Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Lübeck (SHS)
Aktenzeichen
S 33 KR 1338/09
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 89/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Korrektur einer Schlussrechnung durch das Krankenhaus ist auch nach Ablauf des Haushaltsjahres, in dem die Behandlung stattfand, möglich, wenn die Nachforderung über 100 Euro bzw. ab 25. 3. 2009 über 300 Euro liegt und mindestens 5 % des Ausgangswertes erreicht (Abgrenzung zur Entscheidung des BSG vom 8. 9. 2009 - B 1 KR 11/09 -).
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 12. Oktober 2010 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.727,82 EUR nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 22. Dezember 2009 zu zahlen. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens für beide Instanzen. Die Revision wird zugelassen. Der Streitwert wird auf 3.727,82 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über Krankenhausbehandlungskosten in Höhe von 3.727,82 EUR. Dabei geht es um die Frage, ob der Kläger berechtigt war, Kosten nachzuberechnen.
Der 1925 geborene und bei der Beklagten versicherte K. Ka. (Versicherter) wurde vom 15. Februar bis 7. März 2005 in der Klinik des Klägers stationär behandelt. Mit Rechnung vom 15. März 2005 machte der Kläger hierfür einen Betrag von 15.610,03 EUR gegenüber der Beklagten geltend, den diese am 4. April 2005 ausglich. Ende 2009 trat der Kläger mit dem Wunsch nach einer Neuabrechnung des Behandlungsfalles an die Beklagte heran. In der nunmehr vorgelegten Rechnung vom 30. No-vember 2009 waren Nebendiagnosen nachcodiert worden, die bei der ursprünglichen Abrechnung nicht vorhanden waren. Nunmehr verlangte der Kläger 19.337,85 EUR. Dies lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 21. Dezember 2009 mit der Begründung ab, dass nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (1. Senat vom 8. September 2009 – B 1 KR 11/09 R -) die Voraussetzungen einer Rechnungskorrektur und Nachberechnung nicht erfüllt seien.
Der Kläger hat am 22. Dezember 2009 beim Sozialgericht Lübeck Klage auf Zahlung von 3.727,82 EUR Differenz erhoben und zur Begründung vorgetragen: Nach der Entscheidung des 3. Senats des BSG vom 17. Dezember 2009 (B 3 KR 12/08 R) sei sie von einer Nachberechnung nicht ausgeschlossen, da diese zu einer Rechnungsänderung in Höhe von 23,9 % des ursprünglichen Rechnungsbetrages geführt habe. Im Übrigen sei es die Beklagte gewesen, die ihrerseits zuvor in einer Vielzahl von "Alt-Fällen" Korrekturen hinsichtlich erlösrelevanter Diagnosen und Prozeduren vorgenommen und insoweit eine Rückforderung geltend gemacht habe. Im Rahmen der sich daran anschließenden Korrespondenz habe der Kläger zum Ausdruck gebracht, dass in dem Falle, dass die Beklagte seit Längerem abgeschlossene Fälle neu aufrolle, man selbst sich ebenfalls vorbehalte, Überprüfungen der Abrechnungen vorzunehmen und seinerseits nachzuberechnen. Seine Rechnungen wiesen im Übrigen regelmäßig den Zusatz auf: "Die Nachberechnung von Leistung und Berichtigung auch aufgrund gesetzlicher Änderungen bleibt vorbehalten".
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn, den Kläger, 3.727,82 EUR nebst Zinsen in Höhe von 2 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat darauf hingewiesen, dass der von dem Kläger zitierte Vorbehalt in den im Wege des Datenaustauschs übermittelten Rechnungen nicht enthalten sei, da es insoweit auch an einer Möglichkeit der Übermittlung innerhalb dieses Verfahrens fehle. Nach der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG sei der Kläger von einer Nachforderung ausgeschlossen. Hinsichtlich der Entscheidung des 3. Senats sei dem Kläger zuzugeben, dass die dort genannte Grenze überschritten werde. Allerdings habe das BSG auch ausgeführt, dass spätere Rechnungsoptimierungen in großer Zahl nicht zulässig seien. In diesem Zusammenhang werde mitgeteilt, dass derzeit 26 Klageverfahren des Klägers gegen die Beklagte mit nachträglichen Rechnungskorrekturen in 2009 aus dem Jahre 2005 beim Sozialgericht Lübeck anhängig seien. Hinsichtlich der Entscheidung des 1. Senats sei die Nachberechnung ausgeschlossen, da dort ein Verstoß gegen Treu und Glauben bei einem Zeitraum von zwei Jahren zwischen Schlussrechnung und Nachforderung angenommen worden sei. Der Hinweis auf den Anspruch der Rechnungskorrektur der Beklagten durch den Kläger greife nicht, da sie nicht daran gehindert sein dürfe, ihr zustehende Ansprüche bei einer Falschabrechnung durch das Krankenhaus geltend zu machen.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 12. Oktober 2010 die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Ob die medizinischen Voraussetzungen für eine stationäre Krankenhausbehandlung erfüllt seien, könne offen bleiben, da der Kläger nach Treu und Glauben zur Geltendmachung des weiteren Rechnungsbetrages von 3.727,82 EUR nicht mehr befugt gewesen sei. Die dauerhaften Vertragsbeziehungen zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen verpflichteten zu gegenseitiger Rücksichtnahme mit der Folge, dass diese Sonderbeziehung die Befugnis zur nachträglichen Rechnungskorrektur begrenze. Daher könne ein Krankenhaus zum Beispiel an der Korrektur einer fehlerhaften Abrechnung gehindert sein, wenn sie mehr als zwei Jahre nach Rechnungsstellung und damit außerhalb des laufenden Haushaltsjahres der Krankenkasse vorgenommen werde und dafür keine besondere Rechtfertigung bestehe. Eine solche Rechtfertigung sei dann anzunehmen, wenn bei auslegungsbedingten Abrechnungsunsicherheiten in der Schlussrechnung explizit Vorbehalte erklärt würden, die der Krankenkasse den eventuell erforderlichen Rückstellungsbedarf transparent machten, oder ein offensichtlicher, ins Auge springender Korrekturbedarf vorliege. Ebenfalls mit der Nachforderung ausgeschlossen sei ein Krankenhaus, wenn der ergänzend geltend gemachte Betrag eine gewisse Bagatellgrenze nicht überschreite. Diese Ausnahmen lägen hier nicht vor. Die ursprüngliche Endrechnung sei weder mit einem ausreichenden Vorbehalt versehen noch habe die Rechnungsänderung der Korrektur eines offensichtlichen, ins Auge fallenden Fehlers gedient. Insofern genüge der formularmäßig auf den Papierrechnungen der Klägerin zu findende Vorbehalt "Die Nachberechnung von Leistungen und Berichtigung, auch aufgrund gesetzlicher Änderungen, bleibt vorbehalten" nicht den Anforderungen des BSG an einen expliziten Vorbehalt – un-abhängig davon, ob der formularmäßige Vorbehalt im elektronischen Datenaustauschverfahren überhaupt erklärt worden sei oder habe erklärt werden können. Ein solch genereller Vorbehalt widerspreche nämlich dem Grundsatz, dass eine Schluss- oder Endrechnung regelmäßig den Behandlungsfall abschließen solle. Die Entscheidung des BSG vom 17. Dezember 2009 zur Bagatellgrenze enthalte lediglich zusätzliche Kriterien, ohne dass die Feststellung eine besondere Rechtfertigung für die nachträgliche Rechnungskorrektur entfalte. Die korrigierende Nachforderung sei nicht "zeitnah" erfolgt, da weder innerhalb von sechs Wochen noch im jeweiligen Haushaltsjahr vorgenommen.
