L 10 R 1042/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 13 R 7586/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 1042/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 27.01.2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Die im Jahr 1956 geborene Klägerin verfügt über keine abgeschlossene Berufsausbildung und war zuletzt als Serviererin beschäftigt. Diese Tätigkeit gab sie im Jahr 1992 im Zusammenhang mit der Geburt ihrer Tochter, die an Neurofibromatose leidet und von der Klägerin - nach deren Angaben - gepflegt wird, auf. Seither geht die Klägerin keiner sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung mehr nach.

Im April 2001 erkrankte die Klägerin an einem Plattenepithel-Karzinom der linken Gaumen-mandel. Die Tumortherapie erfolgte zunächst operativ über eine Entfernung der Gaumenmandel mit radikaler Halslymphknotenentfernung (s.g. radikale Neck dissection), die u.a. auch den lin-ken Halswender-Muskel und die Unterkieferspeicheldrüse betraf. Der Tumor entsprach einem Stadium IV A. Hierfür sind 5-Jahres-Überlebensraten von knapp 50 % dokumentiert. Im Juni/Juli 2001 erhielt die Klägerin eine Radiotherapie. Seit dem Jahr 2002 erfolgt eine Schmerztherapie auf Stufe WHO II. Im Zusammenhang mit der Radiotherapie sowie der Entfernung der Unterkieferspeicheldrüse aufgetretene Schluckbeschwerden bildeten sich zurück. Verblieben sind eine typische Mundtrockenheit mit Geschmacksstörung, ferner moderate strahlungsbedingte Schäden der Haut und des Unterhautfettgewebes. Auf Grund der Neck dissection entwickelte sich ein sekundäres muskuloskeletales Dysbalance-Syndrom im Nacken-Schulter-Bereich mit einer maximal möglichen Abduktion des linken Armes bis knapp unter die Horizontale, insuffi-zienter Armelevation, schmerzhafte Gefühlsstörungen im Oberarm-, Schulter-, Hals- und Na-ckenbereich sowie eine deutlich eingeschränkte Mobilität der Halswirbelsäule (bis hierhin zuletzt: Gutachten Prof. Dr. B. Bl. 69/70 LSG-Akte). Wegen von der Klägerin weiter beschriebenen sensomotorischen Defiziten im Bereich beider Hände wurde im August 2010 eine Kernspin-tomographie der Halswirbelsäule durchgeführt, im Rahmen derer u.a. Bandscheibenprolapse C5/6 und C6/7 beschrieben wurden (Arztbrief Dr. L. Bl. 49 LSG-Akte).

Die Beklagte gewährte der Klägerin von Dezember 2001 bis Februar 2004 eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung. Dem lag das nach einer Untersuchung im Februar 2002 erstellte Gutachten der Internistin Dr. R. zu Grunde, die die Klägerin wegen einer damals erheblichen Gewichtsabnahme und Beschränkung auf flüssige und breiige Nahrung vorerst nicht in der Lage erachtete, leichte Tätigkeiten mindestens drei Stunden täglich zu verrichten.

Den Antrag der Klägerin auf Weitergewährung der Erwerbsminderungsrente lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 17.03.2004, Widerspruchsbescheid vom 12.08.2004). Grundlage war wiede-rum ein Gutachten von Dr. R. , die nach einer Untersuchung im März 2004 davon ausging, dass die Klägerin als Serviererin zwar nur noch unter drei Stunden täglich, im Rahmen einer leichten Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes ohne besondere Beanspruchung des linken Armes je-doch mindestens sechs Stunden täglich arbeiten könne. Die Klägerin nehme wieder feste Speisen zu sich und habe zugenommen. Ihr Zustand habe sich insgesamt gebessert. Im anschließenden Klageverfahren (Sozialgericht Stuttgart, S 19 R 6178/04) befragte das Sozialgericht die behan-delnden Ärzte als sachverständige Zeugen. Die Ärztin R. hat die Klägerin nicht mehr in der Lage erachtet, Tätigkeiten auszuüben. Prof. Dr. W. (O. S. ) schloss sich aus orthopädischer Sicht der Auffassung von Dr. R. an. Die Orthopädin Dr. B.-Sch. hielt leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes im Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen ohne Heben und Bewegen von Lasten über 2,5 kg, ohne Überkopfarbeiten, ohne statische Haltearbeiten der Nackenmuskulatur weiterhin für "vorsichtig" durchführbar. Der Onkologe Dr. F. sah auch unter Berücksichtigung einer Eisenmangelanämie mit Ausnahme von Beschäftigungen in trockener Umgebung wegen der ständigen Mundtrockenheit keinerlei Auswirkungen auf die Arbeitskraft der Klägerin. Er verwies jedoch auf von ihm nicht bewertete Folgen der Strahlentherapie, die von einem Strahlen-therapeuten bzw. einem HNO-Arzt beurteilt werden sollten. PD Dr. H. , Ärztlicher Direktor der HNO-Klinik am O. S. , ging trotz einer verminderten Speichelproduktion mit Mundtrockenheit und Schluckbeschwerden von keiner zeitlichen Einschränkung bei der Ausübung leichter Tätig-keiten aus.

