L 12 AL 3639/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 14 AL 944/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AL 3639/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 24. Juni 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Insolvenzgeld.

Der 1975 geborene Kläger war seit dem 1. Juli 2007 bei der Fa. S. Entwicklungs- und Betreiber GmbH (Fa. S.), einer Tochtergesellschaft der M. & C. GmbH & Co. KG (Firma M.) beschäftigt. Die Fa. S. stellte die fünf Mitarbeiter umfassende Entwicklungsabteilung der Firma M. dar, die in einem abgetrennten Versuchsraum der Firma M. untergebracht war.

Am 29. September 2009 wurde ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Firma M. gestellt und Rechtsanwalt B. zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Am gleichen Tag fand eine Betriebsversammlung in der Firma M. mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter statt, zu der auch die Mitarbeiter der Fa. S. eingeladen wurden.

Am 5. Oktober 2009 wurde die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens für die Fa. S. beantragt. Am 6. Oktober 2009 wurde zur Sicherung der künftigen Insolvenzmasse und zur Aufklärung des Sachverhalts Rechtsanwalt S. zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt (AG H., Aktenzeichen IN 191/09). Sein Stellvertreter Rechtsanwalt von Z. führte am gleichen Tag ein Gespräch mit den Mitarbeitern der Fa. S ... Der Kläger kündigte das Arbeitsverhältnis mit der Fa. S. zum 12. Oktober 2009 fristlos und schloss am 8. Oktober 2009 mit der Firma M. einen Arbeitsvertrag mit Wirkung zum 13. Oktober 2009.

Das Amtsgericht H. eröffnete am 28. Oktober 2009 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Fa. S. und bestellte Rechtsanwalt S. zum Insolvenzverwalter; eine Zustellung des Eröffnungsbeschlusses an den Kläger erfolgte nicht. Am 2. Dezember 2009 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Firma M. eröffnet und Rechtsanwalt B. zum Insolvenzverwalter ernannt.

Mit Bescheid vom 30. Dezember 2009 bewilligte die Beklagte dem Kläger auf dessen Antrag vom 27. November 2009 hinsichtlich der Insolvenz der Firma M. Insolvenzgeld für die Zeit vom 13. Oktober bis zum 1. Dezember 2009.

Am 18. Januar 2010 beantragte der Kläger wegen der Insolvenz der Fa. S. Insolvenzgeld für die Zeit vom 1. September bis zum 12. Oktober 2009. Er habe das Arbeitsverhältnis durch eigene Kündigung zum 12. Oktober 2009 beendet. Für September 2009 sei erstmalig kein Arbeitsentgelt bezahlt worden.

Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 19. Januar 2010 wegen verspäteter Antragstellung ab. Dagegen legte der Kläger am 11. Februar 2010 Widerspruch ein. Rechtsanwalt v. Z. sei nach Insolvenzantragstellung in den Betrieb der Fa. S. gekommen und habe mitgeteilt, dass ein Insolvenzantrag gestellt und die Löhne und Gehälter nicht mehr bezahlt werden könnten. Deshalb habe er das Arbeitsverhältnis mit der Fa. S. fristlos gekündigt. Über den Fortgang des Insolvenzverfahrens habe er keine Kenntnis gehabt. Insbesondere sei ihm kein Eröffnungsbeschluss zugestellt worden. Erstmalig am 13. Januar 2010 habe er erfahren, dass das Insolvenzverfahren gegen die Fa. S. mit Beschluss des Amtsgerichts H. vom 28. Oktober 2009 eröffnet worden sei. Er habe somit unverzüglich nach Kenntnis Antrag auf Insolvenzgeld gestellt. Die Beklagte wies den Widerspruch als unbegründet zurück (Widerspruchsbescheid vom 25. Februar 2010). Der Kläger habe nicht innerhalb der Ausschlussfrist von zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis Insolvenzgeld beantragt. Eine Nachfrist könne nicht eingeräumt werden.

