausdrücklich verwiesen.
Entscheidungsgründe:
I. Die zulässige Klage ist begründet. Die Ablehnung der Leistungen nach dem 3. Kapitel SGB XII ist rechtswidrig und der Beklagte hat über den Leistungsanspruch des Klägers für die Zeit 1.5.2008 bis 31.5.2009, mithin 13 Monate, erneut zu entscheiden.
1. Streitgegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 14.4.2008 in der Fassung des Teilabhilfebescheids vom 25.8.2008 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 25.10.2010 soweit er Leistungen nach dem 3. und 4. Kapitel ablehnt. Der Kläger wehrt sich erkennbar nicht gegen die Weitergewährung der Hilfen nach §§ 67f SGB XII in der Einrichtung des Beigeladenen.
Zwar wurden dem Kläger zunächst mit Bescheid vom 9.11.2007 Leistungen auch nach dem 3. Kapitel SGB XII gewährt, welche mit hier streitgegenständlichen Bescheiden ab 1.5.2008 aufgehoben wurden. Eine reine Kassation der streitigen Bescheide führt jedoch nicht zum vom Kläger beantragten Erfolg. Im Zeitpunkt der Aufhebung des Bescheides hatten sich die Verhältnisse der Bewilligung und damit auch die Rechtsgrundlage geändert. Der Beklagte hat über die Bewilligung von Leistungen nach dem 3./4. Kapitel wegen geänderter Verhältnisse auf Grundlage anderer Rechtsvorschriften neu entschieden. Ziel des Klägers ist es deshalb, die - nach erfolgter Aufhebung der Bewilligung - neu entschiedene Ablehnung der Leistung auf Grundlage des § 22 SGB XII zu korrigieren.
Statthafte Klageart ist damit eine Anfechtungs- und Verpflichtungsklage, gerichtet auf Aufhebung der Ablehnung und Verpflichtung des Beklagten erneut über den Anspruch zu entscheiden. Anders als der Beklagte unter Hinweis auf die Kommentierung bei Schellhorn (SGB XII, § 22 SGB XII, Rz. 26) geht das Gericht davon aus, dass es sich bei § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB XII um eine Ermessensvorschrift handelt. Als Rechtsfolge sieht die Vorschrift jedoch vor, dass Leistungen als Darlehen oder Beihilfe erbracht werden können. Damit steht es im Ermessen des Beklagten jedenfalls über die Form der Hilfe zu befinden (siehe dazu unter 3. c).
2. Der Kläger ist nicht gem. § 21 Satz 1 SGB XII in Verbindung mit § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen. Diese Rechtsauffassung hatte der Beklagte zunächst mit Schreiben vom 11.4.2008 und in Form einer Nebenbestimmung zum Ausgangsbescheid geäußert, später an dieser aber nicht mehr festgehalten. Es ist offensichtlich, dass der Kläger nicht unter den üblichen Bedingung des Arbeitsmarktes arbeitet. Allein der Blick auf die monatliche Vergütung widerlegt diese Annahme.
3. Der Kläger ist dem Grunde nach gem. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB XII vom Bezug nach dem 3./4. Kapitel SGB XII ausgeschlossen (unter a). Allerdings liegt ein besonderer Härtefall gem. § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB XII vor (unter b). Der Beklagte hat daher erneut über die Leistungsgewährung nach dem 3. Kapitel zu befinden (unter c).
a) Gem. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB XII haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes oder der §§ 60 bis 62 SGB III dem Grunde nach förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Leistungen nach dem 3. und 4. Kapitel.
Der Kläger hat am 1.2.2008 eine Ausbildung zum Maler/Lackierer begonnen. Diese Ausbildung ist dem Grunde nach gem. §§ 60 bis 62 SGB III förderfähig. Dem Kläger wurden tatsächlich Leistungen der Berufsausbildungsbeihilfe bewilligt.
Damit hat er keinen Anspruch auf Leistungen nach dem 3. und 4. Kapitel. Anhaltspunkte für einen Ausschluss des Satzes 1 gem. § 22 Abs. 2 SGB XII gibt es nicht.
b) In besonderen Härtefällen können Leistungen nach dem 3. oder 4. Kapitel als Beihilfe oder Darlehen gewährt werden, § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB XII. Ein solcher besonderer Härtefall liegt nach Auffassung der Kammer hier vor.