Ferner holte das Sozialgericht das internistisch-onkologische Gutachten des Ärztlichen Direktors am Zentrum für Innere Medizin III des M. S. Prof. Dr. D. ein. Dieser schloss wegen der Folgen der Karzinomerkrankung und einer weiter abklärungsbedürftigen Eisenmangelanämie eine Tä-tigkeit als Serviererin ganz und leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes von mindes-tens drei Stunden aus. Auf längere Sicht hielt er längere Arbeitszeiten jedoch für möglich.

Schließlich schlossen die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vom 18.04.2007 einen ge-richtlichen Vergleich dahingehend, dass die Beklagte der Klägerin eine ambulante Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation gewähren und nach deren Abschluss erneut über den streitge-genständlichen Weitergewährungsantrag entscheiden werde.

Die ambulante Rehabilitationsmaßnahme wurde im Zentrum für ambulante Rehabilitation in S. im Juni/Juli 2007 durchgeführt. Im Entlassungsbericht führte Dr. Sch. als Diagnosen ein chroni-sches Schmerzsyndrom, eine Zervikobrachialgie beidseits rechts mehr als links bei degenerativen Veränderung, ein chronisches Lendenwirbelsäulensyndrom, ein Tonsillen-Karzinom links sowie einen Verdacht auf eine depressive Episode auf. Die Entlassung erfolgte als arbeitsfähig. Die Klägerin sei auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für leichte körperliche Tätigkeiten mit der Möglichkeit zum Positionswechsel ohne vermehrte Anforderungen an Kraft und Koordination der Schultern und Arme, ohne Überkopfarbeiten vollschichtig belastbar. Eine Motivation zur beruflichen Wiedereingliederung sei allerdings nicht erkennbar.

Gestützt auf den Entlassungsbericht lehnte die Beklagte - in Ausführung des gerichtlichen Ver-gleichs - mit Bescheid vom 18.09.2007 den Weitergewährungsantrag der Klägerin erneut ab. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 09.10.2008, zur Post ge-geben am 13.10.2008). Die Beklagte berücksichtigte dabei noch das auf Grund der Untersuchung vom 04.07.2008 vom Facharzt für Chirurgie Dr. R. erstellte Gutachten. Dr. R. erachtete die Klägerin trotz der Folgen der Krebserkrankung, der Lendenwirbelsäulenbeschwerden, rechtsseitigen Kniebeschwerden und einer Eisenmangelanämie in der Lage, leichte Tätigkeiten ohne häufige Zwangshaltungen der Halswirbelsäule und ohne Überkopfarbeiten mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Eine wesentliche Muskelminderung am linken Arm habe sich ihm nicht gezeigt.

Deswegen hat die Klägerin am 12.11.2008 erneut beim Sozialgericht Stuttgart Klage erhoben. Das Sozialgericht hat u.a. die in einem parallel anhängigen Schwerbehindertenverfahren (S 19 SB 7966/07) eingeholten Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. P. und des Facharztes für Chirurgie Dr. D. beigezogen. Dr. P. hat nach Untersuchung der Klägerin im Februar 2009 eine Angst und Depression gemischt diagnostiziert. Dr. D. hat nach Untersuchung der Klägerin im März 2009 eine 55 %-ige Halswirbelsäulenbeweglichkeitseinschränkung, eine endgradige Einschränkung der Beweglichkeit der Lendenwirbelsäule sowie eine deutlich eingeschränkte Abduktion im linken Schultergelenk beschrieben.

