S 73 KR 1535/09

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
73
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 73 KR 1535/09
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Bescheide der Beklagten vom 30. Januar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. August 2009 und vom 16. März 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Juli 2011 werden aufgehoben. 2. Es wird festgestellt, dass die Tätigkeit der Klägerin bei der Beigeladenen zu 1) in den Bereichen der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung nicht versicherungspflichtig war. 3. Die Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten des Rechtsstreites zu erstatten. Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten im Rahmen einer Statusfeststellung über die Sozialversicherungspflicht der Klägerin als ärztliche Fachberaterin im Rahmen einer Filmproduktion für den Zeitraum vom 1. September 2008 bis 15. Februar 2009.

Die Klägerin ist Ärztin und übt unter der Firma "g und Beratungsbüro" eine beratende Tätigkeit aus. Durch den Stab-Vertrag vom 30. Juli 2008 nahm die Klägerin für die Beigeladene zu 1) eine Tätigkeit als ärztliche Fachberaterin im Zeitraum vom 1. September 2008 bis 15. Februar 2009 für die Serie "K " auf. Am 2. August 2008 beantragte sie die Statusfeststellung bei der Beklagten. Mit Schreiben vom 9. Dezember 2008 hörte die Beklagte die Klägerin und die Beigeladene zu 1) mit Blick auf ihre Absicht an, eine abhängige Beschäftigung festzustellen. Mit Bescheid vom 30. Januar 2009 stellte die Beklagte eine abhängige Beschäftigung der Klägerin seit 1. September 2008 bei der Beigeladenen zu 1) fest. Den Widerspruch der Klägerin vom 27. Februar 2009, mit welchem die Klägerin hilfsweise die Zustimmung zu einem späteren Beginn der Versicherungspflicht erklärte, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26. August 2009 zurück.

Die Klägerin verfolgt ihr Begehren mit ihrer Klage vom 23. September 2009 weiter.

Während des Gerichtsverfahrens hat die Beklagte mit dem Bescheid vom 16. März 2011 Sozialversicherungspflicht der Klägerin für ihre Beschäftigung bei der Beigeladenen zu 1) festgestellt. Den Widerspruch der Klägerin vom 25. März 2011 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15. Juli 2011 als unzulässig zurück. Der Bescheid vom 16. März 2011 sei gemäß § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des anhängigen Klageverfahrens geworden. Mit Schreiben vom 26. Juli 2011 hat die Klägerin ihre Klage erweitert und auch gegen den Bescheid vom 16. März 2011 gerichtet.

Die Klägerin begründet ihre Klage damit, dass sie selbständig tätig sei, weil sie keine Dienstbereitschaft habe, hinsichtlich der Arbeitszeit frei verfügen könne, dem Direktionsrecht nicht unterworfen sei und einen wesentlichen Teil der Arbeit von ihrem Büro aus oder bei medizinischen Einrichtungen verrichte. Da sie parallele Projekte bearbeite, seien sich die Beteiligten über Abstimmungserfordernisse einig gewesen. Direktionsrecht und Fachberatung würden einander ausschließen.

Die Klägerin beantragt,

1. Die Bescheide der Beklagten vom 30. Januar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.August 2009 und vom 16. März 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Juli 2011 aufzuheben, 2. festzustellen, dass die Tätigkeit der Klägerin bei der Beigeladenen zu 1) in den Bereichen der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung nicht versicherungspflichtig war.

Die Beklagte hält ihre letzte Entscheidung für zutreffend und beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

Der Kammer haben außer den Prozessakten die Verwaltungsvorgänge der Beklagten vorgelegen. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Schriftsätze, das Protokoll und den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die angefochtenen Bescheide sind aufzuheben. Die Klägerin war Zeitraum vom 1. September 2008 bis 15. Februar 2009 während ihrer selbständigen Tätigkeit für die Beigeladene zu 1) nicht sozialversicherungspflichtig. Deshalb war die von der Klägerin mit der Klage geforderte Feststellung zu treffen.