§ 22 SGB XII grenzt die Sozialhilfe gegenüber der Ausbildungsförderung ab und dient dazu, den Vorrang der speziellen Förderungsgesetze auch auf der Ebene des Sozialhilferechts durchzusetzen. Der generelle Anspruchsausschluss wird durch die Härteregelung abgemildert. Wegen des nicht bedarfsdeckenden Charakters der Ausbildungsförderung bedeutet der Anspruchsausschluss im Ergebnis, dass der Auszubildende die Ausbildung durch die Hilfe Dritter (z.B. Eltern), durch eine ausbildungsbegleitende Tätigkeit oder durch die Aufnahme eines Darlehens kofinanzieren muss. Stehen derartige Möglichkeiten nicht zur Verfügung, muss die Ausbildung ggf. unterbrochen oder sogar aufgegeben werden (vgl. dazu insgesamt Voelzke in jurisPK-SGBXII, § 22 SGB XII Rz. 7, 10, 12).
Der Begriff "besonderer Härtefall" ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der der vollen gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Die Reichweiter der Ausnahme ist durch eine Gegenüberstellung mit dem Regeltatbestandes des Satzes 1 zu ermitteln. Nur eine Abweichung vom Regelfall ermöglicht die Annahme einer Härte.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) lag ein besonderer Härtefall vor, wenn die Folgen des Anspruchsausschlusses über das Maß hinausgehen, das regelmäßig mit der Versagung von Hilfe zum Lebensunterhalt für eine Ausbildung verbunden ist und auch mit Rücksicht auf den Gesetzeszweck, die Sozialhilfe von den finanziellen Lasten einer Ausbildungsförderung freizuhalten, als übermäßig hart, das heißt als unzumutbar oder in hohem Maße unbillig erscheinen (vgl. Niewald in Münder, SGB XII, 8. Aufl., § 22 Rz. 27). Allein eine Bedarfsunterdeckung und der damit verbundene Abbruch der Ausbildung stellen für sich genommen keine besondere Härte dar, weil dies die regelmäßige Folge des Anspruchsausschlusses nach Satz 1 ist (vgl. Niewald a.a.O. Rz. 28).
Eine Kumulation von besonderen Umständen führt nach Auffassung des Gerichts zur Annahme einer besonderen Härte.
aa) Die vom Gesetzgeber für "normal" und zumutbar erachteten Selbsthilfemöglichkeiten (Nebentätigkeit, Unterstützung durch Eltern) versagen beim Kläger.
Der Kläger nahm während seiner Lehrzeit durchgehend an einer Maßnahme nach §§ 67 f SGB XII teil, die der Beklagte auch bewilligte. Aufgrund der engmaschigen Verzahnung zwischen Ausbildung und Maßnahme war es dem Kläger faktisch nicht möglich eine Nebentätigkeit auszuüben und damit die Bedarfsunterdeckung auszugleichen. Kläger und Beigeladener haben dargelegt, dass der Kläger nicht über "Freizeit" im klassischen Sinne verfügte, sondern dass aufgrund der Maßnahme pädagogisch sinnvolle Freizeitgestaltung auf dem Programm stand. Damit schieden Hinzuverdienstmöglichkeiten Abends oder am Wochenende aus.
Verglichen mit einem Auszubildenden außerhalb einer stationären Einrichtung war es ihm auch nicht möglich seine Unterkunftskosten oder Lebenshaltungskosten eigeninitiativ zu senken. Der Umzug in ein günstiges Zimmer in einer Wohngemeinschaft od.ä. war aufgrund der Maßnahme nicht möglich.
Ein Rückgriff auf eine Unterstützung durch die Eltern oder Dritte scheidet aus. Richtig ist zwar, wie der Beklagte ausführt, dass ein Rückgriff auf das Einkommen der Eltern des Klägers gem. § 68 Abs. 2 Satz 2 SGB XII für die Maßnahme selbst ausscheidet. Eine solche Regelung gibt es explizit für eine Ausbildung in § 22 SGB XII nicht. Allerdings sind die gesamten Umstände zu berücksichtigen. Sinn und Zweck des § 68 Abs. 2 Satz 2 SGB XII sind aber übertragbar, als andernfalls der Erfolg der Maßnahme als solches gefährdet wäre. Da Teil der Maßnahme auch der Abbau von Schulden und die Verhinderung von neuen Schulden war, scheidet eine darlehensweise Finanzierung durch Dritte ebenfalls aus.
bb) Der ungedeckte Bedarf wird durch die besondere Fürsorgebedürftigkeit des Klägers bestimmt und ist in der vorrangigen Ausbildungsförderung nicht berücksichtigt (vgl. zur Vorgängervorschrift des § 26 BSHG: Schellhorn, BSHG, 15. Aufl., § 26 Rz. 30).
