S 20 SO 145/11

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
20
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 20 SO 145/11
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 20 SO 63/12
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die einkommensmindernde Berücksichtigung der Beiträge zu einer Kapital bildenden Lebensversicherung (jährlich 600,00 EUR) und einer Kfz-Haftpflichtversicherung (für 2008: 294,24 EUR) in Höhe von insgesamt 894,24 EUR im Rahmen der Sozialhilfeansprüche der Kläger im Bewilligungszeitraum 01.01. bis 31.12.2008.

Die Kläger beziehen von der Beklagten laufende, die Altersruhegelder ergänzende Leistungen der Grundsicherung (GSi) im Alter nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII), der 0000 geborene Kläger seit 01.01.2006, die 0000 geborene Klägerin seit 01.07.2006. Bei der Ermittlung des Leistungsanspruchs werden die Beiträge zur Hausratversicherung und – im Hinblick auf die Entscheidung des LSG NRW vom 30.10.2008 (L 9 SO 12/06) – auch die Beiträge zur Privathaftpflichtversicherung einkommensmindernd berücksichtigt. Beide Kläger sind als Schwerbehinderte nach einem Grad der Behinderung von 70 mit dem Nachteilsausgleichsmerkmal "G" anerkannt.

Durch Bescheid vom 29.11.2007 bewilligte die Beklagte GSi-Leistungen für den neuen Bewilligungsabschnitt 01.01 bis 31.12.2008.

Dagegen erhoben die Kläger am 09.12.2007 Widerspruch mit der Begründung, der jetzige Bescheid enthalte die gleichen strittigen Punkte wie die früheren Bescheide, weshalb auch gegen den neuen Bescheid Widerspruch eingelegt werden müsse. Sie legten u.a. eine Beitragsrechnung für eine Kfz-Haftpflichtversicherung vor, wonach sich der Haftpflicht-Jahresbeitrag für 2008 auf 294,24 EUR belief.

Durch Änderungsbescheide vom 20.12.2007, 12.01., 19.02., 23.06., 26.06., 13.08. und 27.08.2008 bezüglich des Bewilligungsabschnitts vom 01.01. bis 31.12.2008 änderte die Beklagte die Leistungsbewilligungsentscheidung vom 29.11.2007 wegen veränderter Höhe der Beiträge zur Kranken-, Pflege- und Hausratversicherung, der Altersrenten und der Sozialhilferegelsätze.

In mehreren Schreiben wiederholten und ergänzten die Kläger ihren Widerspruch. Auf Anfrage der Beklagten zum Umfang des Widerspruchs erklärten sie mit Schreiben vom 02.06.2011, dass "z.Zt. nur noch die Beiträge zur Kfz- und Sterbeversicherung streitig" seien; insofern blieben die Widersprüche ab Januar 2008 aufrechterhalten. Die Kläger fügten eine Kopie des "Versicherungsschein zur Lebensversicherung-Nr. 523870530" über eine Kapital bildende Versicherung auf den Todes- und Erlebensfall bei der R+V Lebensversicherung AG bei, auf die monatliche Beiträge von 50,00 EUR gezahlt werden. Sie meinten, die Kfz-Haftpflichtbeiträge seien vom Einkommen abzusetzen, da sie gesetzlich vorgeschrieben seien; bei der Kapital bildenden Versicherung handele es sich um "Sterbevorsorge", auch wenn der Begriff "Sterbeversicherung" nicht mehr gebraucht werde.

Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 09.08.2011 zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Versicherung der Klägerin auf den Erlebens- und Todesfall sei keine angemessene Sterbevorsorge, da ihr nicht eine besondere Zweckbestimmung in Richtung auf Bestattung und/oder Grabpflege innewohne, vielmehr die Versicherung im Erlebensfall an die Klägerin als Versicherungsnehmer, im Falle ihres Todes an den Kläger – ihren Ehemann – zur Auszahlung gelange. Die Beiträge zur Kfz.-Haftpflichtversicherung seien nicht absetzbar, weil das Kfz nicht für den Weg zur Arbeit benötigt werde und auch im Hinblick auf das anerkannte Nachteilsausgleichsmerkmal "G" die Möglichkeit der Inanspruchnahme kostenloser Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) bestehe.