Mit Gerichtsbescheid vom 27.01.2010 hat das Sozialgericht die Klage im Wesentlichen gestützt auf die Gutachten von Dr. R. , Dr. P. und Dr. D. abgewiesen. Auf den Inhalt des der Klägerin am 02.02.2010 zugestellten Gerichtsbescheides wird Bezug genommen.

Hiergegen hat die Klägerin am 02.03.2010 Berufung eingelegt. Sie macht geltend, angesichts ihrer äußerst schwerwiegenden Erkrankung, die von einer hohen Sterblichkeit geprägt sei, auch in zeitlicher Hinsicht rentenrelevant eingeschränkt zu sein. Im Übrigen sei der Arbeitsmarkt auf Grund einer Summierung von Einschränkungen bzw. einer schweren spezifischen Einschränkung verschlossen. Dabei sei auch zu beachten, dass sie ihren Mund stets befeuchten müsse und neben den von den Sachverständigen beschriebenen Einschränkungen auch betriebsunübliche Pausen benötige.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 27.01.2009 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 18.09.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.10.2008 zu verurteilen, ihr Rente wegen voller Er-werbsminderung, zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält die Entscheidung des Sozialgericht für zutreffend.

Der Senat hat Dr. D. und Dr. P. mit der Erstellung ergänzender Gutachten nach Aktenlage zum beruflichen Leistungsvermögen der Klägerin beauftragt. Beide haben die Klägerin in der Lage gesehen, leichte Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Auszuschließen seien regelmäßiges Heben, Tragen und Bewegen von Lasten über 5 kg, Überkopfarbeiten, ferner Arbeiten, die die volle grobe Kraft der linken Hand oder eine re-gelrechte Kopfdrehung erfordern sowie Nachtschicht, Fließband- und Akkordarbeiten.

Im Hinblick auf die im August 2010 anhand bildgebender Befunde diagnostizierten Bandschei-benprolapse an der Halswirbelsäule hat der Senat den Ärztlichen Direktor der Neurochirurgi-schen Klinik am Klinikum S. Prof. Dr. H. , der die bildgebende Befunde veranlasst hatte, als sachverständigen Zeugen befragt. Prof. Dr. H. hat die festgestellten Bandscheibenvorfälle eher als Zufallsbefund bewertet und sich anhand der von ihm erhobenen Befunde nicht in der Lage gesehen, die Arbeitsfähigkeit umfassend zu beurteilen. Allerdings hat er angesichts der nach der Neck dissection objektivierbaren Abduktionsschwäche des linken Armes verbunden mit glaub-haften Gefühlsstörungen und Schmerzen eine leichte Tätigkeit für unmöglich erachtet.

Schließlich hat der Senat das radioonkologische Gutachten des Ärztlichen Direktors der Klinik für Radioonkologie am Universitätsklinikum T. Prof. Dr. B. eingeholt. Prof. Dr. B. hat nach Untersuchung der Klägerin am 31.03.2011 das sekundäre Schulter-Armsyndrom bei Zustand nach radikaler Neck dissection als mäßiggradig eingestuft und die radiogenen Spättoxizitäten am Bindegewebe dem Grad II zugeordnet. Der Alltag der Klägerin sei geprägt von der Haushalts-führung in einer gemeinsam mit der Tochter bewohnten Wohnung. Ein Hund werde täglich aus-geführt. Einkäufe und Besorgungen würden eigenständig erledigt. Die Patientin habe freundlich-offen und ohne Hinweise auf depressive Züge gewirkt. Sie sei unter Vermeidung von Arbeiten mit regelmäßiger Kopfbewegung, motorischer Beanspruchung des Schulter-Arm-Komplexes (Heben, Tragen, Bewegen von Lasten sowie Überkopfarbeiten), mit besonderen Anforderungen an Kraft und Sensibilität des linken Armes einschließlich der linken Hand, unter klimatischen Belastungen (Hitze/Kälte), mit der Notwendigkeit überwiegendem oder dauerndem Sprechen in der Lage, mindestens sechs Stunden leichte Tätigkeiten zu verrichten. Die von der Klägerin an-gegebenen sensomotorischen Defizite an den Armen und Händen seien nicht objektiviert.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagte sowie auf die Ge-richtsakten beider Rechtszüge verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung der Klä-gerin ist nicht begründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Klägerin steht kein Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zu.

