L 2 SO 5299/11 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 9 SO 3465/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 SO 5299/11 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 21. November 2011 aufgehoben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen trägt der Antragsteller.

Der Streitwert für das Verfahren wird auf 5000,- EUR festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde des Antragsgegners hat Erfolg.

Die nach § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde gegen den Erlass einer einstweiligen Anordnung im Beschluss des Sozialgerichts Mannheim (SG) vom 21.11.2011 ist zulässig; insbesondere ist sie gem. § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG statthaft. Die Beschwerde des Antragsgegners ist auch begründet. Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen nicht vor, weil dem Antragsteller kein Anordnungsgrund zur Seite steht.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Vorliegend kommt, da die Voraussetzungen des § 86b Abs. 1 SGG ersichtlich nicht gegeben sind und es auch nicht um die Sicherung eines bereits bestehenden Rechtszustandes geht (§ 86b Abs. 2 Satz 1 SGG), nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung (vgl. z.B. Beschlüsse Landessozialgericht Baden-Württemberg vom 01.08.2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und vom 17.08.2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164). Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)); dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NJW 1997, 479; NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927). Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind daher in Ansehung des sich aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes ergebenden Gebots der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz u.U. nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Güter- und Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen (vgl. etwa Beschlüsse Landessozialgericht Baden-Württemberg vom 13.10.2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - und vom 06.09.2007 - L 7 AS 4008/07 ER-B - (beide juris) jeweils unter Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG).

Vorliegend ist eine Eilbedürftigkeit für eine gerichtliche Entscheidung nicht gegeben. Der Antragsteller kann sich vielmehr selber helfen und die Unterbringung des Beigeladenen in den Heidelberger Werkstätten Standort Sandhausen herbeiführen, indem er auf das Angebot des Antragsgegners im Schreiben vom 17.11.2011 (Bl. 151 SG-Akte) bzw. in der Beschwerdebegründung vom 28.11.2011 eingeht und die angebotene Unterbringung des Beigeladenen - wie bisher - gegen eine vorläufige "zusätzliche" Vergütung vereinbart und die Verhandlungen weiterführt, bis der zwischen dem Sozialhilfeträger und der Einrichtung entstandene Streit über die Vergütung dieser Leistung entweder durch den Abschluss der Verhandlungen oder durch eine rechtskräftige Schiedsstellenvereinbarung ggf. mit gerichtlicher Hilfe in einem Hauptsacheverfahren geklärt ist.

Der Antragsgegner ist grundsätzlich zur Aufnahme des Beigeladenen bereit. Unstreitig dürfte auch sein, dass der Beigeladene wegen der auf Grund einer Hirnfehlbildung bestehenden Selbst- und Fremdgefährdung einer besonders intensiven Sonderbetreuung in einem Verhältnis 1:1 bedarf, die er auch in der bis zum 31.07.2011 besuchten Tom-Mutters-Schule vom Antragsteller finanziell getragen erhalten hat. Streit besteht zwischen dem Antragsteller und dem Antragsgegner darüber, ob diese Intensivbetreuung vom Leistungs-Typ/Nr. I 4.5a in § 2 der Leistungsvereinbarung in der Vereinbarung nach § 75 Abs. 3 SGB XII zwischen dem Träger der Einrichtung (Antragsgegner) und dem Antragsteller vom 30.06.2010 erfasst ist oder nicht, und ob ggf. ein neuer Leistungs-Typ für diese Art der Betreuung gebildet werden muss mit dem Ergebnis, dass die Vergütung hierfür zunächst originär zu verhandeln ist. Damit wird vom Antragsgegner im Ergebnis bestritten, dass für die Intensivbetreuung überhaupt bereits eine Leistungsvereinbarung getroffen worden ist und der bisherige Leistungs-Typ I 4.5a in der bestehenden Leistungsvereinbarung keine Betreuung im Verhältnis 1:1, sondern nur im Verhältnis 1:3 regelt. Streitig ist somit, ob hinsichtlich der Intensivbetreuung ein Zustand vorliegt, wie er i.S. von § 75 Abs. 3 SGB XII geregelt ist, oder möglicherweise ein noch nicht durch eine Vereinbarung geregelter Zustand vorliegt. Dies kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass der Antragsteller selbst davon spricht, dass der Einrichtungsträger (Antragsgegner) - wie auch weitere Einrichtungen im Kreis - versuche eine neue Leistungsgruppe einzuführen. Wenn also die für den Beigeladenen zu erbringende intensive Betreuungsleistung nicht von dem bisher geregelten Leistungstyp I 4.5a erfasst wäre, müssten die Parteien die bereits deswegen begonnenen aber zum Stillstand gekommenen Verhandlungen über einen neuen Leistungs-Typ fortsetzen und ggf. eine Schiedstellenvereinbarung herbeiführen, um auch diese über die Einrichtung zu erbringende Leistung vertraglich i.S. von § 75 Abs. 3 SGB XII zu regeln.

Ob die Intensivbetreuung im Schlüssel 1:1 von dem Leistungstyp I 4.5a der Leistungsvereinbarung erfasst ist, ist eine komplexe Frage, die der Klärung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht endgültig zugänglich ist. Die Klärung muss einem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Dagegen könnte sprechen, dass der Antragsgegner in dem Betreuungsschlüssel 1:1 bereits andere behinderte Menschen betreut und sowohl vom Antragsteller als auch von anderen zuständigen Sozialhilfeträgern hierfür eine zusätzliche Vergütung zum Vergütungssatz des Leistungs-Typs I 4.5a erhält. Hieraus ist nicht zwingend zu schließen, dass es sich bei der Bewilligung in dem zusätzlichen Vergütungsumfang um "eine rechtlich zweifelhafte Verwaltungspraxis handelt", wovon das SG ausgeht. Hierin könnte auch ein Handeln nach § 75 Abs. 4 SGB XII zum Ausdruck gekommen sein, wenn entsprechend dem Vortrag des Antragsgegners beide Verhandlungsparteien von einem bisher gewollt vertragslosen Zustand für den Betreuungsschlüssel 1:1 ausgegangen wären. Die Sperrwirkung entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wäre dann erst mit dem Antrag auf Abschluss einer Vereinbarung eingetreten (vgl. BVerwG, Urteil vom 04.08.2006 - 5 C 13/05, über Juris Rn.15).

Wenn nun der Antragsteller meint, seine bisherige Verwaltungspraxis ändern zu wollen, ist das gerichtliche Eilverfahren nicht dazu da, sich in Einigungsverhandlungen eine bessere Ausgansposition zu verschaffen und Druck auf den Partner auszuüben, was der Antragsteller offensichtlich bezweckt. Unter ökonomischen Gesichtspunkten ist der Antragsteller auch gegenüber dem auf wirtschaftliches Handeln angewiesenen Antragsgegner eher in der Lage, den "Schwebezustand" durch die Vereinbarung einer vorläufigen Vergütung vorzufinanzieren. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Antragsgegner bisher die Intensivbetreuung auch nur gegen zusätzliche Vergütung angeboten und entsprechend kalkuliert hat.

Der Antragsteller ist daher gehalten - auch im Interesse des Beigeladenen - mit dem Antragsgegner eine vorläufige Vergütungsvereinbarung abzuschließen. Die Verpflichtung des Antragsgegners zur Aufnahme des Beigeladenen ohne zusätzliche Vergütung wird deshalb nach summarischer Prüfung als nicht sachgerecht angesehen, die Erbringung der Leistung gegen entsprechende vorläufige Vergütung vom Antragsgegner jedoch selbst angeboten.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 197a SGG.

Diese Entscheidung kann mit der Beschwerde nicht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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