Gegen das ihm am 20. Oktober 2010 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Klägers, eingegangen beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht am 15. November 2010. Zur Begründung trägt er vor, er nehme weiter Bezug auf die Entscheidung des 3. Senats des BSG, in dem dieser das zeitliche Moment abschließend in der Sechs-Wochen-Frist berücksichtigt habe. Damit setze der 3. Senat einen ganz anderen Maßstab als der 1. Senat. Außerdem überzeuge die Entscheidung des 1. Senats insoweit nicht, als etwa Rechnungen am Ende eines Haushaltsjahres nicht einmal mehr innerhalb der Sechs-Wochen-Frist korrigiert werden könnten. Auch das Haushaltsjahr-Argument des 1. Senats spiele für z. B. am Anfang eines Kalenderjahres abrechnungsreife Fälle keine Rolle.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 12. Oktober 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an ihn, den Kläger, 3.727,82 EUR nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozent-punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf diesen Betrag ab 22. Dezember 2009 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Nach der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG sei der Kläger eindeutig nicht berechtigt gewesen, die Nachforderung geltend zu machen, da nicht zeitnah, insbesondere innerhalb des laufenden Haushaltsjahres, sondern mehr als zwei Jahre nach Übersendung und Bezahlung der ersten Rechnung erfolgt. Das Urteil des 3. Se¬nats sei mit dem des 1. Senats in einer Zusammenschau zu sehen. Danach seien Korrekturen bereits bezahlter und durch die Krankenkasse geprüfter Schlussrechnungen durch ein Krankenhaus nach Ablauf der Sechs-Wochen-Frist und bei einem Überschreiten der Bagatellgrenze innerhalb des laufenden Haushaltsjahres durch die Krankenkasse zu akzeptieren. Nach dem Ende des Haushaltsjahres könnten Nachberechnungen bis zum Eintritt der Verjährung nur in Fällen erfolgen, in denen entweder offensichtliche, ins Auge springende Fehler korrigiert würden oder aber die ursprüngliche Schlussrechnung mit einem rechtswirksamen Vorbehalt versehen gewesen sei. Der 3. Senat des BSG habe über einen Fall zu entscheiden gehabt, der gerade nicht von der Entscheidung des 1. Senats umfasst gewesen sei. Daran werde deutlich, dass in dieser Entscheidung keine grundlegende Änderung der rechtlichen Grundsätze zur Nachberechnung zu sehen sei.
Auf Anfrage des Senats teilt die Beklagte mit, dass die Neuabrechnung des Klägers und damit die Nachcodierung inhaltlich zutreffend seien. Damit komme es allein auf die formale Frage an, ob er zu einer Nachcodierung grundsätzlich berechtigt gewesen sei. Dazu legt die Beklagte eine Stellungnahme des MDK vom 27. Juli 2011 vor. Insgesamt seien 2005 3904 vollsta¬tionäre Fälle in beiden Kliniken des Klägers in K. und L. abgerechnet worden.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte Bezug genommen. Diese haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und auch begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Kläger hat für die stationäre Behandlung des Versicherten der Beklagten gegen diese Anspruch auf Zahlung eines weiteren Betrages von 3.727,82 EUR. Zu der streitigen Korrektur ihrer Schlussrechnung war der Kläger auch nach mehr als sechs Monaten nach (erster) Rechnungsstellung noch befugt. Insbesondere steht – selbst unter Berücksichtigung des zusätzlichen Verwaltungsaufwands der Beklagten für die erneute Rechnungsprüfung einerseits und des Werts des Fehlbetrages andererseits – der Grundsatz von Treu und Glauben der Nachberechnung nicht entgegen.
Zutreffend hat das Sozialgericht die Leistungsklage des Klägers nach § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als zulässig angesehen. Zutreffend ist auch die Rechtsgrundlage in dem angefochtenen Urteil dargestellt, auf die sich der geltend gemachte Vergütungsanspruch des Klägers gründet. Von der Beklagten werden auf ausdrückliche Nachfrage des Senats auch keine materiell-rechtlichen Einwände gegen die nachträgliche Rechnungskorrektur unter dem Gesichtspunkt der Krankenhausbehand¬lungsbedürftigkeit oder einer fehlerhaften Kodierung geltend gemacht. Sie hat auf die entsprechende Anfrage des Senats hin den Vorgang dem MDK K. zur Überprüfung vorgelegt. In seiner Stellungnahme vom 27. Juli 2011 kommt darin der Gutachter B. zu dem Ergebnis, dass die abgerechnete DRG befürwortet werde.