Rechtsgrundlage für die hier zuletzt nur noch begehrte Rente wegen voller Erwerbsminderung ist § 43 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Danach haben Versicherte bis zum Er-reichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie - unter anderem - voll erwerbsgemindert sind. Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sind voll er-werbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Volle Erwerbsminderung besteht über die Regelung des § 43 Abs. 2 SGB VI hinaus nach der Rechtsprechung des BSG (Großer Senat, Beschluss vom 10.12.1976, u.a. GS 2/75 in SozR 2200 § 1246 Nr. 13) bei regelmäßig bejahter Verschlos-senheit des Arbeitsmarktes auch dann, wenn eine zeitliche Leistungseinschränkung von drei bis unter sechs Stunden vorliegt. Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist aber nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täg-lich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen. Hiervon besteht eine Ausnahme, wenn wegen einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung oder bei einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen und bei Vorliegen be-stimmter, so genannter Katalogfälle die Benennung einer Verweisungstätigkeit nicht möglich ist. In diesen Fällen führen rein qualitative Einschränkungen selbst im Falle sechsstündigen Leis-tungsvermögens zur Annahme voller Erwerbsminderung (Großer Senat, Beschluss vom 19.12.1996, GS 2/95 in SozR 3-2600 § 44 Nr. 8).

Der Klägerin steht ab März 2004 kein Anspruch auf eine solche Rente zu, da sie zur Überzeu-gung des Senats leichte Tätigkeiten unter Vermeidung von Arbeiten mit regelmäßiger Kopfbe-wegung, Arbeiten, die den Schulter-Arm-Komplex beidseits motorisch beanspruchen (Heben, Tragen, Bewegen von Lasten von regelmäßig mehr als 5 kg, Überkopfarbeiten), Arbeiten, die besondere Anforderungen an Kraft und Sensibilität des linken Armes einschließlich der linken Hand stellen und Arbeiten in Hitze oder Kälte sowie mit der Notwendigkeit überwiegendem oder dauerndem Sprechens mindestens sechs Stunden täglich verrichten kann. Auszuschließen sind dabei auch Tätigkeiten mit Nachtschicht und unter Fließband- und Akkordbedingungen.

Dieses Leistungsbild wird vorrangig durch die Folgen der Krebserkrankung, insbesondere der durchgeführten Neck dissection bestimmt. Bei der Klägerin liegen - wie Prof. Dr. B. auf Grund seiner eigenen Untersuchung in Übereinstimmung mit den vorbehandelnden Ärzten und den Vorgutachtern bzw. Sachverständigen festgestellt hat - insoweit ein sekundäres mäßiggradiges Schulter-Arm-Syndrom sowie radiogene Spättoxizitäten am cervikalen Bindegewebe Grad II (moderat) vor. Die von Prof. Dr. B. vorgenommene Einstufung des Schweregrads der Störungen (mäßiggradig, moderat) ist überzeugend. In die von Prof. Dr. B. durchgeführte Einordnung nach vorgegebenen Standards (Radiation Therapy Oncology Group [RTOG]-Klassifikation und Neck disability index) sind, wie sich seinem Gutachten entnehmen lässt, die erhobenen funktionellen Befunde und die Angaben der Klägerin zu ihrem Alltag eingeflossen. Soweit Prof. Dr. B. - als Radioonkologe - darauf hingewiesen hat, dass das berufliche Leistungsbild ganz überwiegend von den auf dem orthopädischen Fachgebiet liegenden Folgen der operativen Tumortherapie beeinflusst ist, tut dies der Überzeugungskraft seines Gutachtens keinen Abbruch. Denn seine Leistungseinschätzung deckt sich mit der des ebenfalls vom Senat als Sachverständigen gehörten Facharzt für Chirurgie, Unfallchirurgie und Orthopädie Dr. D. , im Übrigen auch im Wesentlichen mit der Auffassung der behandelnden Orthopäden Prof. Dr. W. und Dr. B.-Sch. sowie dem Gutachter Dr. R. (Chirurg). Schließlich deckt sich die Einschätzung von Prof. Dr. B. u.a. auch noch mit der Auffassung des behandelnden Onkologen Dr. F. , dessen Hinweis auf eine notwendige Beurteilung der Auswirkungen der Strahlungsfolgen auf die berufliche Leistungsfähigkeit den Senat veranlasst hat, das Gutachten von Prof. Dr. B. einzuholen.