Dagegen hat der Kläger am 23. März 2010 Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben. Der Kläger sei über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Insolvenzverwalter nicht informiert worden. Ihm sei auch nicht mitgeteilt worden, dass er innerhalb der Ausschlussfrist von zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis Antrag auf Insolvenzgeld stellen müsse. Da er bereits mit Wirkung zum 12. Oktober 2009 bei der Fa. S. ausgeschieden sei, habe er auch nicht anderweitig Kenntnis von der Insolvenzeröffnung über das Vermögen der Fa. S. erhalten. Insbesondere sei ihm kein Eröffnungsbeschluss zugestellt worden. Erst nachdem über das Vermögen der Firma M. das Insolvenzverfahren eröffnet worden war, sei er durch den dortigen Insolvenzverwalter Dr. B. darüber informiert worden, dass er innerhalb von zwei Monaten ab Insolvenzeröffnung Antrag auf Insolvenzgeld bei der Agentur für Arbeit stellen könne. Erst in diesem Zusammenhang sei ihm bekannt geworden, dass über das Vermögen der Fa. S. mit Beschluss vom 28. Oktober 2009 das Insolvenzverfahren eröffnet und er dort hätte Insolvenzgeld beanspruchen können. Unverzüglich nach Kenntnis von dieser Tatsache habe er einen Antrag auf Insolvenzgeld gestellt. Der Kläger habe die Fristversäumnis nicht zu vertreten, da er vom Insolvenzverwalter der Fa. S. nicht über die Insolvenzeröffnung informiert und auch nicht darauf hingewiesen worden sei, dass er innerhalb von zwei Monaten Insolvenzgeld beantragen müsse. Anlässlich der Bestellung von Rechtsanwalt S. zum Insolvenzverwalter sei dessen Vertreter Rechtsanwalt v. Z. in den Betrieb der Fa. S. gekommen. Ohne nähere Ausführungen zu machen, habe er den Mitarbeitern der Fa. S. in einem etwa halbstündigen Gespräch mitgeteilt, er wäre für die Abwicklung der Fa. S. zuständig. Er habe den Mitarbeitern mehrfach versichert, dass die Löhne während der Insolvenz gesichert seien. Rechtsanwalt v. Z. habe nicht über Termine und Pflichten, die einzuhalten seien, informiert. Rechtsanwalt v. Z. sei am selben Tag noch einmal in den Betrieb gekommen. Auch dieses Mal habe er wiederum nicht über die Voraussetzungen für die Gewährung von Insolvenzgeld informiert. Anschließend habe der Kläger weder von Rechtsanwalt S. noch von Rechtsanwalt v. Z. etwas gehört. Auf diesen Missstand seien die Herren v. Z. und S. mit Schreiben der Geschäftsleitung der Firma M. vom 13. Oktober 2009 ausdrücklich hingewiesen worden. Dem Kläger falle kein Verschulden hinsichtlich der verspäteten Antragstellung betreffend das Insolvenzgeld zur Last. Die ehemals bestehende enge Verflechtung zwischen der Firma M. und der Fa. S. sei durch die Auftrennung der Insolvenzverfahren durch das Insolvenzgericht entfallen. Durch die Bestellung unterschiedlicher Insolvenzverwalter habe es keinen einheitlichen Informationsfluss gegeben. Der Insolvenzverwalter S. habe die Zustellung des Eröffnungsbeschlusses an den Kläger unterlassen. Der Kläger habe sich auf die Aussage von Rechtsanwalt v. Z. verlassen, dass die rückständigen Nettolöhne in voller Höhe durch das Insolvenzgeld gedeckt seien.