Der restliche Vergütungsanspruch des Klägers von 3.727,82 EUR ist durch die Zahlung des zuerst abgerechneten Betrages von 15.610,03 EUR nicht erloschen. Durch eine mit den maßgeblichen Vorschriften im Einklang stehende Versorgung erwirbt das Krankenhaus einen gesetzlichen Vergütungsanspruch, dessen Höhe gemäß § 109 Abs. 4 Satz 2 SGB V nach Maßgabe des KHG, des KHEntgG und, sofern das Krankenhaus nicht in das DRG-Vergütungssystem einbezogen ist, der Bundespflegesatzverordnung (vgl. dort § 1 Abs. 1) vertraglich abschließend festgelegt wird. Maßgebend für den Vergütungsanspruch ist danach der Fallpauschalen-Kata¬log nach § 7 in Verbindung mit § 17b Abs. 1 Satz 10 KHEntgG (hier in der Fassung von Art. 2 Nr. 4 Buchst. a Doppelbuchst. aa und bb des Gesetzes zur Einführung des diagnose-orientier¬ten Fallpauschalen¬systems für Krankenhäuser – Fallpauschalen¬gesetz – vom 23. April 2002, BGBl. I, 1412), der Bindungswirkung für die Vertragsparteien nach § 11 KHEntgG in Verbindung mit § 18 Abs. 2 KHG entfaltet (§ 11 KHEntgG i.V.m. § 18 Abs. 2 KHG: Krankenhausträger und Sozialleistungsträger) und streng nach dem Wortlaut einschließlich der Operationen- und Pro¬zedurenschlüssel sowie der Kodierrichtlinien auszulegen ist. Insoweit gewährt der Fallpauschalenkatalog kein Bestimmungsrecht, dessen Ausübung das Krankenhaus abschließend binden und den Zahlungsanspruch auf den zunächst geforderten Betrag beschränken würde. So wie die Krankenkasse auch nach Zahlung der Krankenhausrechnung nachträgliche Korrekturen vornehmen darf, ist ebenso das Krankenhaus auch noch nach Rechnungsstellung grundsätzlich zur Nachforderung einer offenen Vergütung berechtigt (übereinstimmende Rechtsprechung des 1. und 3. Senats des BSG in den Urteilen vom 8. September 2009 – B 1 KR 11/09 – SozR 4 2500 § 109 Nr. 19 und vom 17. De¬zember 2009 B 3 KR 12/08 R – SozR 4 2500 § 109 Nr. 20).
Dies ist zwischen den Beteiligten letztlich nicht streitig. Von der Beklagten werden auch keine materiell-rechtlichen Einwände gegen die nachträgliche Rechnungskorrektur unter dem Gesichtspunkt der Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit oder einer fehlerhaften Kodierung geltend gemacht. Sie hält der Nachforderung des restlichen Vergütungsanspruchs vielmehr den Vorbehalt von Treu und Glauben entgegen, der über § 69 SGB V (hier § 69 Satz 3 in der Fassung von Art. 1 Nr. 26 des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 GKV–Gesundheitsreformgesetz 2000 – vom 22. Dezember 1999, BGBl. I, 2626) gemäß dem Rechtsgedanken des § 242 Bürgerliches Gesetzbuch auf die Rechtsbeziehungen der Beteiligten einwirkt. Insoweit ist durch höchstrichterliche Rechtsprechung bereits entschieden, dass eine Krankenkasse nach Treu und Glauben mit Einwendungen ausgeschlossen sein kann, wenn sie das zu deren Klärung vorgesehene Verfahren nicht rechtzeitig einleitet (vgl. BSGE 89, 104, 110 "Berliner Fälle"). Umgekehrt hat der 1. Senat des BSG ausgesprochen, dass ein Krankenhaus nach dem Grundsatz von Treu und Glauben an der Korrektur einer fehlerhaften Abrechnung gehindert sein kann, wenn sie mehr als zwei Jahre nach Rechnungsstellung und damit außerhalb des laufenden Haushaltsjahres der Krankenkasse vorgenommen wird und dafür keine besondere Rechtfertigung besteht (Urteil vom 8. September 2009, a.a.O.). Insoweit hat der 1. Senat darauf hingewiesen, dass die dauerhaften Vertragsbeziehungen zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen zu gegenseitiger Rücksichtnahme verpflichten und diese Sonderbeziehung die Befugnis zur nachträglichen Rechnungskorrektur begrenzt (a.a.O., Rdnr. 16). Diesem Ansatz folgt auch der 3. Senat des BSG in seiner Entscheidung vom 17. Dezember 2009 (a.a.O.), indem er Korrekturen einer Schlussrechnung durch ein Krankenhaus innerhalb von sechs Wochen seit Rechnungsstellung grundsätzlich für möglich hält, anschließend nach Treu und Glauben – von offensichtlichen Schreib- und Rechenfehlern abgesehen – aber nur, wenn die Nachforderung über 100,00 EUR (ab 25. März 2009: über 300,00 EUR) liegt und zumindest 5 % des Ausgangsrechnungswerts erreicht. Diesem Ansatz des 3. Senats und der überzeugenden Begründung dafür schließt sich der erkennende Senat nach eigener Überprüfung an. Auf der einen Seite ist es nachvollziehbar, dass die Krankenkasse zur Kalkulation ihrer Ausgaben und damit einhergehend ihrer Beitragsgestaltung, soweit noch möglich, sich auf Schlussrechnungen von Krankenhäusern verlassen kann. Auch muss berücksichtigt werden, wer die Fehlerkorrektur verursacht hat und ob der mit der Korrektur verursachte Verwaltungsaufwand in einem angemessenen Verhältnis zu der Höhe des Ausgleiches steht. Auf der anderen Seite kann es die Höhe des Nachforderungsbetrages und damit die Einbußen des Krankenhauses bei einer Interessenabwägung notwendig machen, dass eine Fehlerkorrektur vorzunehmen ist. In dem Fall hat die Krankenkasse ihre Interessen zurückzustellen. Steht hingegen der Aufwand der Nachprüfung gegenüber dem Fehlbetrag außer Verhältnis, hat das Krankenhaus seine Interessen zurückzustellen.