Soweit Prof. Dr. B. hinsichtlich des Hebens und Tragens von Lasten keine konkrete Gewichts-angabe vorgenommen hat, geht der Senat auf der Grundlage des Gutachtens von Dr. D. davon aus, dass das Bewegen von Lasten bis 5 kg möglich ist. Bestätigt wird diese Einschätzung durch den Umstand, dass die Klägerin viele Haushaltstätigkeiten und auch Einkäufe eigenständig erle-digt. Der Beurteilung von Dr. B.-Sch. (nur Heben bis zu 2,5 kg) folgt der Senat daher nicht.

Mit den dargestellten qualitativen Einschränkungen sind die auf den Folgen der Karzinomer-krankung bzw. den Folgen der Neck dissection beruhenden Funktionsbeeinträchtigungen umfas-send berücksichtigt. Der Umstand, dass die Klägerin gehäuft ihren Mund befeuchten muss, be-gründet keine weitergehende Einschränkung. Da Akkord- und Fließbandarbeiten bereits ausge-schlossen wurden, ist der Senat davon überzeugt, dass im Rahmen des dargestellten Leistungs-profils die Einnahme von Getränken "nebenher" ohne weiteres möglich ist. Eine zu den qualita-tiven Einschränkungen hinzukommende rentenrelevante zeitliche Leistungseinschränkung lässt sich - so zuletzt überzeugend Prof. Dr. B. - nicht begründen.

Auf der Grundlage des Gutachtens von Dr. D. geht der Senat ferner davon aus, dass bei der Klä-gerin eine endgradig eingeschränkte Entfaltbarkeit der Lendenwirbelsäule vorliegt und - so ihre Angaben - immer wieder lumbale Schmerzen auftreten. Dies führt jedoch, wie Dr. D. nachvoll-ziehbar in seinem ergänzenden Gutachten nach Aktenlage dargelegt hat, zu keinen weitergehen-den funktionelle Einschränkungen.

Ferner liegt bei der Klägerin auf dem psychiatrischen Fachgebiet eine Angst und Depression gemischt vor. Dies ergibt sich aus den Gutachten von Dr. P. , der überzeugend dargestellt hat, dass das Ausmaß einer Depression oder Angsterkrankung nicht erreicht ist. So hat sich die Klä-gerin bei seiner Untersuchung zwar zu Beginn etwas dysphorisch und im Antrieb etwas reduziert gezeigt. Im Übrigen hat sie sich jedoch als affektiv schwingungsfähig und auflockerbar erwiesen. Depressive Hinweise oder nicht nachvollziehbare Ängste hat Dr. P. nicht festgestellt. Die von ihm genannten Leistungseinschränkungen (keine Nachtschicht und keine Fließband- und Akkordarbeit) sind vom Senat berücksichtigt (s.o.).

Die von der Klägerin darüber hinaus beschriebenen sensomotorischen Defizite im Bereich beider Hände haben sich im Rahmen der Untersuchung von Prof. Dr. B. nicht objektivieren lassen. Auch durch die im August 2010 erfolgte Kernspintomographie sind sie, so Prof. Dr. B. , nicht verifizierbar gewesen. Die im Rahmen dieser Untersuchung festgestellten Bandscheibenprolapse an der Halswirbelsäule sind in diesem Zusammenhang, wie Prof. Dr. B. ausführt, nicht relevant. Diese Einschätzung steht in Übereinstimmung mit der sachverständigen Zeugenaussage von Prof. Dr. H. , der die Bandscheibenvorfälle ebenfalls als Zufallsbefunde beschrieben hat.