Das SG hat durch Urteil vom 24. Juni 2010 die Klage abgewiesen. Der dem Grunde nach hinsichtlich der Insolvenz der Fa. S. bestehende Anspruch auf Insolvenzgeld des Klägers scheitere vorliegend an der verspäteten Antragstellung. Gemäß § 324 Abs. 3 SGB III sei Insolvenzgeld innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis zu beantragen. Dies habe der Kläger versäumt, da maßgebliches Insolvenzereignis die Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 28. Oktober 2009 sei und zum Zeitpunkt des Eingangs des Insolvenzgeldantrages am 18. Januar 2010 die Zwei-Monats-Frist deutlich überschritten gewesen sei. Der Kläger könne sich nicht auf die in § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III geregelte Nachfrist berufen. Nur wenn der Arbeitnehmer die genannte Frist von zwei Monaten aus Gründen versäume, die er nicht zu vertreten habe, werde Insolvenzgeld geleistet, wenn der Antrag innerhalb von zwei Monaten nach Wegfall des Hinderungsgrundes gestellt werde. Die Frist von zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis vom 28. Oktober 2009 sei bis zum 28. Dezember 2009 gelaufen. Der Lauf der Ausschlussfrist beginne ohne Rücksicht auf die Kenntnis des Arbeitnehmers und ohne Rücksicht auf die Zustellung eines Eröffnungs- oder Ablehnungsbeschlusses im Insolvenzverfahren mit dem Tag des entsprechenden Beschlusses (unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 26. August 1983 - 10 RAr 1/82 -). Hinsichtlich des "Vertreten-Müssens", das für die Prüfung der Gewährung einer Nachfrist entsprechend der zitierten gesetzlichen Regelung maßgeblich sei, habe der Arbeitnehmer nach der Rechtsprechung des BSG die Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt, also jede Fahrlässigkeit (§ 276 BGB) zu vertreten. Eine auf Fahrlässigkeit beruhende Unkenntnis der rechtserheblichen Umstände schließe einen Anspruch nach zwei Monaten aus. Es könne zutreffen, dass im Verfahren betreffend die Insolvenz der Fa. S. der Kläger entgegen § 30 InsO nicht ordnungsgemäß vom Eröffnungsbeschluss unterrichtet worden sei. Dies rechtfertige im Hinblick auf die versäumte Ausschlussfrist jedoch allenfalls die Feststellung, dass der Kläger weder grob fahrlässig noch vorsätzlich gehandelt habe. Einfache Fahrlässigkeit habe jedoch vorgelegen. Sie beruhe auf dem Umstand, dass der Kläger nach Beendigung des Anstellungsverhältnisses mit der Fa. S. eine große Nähe zum laufenden Insolvenzverfahren gehabt habe. Die engen Verflechtungen zwischen der Fa. S. und der Firma M., bei der der Kläger weitergearbeitet habe, seien augenscheinlich. So sei es auch die Firma M. gewesen, die sich - quasi auch in Vertretung für den Kläger - mit Schreiben vom 13. Oktober 2009 beim Insolvenzverwalter für die Fa. S. über dessen unzureichende Information beschwert habe. Soweit der Kläger einwende, der Beschluss über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens betreffend die Fa. S. sei unerwartet früh ergangen, habe für den Kläger jedenfalls nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens betreffend die Firma M. am 2. Dezember 2009 noch bis zum 28. Dezember 2009 ausreichend Gelegenheit bestanden, sich über den Gang des Insolvenzverfahrens betreffend die Fa. S. weiter zu erkundigen. Der Kläger habe gerade angesichts des parallelen von ihm anhängig gemachten Insolvenzgeldverfahrens betreffend die Firma M. hinsichtlich dem Insolvenzverfahren betreffend die Fa. S. misstrauisch werden müssen. Eine Nachfrage bei den Verantwortlichen der Firma M., beim Insolvenzverwalter oder beim Insolvenzgericht hätte sich dem Kläger aufdrängen müssen. Seine Untätigkeit müsse ihm insofern als fahrlässiges Verhalten angerechnet werden.

