S 20 SO 31/11

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
20
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 20 SO 31/11
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin. Der Streitwert wird auf 1.677,06 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten einer Krankenhausbehandlung des Beigeladenen in Höhe von 1.677,06 EUR.

Der am 00.00.0000 geborene Beigeladene ist rumänischer Staatsangehöriger. Am 15.10.2007 reiste er nach Deutschland ein; am selben Tag zeigte er seinen Aufenthalt bei der Ausländerbehörde an. Ab Oktober 2007 wohnte er in der Stolberger Straße, seit Januar 2008 wohnt er in der Josefstraße in B ... Vom 24. bis 25.11.2009 wurde der Beigeladene als Notfallpatient im Krankenhaus der Klägerin stationär behandelt. Dafür stellte ihm die Klägerin 1.677,06 EUR in Rechnung. Als er die Rechnung nicht beglich, teilte die Klägerin am 18.01.2010 die Krankenhausbehandlung vorsorglich der Beklagten mit und beantragte die Übernahme der Kosten als Nothelfer.

Nachdem der Beigeladene auf mehrere Anfragen der Beklagten nicht geantwortet hatte, lehnte diese den Kostenerstattungsantrag durch Bescheid vom 25.02.2010 ab mit der Begründung, die Bedürftigkeit des Beigeladenen sei nicht festzustellen.

Dagegen erhob die Klägerin am 16.03.2010 Widerspruch. Am 01.04.2010 übermittelte sie der Beklagten ein Telefax vom 30.10.2008, das einen fünfseitigen Antrag des Beigeladenen auf Sozialhilfe enthält. In diesem Antrag hatte der Beigeladene angegeben, er sei angemeldet, habe aber keine Aufenthaltsgenehmigung; er suche eine Arbeitsstelle. Die Klägerin behauptete, sie habe vom Patienten noch nachträglich per Post einen Antrag auf Sozialhilfe ausfüllen lassen; dieser Antrag sei zeitnah übermittelt worden, sodass nunmehr die für die Prüfung notwendigen Angaben vorlägen. Das Universitätsklinikum habe alle im Rahmen der vorliegenden Umstände möglichen Angaben erhoben und an das Sozialamt der Stadt Aachen weitergeleitet.

Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 08.02.2011 zurück. Sie wies daraufhin, dass in dem vom Beigeladenen ausgefüllten Sozialhilfeantrag wesentliche Angaben nicht gemacht worden seien; insbesondere habe er zu der Frage, wovon er lebe, keine Angaben gemacht, sodass auch eine eventuelle Krankenversicherung nicht auszuschließen sei. Der Beigeladene sei wiederholt, zuletzt nochmals im Rahmen des Widerspruchsverfahrens unter der bekannten Meldeadresse angeschrieben und um Beibringung diverser Unterlagen bzw. Informationen gebeten worden; hierauf sei keine Mitwirkung des Beigeladenen erfolgt. Da die Bedürftigkeit des Beigeladenen nicht glaubhaft gemacht worden sei, könnten die Krankenhausbehandlungskosten nicht übernommen werden.