Die vom 3. Senat des BSG in diesem Zusammenhang aufgestellten Kriterien überzeugen, weil sie die oben aufgeführten Gesichtspunkte sämtlich berücksichtigen. Der Zeitrahmen von sechs Wochen findet seine Grundlage in der Prüfungsfrist des § 275 Abs. 1c Satz 2 SGB V und die Grenze der berechtigten Nachforderung in der Aufwandspauschale des § 275 Abs. 1c Satz 3 SGB V, beides Vorschriften, die mit der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Krankenhausbehandlung in engem Zusammenhang stehen.
Gemessen an den vorgenannten Maßstäben ist der Kläger mit der Korrektur seiner Schlussrechnung durch die Nachforderung vom 20. Februar 2007 nach Treu und Glauben nicht ausgeschlossen. Ob die Schlussrechnung mit einem ausdrücklichen oder sinngemäßen Vorbehalt versehen war, lässt der Senat offen. Die Rechnungsänderung diente nicht der Korrektur eines offen zutage liegenden Schreib- oder Rechenfehlers und erfolgte auch nicht mehr "zeitnah" innerhalb von sechs Wochen, sondern erst nach Ablauf von mehr als vier Jahren. Dennoch war der Kläger zur Korrektur befugt, weil der Nachforderungsbetrag über dem Wert der Aufwandspauschale in der bis zum Inkrafttreten des KHRG am 25. März 2009 geltenden Fassung des GKV-WSG von 100,00 EUR lag und mindestens 5 % des ursprünglichen Rechnungsbetrages erreicht hatte. Bei dieser Sachlage kommt dem Rechnungsjahr entgegen der vom 1. Senat des BSG im Urteil vom 8. September 2009 (a.a.O.) vertretenen Rechtsauffassung für die Beurteilung nachträglicher Rechnungskorrekturen keine streitentscheidende Bedeutung mehr zu. Eine überzeugende Begründung, warum die Abrechnung im laufenden Haushaltsjahr wesentliches bzw. alleiniges Kriterium für die Zulässigkeit einer nachträglichen Rechnungskorrektur sein soll, lässt sich der zitierten Entscheidung nicht entnehmen. Der Hinweis auf die jahresmäßige Kalkulation greift nach Auffassung des erkennenden Senats schon deshalb nicht, weil damit jegliche Abrechnung, also auch die erstmalige, außerhalb des Behandlungsjahres auszuschließen wäre. Hinsichtlich nachträglicher Rechnungskorrekturen ergäbe sich zudem die nicht hinnehmbare Konsequenz, dass Korrekturmöglichkeiten bei Behandlungen, die am Ende eines Jahres erfolgen, gegenüber Rechnungskorrekturen bei Behandlungen zu dessen Beginn faktisch ausgeschlossen wären. Selbst die vom 3. Senat des BSG eingeräumte Sechs-Wochen-Frist würde bei Behandlungen am Ende eines Jahres eingeschränkt werden, wenn das laufende Haushaltsjahr als zeitliche Grenze für Rechnungskorrekturen anzusehen wäre. Demgegenüber nimmt der 3. Senat mit der von ihm vertretenen Rechtsauffassung eine sachgerechte und in der Praxis auch handhabbare Interessenabwägung zwischen dem Aufwand der Krankenkassen und dem Nutzen der Krankenhäuser bei ursprünglich fehlerhaften Schlussrechnungen vor, indem er darauf abstellt, in welchem zeitlichen Abstand die Korrektur erfolgt und um welchen Betrag die alte Rechnung erweitert wird. Letzteres berücksichtigt die Entscheidung des 1. Senats nicht.
Dem Einwand der Beklagten, hier sei ein Verstoß gegen Treu und Glauben zu erwägen, weil die Klägerin in einer Vielzahl von Fällen Rechnungskorrekturen vorgenommen habe und dies dem Sinn und Zweck des beschleunigten Abrechnungsverfahrens widerspreche, vermag der erkennende Senat ebenfalls nicht zu folgen. Insbesondere entbehrt der Vorwurf der Beklagten, die Klägerin nutze die Möglichkeit der Nachberechnung planmäßig zur nachträglichen Rechnungsoptimierung, jeglicher Grundlage. Die Beklagte hat vorgetragen, dass derzeit (7. Oktober 2010) 26 Klageverfahren der Klägerin mit vergleichbarem Sachverhalt (Korrektur in 2009 bei bezahlten Schlussrechnungen aus 2005) durch Nachkodierung anhängig seien bei 3904 vollstationären Behandlungsfällen. Damit beträgt der Prozentsatz der fehlerhaften Rechnungen lediglich 0,67 %. Dieser Prozentsatz rechtfertigt es nicht, eine planmäßige zielgerichtete Rechnungsoptimierung zu unterstellen, die mit dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht mehr zu vereinbaren ist. Dabei ist überdies zu berücksichtigen, dass die Abrechnung der Krankenhausbehandlung nach DRG erst einige Jahre vorher eingeführt wurde, zudem jährlich verändert wird und damit noch erhebliche Unsicherheiten in seiner Umsetzung bestanden. In diesem Zusammenhang kann nach Auffassung des Senats nicht von gezielt einfach strukturierten Abrechnungsbestimmungen im Verhältnis Krankenhaus – Krankenkasse gesprochen werden (so aber der 1. Senat des BSG im Urteil vom 8. September 2009, a.a.O.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.
Der Senat hat im Hinblick auf die Abweichung vom Urteil des 1. Senats des BSG vom 8. September 2009 (a.a.O.) und die scheinbar divergierenden Entscheidungen des 1. und des 3. Senats des BSG vom 8. September 2009 und vom 17. Dezember 2009 die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG zugelassen.
