L 7 SO 5117/11 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 14 SO 3726/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 5117/11 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Heilbronn vom 16. November 2011 hinsichtlich der Verpflichtung zur Darlehensgewährung zur Tilgung der Gasschulden aufgehoben.

Die weitergehende Beschwerde der Antragsgegnerin wird zurückgewiesen.

Die Beschwerde der Antragstellerin wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin ein Drittel deren außergerichtlicher Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beschwerden der Antragstellerin und der Antragsgegnerin sind gem. § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegt worden; letztere ist auch statthaft gem. § 172 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG. Die Statthaftigkeit der Beschwerde der Antragstellerin erscheint unter diesem Gesichtspunkt fraglich. Beschwert ist diese durch den angefochtenen Beschluss nur insoweit, als das Sozialgericht Heilbronn (SG) deren Antrag auf vorläufige Gewährung laufender Leistungen der Grundsicherung im Alter oder bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) abgelehnt hatte. Dieser Antrag wurde zwar nicht ausdrücklich auf einen bestimmten Zeitraum eingeschränkt. Gleichwohl ist dem Vorbringen der Antragstellerin auch im Wege der Auslegung nicht zu entnehmen, dass sie gerade im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes Leistungen für mehr als ein Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG) geltend macht. Denn dies würde voraussetzen, dass die Antragstellerin bereits zum jetzigen Zeitpunkt die für die Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz erforderliche besondere Eilbedürftigkeit für einen weit in der Zukunft liegenden Zeitraum behauptete. Dies dürfte in aller Regel keinem Antragsteller möglich sein und ist auch hier ihrem Vorbringen nicht zu entnehmen. Darüber hinaus sieht auch das Leistungsrecht eine Bewilligung in der Regel nur für einen Zeitraum von jeweils einem Jahr vor (§ 44 Abs. 1 Satz 1 SGB XII). Es erscheint vorliegend aber auch zweifelhaft, ob das Begehren der Antragstellerin die Beschwerdewertgrenze von EUR 750.- gem. § 172 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG übersteigt. Bislang bezieht die Antragstellerin keine laufenden Leistungen der Grundsicherung. Den geltend gemachten Anspruch hat sie nicht beziffert. In der Beschwerdeschrift macht sie geltend, das SG habe bei der Berechnung ein um EUR 40.- zu hohes Einkommen angesetzt. Selbst wenn man von einem Begehren in Höhe dieses monatlichen Betrages für einen Zeitraum von einem Jahr ausgehen würde, wäre die Beschwerdewertgrenze nicht erreicht. Der Senat lässt dies jedoch vorliegend ausnahmsweise offen, da die Beschwerde der Antragstellerin jedenfalls in der Sache keinen Erfolg hat.

II.

Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII ist nach §§ 19 Abs. 2, 41 Abs. 1 SGB XII Personen zu leisten, die die Altersgrenze nach § 41 Abs. 2 SGB XII erreicht oder das 18. Lebensjahr vollendet haben und dauerhaft voll erwerbsgemindert sind, sofern sie ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten können. Nach ihren eigenen Angaben und den von ihr vorgelegten Unterlagen bezieht die Antragstellerin eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung i.H.v. EUR 645,59 monatlich sowie eine Betriebsrente i.H.v. EUR 293,12 monatlich, insgesamt also monatlich EUR 938,71 (netto). Diesem Einkommen stehen als grundsicherungsrechtlicher Bedarf gem. § 42 SGB XII die Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 SGB XII (EUR 364.-) sowie die Kosten der Unterkunft und Heizung gegenüber. Für letztere sind zunächst die Kaltmiete i.H.v. EUR 420.- monatlich sowie die Nebenkosten (Wasser) zu berücksichtigen. Zu diesen hat die Antragstellerin angegeben, sie habe vierteljährlich EUR 79,52 zu zahlen (Nebenkosten-Rechnung vom 22. September 2011), monatlich also EUR 26,51. Damit beläuft sich der Gesamtbedarf der Antragstellerin auf monatlich EUR 810,51. Somit besteht ein Einkommensüberhang i.H.v. EUR 128,20 monatlich. Noch nicht berücksichtigt sind hierbei zwar die Kosten der Heizung. Einen monatlichen Gasabschlag hat die Antragstellerin derzeit nicht zu zahlen, da der Gaslieferungsvertrag aufgrund der streitigen Gasschulden bereits gekündigt worden ist. Die Antragstellerin ist aber in der Lage, den genannten Einkommensüberhang für die Heizung mittels Strom einzusetzen, nachdem diese Energieversorgung bereits wieder aufgenommen wurde. Dass dieser Betrag für die Heizung nicht ausreichen sollte, ist bislang nicht dargelegt. Sollte sich dies im weiteren Verlauf zeigen, ist es der Antragstellerin unbenommen, einen neuen Leistungsantrag zu stellen. Derzeit jedenfalls ist ein Grundsicherungsanspruch nicht ausreichend glaubhaft gemacht.