Dagegen hat die Klägerin am 10.03.2011 Klage erhoben. Sie geht davon aus, dass eine Krankenversicherung des Beigeladenen zum Behandlungszeitpunkt nicht bestanden habe. Sie verweist auf einen Vermerk in der Patientenakte; danach habe der Beigeladene bei der Aufnahme im Krankenhaus angegeben, am 03.10.2009 nach Deutschland zunächst für einen sechswöchigen Gasturlaub eingereist zu sein und zu beabsichtigen, in Deutschland zu bleiben und eine "Berufstätigkeit" aufzunehmen; eine Aufenthaltsgenehmigung habe nicht vorgelegen. In einem späteren Schriftsatz hat die Klägerin behauptet, der Beigeladene habe bei der Krankenhausaufnahme angegeben, er plane "zum 01.01.2010 eine Firmengründung". Wie bereits in der Widerspruchsbegründung behauptet die Klägerin in der Klageschrift, sie habe einen nach Erlass des Ablehnungsbescheides "zwischenzeitlich von Herr C. ausgefüllten Sozialhilfeantrag" verbunden mit einem erneuten Kostenübernahmeantrag am 01.04.2010 übersandt. Die Klägerin hat im Laufe des Klageverfahrens ein vom Beigeladenen am 08.09.2008 unterzeichnetes "Vermögensverzeichnis" vorgelegt, aus dem sich ergibt, dass er schon damals in der Josefstraße in B. wohnte, arbeitslos war und über keinerlei Einkünfte oder nennenswertes Vermögen verfügte; er hatte angegeben, er werde von seiner Freundin unterstützt; seine Mutter bezahle die Miete und den Strom. Die Klägerin ist der Auffassung, durch diese Unterlagen werde die Sozialhilfebedürftigkeit des Beigeladenen hinreichend belegt. Sie sei davon ausgegangen, dass sich der Beigeladene zulässigerweise in Deutschland aufgehalten und in einem Status befunden habe, innerhalb dessen er einen rechtmäßigen Aufenthalt hätte herbeiführen können.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25.02.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 08.02.2011 zu verurteile ihr 1.677,06 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 10.03.2011 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie sieht durch die vorgelegten Unterlagen und Angaben des Beigeladenen ihre Zweifel an dessen Sozialhilfebedürftigkeit im November 2009 nicht ausgeräumt. Diese Zweifel bestünden insbesondere auch deshalb, weil der Beigeladene seinerzeit keine Sozialhilfeleistungen erhalten oder beantragt habe und nach eigenen Angaben von seiner Mutter sowie Freundin finanziell unterstützt worden sei; es bestehe gegebenenfalls die Möglichkeit, von diesen Personen ebenfalls Geld zur Begleichung der Krankenhausrechnung zu erhalten. Die Beklagte ist darüber hinaus der Auffassung, dass ein sozialhilferechtlicher Nothelferanspruch der Klägerin daran scheiterte, dass der Beigeladene als EU-Ausländer zum Zwecke der Arbeitssuche eingereist sei und deshalb keinen Anspruch auf Sozialhilfe gehabt habe.

Der Beigeladene stellt keinen eigenen Antrag. Er hat auf entsprechende Anfrage des Gerichts mitgeteilt, dass sich im Zeitraum vom 08.09.2008 bis zur Krankenhausbehandlung im November 2009 in seinen wirtschaftlichen Verhältnissen nichts geändert habe.

Das Gericht hat die Ausländerakte des Beigeladenen beigezogen und eine Auskunft vom Ausländeramt eingeholt. Dieses hat mitgeteilt, dass der Beigeladene gem. § 4 des Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) das Recht auf Aufenthalt in Deutschland habe, wenn er über ausreichende Existenzmittel und Krankenversicherungsschutz verfüge. Da er trotz mehrfacher Aufforderung keine Nachweise vorgelegt habe, sei die Ausstellung der Freizügigkeitsbescheinigung nicht in Betracht gekommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten und der Ausländerakte des Beigeladenen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Sie hat keinen Nothelferanspruch auf Erstattung ihrer Aufwendungen für die Krankenhausbehandlung des Beigeladenen am 24. und 25.11.2009 in Höhe von 1.677,06 EUR, da die Voraussetzungen der insoweit in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage des § 25 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) nicht erfüllt sind.

§ 25 SGB XII bestimmt in Satz 1: "Hat jemand in einem Eilfall einem Anderen Leistungen erbracht, die bei rechtzeitigem Einsetzen von Sozialhilfe nicht zu erbringen gewesen wären, sind ihm die Aufwendungen im gebotenen Umfang zu erstatten, wenn er sie nicht aufgrund rechtlicher oder sittlicher Pflichten selbst zu tragen hat". Zwar hat die Klägerin in einem Notfall Leistungen – hier: Krankenhilfe – erbracht, durch die ihr Aufwendungen im beantragten Umfang entstanden sind. Eine Erstattungspflicht der Beklagten besteht jedoch deshalb nicht, weil der Beigeladene einen entsprechenden Sozialhilfeanspruch gegenüber der Beklagten nicht gehabt hätte. Dies aber ist Voraussetzung für die Begründetheit eines Nothelferanspruchs nach § 25 SGB XII.