Die Streitwertentscheidung richtet sich gemäß § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 52 Abs. 1 und 3 Gerichtskostengesetz, nach dem Wert des von dem Kläger mit seinem Anspruch verfolgten Gegenstands, der vollen Umfangs im Berufungsverfahren im Streit gewesen ist.
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Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über Krankenhausbehandlungskosten in Höhe von 3.727,82 EUR. Dabei geht es um die Frage, ob der Kläger berechtigt war, Kosten nachzuberechnen.
Der 1925 geborene und bei der Beklagten versicherte K. Ka. (Versicherter) wurde vom 15. Februar bis 7. März 2005 in der Klinik des Klägers stationär behandelt. Mit Rechnung vom 15. März 2005 machte der Kläger hierfür einen Betrag von 15.610,03 EUR gegenüber der Beklagten geltend, den diese am 4. April 2005 ausglich. Ende 2009 trat der Kläger mit dem Wunsch nach einer Neuabrechnung des Behandlungsfalles an die Beklagte heran. In der nunmehr vorgelegten Rechnung vom 30. No-vember 2009 waren Nebendiagnosen nachcodiert worden, die bei der ursprünglichen Abrechnung nicht vorhanden waren. Nunmehr verlangte der Kläger 19.337,85 EUR. Dies lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 21. Dezember 2009 mit der Begründung ab, dass nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (1. Senat vom 8. September 2009 – B 1 KR 11/09 R -) die Voraussetzungen einer Rechnungskorrektur und Nachberechnung nicht erfüllt seien.
Der Kläger hat am 22. Dezember 2009 beim Sozialgericht Lübeck Klage auf Zahlung von 3.727,82 EUR Differenz erhoben und zur Begründung vorgetragen: Nach der Entscheidung des 3. Senats des BSG vom 17. Dezember 2009 (B 3 KR 12/08 R) sei sie von einer Nachberechnung nicht ausgeschlossen, da diese zu einer Rechnungsänderung in Höhe von 23,9 % des ursprünglichen Rechnungsbetrages geführt habe. Im Übrigen sei es die Beklagte gewesen, die ihrerseits zuvor in einer Vielzahl von "Alt-Fällen" Korrekturen hinsichtlich erlösrelevanter Diagnosen und Prozeduren vorgenommen und insoweit eine Rückforderung geltend gemacht habe. Im Rahmen der sich daran anschließenden Korrespondenz habe der Kläger zum Ausdruck gebracht, dass in dem Falle, dass die Beklagte seit Längerem abgeschlossene Fälle neu aufrolle, man selbst sich ebenfalls vorbehalte, Überprüfungen der Abrechnungen vorzunehmen und seinerseits nachzuberechnen. Seine Rechnungen wiesen im Übrigen regelmäßig den Zusatz auf: "Die Nachberechnung von Leistung und Berichtigung auch aufgrund gesetzlicher Änderungen bleibt vorbehalten".
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn, den Kläger, 3.727,82 EUR nebst Zinsen in Höhe von 2 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat darauf hingewiesen, dass der von dem Kläger zitierte Vorbehalt in den im Wege des Datenaustauschs übermittelten Rechnungen nicht enthalten sei, da es insoweit auch an einer Möglichkeit der Übermittlung innerhalb dieses Verfahrens fehle. Nach der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG sei der Kläger von einer Nachforderung ausgeschlossen. Hinsichtlich der Entscheidung des 3. Senats sei dem Kläger zuzugeben, dass die dort genannte Grenze überschritten werde. Allerdings habe das BSG auch ausgeführt, dass spätere Rechnungsoptimierungen in großer Zahl nicht zulässig seien. In diesem Zusammenhang werde mitgeteilt, dass derzeit 26 Klageverfahren des Klägers gegen die Beklagte mit nachträglichen Rechnungskorrekturen in 2009 aus dem Jahre 2005 beim Sozialgericht Lübeck anhängig seien. Hinsichtlich der Entscheidung des 1. Senats sei die Nachberechnung ausgeschlossen, da dort ein Verstoß gegen Treu und Glauben bei einem Zeitraum von zwei Jahren zwischen Schlussrechnung und Nachforderung angenommen worden sei. Der Hinweis auf den Anspruch der Rechnungskorrektur der Beklagten durch den Kläger greife nicht, da sie nicht daran gehindert sein dürfe, ihr zustehende Ansprüche bei einer Falschabrechnung durch das Krankenhaus geltend zu machen.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 12. Oktober 2010 die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Ob die medizinischen Voraussetzungen für eine stationäre Krankenhausbehandlung erfüllt seien, könne offen bleiben, da der Kläger nach Treu und Glauben zur Geltendmachung des weiteren Rechnungsbetrages von 3.727,82 EUR nicht mehr befugt gewesen sei. Die dauerhaften Vertragsbeziehungen zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen verpflichteten zu gegenseitiger Rücksichtnahme mit der Folge, dass diese Sonderbeziehung die Befugnis zur nachträglichen Rechnungskorrektur begrenze. Daher könne ein Krankenhaus zum Beispiel an der Korrektur einer fehlerhaften Abrechnung gehindert sein, wenn sie mehr als zwei Jahre nach Rechnungsstellung und damit außerhalb des laufenden Haushaltsjahres der Krankenkasse vorgenommen werde und dafür keine besondere Rechtfertigung bestehe. Eine solche Rechtfertigung sei dann anzunehmen, wenn bei auslegungsbedingten Abrechnungsunsicherheiten in der Schlussrechnung explizit Vorbehalte erklärt würden, die der Krankenkasse den eventuell erforderlichen Rückstellungsbedarf transparent machten, oder ein offensichtlicher, ins Auge springender Korrekturbedarf vorliege. Ebenfalls mit der Nachforderung ausgeschlossen sei ein Krankenhaus, wenn der ergänzend geltend gemachte Betrag eine gewisse Bagatellgrenze nicht überschreite. Diese Ausnahmen lägen hier nicht vor. Die ursprüngliche Endrechnung sei weder mit einem ausreichenden Vorbehalt versehen noch habe die Rechnungsänderung der Korrektur eines offensichtlichen, ins Auge fallenden Fehlers gedient. Insofern genüge der formularmäßig auf den Papierrechnungen der Klägerin zu findende Vorbehalt "Die Nachberechnung von Leistungen und Berichtigung, auch aufgrund gesetzlicher Änderungen, bleibt vorbehalten" nicht den Anforderungen des BSG an einen expliziten Vorbehalt – un-abhängig davon, ob der formularmäßige Vorbehalt im elektronischen Datenaustauschverfahren überhaupt erklärt worden sei oder habe erklärt werden können. Ein solch genereller Vorbehalt widerspreche nämlich dem Grundsatz, dass eine Schluss- oder Endrechnung regelmäßig den Behandlungsfall abschließen solle. Die Entscheidung des BSG vom 17. Dezember 2009 zur Bagatellgrenze enthalte lediglich zusätzliche Kriterien, ohne dass die Feststellung eine besondere Rechtfertigung für die nachträgliche Rechnungskorrektur entfalte. Die korrigierende Nachforderung sei nicht "zeitnah" erfolgt, da weder innerhalb von sechs Wochen noch im jeweiligen Haushaltsjahr vorgenommen.