Gegen das seinen Bevollmächtigten am 6. Juli 2010 zugestellte Urteil richtet sich die am 3. August 2010 eingelegte Berufung des Klägers. Das SG habe nicht beachtet, dass der Kläger auf die Aussage von Rechtsanwalt v. Z., dass die seinerzeit rückständigen Nettolöhne in voller Höhe durch das Insolvenzgeld gedeckt seien, vertraut habe. Dies habe Rechtsanwalt v. Z. mit Schreiben vom 14. April 2010 nochmals gegenüber dem Prozessbevollmächtigten erklärt. Der Insolvenzgeldantrag für die Firma M. sei vollständig von der Personalabteilung für den Kläger vorbereitet und ausgefüllt worden. Der Kläger habe diesen Antrag lediglich unterschrieben. Gerade vor diesem Hintergrund könne dem Kläger nicht der Vorwurf der Fahrlässigkeit gemacht werden, wenn er einen solchen Antrag betreffend das Insolvenzverfahren der Fa. S. nicht rechtzeitig gestellt habe. Der Insolvenzverwalter der Fa. S. sei zwar nicht verpflichtet gewesen, den Insolvenzgeldantrag für den Kläger vorzubereiten. Dieser sei aber verpflichtet gewesen, den Kläger über die Insolvenzeröffnung zu informieren und ihm den Eröffnungsbeschluss zuzustellen. Er sei auch verpflichtet gewesen, den Kläger darüber zu informieren, dass der Insolvenzgeldantrag innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Monaten ab Insolvenzeröffnung zu stellen sei. Nachdem Rechtsanwalt v. Z. gegenüber dem Kläger zum Ausdruck gebracht habe, dass die rückständigen Nettolöhne in voller Höhe durch das Insolvenzgeld gedeckt seien, habe der Kläger darauf vertrauen dürfen, dass alles seinen rechten Gang gehe. Es stelle sich in diesem Fall nicht als Sorgfaltspflichtverletzung dar, dass der Kläger sich nicht selbstständig über den Fortgang des Insolvenzverfahrens erkundigt habe. Auch habe der Kläger nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der Fa. S. keine große Nähe zum laufenden Insolvenzgeldverfahren gehabt. Die ehemals bestehende enge Verflechtung zwischen der Firma M. und der Fa. S. sei durch die Auftrennung der Insolvenzverfahren durch das Insolvenzgericht entfallen. Es seien durch das Insolvenzgericht unterschiedliche Insolvenzverwalter eingeschaltet worden. Bei der Fa. S. seien keine eigenen Mitarbeiter mehr beschäftigt worden, an die sich der Kläger hätte wenden können. Auch sei zu berücksichtigen, dass der Kläger im Insolvenzverfahren der Firma M. ordnungsgemäß über die Insolvenzeröffnung informiert und ihm der Eröffnungsbeschluss zugestellt worden sei. Der Kläger habe darauf vertraut, dass er - wie vom Stellvertreter des vorläufigen Insolvenzverwalters zugesichert - seine rückständigen Löhne in voller Höhe durch das Insolvenzgeld ersetzt bekommen werde. Für den Kläger habe es keine Veranlassung gegeben, ohne Kenntnis von der Insolvenzeröffnung bereits vorsorglich einen Insolvenzgeldantrag zu stellen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 24. Juli 2010 und den Bescheid der Beklagten vom 19. Januar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Februar 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Insolvenzgeld für die Zeit vom 1. September 2009 bis 12. Oktober 2009 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte erwidert, der Kläger habe aufgrund der speziellen Konstellation zwischen den beiden aufeinanderfolgenden Arbeitgebern in besonderem Maße sensibilisiert sein müssen. Aufgrund der Informationen durch Rechtsanwalt v. Z. am 6. Oktober 2010 habe kein Zweifel darüber bestanden, dass sich die Fa. S. in der Insolvenz befunden habe. Selbst wenn Rechtsanwalt v. Z. bei dieser Gelegenheit nur unzureichend über Rechte und Pflichten der Mitarbeiter und die Modalitäten des Insolvenzgeldverfahrens belehrt und den Eindruck erweckt habe, die Gehälter seien in der Insolvenz gesichert, reiche dies nicht aus, um den Kläger aus seinen Sorgfaltspflichten zu entlassen. Spätestens bei seiner eigenen fristlosen Kündigung vom 12. Oktober 2009, die er mit Zahlungsverzug seines ihm zustehenden Entgeltes begründet habe, habe dem Kläger klar sein müssen, dass die Firma zahlungsunfähig gewesen sei. Der Kläger wäre gehalten gewesen, sich über den Fortgang des Insolvenzverfahrens zu informieren bzw. sich sachkundigen Rat zu holen.

Auf Anfrage des Senats teilte für den Insolvenzverwalter S. Rechtsanwalt v. Z. mit Schreiben vom 31. März 2011 mit, dass die Mitarbeiter der Fa. S. weder von der Eröffnung des Verfahrens noch von der Ausschlussfrist informiert worden seien. Diese seien in der Gläubigerliste nicht mehr aufgeführt, was durchaus auch konsequent erscheine, da die Firma M. in das Arbeitsverhältnis eingetreten sei. Folglich sei der Kläger nicht zur Forderungsanmeldung oder zum Stellen eines Insolvenzgeldantrages aufgefordert worden. Er selbst habe die ehemaligen Mitarbeiter der Fa. S. noch am 6. Oktober 2009 vor Ort darüber informiert, dass die seinerzeit rückständigen Nettolöhne in voller Höhe durch das Insolvenzgeld gedeckt seien.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 SGG statthafte Berufung ist zulässig; sie ist form- und fristgerecht (§ 151 Abs.1 SGG) eingelegt worden. Die Berufung ist in der Sache unbegründet. Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Insolvenzgeld für die Zeit vom 1. September bis zum 12. Oktober 2009 zu.