III.

Die Beschwerde der Antragsgegnerin hat insoweit Erfolg, als der angefochtene Beschluss hinsichtlich der Verpflichtung zur darlehensweisen Deckung der Gasschulden aufzuheben war. Für eine solche Verpflichtung fehlt es bereits an einem entsprechenden Begehren der Antragstellerin.

Nach dem auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes geltenden § 123 SGG entscheidet das Gericht über die vom Kläger bzw. Antragsteller erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Die Vorschrift bringt den wesentlichen Grundsatz zum Ausdruck, dass das Gericht nur über die vom Kläger bzw. Antragsteller zur Entscheidung gestellten Ansprüche entscheiden und über diese nicht hinaus gehen darf. Das Gericht darf also nicht mehr und nichts anderes zusprechen, als gewollt ist (Keller im Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 123 Rdnrn. 1 und 4). Die Bindung des Gerichts bezieht sich dabei nach dem eindeutigen Wortlaut nur auf den erhobenen Anspruch, nicht aber die konkrete Fassung der Anträge. Maßgeblich ist das wirklich Gewollte, das gegebenenfalls durch Auslegung zu ermitteln ist.

In dem zur Niederschrift durch den Urkundsbeamten beim SG erklärten Ersuchen um einstweiligen Rechtsschutz wurde als ausdrücklicher Antrag lediglich die Verpflichtung der Antragsgegnerin zu darlehensweisen Leistungen für Unterkunft und Heizung aufgenommen. In der Begründung des Antrags hat sie jedoch deutlich gemacht, dass das Energieversorgungsunternehmen ihr wegen Rückständen bereits den Strom abgestellt hatte und sie für die Wiederaufnahme der Stromzufuhr ein Darlehen von der Antragsgegnerin begehre. Ohne Strom könne sie nicht heizen. Während sie gegenüber dem SG deutlich machte, dass die Antragsgegnerin ein Darlehen für die Stromschulden bereits - mündlich - abgelehnt habe, wurden Gasschulden in keiner Weise erwähnt, obwohl sie bei der Antragsgegnerin mitgeteilt hatte, dass auch die Gaszufuhr bereits abgestellt sei. In dem beim SG durchgeführten Erörterungstermin vom 9. November 2011 sind Gasschulden ausweislich der Niederschrift ebenfalls nicht angesprochen worden. Die Antragstellerin erwähnt sie im darauffolgenden Schreiben (Eingang beim SG am 14. November 2011) wiederum nicht. Aus dem von ihr am 15. November 2011 beim SG eingereichten Schreiben des Kundencenters der H. V. GmbH lässt sich zwar entnehmen, dass die Versorgungsverträge sowohl für Strom als auch für Gas beendet seien. Die Antragstellerin hat dieses Schreiben jedoch kommentarlos abgegeben, ohne also gerade auf die Sperrung der Gaszufuhr abzustellen. Sie selbst hat mithin zu keinem Zeitpunkt die Gasschulden in das Verfahren eingeführt. Das SG hat daher das Begehren der Antragstellerin zu Unrecht dahingehend ausgelegt, dass sie im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes auch ein Darlehen zum Ausgleich dieser Energieschulden begehre. Eines solches Begehren wurde weder ausdrücklich noch konkludent geäußert. Es lässt sich insbesondere auch nicht dem Vortrag der Antragstellerin entnehmen, dass es ihr gerade darum gehe, heizen zu können. Denn gegenüber dem SG hatte sie lediglich angegeben, ohne Strom nicht heizen zu können, nicht aber, dass dies auch für das Gas gelte. Dass dies nicht zwingend anzunehmen ist, ergibt sich auch aus der Angabe im Grundsicherungsantrag. Dort ist als Art der Beheizung neben Gas auch Strom angegeben worden. Dies deckt sich auch mit dem Inhalt der Beschwerdeschrift der Antragstellerin, aus der deutlich wird, dass sie gerade auf die Stromzufuhr dringend angewiesen sei.