Dagegen richtet sich die am 30.08.2011 erhobene Klage. Die Kläger sind der Auffassung, der Umstand, dass die Kapital bildende Versicherung auf das "Endalter 85" vereinbart sei, beweise, dass es sich um Sterbevorsorge im Sinne von § 33 SGB XII handele. Die einkommensmindernde Berücksichtigung der Beiträge zur Kfz-Haftpflichtversicherung würde wider besseres Wissen abgelehnt; eine Verweisung auf den ÖPNV sei angesichts der Fußwege und der Gehbehinderung unzumutbar.

Die Kläger beantragen,

die Beklagte unter entsprechender Abänderung des Bescheides vom 29.11.2007 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 20.12.200,17.01.2008, 19.02.2008, 23.06.2008, 26.06.2008, 13.08.2008 und 27.08.2008 sowie des Widerspruchsbescheides vom 09.08.2011 zu verurteilen, die Beiträge zur Kapital bildenden Lebensversicherung Nr. 523870530 bei der R+V Lebensversicherung AG und die Beiträge zur Kfz-Haftpflichtversicherung bei der Ermittlung der Grundsicherungsleistungen für die Zeit vom 01.01. bis 31.12.2008 einkommensmindernd zu berücksichtigen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verbleibt bei ihrer in den angefochtenen Bescheiden vertretenen Auffassung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen die Kläger betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten und der Sozialgerichtsakten S 20 SO 18/07, S 20 SO 11/08, S 18 SB 147/09 und S 18 SB 913/10, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet

Die Kläger werden durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind.

Die Kläger haben keinen Anspruch auf höhere GSi-Leistungen für 2008 unter einkommensmindernder Berücksichtigung der Beiträge zur Kfz-Haftpflichtversicherung in Höhe von 294,24 EUR. Nach § 82 Abs. 2 Nr. 3 SGB XII können Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen vom Einkommen abgesetzt werden, wenn diese Beiträge gesetzlich vorgeschrieben oder nach Grund und Höhe angemessen sind. Dies trifft im Fall der Kläger auf deren Kfz-Haftpflichtversicherung nicht zu. Zwar sind diese Beiträge für Halter eines PKW gesetzlich vorgeschrieben. Jedoch sind die Kläger nicht auf ein Kfz angewiesen. Ein solches sozialhilferechtlich relevantes Angewiesensein könnte allenfalls dann angenommen werden, wenn das Fahrzeug für den Weg zum Arbeitsplatz benötigt wird (Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Auflage 2010, § 82, Rn. 75) oder wenn die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel im Fall von Krankheit oder Behinderung nicht möglich oder unzumutbar ist (vgl. dazu: BSG, Urteil vom 18.03.2008 – B 8/9b SO 11/06 R). Beides trifft auf die Kläger jedoch nicht zu. Als Altersrentner brauchen sie das Kfz nicht mehr, um zum Arbeitsplatz und wieder nach Hause zu gelangen. Für ihre Verrichtungen des täglichen Lebens können sie sich auch unter Berücksichtigung ihrer Schwerbehinderung und der anerkannten erheblichen Gehbehinderung (Merkzeichen "G") noch zu Fuß oder mit dem ÖPNV bewegen. Ihre Wohnung liegt vom Stadtkern von Jülich geschätzt ca. 1000 m entfernt. Bereits diese Strecke ist ihnen zu Fuß zuzumuten, da sie zwar erheblich, aber nicht außergewöhnlich (Merkzeichen "aG") gehbehindert sind. Um die nächste Bushaltestelle zu erreichen, müssen die Kläger eine Strecke von weniger als 500 m zurücklegen. Dies ergibt sich aus dem Stadt- und Busplan für Jülich. Gibt es somit keine sozialhilferechtlich anerkannten Zwecke, zu denen die Kläger das Kfz halten könnten, handelt es sich bei den Kfz-Haftpflichtversicherungsbeiträgen nicht um nach § 82 Abs. 2 Nr. 3 SGB XII einkommensmindernd zu berücksichtigenden gesetzlich vorgeschriebenen oder angemessen Beiträgen.