Gegen das ihm am 20. Oktober 2010 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Klägers, eingegangen beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht am 15. November 2010. Zur Begründung trägt er vor, er nehme weiter Bezug auf die Entscheidung des 3. Senats des BSG, in dem dieser das zeitliche Moment abschließend in der Sechs-Wochen-Frist berücksichtigt habe. Damit setze der 3. Senat einen ganz anderen Maßstab als der 1. Senat. Außerdem überzeuge die Entscheidung des 1. Senats insoweit nicht, als etwa Rechnungen am Ende eines Haushaltsjahres nicht einmal mehr innerhalb der Sechs-Wochen-Frist korrigiert werden könnten. Auch das Haushaltsjahr-Argument des 1. Senats spiele für z. B. am Anfang eines Kalenderjahres abrechnungsreife Fälle keine Rolle.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 12. Oktober 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an ihn, den Kläger, 3.727,82 EUR nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozent-punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf diesen Betrag ab 22. Dezember 2009 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Nach der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG sei der Kläger eindeutig nicht berechtigt gewesen, die Nachforderung geltend zu machen, da nicht zeitnah, insbesondere innerhalb des laufenden Haushaltsjahres, sondern mehr als zwei Jahre nach Übersendung und Bezahlung der ersten Rechnung erfolgt. Das Urteil des 3. Se¬nats sei mit dem des 1. Senats in einer Zusammenschau zu sehen. Danach seien Korrekturen bereits bezahlter und durch die Krankenkasse geprüfter Schlussrechnungen durch ein Krankenhaus nach Ablauf der Sechs-Wochen-Frist und bei einem Überschreiten der Bagatellgrenze innerhalb des laufenden Haushaltsjahres durch die Krankenkasse zu akzeptieren. Nach dem Ende des Haushaltsjahres könnten Nachberechnungen bis zum Eintritt der Verjährung nur in Fällen erfolgen, in denen entweder offensichtliche, ins Auge springende Fehler korrigiert würden oder aber die ursprüngliche Schlussrechnung mit einem rechtswirksamen Vorbehalt versehen gewesen sei. Der 3. Senat des BSG habe über einen Fall zu entscheiden gehabt, der gerade nicht von der Entscheidung des 1. Senats umfasst gewesen sei. Daran werde deutlich, dass in dieser Entscheidung keine grundlegende Änderung der rechtlichen Grundsätze zur Nachberechnung zu sehen sei.
Auf Anfrage des Senats teilt die Beklagte mit, dass die Neuabrechnung des Klägers und damit die Nachcodierung inhaltlich zutreffend seien. Damit komme es allein auf die formale Frage an, ob er zu einer Nachcodierung grundsätzlich berechtigt gewesen sei. Dazu legt die Beklagte eine Stellungnahme des MDK vom 27. Juli 2011 vor. Insgesamt seien 2005 3904 vollsta¬tionäre Fälle in beiden Kliniken des Klägers in K. und L. abgerechnet worden.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte Bezug genommen. Diese haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und auch begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Kläger hat für die stationäre Behandlung des Versicherten der Beklagten gegen diese Anspruch auf Zahlung eines weiteren Betrages von 3.727,82 EUR. Zu der streitigen Korrektur ihrer Schlussrechnung war der Kläger auch nach mehr als sechs Monaten nach (erster) Rechnungsstellung noch befugt. Insbesondere steht – selbst unter Berücksichtigung des zusätzlichen Verwaltungsaufwands der Beklagten für die erneute Rechnungsprüfung einerseits und des Werts des Fehlbetrages andererseits – der Grundsatz von Treu und Glauben der Nachberechnung nicht entgegen.
Zutreffend hat das Sozialgericht die Leistungsklage des Klägers nach § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als zulässig angesehen. Zutreffend ist auch die Rechtsgrundlage in dem angefochtenen Urteil dargestellt, auf die sich der geltend gemachte Vergütungsanspruch des Klägers gründet. Von der Beklagten werden auf ausdrückliche Nachfrage des Senats auch keine materiell-rechtlichen Einwände gegen die nachträgliche Rechnungskorrektur unter dem Gesichtspunkt der Krankenhausbehand¬lungsbedürftigkeit oder einer fehlerhaften Kodierung geltend gemacht. Sie hat auf die entsprechende Anfrage des Senats hin den Vorgang dem MDK K. zur Überprüfung vorgelegt. In seiner Stellungnahme vom 27. Juli 2011 kommt darin der Gutachter B. zu dem Ergebnis, dass die abgerechnete DRG befürwortet werde.