Da das SG somit mit der Verpflichtung zur darlehensweisen Übernahme der Gasschulden zu Lasten der Antragsgegnerin über das erkennbare Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin hinausgegangen ist, war der angefochtene Beschluss insoweit auf die Beschwerde der Antragsgegnerin aufzuheben.

IV.

Hinsichtlich der darlehensweisen Übernahme der Stromschulden ist die Beschwerde der Antragsgegnerin hingegen unbegründet. Das SG hat diese insoweit zu Recht verpflichtet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit - wie hier - nicht ein Fall des Abs. 1 vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Vorliegend kommt nur eine Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung). Verfassungsrechtliche Vorgaben zwingen gegebenenfalls jedoch diesen grundsätzlichen Entscheidungsmaßstab zu revidieren. Der einstweilige Rechtsschutz ist Ausfluss der in Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) enthaltenen Garantie effektiven Rechtsschutzes. Aus dieser folgt das Gebot, soweit als möglich zu verhindern, dass durch hoheitliche Maßnahmen oder Entscheidungen der Verwaltungsbehörde Tatsachen geschaffen werden, die auch dann, wenn diese sich nach richterlicher Prüfung als rechtswidrig erweisen, nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Diese Gefahr besteht auch in der Leistungsverwaltung, wenn die Verwaltung ein Leistungsbegehren zurückweist. Auch neben Art. 19 Abs. 4 GG enthält das Verfassungsrecht Vorgaben für Maßstab und Prüfungsumfang gerichtlicher Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutz. Die in den Grundrechten zum Ausdruck kommende Wertentscheidung muss beachtet werden. Es ist Aufgabe des Staates und damit auch der Gerichte, sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen zu stellen. Diese beiden verfassungsrechtlichen Zielsetzungen des einstweiligen Rechtsschutzes haben Auswirkungen auf den Entscheidungsmaßstab der Fachgerichte. Dieser verschärft sich, wenn nicht nur die prozessrechtliche Dimension des Art. 19 Abs. 4 GG betroffen ist, sondern dem materiellen Anspruch grundrechtliches Gewicht zukommt. Entscheidend ist, welche Rechtsverletzungen bei Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes drohen. Drohen schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen grundrechtlich geschützter Güter, kann die gerichtliche Entscheidung nicht auf die nur summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden. Dies gilt insbesondere in Fällen, in denen das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung droht. Es genügt dabei bereits eine nur mögliche oder zeitweilig andauernde Verletzung. Der Entscheidung über die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist dann, insbesondere wenn eine abschließende Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache nicht möglich ist, eine umfassende Güter- und Folgenabwägung zugrunde zu legen (Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NZS 2003, 253 und NVwZ 2005, 927). Allerdings sind dabei die Erfolgsaussichten in der Hauptsache nicht völlig unberücksichtigt zu lassen. Denn eine Grundrechtsbeeinträchtigung kann von vornherein nicht vorliegen, wenn das Recht oder der Anspruch überhaupt nicht in Betracht kommt. Eine bestimmte Mindestwahrscheinlichkeit (z.B. überwiegend) ist aber nicht zu fordern (Krodel NZS 2006, 637; Hk-SGG, 3. Aufl., § 86b Rdnr. 5).