Allerdings kann ein originärer Sozialhilfeanspruch des Beigeladenen nicht deshalb verneint werden, weil er Krankenversicherungsschutz gehabt und deshalb ein anderer Sozialleistungsträger die erforderliche Leistung zu erbringen gehabt hätte (Nachranggrundsatz; vgl. § 2 Abs. 1 SGB XII). Zwar sind gem. § 5 Abs. 1 Nr. 13 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) Personen, die keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben und a) zuletzt gesetzlich krankenversichert waren oder b) bisher nicht gesetzlich oder privat krankenversichert waren, krankenversicherungspflichtig. Dies gilt gem. § 5 Abs. 11 Satz 2 SGB V jedoch nicht für Angehörige eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union (EU), Angehörige eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder Staatsangehörige der Schweiz; diese werden von der Versicherungspflicht nach Satz 1 Nr. 13 nicht erfasst, wenn die Voraussetzungen für die Wohnortnahme in Deutschland die Existenz eines Krankenversicherungsschutzes nach § 4 FreizügG/EU ist. Dies trifft und traf im November 2009 auf den Beigeladenen zu. Nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU haben freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und ihre Familienangehörigen das Recht auf Einreise und Aufenthalt nach Maßgabe dieses Gesetzes. § 4 FreizügG/EU bestimmt, dass nicht erwerbstätige Unionsbürger, ihre Familienangehörigen und ihre Lebenspartner, die den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen, das Recht nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU (nur) haben, wenn sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen. Sofern freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und ihre Familienangehörige ein Aufenthaltsrecht haben, wird ihnen von Amts wegen unverzüglich eine Bescheinigung über das Aufenthaltsrecht ausgestellt (§ 5 Abs. 1 FreizügG/EU). Der Beigeladene hat sich zwar bei seiner Einreise am 15.10.2007 beim Ausländeramt gemeldet; er hat jedoch trotz mehrfacher Nachfrage der Ausländerbehörde keinen Krankenversicherungsschutz nachweisen können. Deshalb ist ihm auch eine Freizügigkeitsbescheinigung nicht ausgestellt worden. Daraus folgt, dass er nicht Pflichtmitglied in der so genannten Bürgerversicherung gem. § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V war und ist. Ein (gesetzlicher) Krankenversicherungsträger kommt also für die Krankenhausbehandlung des Beigeladenen als Leistungsverpflichteter nicht in Betracht.

Der Ausschluss eines hier in Rede stehenden Sozialhilfeanspruchs ergibt sich auch nicht aus § 21 Satz 1 SGB XII. Danach erhalten Personen, die nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, keine Leistungen für den Lebensunterhalt. Selbst wenn unterstellt würde, dass der Beigeladene im November 2008 die Voraussetzungen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erfüllte (Vollendung des 15. Lebensjahres, Erwerbsfähigkeit für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes im Umfang von mindestens drei Stunden täglich, Hilfebedürftigkeit und gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland) und deshalb dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II war, steht dies einem Krankenhilfeanspruch nach dem 5. Kapitel des SGB XII nicht entgegen. Denn die Leistungsauschlussregelung des § 21 Satz 1 SGB XII erfasst diese Leistungen nicht (vgl. Grube in: Grube/Wahrendorf, SGB XII-Kommentar, 3. Auflage 2010, § 21 Rn. 5).