Der restliche Vergütungsanspruch des Klägers von 3.727,82 EUR ist durch die Zahlung des zuerst abgerechneten Betrages von 15.610,03 EUR nicht erloschen. Durch eine mit den maßgeblichen Vorschriften im Einklang stehende Versorgung erwirbt das Krankenhaus einen gesetzlichen Vergütungsanspruch, dessen Höhe gemäß § 109 Abs. 4 Satz 2 SGB V nach Maßgabe des KHG, des KHEntgG und, sofern das Krankenhaus nicht in das DRG-Vergütungssystem einbezogen ist, der Bundespflegesatzverordnung (vgl. dort § 1 Abs. 1) vertraglich abschließend festgelegt wird. Maßgebend für den Vergütungsanspruch ist danach der Fallpauschalen-Kata¬log nach § 7 in Verbindung mit § 17b Abs. 1 Satz 10 KHEntgG (hier in der Fassung von Art. 2 Nr. 4 Buchst. a Doppelbuchst. aa und bb des Gesetzes zur Einführung des diagnose-orientier¬ten Fallpauschalen¬systems für Krankenhäuser – Fallpauschalen¬gesetz – vom 23. April 2002, BGBl. I, 1412), der Bindungswirkung für die Vertragsparteien nach § 11 KHEntgG in Verbindung mit § 18 Abs. 2 KHG entfaltet (§ 11 KHEntgG i.V.m. § 18 Abs. 2 KHG: Krankenhausträger und Sozialleistungsträger) und streng nach dem Wortlaut einschließlich der Operationen- und Pro¬zedurenschlüssel sowie der Kodierrichtlinien auszulegen ist. Insoweit gewährt der Fallpauschalenkatalog kein Bestimmungsrecht, dessen Ausübung das Krankenhaus abschließend binden und den Zahlungsanspruch auf den zunächst geforderten Betrag beschränken würde. So wie die Krankenkasse auch nach Zahlung der Krankenhausrechnung nachträgliche Korrekturen vornehmen darf, ist ebenso das Krankenhaus auch noch nach Rechnungsstellung grundsätzlich zur Nachforderung einer offenen Vergütung berechtigt (übereinstimmende Rechtsprechung des 1. und 3. Senats des BSG in den Urteilen vom 8. September 2009 – B 1 KR 11/09 – SozR 4 2500 § 109 Nr. 19 und vom 17. De¬zember 2009 B 3 KR 12/08 R – SozR 4 2500 § 109 Nr. 20).
Dies ist zwischen den Beteiligten letztlich nicht streitig. Von der Beklagten werden auch keine materiell-rechtlichen Einwände gegen die nachträgliche Rechnungskorrektur unter dem Gesichtspunkt der Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit oder einer fehlerhaften Kodierung geltend gemacht. Sie hält der Nachforderung des restlichen Vergütungsanspruchs vielmehr den Vorbehalt von Treu und Glauben entgegen, der über § 69 SGB V (hier § 69 Satz 3 in der Fassung von Art. 1 Nr. 26 des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 GKV–Gesundheitsreformgesetz 2000 – vom 22. Dezember 1999, BGBl. I, 2626) gemäß dem Rechtsgedanken des § 242 Bürgerliches Gesetzbuch auf die Rechtsbeziehungen der Beteiligten einwirkt. Insoweit ist durch höchstrichterliche Rechtsprechung bereits entschieden, dass eine Krankenkasse nach Treu und Glauben mit Einwendungen ausgeschlossen sein kann, wenn sie das zu deren Klärung vorgesehene Verfahren nicht rechtzeitig einleitet (vgl. BSGE 89, 104, 110 "Berliner Fälle"). Umgekehrt hat der 1. Senat des BSG ausgesprochen, dass ein Krankenhaus nach dem Grundsatz von Treu und Glauben an der Korrektur einer fehlerhaften Abrechnung gehindert sein kann, wenn sie mehr als zwei Jahre nach Rechnungsstellung und damit außerhalb des laufenden Haushaltsjahres der Krankenkasse vorgenommen wird und dafür keine besondere Rechtfertigung besteht (Urteil vom 8. September 2009, a.a.O.). Insoweit hat der 1. Senat darauf hingewiesen, dass die dauerhaften Vertragsbeziehungen zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen zu gegenseitiger Rücksichtnahme verpflichten und diese Sonderbeziehung die Befugnis zur nachträglichen Rechnungskorrektur begrenzt (a.a.O., Rdnr. 16). Diesem Ansatz folgt auch der 3. Senat des BSG in seiner Entscheidung vom 17. Dezember 2009 (a.a.O.), indem er Korrekturen einer Schlussrechnung durch ein Krankenhaus innerhalb von sechs Wochen seit Rechnungsstellung grundsätzlich für möglich hält, anschließend nach Treu und Glauben – von offensichtlichen Schreib- und Rechenfehlern abgesehen – aber nur, wenn die Nachforderung über 100,00 EUR (ab 25. März 2009: über 300,00 EUR) liegt und zumindest 5 % des Ausgangsrechnungswerts erreicht. Diesem Ansatz des 3. Senats und der überzeugenden Begründung dafür schließt sich der erkennende Senat nach eigener Überprüfung an. Auf der einen Seite ist es nachvollziehbar, dass die Krankenkasse zur Kalkulation ihrer Ausgaben und damit einhergehend ihrer Beitragsgestaltung, soweit noch möglich, sich auf Schlussrechnungen von Krankenhäusern verlassen kann. Auch muss berücksichtigt werden, wer die Fehlerkorrektur verursacht hat und ob der mit der Korrektur verursachte Verwaltungsaufwand in einem angemessenen Verhältnis zu der Höhe des Ausgleiches steht. Auf der anderen Seite kann es die Höhe des Nachforderungsbetrages und damit die Einbußen des Krankenhauses bei einer Interessenabwägung notwendig machen, dass eine Fehlerkorrektur vorzunehmen ist. In dem Fall hat die Krankenkasse ihre Interessen zurückzustellen. Steht hingegen der Aufwand der Nachprüfung gegenüber dem Fehlbetrag außer Verhältnis, hat das Krankenhaus seine Interessen zurückzustellen.