Nach derzeitigem Sachstand kann ein Anspruch der Antragstellerin auf Übernahme der Stromschulden als Darlehen nach § 36 Abs. 1 SGB XII (in der ab 1. Januar 2011 geltenden Fassung) nicht ausgeschlossen werden. Danach können Schulden nur übernommen werden, wenn dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Geldleistungen können als Beihilfe oder als Darlehen erbracht werden. Diesem Anspruch steht nicht bereits entgegen, dass die Antragstellerin, wie oben dargelegt, derzeit keinen Anspruch auf laufende Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII hat. Im Gegensatz zu § 22 Abs. 8 Satz 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch, der bestimmt, dass eine Schuldenübernahme nur in Betracht kommt, wenn für den Hilfesuchenden tatsächlich Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden, fehlt eine derartige Voraussetzung in § 36 Abs. 1 SGB XII. Damit kommt eine Schuldenübernahme im Bereich des § 36 Abs. 1 SGB XII auch dann in Betracht, wenn der Hilfesuchende aktuell nicht im laufenden Leistungsbezug steht, eine Schuldenübernahme aber zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn der Betroffene zwar in der Lage ist, seinen gegenwärtigen Lebensunterhalt zu decken, ihm aber die Begleichung von Schulden – wegen seiner begrenzt zur Verfügung stehenden Mittel (Einkünfte) – nicht möglich ist (vgl. Link in jurisPK-SGB XII, § 36 Rdnr. 17 m.w.N.).

In Konkretisierung des grundrechtlich aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG gesicherten Existenzminimums hat der Gesetzgeber im SGB XII anerkannt, dass dieses auch die Versorgung mit Haushalts- und Heizenergie umfasst. Entsprechend hat er diese Bedarfe in § 27a Abs. 1 SGB XII (Haushaltsenergie) und § 35 Abs. 4 SGB XII (Heizung) als grundsicherungsrechtlichen Anspruch erfasst. § 36 Abs. 1 SGB XII erlaubt die Übernahme von Schulden, die die Sicherstellung dieser elementaren Grundbedürfnisse gefährden. Die Norm erfasst nicht nur die ausdrücklich genannte Sicherung der Unterkunft, sondern auch die Übernahme zur Abwendung einer vergleichbaren Notlage, wozu gerade das elementare Grundbedürfnis "Energieversorgung" gehört. Die Versorgung mit Energie gehört nach den Lebensverhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland zum sozialhilferechtlich anerkannten Mindeststandard (vgl. Streichsbier in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl., zur Vorgängerregelung des § 34 Rdnr. 4 m.w.N.; ebenso Bieritz-Harder/Birk in LPK-SGB XII, 8. Aufl., § 34 Rdnr. 11). Die Schuldenübernahme unterliegt einschränkenden Voraussetzungen, die in den unbestimmten Rechtsbegriffen "gerechtfertigt" und "notwendig" zum Ausdruck kommen. Dabei sind zunächst die Selbsthilfemöglichkeiten des Hilfebedürftigen, seine wirtschaftliche Situation und seine Vermögensverhältnisse zu berücksichtigen. Des Weiteren fehlt es an der nötigen Rechtfertigung in Missbrauchsfällen, z.B. wenn die Miete (oder Energiekosten) offensichtlich im Vertrauen auf eine Schuldenübernahme nicht gezahlt wurde (vgl. Begründung des Gesetzes zur Reform des Sozialhilferechts BT-Drucks. 13/2440 S. 19 und 21 zur Vorgängerregelung des § 15a des Bundessozialhilfegesetzes). Die Übernahme würde sonst als "positiver Verstärker nicht erwünschten Verhaltens" wirken (Streichsbier, a.a.O., Rdnr. 5 m.w.N.).