Anspruch auf Insolvenzgeld haben gemäß § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III Arbeitnehmer, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei (1.) Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres Arbeitgebers, (2.) Abweisung des Antrages auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse oder (3.) vollständiger Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt, (Insolvenzereignis) für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Gemäß § 324 Abs. 3 SGB III ist Insolvenzgeld innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis zu beantragen. Hat der Arbeitnehmer die Frist aus Gründen versäumt, die er nicht zu vertreten hat, so wird Insolvenzgeld geleistet, wenn der Antrag innerhalb von zwei Monaten nach Wegfall des Hinderungsgrundes gestellt wird (§ 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III). Der Arbeitnehmer hat die Versäumung der Frist zu vertreten, wenn er sich nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht hat (§ 324 Abs. 3 Satz 3 SGB III).

Das SG hat zutreffend entschieden, dass der Kläger Insolvenzgeld nicht rechtzeitig beantragt hat. Der Kläger hat mit seinem Antrag vom 18. Januar 2010 die Ausschlussfrist nach § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III nicht eingehalten. Maßgebliches Insolvenzereignis war die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Fa. S. am 28. Oktober 2009. Für den Beginn der Frist ist dabei unerheblich, ob der Kläger vom Insolvenzereignis Kenntnis hatte (vgl. BSG, Urteil vom 10. April 1985 - 10 RAr 11/84 -). Die zweimonatige Ausschlussfrist endete am Montag, den 28. Dezember 2009 (§§ 26 Abs. 1 SGB X i.V.m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB).

Die Voraussetzungen für eine Nachfrist gemäß § 324 Abs. 3 Satz 2 und 3 SGB III liegen nicht vor. Die Regelung über die Nachfrist nach § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III stellt eine spezialgesetzliche Ausprägung des Rechtsinstituts der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 27 SGB X, § 67 SGG) dar (BSG, Urteil vom 29. Oktober 1992 - 10 RAr 14/91 -), sodass die Maßstäbe zu den Voraussetzungen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Anwendung finden (BSG, Urteil vom 18. Januar 1990 - 10 RAr 14/89 -). Danach ist eine Antragsfrist ohne Verschulden versäumt, wenn diejenige Sorgfalt nicht außer Acht gelassen worden ist, die einem gewissenhaften Antragsteller nach den Umständen zuzumuten war. Dabei gilt ein persönlicher Sorgfaltsmaßstab, der sich an den Erkenntnisfähigkeiten und den nach seiner Persönlichkeit zu beurteilenden Handlungsmöglichkeiten des Arbeitnehmers orientiert. Zu vertreten hat der Arbeitnehmer demnach die Nichtbeachtung einer ihm nach seinen Verhältnissen zumutbaren Sorgfalt, die unter Berücksichtigung aller Umstände des Falls zur gewissenhaften Prozessführung nach allgemeiner Verkehrsanschauung vernünftigerweise erforderlich ist (vgl. beispielsweise LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15. November 2011 - L 13 AL 2124/10 -). Die bloße Unkenntnis vom Eintritt des Insolvenzereignisses, des Laufs der Antragsfrist oder der Rechtslage eröffnet noch nicht die Nachfrist des § 324 Abs. 3 S. 2 SGB III (BSG, Urteil vom 26. August 1983 - 10 RAr 1/82 -). Demzufolge ist zu prüfen, ob der Arbeitnehmer hinreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Insolvenzereignisses erhielt und dennoch in Richtung einer Insolvenzgeldantragstellung untätig blieb. Nur dann, wenn der Arbeitnehmer nach den Gesamtumständen nicht mehr auf Zahlungen seitens seines Arbeitgebers vertrauen durfte und das Untätigbleiben, also insbesondere das weitere Hinausschieben eines Antrags auf Insolvenzgeld bzw. dahingehende Erkundigungen mit vernünftigen Gründen bei der Verfolgung der eigenen Rechte und Interessen nicht mehr erklärbar ist, ist es ihm zuzumuten, dann aber auch zu verlangen, sich sachkundig zu machen, Rechtsrat einzuholen und gegebenenfalls vorsorglich Insolvenzgeld zu beantragen.