Die zeitliche Leistungsfähigkeit von mindestens sechs Stunden unter Berücksichtigung der dar-gestellten qualitativen Einschränkungen erschließt sich dem Senat - wie bereits angedeutet - auch aus den Angaben der Klägerin gegenüber Prof. Dr. B. und Dr. P ... Aus dem Gutachten von Prof. Dr. B. ergibt sich, dass der Alltag der Klägerin von der Haushaltsführung in der gemein-sam mit der Tochter bewohnten Wohnung geprägt ist. Ein Hund wird täglich ausgeführt, Einkäu-fe und Besorgungen werden eigenständig erledigt. Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, weswegen eine sechsstündige leichte Tätigkeit ausgeschlossen sein sollte. Soweit wiederholt von der Klägerin bei Begutachtungen angegeben wurde, ihr sei eine Haushaltshilfe von der Krankenkasse bzw. dem Sozialhilfeträger genehmigt worden, spricht dies nicht gegen das hier angenommene Leistungsvermögen. Denn im Haushalt fallen auch mittelschwere und schwere Tätigkeiten, häufig mit den hier ausgeschlossenen körperlichen Anforderungen (beispielsweise Überkopfarbeiten beim Gardinen aufhängen und Fenster putzen) an. Dem entsprechend hat die Klägerin gegenüber Dr. P. die Haushaltshilfe ausdrücklich im Zusammenhang mit Tätigkeiten wie Fenster putzen etc. erwähnt. Im Übrigen hat die Klägerin bei der Begutachtung durch Dr. P. angegeben, ihre Tochter bis zu sechs Stunden pro Tag intensiv zu pflegen. Sie hat davon berich-tet, sich auf die vormittäglichen Einkäufe im Tafelladen zu freuen und viel fernzusehen. All dies bestätigt, die von Prof. Dr. B. vorgenommene Einordnung des Schulter-Arm-Syndroms nebst eingeschränkter Beweglichkeit der Halswirbelsäule als zwar deutlich, jedoch noch mäßiggradig. Gegen eine weitergehende Funktionsbeeinträchtigung spricht auch, dass Dr. R. keine Muskelminderungen beschrieb.

Dementsprechend wurde die Klägerin auch nach der mehrwöchigen teilstationären Rehabilitati-onsmaßnahme als arbeitsfähig entlassen.

Der Beurteilung des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. D. im früheren Rentenrechtsstreit folgt der Senat nicht. Seiner Leistungseinschätzung fehlt eine hinreichende Begründung. Der Sachverständige gründete seine Beurteilung wesentlich auf eine bei der Klägerin vorhandene Eisenmangelanämie. Auf Einwände von Dr. B. in dessen beratungsärztlichen Stellungnahme für die Beklagte räumte er aber ein, dass diese Anämie durch Einnahme von Eisentabletten gut be-handelt werden kann. Darüber hinaus beschrieb er ohnehin keine bei der Klägerin vorhanden gewesenen relevanten Einschränkungen durch die Anämie. Insoweit gab die Klägerin nämlich lediglich an, bei stärkerer Belastung eine zunehmende Kurzatmigkeit zu bemerken. Für leichte Tätigkeiten bestand und besteht somit durch die Eisenmangelanämie keine Einschränkung. Auch in Bezug auf die Folgen der Krebstherapie hat Prof. Dr. D. sich den von Dr. B. formulierten Einwänden (dem orthopädischen Fachgebiet zuzuordnen und mit qualitativen Einschränkungen angemessen berücksichtigt) angeschlossen und damit eingeräumt, dass diesen Beschwerden durch qualitative Einschränkungen hinreichend Rechnung getragen wird. Warum dann wegen der Kombination von - leichte Tätigkeiten nicht einschränkender - Eisenmangelanämie und chi-rurgisch-orthopädischer Folgen der Krebserkrankung ohne Auswirkungen auf das zeitliche Leis-tungsvermögen gleichwohl eine zeitliche Leistungseinschränkung bestehen soll, erschließt sich dem Senat nicht.

Gleiches gilt, soweit Prof. Dr. D. die Notwendigkeit betriebsunüblicher Pausen annahm. Diese Einschränkung leitete er aus den Folgen der Krebstherapie ab. Eine solche Einschränkung hat aber keiner der fachlich näheren Gutachter und sachverständigen Zeugen des chirurgisch-orthopädischen Fachgebietes angenommen.

Soweit die Allgemeinmedizinerin R. in der im früheren Rentenrechtsstreit eingeholten sachver-ständigen Zeugenaussage ebenso wie Prof. Dr. H. in seiner Aussage gegenüber dem Senat von einem aufgehobenen Leistungsvermögen für selbst leichte Tätigkeiten ausgegangen sind, hat sich diese Beurteilung durch die eingeholten Gutachten und der Beurteilung des Zentrums für ambulante Rehabilitation nicht bestätigt. Sie steht auch im Widerspruch zu den im Alltag nach-gewiesenen Kompetenzen der Klägerin.

Aus dem von der Klägerin herangezogenen Attest der Physiotherapeutin Salzer vom 19.03.2007 ergibt sich ebenfalls nichts anderes. Die Physiotherapeutin gibt darin im Wesentlichen die Be-schwerdeangaben der Klägerin wieder. Eine kritische Würdigung findet nicht statt. Aber auch sie hat keine zeitliche Leistungseinschränkung beschrieben, sondern lediglich angemerkt, eine Ver-schlechterung des Zustandes könne nur durch eine Verringerung der ständigen Überlastung durch die Hausarbeit erreicht werden. Dies bestätigt, dass den Gesundheitsstörungen der Kläge-rin durch qualitative Einschränkungen ausreichend Rechnung getragen wird.