Einem Sozialhilfeanspruch des Beigeladenen im November 2009 begegnen jedoch erhebliche Zweifel insofern, als seine Sozialhilfebedürftigkeit nicht mit letzte Zweifel ausschließender Sicherheit nachgewiesen ist. Er hat zwar am 08.09.2008 in einem "Vermögensverzeichnis" (so genannte eidesstattliche Versicherung) seine Einkommens- und Vermögenslosigkeit erklärt und auf Anfrage des Gerichts mitgeteilt, dass sich seit dieser Erklärung bis zur Krankenhausbehandlung im November 2009 seine wirtschaftlichen Verhältnisse nicht geändert hätten. Er hat dies jedoch nicht weiter substanziiert und keine weiteren Angaben zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen gemacht. Dies hätte nahegelegen, da er seinerzeit angegeben hat, von seiner Freundin und seiner Mutter finanziell unterstützt zu werden. Auch die weiteren Angaben der Klägerin zu den Verhältnissen des Beigeladenen lassen die Zweifel nicht kleiner werden. So behauptet die Klägerin sowohl im Widerspruchs- als auch im Klageverfahren, der Beigeladene habe, nachdem sie bei der Beklagten den Kostenübernahmeantrag gestellt habe und dieser abgelehnt worden sei, einen Antrag auf Sozialhilfe gestellt. Dies ist jedoch offensichtlich nicht der Fall. Ausweislich des auf der FAX-Kopie aufgebrachten Datums datiert dieser Antrag auf Sozialhilfe vom 30.10.2008; er liegt also mehr als ein Jahr vor dem Krankenhausaufenthalt und nicht etwa, wie die Klägerin wiederholt behauptet hat, zeitlich nach der Krankenhausbehandlung und dem Kostenübernahmeantrag. Auch die Behauptungen der Klägerin zu Angaben des Beigeladenen, die dieser bei der Krankenhausaufnahme im November 2009 gemacht haben soll, sind widersprüchlich und lassen sich, soweit sie tatsächlich so erfolgt sind, mit der Wirklichkeit nicht in Einklang bringen. So behauptet die Klägerin im Schriftsatz vom 29.04.2011, der Beigeladene habe angegeben, er beabsichtige, in Deutschland zu bleiben und eine "Berufstätigkeit" aufzunehmen. Nach einem Hinweis des Gerichts auf § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB XII und die Richtlinie 2004/38/EG hat die Klägerin im Schriftsatz vom 17.10.2011 behauptet, der Beigeladene habe angegeben, er plane zum 01.01.2010 eine "Firmengründung". Offensichtlich will sie damit zum Ausdruck bringen, dass der Beigeladene keine Beschäftigung als Arbeitnehmer suchte, sondern eine selbstständige Tätigkeit aufnehmen wollte. Wenn er aber, wie die Klägerin ursprünglich in der Klagebegründungsschrift dargelegt hat, angegeben hat, eine "Berufstätigkeit" aufzunehmen, lässt dies den Schluss auf eine Suche sowohl einer abhängigen als auch einer selbstständigen Tätigkeit zu. Wenn sich aber nach seinen eigenen Angaben in seinen wirtschaftlichen Verhältnissen zwischen September 2008 und November 2009 nichts verändert hat, ist nicht verständlich, wie er nur einen Monat später völlig mittellos eine selbstständige Tätigkeit glaubt aufnehmen zu können. Letztlich kann jedoch dahingestellt bleiben, ob der Beigeladene im November 2009 sozialhilfebedürftig war oder nicht, denn auch aus einem anderen Grunde bestand kein Sozialhilfeanspruch.

Nach § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII haben Ausländer, die eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen, oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, sowie ihre Familienangehörigen keinen Anspruch auf Sozialhilfe. Bestimmender Grund für den Aufenthalt des Beigeladenen in Deutschland ist – das ergibt sich sowohl aus seinem Antrag auf Sozialhilfe vom 30.10.2008 als auch aus den von der Klägerin mitgeteilten Angaben bei seiner Krankenhausaufnahme – die Arbeitssuche. In dem Sozialhilfeantrag hat er ausdrücklich angegeben, er suche eine Arbeitsstelle; nach Mitteilung der Klägerin hat er bei der Krankenhausaufnahme mitgeteilt, er beabsichtige eine Berufstätigkeit aufzunehmen.

Was unter dem in § 23 Abs. 3 SGB XII verwandten Begriff "Arbeitssuche" zu verstehen ist, definieren weder das SGB XII noch das FreizügG/EU. Nach § 15 Satz 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB II)) sind Arbeitssuchende Personen, die eine Beschäftigung als Arbeitnehmer suchen. Das gilt nach § 15 Satz 3 SGB III auch, wenn sie bereits eine Beschäftigung oder eine selbstständige Tätigkeit ausüben, nicht dagegen, wenn sie eine selbstständige Tätigkeit suchen. Nach Sinn und Zweck der Sozialhilfeausschlussregelung des § 23 Abs. 3 SGB XII ist der dort verwandte Begriff "Arbeitssuche" aber nicht allein im engeren Sinne einer Suche nach einer abhängigen Beschäftigung, sondern auch im Sinne der Suche nach einer selbstständigen Erwerbstätigkeit zu verstehen. Der Leistungsausschluss soll alle Personen erfassen, die auf der Suche nach jedweder (erlaubter) Arbeit/Erwerbstätigkeit sind, ohne dass es darauf ankommt, ob es sich um eine unselbstständige Arbeit (als Arbeitnehmer) oder um eine selbstständige Arbeit handelt.