Gegenstand des Rechtsstreites sind zwei Anfechtungsklagen und eine Feststellungsklage der Klägerin. Eine Anfechtungsklage richtet sich gegen den Bescheid der Beklagten vom 30. Januar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. August 2009. Eine weitere Anfechtungsklage richtet sich gegen den Bescheid der Beklagten vom 16. März 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Juli 2011. Unzutreffend geht die Beklagte davon aus, dass der Bescheid vom 16. März 2011 gemäß § 96 SGG Gegenstand des bereits anhängigen Klageverfahrens geworden sei. Dies trifft deshalb nicht zu, weil der Bescheid vom 30. Januar 2009 kein Verwaltungsakt im Sinne des § 31 SGB X gewesen ist. Dieser Bescheid enthielt keine Regelung, sondern lediglich eine unzulässige Elementenfeststellung. Dies ist zwischen den Beteiligten zutreffend unstreitig. Eine Äußerung einer Behörde, die lediglich eine unzulässige Elementenfeststellung, nicht jedoch eine Regelung enthält, erfüllt nicht die Voraussetzungen von § 31 SGB X. Es handelt sich dann allenfalls um einen sog. formellen Verwaltungsakt. Ein solcher darf mit der Anfechtungsklage angefochten werden, weil ein Anspruch auf Aufhebung deshalb besteht, weil der Rechtsschein eines bindenden Verwaltungsaktes im Rechtsverkehr zu beseitigen ist (BSG Urt. v. 24.07.2003, B 4 RA 60/02 R, RdNr 18 mwN). Lag ursprünglich kein Verwaltungsakt vor, kann im Sinne des § 96 SGG ein solcher nicht geändert oder ersetzt werden. Nach der Neuregelung des § 96 SGG zum 1. April 2008 kann die Vorschrift auch nicht mehr als Grundlage für analoge Rechtsgestaltungen dienen. Dies hat der Gesetzgeber mit der Änderung der Vorschrift sowohl im Wortlaut als auch in der Gesetzesbegründung hinreichend deutlich gemacht. Sofern andere Gerichte in vergleichbaren Konstellationen § 96 SGG für anwendbar halten, haben sie sich - soweit ersichtlich - nicht mit der Problematik auseinander gesetzt, dass ein lediglich eine unzulässige Elementenfeststellung enthaltendes Schreiben der Behörde keinen Verwaltungsakt im Sinne des § 31 SGB X (vgl. BSG, Urteil vom 05.07.2006, B 12 KR 20/04 R, RdNr. 36) und des § 96 SGG darstellen kann. Eine Bindungswirkung dieser anderen Rechtsprechung für die Entscheidung der erkennenden Kammer besteht nicht.

Für beide Anfechtungsklagen hatte die Klägerin Klagebefugnis. Der erhobenen Feststellungsklage ist das erforderliche Feststellungsinteresse nicht abzusprechen.

Die Klägerin hat Anspruch auf Aufhebung der angefochtenen Bescheide der Beklagten vom 30. Januar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.August 2009 und vom 16. März 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Juli 2011. Diese Bescheide sind rechtswidrig. Für den Bescheid vom 30. Januar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. August 2009 folgt dies bereits daraus, dass es sich lediglich um einen formellen Verwaltungsakt handelte. Der Bescheid vom 16. März 2011 ist in der Sache unzutreffend. Die Klägerin war im Zeitraum von August 1999 bis September 2008 in ihrer Tätigkeit für die Beigeladene zu 4) in der Arbeitslosenversicherung, in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung sowie in der sozialen Pflegeversicherung nicht versicherungspflichtig.

Nach §§ 25 Abs 1 Satz 1 SGB III, 5 Abs 1 Nr 1 SGB V, 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI und 20 Abs 1 Satz 1 und Satz 2 Nr 1 SGB XI sind in den genannten Zweigen der Sozialversicherung Personen versicherungspflichtig, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind. Nach § 14 Abs 1 SGB IV sind Arbeitsentgelt alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf sie besteht, unter welcher Be¬zeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäfti¬gung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Beschäftigung ist nach § 7 Abs 1 SGB IV die nichtselbständige Tätigkeit in einem Arbeitsverhältnis. Die weite Begriffsbestimmung des Arbeitsentgelts in § 14 Abs 1 SGB IV erfasst solche Einnahmen, die dem Versicherten in ursächlichem Zusammenhang mit einer Beschäftigung zufließen (BSG, Urteil vom 28.01.1999, B 12 KR 14/98 R, BSGE 83, 266, 267 = SozR 3-2400 § 14 Nr 17 S 38, Urteil vom 07.03.2007, B 12 KR 4/06 R, RdNr 15 mwN). Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs 1 SGB IV (seit 01.01.1999: § 7 Abs 1 Satz 1 SGB IV). Danach ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Es ist mithin eine Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung i.S. des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB IV erforderlich. (zur Verfassungsmäßigkeit der Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit vgl Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom 20.5.1996, 1 BvR 21/96, SozR 3-2400 § 7 Nr 11)

Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt (§ 7 Abs 1 Satz 2 SGB IV). Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung. (BSG, Urteil vom 24.01.2007, B 12 KR 31/06 R, RdNr 16; Urteil vom 28.05.2008, B 12 KR 13/07 R, RdNr 15)