Gleiches gilt für die Beiträge zu der von der Klägerin abgeschlossenen Kapital bildenden Lebensversicherung, die mit monatlich 50,00 EUR bedient wird. Um die Voraussetzungen eines Anspruchs auf eine angemessene Alterssicherung zu erfüllen, können die erforderlichen Aufwendungen übernommen werden, insbesondere Beiträge für eine eigene Kapital gedeckte Altersvorsorge in Form einer lebenslangen Leibrente, wenn der Vertrag nur die Zahlung einer monatlichen auf das Leben des Steuerpflichtigen bezogenen lebenslangen Leibrente nicht vor Vollendung des 60. Lebensjahr vorsieht (§ 33 Abs. 1 Nr. 4 SGB XII). Der Annahme, dass es sich bei der Kapital bildenden Lebensversicherung um eine Form der Altersvorsorge handelt, steht bereits entgegen, dass diese erst mit Vollendung des 85. Lebensjahres der Klägerin fällig wird; im Übrigen ist sie nicht auf eine lebenslange Leibrente ausgerichtet, sondern auf die Auszahlung eines Kapitalbetrages. Entgegen der Auffassung der Kläger wird aber auch durch das "Endalter 85" nicht bewiesen, dass es sich um eine Sterbegeldversicherung handelt. Allerdings können, um die Voraussetzungen eines Anspruchs auf ein angemessenes Sterbegeld zu erfüllen, gemäß § 33 Abs. 2 SGB XII die erforderlichen Aufwendungen übernommen werden. Bei der von der Klägerin abgeschlossenen Kapital bildenden Lebensversicherung handelt es sich jedoch nicht um eine Sterbe(geld)versicherung im Sinne von § 33 Abs. 2 SGB XII. Als Mindestvoraussetzung für eine solche Versicherung ist zu verlangen, dass vertragliche Dispositionen getroffen worden sind, die sicherstellen, dass eine andere Zweckverwendung der Versicherung ausgeschlossen oder zumindest wesentlich erschwert ist. Bei der in Rede stehenden Kapital bildenden Lebensversicherung handelt es sich jedoch um eine Kapitalversicherung auf den Todes- und Erlebensfall. Stirbt die Klägerin als versicherte Person vor Ablauf der Versicherungsdauer, so fällt die Versicherungssumme an den Kläger. Dieser ist aber nicht gezwungen, die Versicherungssumme für die Bestattung oder sonst mit dem Ableben der Klägerin verbundene Kosten zu verwenden; die Versicherungssumme fällt zweckbestimmungsfrei an den Kläger. Und wenn die Klägerin den Ablauf der Versicherungsdauer (Erreichen des 85. Lebensjahres) erlebt, fällt die Versicherungssumme an sie; dann aber liegt in ihrer Person kein Sterbefall vor, dessen Kosten durch die ausgezahlte Versicherungssumme gedeckt werden könnten. Bei einer Erlebens- und Todesfallversicherung wie derjenigen, die die Klägerin bei der R+V Lebensversicherung AG unter der Lebensversicherungs-Nr. 523870530 abgeschlossen hat, handelt es sich um eine Kapital bildende Lebensversicherung, der eine besondere Zweckbestimmung in Richtung auf Bestattung und/oder Grabpflege nicht innewohnt. Während bei den reinen Sterbegeldversicherungen die auf die Zeit nach dem Tod gerichtete Zweckrichtung schon daraus hervorgeht, dass eine Fälligkeit zu Lebzeiten des Versicherungsnehmers nicht eintreten kann, ist dies bei den Erlebens- und Todesfallversicherungen gerade nicht mit der gebotenen Deutlichkeit erkennbar (LSG NRW, Urteil vom 19.03.2009 – L 9 SO 5/07). Auch wenn die Klägerin bereits das 70. Lebensjahr vollendet hat, ist keinesfalls ausgeschlossen, dass sie den Fälligkeitszeitpunkt ihrer Lebensversicherung erlebt und die Versicherungssumme mangels bestehender Zweckbindung anderweitig zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts verwendet; gleiches gilt für den Kläger, falls er seine Ehefrau überlebt.

Soweit die Kläger einwenden, die von den Versicherungen verwendeten Sterbetafeln sowie das bei Erleben des Fälligkeitszeitpunktes bestehende hohe Alter der Klägerin würden den Sterbegeldcharakter der Versicherung verdeutlichen, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Zum Einen haben die Sterbetafeln lediglich versicherungsmathematische Bedeutung und dienen nicht zuletzt der Festlegung der Versicherungsbeiträge. Zum Anderen bedeutet allein das hohe Alter eines Empfängers von Versicherungsleistungen nicht, dass dieser notwendigerweise beabsichtigen muss, die jeweiligen Mittel für eine Bestattung zu verwenden. Vielmehr werden viele alte Menschen Auszahlungen aus lang laufenden Versicherungsverträgen auch zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes einsetzen wollen und können (LSG NRW, a.a.O.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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