Insbesondere im Hinblick auf bereits früher notwendig gewordene Übernahmen von Energieschulden erscheint es zwar zunächst naheliegend, dass bei der Antragstellerin ein solcher Missbrauch vorliegt. Ob allerdings auch die subjektive Seite des Missbrauchstatbestandes vorliegt, kann im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht zuverlässig festgestellt werden. Zu beachten ist darüber hinaus, dass die Wohnung der Antragstellerin mittlerweile wieder mit Strom versorgt wird, nachdem die Antragsgegnerin den Beschluss des SG insoweit trotz Beschwerdeeinlegung ausgeführt hatte. Nach deren Mitteilung erfolgt die Stromversorgung mittels eines Prepaidzählers mit Chipkarte. Allein hierdurch ist bereits eine neuerliche Verschuldung beim Energieversorgungsunternehmen ausgeschlossen, so dass auch die Schuldübernahme nicht als positiver Verstärker eines unerwünschten Verhaltens wirken kann. Dass der Hilfebedürftige bei unstreitigen Energieschulden nicht auf zivilrechtlichen Rechtsschutz als Selbsthilfemöglichkeit verwiesen werden kann, hat der Senat bereits entschieden (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Oktober 2010 - L 7 SO 4376/10 ER-B -).

Nachdem somit der Anspruch auf Schuldenübernahme nicht sicher ausgeschlossen werden kann, war aufgrund einer Interessen- und Folgenabwägung zu entscheiden. Abzuwägen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die Eilentscheidung zugunsten des Antragstellers nicht erginge, die Klage in der Hauptsache aber später Erfolg hätte, mit denen, die entstünden, wenn die begehrte Eilentscheidung erginge, die Klage aber erfolglos bleibe. Hochrangige Rechtsgüter wie die körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 GG und der Schutz der Menschenwürde sind entsprechend ihrem Gewicht einzustellen. Zu beachten ist daher insbesondere, dass die begehrte Leistung der Grundsicherung der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens dient, was bereits nach dem Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland Pflicht des Staates ist (Art. 1 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 GG; BVerfG NVwZ 2005, 927). Wie oben dargestellt, gehört die Versorgung mit Strom und Heizenergie nach den Lebensverhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland zum sozialhilferechtlich anerkannten Mindeststandard und damit zur Sicherstellung eines Lebens in Würde. Dieses hochrangige Rechtsgut würde bei Ablehnung des Eilrechtsschutzes für die Dauer bis zur Hauptsacheentscheidung (im Erfolgsfalle) verletzt, ohne dass diese Beeinträchtigung nachträglich im Hauptsacheverfahren für diesen abgeschlossenen Zeitraum ausgeglichen oder behoben werden könnte. Im Hinblick auf die bereits angebrochene kalte Jahreszeit kann auch eine Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit der Antragstellerin nicht ausgeschlossen werden. Auf Seiten des Grundsicherungsträgers ist das Interesse zu beachten, dass nun gewährte Leistungen angesichts der wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragstellerin möglicherweise nicht erstattet werden können, wenn sich im Hauptsacheverfahren herausstellen sollte, dass ein Anspruch tatsächlich nicht bestanden hat. Andererseits erfolgt ohnehin nur die vorläufige Verpflichtung zur Gewährung eines - rückzahlbaren - Darlehens. Darüber hinaus hat die Antragsgegnerin den Beschluss des SG insoweit bereits umgesetzt, also die Stromschulden gegenüber dem Energieversorgungsunternehmen bereits beglichen. Das Risiko der fehlenden Einbringbarkeit des Darlehens ist die Antragsgegnerin mithin bereits eingegangen; selbst ein Erfolg der Beschwerde könnte hier keine Abhilfe mehr schaffen. Angesichts des hohen Ranges der auf Seiten der Antragstellerin betroffenen Rechtsgüter und der Unmöglichkeit der Rückabwicklung bei Verletzung erscheinen dem Senat diese Interessen gegenüber den finanziellen Interessen der Antragsgegnerin ohnehin gewichtiger.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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