Die vom 3. Senat des BSG in diesem Zusammenhang aufgestellten Kriterien überzeugen, weil sie die oben aufgeführten Gesichtspunkte sämtlich berücksichtigen. Der Zeitrahmen von sechs Wochen findet seine Grundlage in der Prüfungsfrist des § 275 Abs. 1c Satz 2 SGB V und die Grenze der berechtigten Nachforderung in der Aufwandspauschale des § 275 Abs. 1c Satz 3 SGB V, beides Vorschriften, die mit der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Krankenhausbehandlung in engem Zusammenhang stehen.
Gemessen an den vorgenannten Maßstäben ist der Kläger mit der Korrektur seiner Schlussrechnung durch die Nachforderung vom 20. Februar 2007 nach Treu und Glauben nicht ausgeschlossen. Ob die Schlussrechnung mit einem ausdrücklichen oder sinngemäßen Vorbehalt versehen war, lässt der Senat offen. Die Rechnungsänderung diente nicht der Korrektur eines offen zutage liegenden Schreib- oder Rechenfehlers und erfolgte auch nicht mehr "zeitnah" innerhalb von sechs Wochen, sondern erst nach Ablauf von mehr als vier Jahren. Dennoch war der Kläger zur Korrektur befugt, weil der Nachforderungsbetrag über dem Wert der Aufwandspauschale in der bis zum Inkrafttreten des KHRG am 25. März 2009 geltenden Fassung des GKV-WSG von 100,00 EUR lag und mindestens 5 % des ursprünglichen Rechnungsbetrages erreicht hatte. Bei dieser Sachlage kommt dem Rechnungsjahr entgegen der vom 1. Senat des BSG im Urteil vom 8. September 2009 (a.a.O.) vertretenen Rechtsauffassung für die Beurteilung nachträglicher Rechnungskorrekturen keine streitentscheidende Bedeutung mehr zu. Eine überzeugende Begründung, warum die Abrechnung im laufenden Haushaltsjahr wesentliches bzw. alleiniges Kriterium für die Zulässigkeit einer nachträglichen Rechnungskorrektur sein soll, lässt sich der zitierten Entscheidung nicht entnehmen. Der Hinweis auf die jahresmäßige Kalkulation greift nach Auffassung des erkennenden Senats schon deshalb nicht, weil damit jegliche Abrechnung, also auch die erstmalige, außerhalb des Behandlungsjahres auszuschließen wäre. Hinsichtlich nachträglicher Rechnungskorrekturen ergäbe sich zudem die nicht hinnehmbare Konsequenz, dass Korrekturmöglichkeiten bei Behandlungen, die am Ende eines Jahres erfolgen, gegenüber Rechnungskorrekturen bei Behandlungen zu dessen Beginn faktisch ausgeschlossen wären. Selbst die vom 3. Senat des BSG eingeräumte Sechs-Wochen-Frist würde bei Behandlungen am Ende eines Jahres eingeschränkt werden, wenn das laufende Haushaltsjahr als zeitliche Grenze für Rechnungskorrekturen anzusehen wäre. Demgegenüber nimmt der 3. Senat mit der von ihm vertretenen Rechtsauffassung eine sachgerechte und in der Praxis auch handhabbare Interessenabwägung zwischen dem Aufwand der Krankenkassen und dem Nutzen der Krankenhäuser bei ursprünglich fehlerhaften Schlussrechnungen vor, indem er darauf abstellt, in welchem zeitlichen Abstand die Korrektur erfolgt und um welchen Betrag die alte Rechnung erweitert wird. Letzteres berücksichtigt die Entscheidung des 1. Senats nicht.
Dem Einwand der Beklagten, hier sei ein Verstoß gegen Treu und Glauben zu erwägen, weil die Klägerin in einer Vielzahl von Fällen Rechnungskorrekturen vorgenommen habe und dies dem Sinn und Zweck des beschleunigten Abrechnungsverfahrens widerspreche, vermag der erkennende Senat ebenfalls nicht zu folgen. Insbesondere entbehrt der Vorwurf der Beklagten, die Klägerin nutze die Möglichkeit der Nachberechnung planmäßig zur nachträglichen Rechnungsoptimierung, jeglicher Grundlage. Die Beklagte hat vorgetragen, dass derzeit (7. Oktober 2010) 26 Klageverfahren der Klägerin mit vergleichbarem Sachverhalt (Korrektur in 2009 bei bezahlten Schlussrechnungen aus 2005) durch Nachkodierung anhängig seien bei 3904 vollstationären Behandlungsfällen. Damit beträgt der Prozentsatz der fehlerhaften Rechnungen lediglich 0,67 %. Dieser Prozentsatz rechtfertigt es nicht, eine planmäßige zielgerichtete Rechnungsoptimierung zu unterstellen, die mit dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht mehr zu vereinbaren ist. Dabei ist überdies zu berücksichtigen, dass die Abrechnung der Krankenhausbehandlung nach DRG erst einige Jahre vorher eingeführt wurde, zudem jährlich verändert wird und damit noch erhebliche Unsicherheiten in seiner Umsetzung bestanden. In diesem Zusammenhang kann nach Auffassung des Senats nicht von gezielt einfach strukturierten Abrechnungsbestimmungen im Verhältnis Krankenhaus – Krankenkasse gesprochen werden (so aber der 1. Senat des BSG im Urteil vom 8. September 2009, a.a.O.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.
Der Senat hat im Hinblick auf die Abweichung vom Urteil des 1. Senats des BSG vom 8. September 2009 (a.a.O.) und die scheinbar divergierenden Entscheidungen des 1. und des 3. Senats des BSG vom 8. September 2009 und vom 17. Dezember 2009 die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG zugelassen.
Die Streitwertentscheidung richtet sich gemäß § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 52 Abs. 1 und 3 Gerichtskostengesetz, nach dem Wert des von dem Kläger mit seinem Anspruch verfolgten Gegenstands, der vollen Umfangs im Berufungsverfahren im Streit gewesen ist.
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