§ 23 Abs. 3 Satz 2 SGB XII steht in Einklang mit der Richtlinie 2004/38/EG (Freizügigkeitsrichtlinie) vom 28.04.2004. Artikel 24 dieser Richtlinie schreibt zwar in Absatz 1 vor, dass jeder Unionsbürger, der sich aufgrund dieser Richtlinie im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufhält, im Anwendungsbereich des Vertrages die gleiche Behandlung wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats genießt; dies gilt jedoch nur vorbehaltlich spezifischer und ausdrücklich im Vertrag und im abgeleiteten Recht vorgesehenen Bestimmungen. Nach Artikel 24 Abs. 2 ist der Aufnahmemitgliedstaat abweichend von Abs. 1 nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen, Personen denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums nach Artikel 14 Abs. 4 Buchstabe b) einen Anspruch auf Sozialhilfe zu gewähren. Wäre der Beigeladene, wie er gegenüber der Klägerin bei der Krankenhausaufnahme angegeben haben soll, erst am 03.10.2009 nach Deutschland eingereist, so fiele die Krankenhausbehandlung in die ersten drei Monate des Aufenthalts, innerhalb deren ein Sozialhilfeanspruchsausschluss zulässig ist. Gegen ein Einreisedatum am 03.10.2009 spricht aber, dass er ausweislich der in der Ausländerakte befindlichen Daten und der Auskunft des Ausländeramtes bereits am 15.10.2007 nach Deutschland eingereist ist, hier verschiedene Wohnungen innehatte und aktuell noch unter der Anschrift gemeldet ist, die er seit Anfang 2008 hat. Wie sich aus Artikel 24 Abs. 2 der Freizügigkeitsrichtlinie ergibt, kann die Sozialhilfe auch für einen längeren Zeitraum als drei Monate nach Beginn des Aufenthalts ausgeschlossen werden. Dieser Zeitraum ergibt sich aus der Verweisungsvorschrift des Artikel 14 Abs. 4 Buchstabe b) der Freizügigkeitsrichtlinie; danach darf gegen Unionsbürger eine Ausweisung nicht verfügt werden, wenn und solange die Unionsbürger in das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitglieds eingereist sind, um Arbeit zu suchen. Ausgehend davon, dass der Beigeladene sich nicht nur im Oktober 2007, sondern auch im Verlauf des Jahres 2008 und noch im November 2009 auf Arbeitssuche befunden hat, gilt die Leistungsausschlussvorschrift des § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII für ihn auch für den streitbefangenen Zeitraum im November 2009.

Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich, dass es die erklärte Absicht des Gesetzgebers war, durch Änderung des SGB XII Gemeinschaftsrecht in Form der Freizügigkeitsrichtlinie umzusetzen (vgl. BT-Drucksache 16/2711 S. 10). Der Leistungsausschluss für arbeitsuchende EU-Ausländer in § 23 Abs. 3 SGB XII, mit dem die Freizügigkeitsrichtlinie umgesetzt wurde, verstößt nicht gegen primäres Gemeinschaftsrecht (LSG NRW, Beschluss vom 15.06.2007 – L 20 B 59/07 AS ER). Insbesondere steht dem Leistungsausschluss nicht bereits das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) vom 11.12.1953 entgegen (so aber für den Fall eines französischen Staatsangehörigen: BSG, Urteil vom 19.10.2010 – B 14 AS 23/10 R). Nach Artikel 1 EFA verpflichtet sich jeder Vertragsschließende, den Staatsangehörigen der anderen Vertragsschließenden, die sich in irgendeinem Teil seines Gebietes, auf das dieses Abkommen Anwendung findet, erlaubt aufhalten und nicht über ausreichende Mittel verfügen, in gleicher Weise wie seinen eigenen Staatsangehörigen und unter den gleichen Bedingungen die Leistungen der sozialen und Gesundheitsfürsorge zu gewähren, die in der in diesem Teil seines Gebietes geltenden Gesetzgebung vorgesehen sind. Anders als u.a. Frankreich und Deutschland zählen von den derzeitigen EU-Mitgliedstaaten Bulgarien, Finnland, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien, Slowakei, Slowenien, die tschechische Republik, Ungarn, Zypern und – für den vorliegenden Fall entscheidungserheblich – Rumänien bisher nicht zu den Unterzeichnerstaaten dieses Abkommens (vgl. in Bezug auf Rumänien: LSG NRW, Beschluss vom 20.05.2011 – L 19 AS 388/11 B ER).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 1, 162 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Streitwertentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 52 Abs. 1 und 3 Gerichtskostengesetz (GKG).
Rechtskraft
Aus
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