Das Gesamtbild bestimmt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen. Tatsächliche Verhältnisse in diesem Sinne sind die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Ob eine Beschäftigung vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt der Prüfung ist daher nach ständiger Rechtsprechung des BSG (vgl Urteil vom 24.01.2007, B 12 KR 31/06 R, RdNr 17; Urteil vom 25.01.2006, B 12 KR 30/04 R, jeweils mwN) zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt und sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt (BSG, Urteil vom 24.01.2007, B 12 KR 31/06 R, RdNr 17). Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die sich hieraus ergebende Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung gehen der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine – formlose – Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht (BSG, Urteile vom 25.01.2006, B 12 KR 30/04 R, RdNr 22; 24.01.2007, B 12 KR 31/0R, RdNr 17). Nur in diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von Vereinbarungen abweichen (BSG, Urteil vom 24.01.2007, B 12 KR 31/0R, RdNr 17 mwN). Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so wie sie praktiziert wird und die praktizierte Beziehung so wie sie rechtlich zulässig ist (BSG, Urteil vom 24.01.2007, B 12 KR 31/0R, RdNr 17).

Die rechtlichen Verhältnisse zwischen der Beigeladenen zu 1) und der Klägerin schließen unter Gesamtbewertung der Umstände des konkreten Falles, insbesondere dem Charakter als fachberatende Tätigkeit, dem eigenen Betriebsstandort und dem Charakter des Stab-Vertrages als Honorarvertrag eine Zuordnung zum Typus der abhängigen entgeltlichen Beschäftigung aus. Vielmehr handelt es sich um eine selbständige freiberufliche Tätigkeit.

Die Klägerin war hinsichtlich ihrer beratenden Aufgaben nicht in die arbeitsteilige Betriebsstruktur eingegliedert. Hinsichtlich der Arbeitszeit wurde lediglich auf die jeweiligen gegenseitigen Vereinbarungen hingewiesen (Ziff 7.1 Stab-Vertrag). Der Produzent war zur Abrufung der Beratungsleistung nicht verpflichtet (Ziff. 9 Stab-Vertrag). Es war Konsens, dass die Klägerin während der Vertragsdauer dem Produzenten nicht ausschließlich zur Verfügung stand (Ziff. 4 Stab-Vertrag), hinsichtlich der Termine also gegenseitige Rücksichtnahme zu üben war. Art, Umfang und Inhalt der Tätigkeit waren nicht vorgeschrieben und konnten angesichts des beratenden Charakters der Tätigkeit der Klägerin auch nicht durch ein Weisungsrecht des Auftraggebers vorgegeben werden. Sofern aus Sicherheitsgründen und anderen organisatorischen Bedingungen Weisungen und Anordnungen zu befolgen waren (Ziff. 7.3 Stab-Vertrag) ist dies für selbständige Tätigkeiten nichts Außergewöhnliches – auch ein selbständiger Malermeister hat bei der Ausführung von Maleraufträgen Vorgaben des Auftraggeber zu Ort, und Art und Zeit der Auftragserfüllung umzusetzen. Dass Form und Inhalt der beratenden Tätigkeit durch die Bedürfnisse (Fragen) des Produzenten in gewisser Weise vorgegeben waren, spricht daher nicht gegen eine selbständige Tätigkeit oder für eine weisungsgebundene Tätigkeit; denn der konkrete Inhalt der Ratschläge und die Antworten auf die Fragen konnte und wollte der Produzent ja nicht vorgeben. Typische arbeitsvertragliche Regelungen wie Urlaubsansprüche, Kündigungsfristen, Entgeltfortzahlung enthielt der Stab-Vertrag nicht. Sein Charakter und seine tatsächliche Umsetzung bestätigen ein Auftragsverhältnis ohne einseitige Abhängigkeit.

Die Klägerin hat wesentliche Teile der Arbeitsleistung in ihrem eigenen Büro erbracht und erforderliche Recherchetätigkeiten und Beschaffungshandlungen außerhalb der Drehorte vorgenommen. Dies konnte sie frei entscheiden. Sie hat insofern mit selbst beschafften Arbeitsmitteln gearbeitet und ein entsprechendes Unternehmerrisiko getragen.

Weil die Klägerin für mehrere Auftraggeber tätig war und auch sonst kein Tatbestand für eine Versicherungspflicht nach § 2 SGB VI erfüllt war, kommt auch eine gesetzliche Rentenpflichtversicherung als Selbständige nicht in Betracht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie berücksichtigt den Erfolgt der Rechtsverfolgung durch die Klägerin.
Rechtskraft
Aus
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