Zum streitgegenständlichen Zeitpunkt absolvierte der Kläger eine Maßnahme nach §§ 67 f SGB XII. Die Notwendigkeit dieser Maßnahme wird von den Beteiligten nicht angezweifelt; der Beklagte hat diese bewilligt und finanziert. Der Kläger befand sich demnach in einer stationären Einrichtung des Beigeladenen und bedurfte deshalb der besonderen Fürsorge. Die aufgrund der stationären Unterbringung entstehenden Kosten gem. § 35 SGB XII resultieren daher aus dieser Fürsorgepflicht. Einflussnahmemöglichkeiten des Klägers, diese zu verringern gab es nicht (siehe dazu oben unter aa).
cc) Der regelmäßig hinzunehmende Abbruch der Ausbildung oder die Unterbrechung derselben hätte den Kläger übermäßig hart getroffen. Denn für den Kläger wäre nicht nur die Ausbildung verloren gewesen. Der gesamte Erfolg der Maßnahme selbst wäre damit gefährdet gewesen. Damit ist auch das Verhalten des Beklagten widersprüchlich, der einerseits die Maßnahme selbst finanziert bzw. bewilligt und andererseits deren Ziel gefährdet. Der mit dem Ausbildungsverlust einhergehende Abbruch der Maßnahme hätte für den gesamten weiteren Lebensweg des Klägers möglicherweise bedeutet, dass er auf staatliche Unterstützungsleistungen angewiesen wäre. Diese negative Folge ist vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt (vgl. dazu BSG, Urteil vom 6.9.2007, Az. B 14/7b AS 36/06 R).
dd) Auch nach dem vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gewonnen persönlichen Eindruck kam die Kammer zu der Auffassung, dass in der Person des Klägers ein erheblich vom Regelfall abweichender besonderer Härtefall zu bejahen ist. Der Kläger hat eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass er nach Abschluss der Berufsausbildung und Beendigung der Maßnahme nun auf eigenen Beinen steht und seit knapp einem Jahr eine feste Anstellung inne hat. Ohne die enge Verzahnung von Ausbildung und Maßnahme wäre dies wohl nicht möglich gewesen. Selbst nach Beendigung der Ausbildung wurde der Kläger noch weitere 10 Monate in der Maßnahme begleitet. Dies unterstreicht den besonderen Bedarf.
c) Nachdem die Kammer das Vorliegen einer "besonderen Härte" bejaht, können Leistungen nach dem 3. oder 4. Kapitel als Beihilfe oder Darlehen erbracht werden. Mit Vorliegen der Ermessensvoraussetzungen ist dem Beklagten Ermessen eröffnet.
Anders als der Beklagte geht das Gericht davon aus, dass ein Ermessensspielraum gegeben ist (vgl. Grube in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Aufl., § 22 Rz. 49). Zwar mag dem Beklagten - unter Hinweis auf die Kommentierung bei Schellhorn (a.a.O.) - beizupflichten sein, dass ein Entschließungsermessen hinsichtlich des "Ob" der Leistungsgewährung nicht zuzubilligen ist, weil bereits alle berücksichtigungsfähigen Gesichtspunkte bei der Prüfung des besonderen Härtefalles berücksichtigt wurden. Es verbleiben demnach keine Gesichtspunkte, die bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen ein Absehen von der Leistungsgewährung rechtfertigen könnten (so Voelzke a.a.O. Rz. 53 und Niewald a.a.O. Rz. 35).
Allerdings ist hinsichtlich Art und Maß der Hilfe Ermessen gegeben (Darlehen oder Beihilfe, Höhe der Leistung; vgl. Voelzke a.a.O., Rz. 54f, Grube a.a.O. Rz. 50). Dabei wird der Beklagte hinsichtlich Höhe, Art und Umfang zu entscheiden haben. Aspekte der Ermessensentscheidung können u.a. die Höhe der Unterdeckung (zwischen rund 18 Euro bis rund 67 Euro monatlich zum Eigenanteil zzgl. Barbetrag und ggf. Bekleidungsbeihilfe), finanzielle Belastbarkeit des Klägers nach Abschluss der Ausbildung oder Belastbarkeit des Klägers während der Ausbildung sein.
Der Einwand des Beklagten, der Kläger hätte keinen Anspruch auf Leistungen nach dem 3. Kapitel SGB XII, selbst wenn ein Härtefall vorläge, weil der Kläger dann einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II (§ 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II) hätte, was wiederum Leistungen nach § 21 SGB XII ausschließe, überzeugt nicht. Aufgrund der Tatsache, dass der Kläger stationär untergebracht ist, ist er von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossen, § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II. Eine Ausnahme nach Satz 2 der Vorschrift liegt nicht vor, weil der Kläger nicht unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig ist (siehe dazu oben a). Wegen dieses Ausschlusses ist eine Anwendung von § 7 Abs. 5 SGB II nicht eröffnet. Der Kläger verbleibt damit - in sachgerechter Weise - im Leistungssystem des SGB XII.
Demnach war die ablehnende Entscheidung des Beklagten aufzuheben und der Beklagte zu verurteilen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über den Antrag auf Leistungen nach dem 3. Kapitel SGB XII zu entscheiden.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
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