Vorliegend musste sich dem Kläger die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Fa. S. aufdrängen. Am 6. Oktober 2009 unterrichtete der Vertreter des Insolvenzverwalters die Mitarbeiter der Fa. S., u.a. den Kläger darüber, dass ein Insolvenzantrag gestellt worden war und die Löhne und Gehälter nicht mehr gezahlt werden konnten. Dies ergibt sich für den Senat aus den Angaben des Klägers in dem von ihm selbst und zeitnah verfassten Widerspruchsschreiben vom 9. Februar 2010. Die Mitteilung von Rechtsanwalt v. Z. nahm der Kläger zum Anlass, sein Arbeitsverhältnis mit der Fa. S. fristlos zum 12. Oktober 2009 zu kündigen und ab 13. Oktober 2009 ein Arbeitsverhält mit der Firma M. einzugehen. Die Fa. S. blieb - wie angekündigt - dem Kläger das Arbeitsentgelt für September und Oktober 2009 schuldig. Auch wenn dem Kläger, worauf er zutreffend hinweist, der Eröffnungsbeschluss des Amtsgerichts H. vom 28. Oktober 2009 nicht zugestellt und er durch den Insolvenzverwalter S. oder dessen Vertreter auch nicht in sonstiger Weise über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Fa. S. informiert worden war, so bestand für den Kläger Anlass, sich sachkundig zu machen bzw. Rat einzuholen oder sich um die Realisierung seiner Entgeltansprüche gegen die Fa. S. zu kümmern. Zwar wurden die ehemaligen Mitarbeiter der Fa. S., u.a. auch der Kläger, durch Rechtsanwalt v. Z. am 6. Oktober 2009 dahingehend informiert, dass die seinerzeit rückständigen Nettolöhne in voller Höhe durch das Insolvenzgeld gedeckt seien. Dieser Aussage kann jedoch nicht entnommen werden, dass der Insolvenzverwalter einen Antrag auf Insolvenzgeld bei der Beklagten stellen wird, wozu er im Übrigen auch rechtlich nicht verpflichtet war (vgl. Sächsisches LSG, Urteil 24. Oktober 2007 - L 12 AL 62/06 -). Insofern konnte der Kläger auch nicht darauf vertrauen, dass der Insolvenzverwalter für ihn bei der Beklagten Insolvenzgeld beantragen wird. Er musste folglich beobachten, wie sich das am 5. Oktober 2009 beantragte Insolvenzverfahren entwickelt. Jedenfalls aus dem Insolvenzverfahren hinsichtlich der Firma M. erlangte der Kläger Kenntnis, dass Insolvenzgeld auf Antrag bei der Beklagten geleistet wird. Er unterzeichnete einen durch die Personalabteilung der Firma M. vorbereiteten Insolvenzgeldantrag und reichte diesen Antrag zur Weiterleitung an die Beklagte an die Personalabteilung zurück. Am 2. Dezember 2009 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Firma M., der Muttergesellschaft seiner vormaligen Arbeitgeberin, eröffnet. Demgegenüber ist der Kläger - nach seinen Angaben - über den Fortgang des Verfahrens über den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens hinsichtlich der Fa. S. weder durch den Insolvenzverwalter noch durch eine dritte Person in Kenntnis gesetzt worden. Er hatte das ausstehende Arbeitsentgelt nicht erhalten. Auch wurde ihm - anders als bei der Firma M. - kein Insolvenzgeldantrag zur Unterschrift vorgelegt. Dem Kläger war bewusst, dass die Fa. S. im Gegensatz zur Firma M. den Betrieb im Oktober 2009 eingestellt hatte, über keine Personalabteilung verfügte und in dieser keine sonstigen Mitarbeiter mehr tätig waren. Im Hinblick auf diese Umstände und die naheliegende Überlegung, dass das Verfahren über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens für die wesentlich kleinere Fa. S. schneller zum Abschluss gelangen müsste als das Verfahren der Muttergesellschaft M., bestand für den Kläger spätestens Ende November/Anfang Dezember 2009 Anlass, sich hinsichtlich eines anhängigen Insolvenzverfahrens über die Fa. S. zu erkundigen und seine ausstehenden Entgeltansprüche zu sichern. Der Kläger hätte somit bei Anwendung der notwendigen und von ihm zu erwartenden Sorgfalt zeitnah vom Beschluss des Amtsgerichts H. vom 28. Oktober 2009 Kenntnis erlangen und vor Ablauf der Ausschlussfrist am 28. Dezember 2009 bei der Beklagten Insolvenzgeld beantragen können.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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