Der Senat verkennt nicht, dass es sich bei der Krebserkrankung der Klägerin um eine äußerst schwerwiegende Erkrankung gehandelt hat, die - so Prof. Dr. B. - mit einer 5-Jahres-Überlebensrate von knapp 50 % verbunden war. Die statistische Wahrscheinlichkeit eines le-bensbedrohlichen Verlaufs begründet für sich genommen jedoch weder qualitative noch zeitliche Leistungseinschränkungen. Maßgeblich sind die konkreten Funktionseinschränkungen. Soweit hier im Hinblick auf die (ursprünglich) schlechte Prognose durchaus nachvollziehbar an eine psychische Beeinträchtigung zu denken war/ist, ist dies im Rahmen der Begutachtung durch Dr. P. aufgeklärt worden. Dabei hat sich jedoch herausgestellt, dass die möglicherweise in Folge der Krebserkrankung aufgetretene psychische Beeinträchtigung kein rentenrelevantes Ausmaß hat.

Trotz Vorliegens dieser qualitativen Einschränkungen ist entgegen der Auffassung der Klägerin die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit nicht erforderlich (vgl. BSG, Urteil vom 14.09.1995, 5 RJ 50/94 in SozR 3-2200 § 1246 Nr. 50, auch zum Nachfolgenden). Denn nach der Rechtsprechung des BSG steht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine so große Anzahl von Tätigkeitsarten zur Verfügung, dass das Vorhandensein einer geeigneten Verweisungstätigkeit offensichtlich ist. Nur ausnahmsweise ist für einen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisba-ren Versicherten wie die Klägerin mit zumindest sechsstündigem Leistungsvermögen für leichte Arbeiten die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit erforderlich, wenn die Erwerbs-fähigkeit durch mehrere schwerwiegende gesundheitliche Einschränkungen oder eine besonders einschneidende Behinderung gemindert ist. In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes sind bestimmte Fälle anerkannt (z.B. Einarmigkeit, vgl. BSG, a.a.O., m.w.N.), zu denen der vor-liegende Fall aber nicht gehört. Vielmehr braucht eine Verweisungstätigkeit erst benannt zu wer-den, wenn die gesundheitliche Fähigkeit zur Verrichtung selbst leichter Tätigkeiten in vielfältiger, außergewöhnlicher Weise eingeschränkt ist. Dies ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn ein Versicherter noch vollschichtig körperlich leichte Arbeiten ohne Heben und Tragen von Gegen-ständen über 5 kg, ohne überwiegendes Stehen und Gehen oder ständiges Sitzen, nicht in Nässe, Kälte oder Zugluft, ohne häufiges Bücken, ohne Zwangshaltungen, ohne besondere Anforderun-gen an die Fingerfertigkeit und nicht unter besonderen Unfallgefahren zu verrichten vermag (BSG, a.a.O.; Urteil vom 27.04.1982, 1 RJ 132/80 in SozR 2200 § 1246 Nr. 90). Denn ein Teil dieser Einschränkungen stimmt bereits mit den Tätigkeitsmerkmalen einer körperlich leichten Arbeit überein; dies gilt insbesondere für die geminderte Fähigkeiten, Lasten zu bewältigen und die geringe Belastbarkeit der Wirbelsäule (BSG, SozR 3 a.a.O.) mit den hierauf beruhenden Ein-schränkungen. Nicht anders liegt der Fall der Klägerin. Auch bei ihr wird den qualitativen Ein-schränkungen im Wesentlichen bereits dadurch Rechnung getragen, dass ihr nur noch leichte Arbeiten zugemutet werden. Insbesondere ist die Klägerin trotz ihrer Gesundheitsstörungen nicht gehindert, Tätigkeiten beispielsweise mit vorwiegend überwachender Funktion durchzuführen.

Das hier festgestellte Leistungsvermögen besteht, wie zuletzt Prof. Dr. B. dargestellt hat, schon mindestens seit dem Weitergewährungsantrag vom Februar 2004. Somit bestand zu keinem Zeitpunkt ein Anspruch der Klägerin auf die weitere Gewährung einer Rente wegen voller Er-werbsminderung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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