L 15 SO 185/09 NZB

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
15
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 50 SO 1325/09
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 15 SO 185/09 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 07. September 2009 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

In der Sache beansprucht der als Rechtsanwalt tätige und seiner Zeit im Bezug von Arbeitslosengeld II (Alg-II) stehende Kläger die Übernahme der nach eigenen Angaben aufgrund akuter Erkrankung (Magen-Darm-Grippe und zusätzliche Erkältung) entstandenen Kosten für in einer Apotheke erworbene nicht verschreibungspflichtige Medikamente im Gesamtbetrag von 28,05 Euro im Monat Januar 2009 durch den Sozialhilfeträger gemäß § 73 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch – SGB XII –; der Regelsatz reiche insofern nicht.

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist statthaft (§ 149 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG –). Die Berufung bedurfte gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 der Zulassung, weil die von dem Kläger erhobene Klage eine Geldleistung bzw. einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft und weder der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,00 Euro übersteigt, noch die Berufung eine laufende oder wiederkehrende Leistung für mehr als 1 Jahr betrifft; die Berufung ist ferner in dem angefochtenen Urteil nicht zugelassen worden.

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist jedoch unbegründet. Der von dem Kläger ausschließlich geltend gemachte Zulassungsgrund nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG (grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache) liegt nicht vor.

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts klärungsbedürftig und –fähig ist (siehe etwa Bundessozialgericht – BSG –, Beschluss vom 09. Juli 2003 – B 11 AL 213/02 B). Klärungsbedürftigkeit verlangt daher regelmäßig, dass keine für die angeführte Rechtsfrage bedeutsame Rechtsprechung vorliegt. Dies ist aber vorliegend der Fall.

Der Kläger hält es für klärungsbedürftig, ob die Kosten nicht verschreibungspflichtiger und nicht von der Krankenkasse zu tragender, aber apothekenpflichtiger und medizinisch notwendiger Arzneimittel bei Alg-II-Bedürftigen gemäß § 73 SGB XII vom Sozialhilfeträger zu übernehmen sind, wenn sie die im Regelsatz enthaltenen Anteile von 3,7 % für die Gesundheitspflege übersteigen. Es handele sich um eine grundsätzliche Rechtsfrage, die eine Vielzahl von Alg-II-Empfängern betreffe.

Das BSG hat zwar bereits in dem vom Kläger erwähnten Urteil vom 07. November 2006 (B 7 b AS 12/06 R in SozR 4-4200 § 20 Nr. 1) für die regelmäßig anfallenden Kosten der Ausübung des Umgangsrechts eines Alg-II-Beziehers den – ausnahmsweisen – Rückgriff auf § 73 SGB XII für möglich erachtet, da eine Erhöhung des Regelsatzes des § 20 SGB II nach dem Konzept des SGB II ausgeschlossen sei und auch die Anwendung des § 23 Satz 1 SGB II in solchen Fällen nicht in Betracht komme. Das BSG hat aber auch bereits in dem angeführten Urteil deutlich gemacht, dass im Hinblick auf die klare Trennung der Bereiche des SGB II und SGB XII die Vorschrift des § 73 SGB XII nicht zur allgemeinen Auffangregelung für Leistungsempfänger des SGB II mutieren dürfe, sondern nur eine atypische Bedarfslage deren Anwendung rechtfertige. Eine atypische Bedarfslage ist dabei nicht gleichzusetzen mit einem lediglich erhöhten Bedarf wie im Rahmen des § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII. Deshalb muss die besondere Bedarfslage eine Nähe zu den speziell in den §§ 47 bis 74 SGB XII geregelten Bedarfslagen aufweisen und deren Sicherstellung zugleich aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten sein (BSG aaO; bestätigend z. B. BSG, Urteil vom 26. Mai 2011 – B 14 AS 146/10 R m. w. N., zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen).

Eine solche Bedarfslage, wie sie der Kläger unter Hinweis auf den Beschluss des LSG Nordrhein-Westfalen vom 22. Juni 2007 (L 1 B 7/07 AS ER) geltend macht, ist vorliegend nicht gegeben. Dazu ist zunächst darauf hinzuweisen, dass diese zum Beleg seiner Auffassung angeführte (und im Rahmen der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ergangene) Entscheidung über einen Sachverhalt zu befinden hatte, der durch ärztlich verordnete Medikamente zur Behandlung einer chronischen Erkrankung und damit verursachte laufende monatliche Kosten in erheblicher Höhe geprägt war, nicht dagegen durch lediglich einmalige Kosten in eher geringer Höhe, die zunächst an die vom Kläger wegen der verbleibenden Darlehensbelastung allerdings abgelehnte, im System des SGB II bleibende Anwendung von § 23 Abs. 1 SGB II denken lassen.

Selbst wenn man dies nicht als einer atypischen Bedarfslage entgegenstehend und auch eine sachliche Nähe zu den Hilfen zur Gesundheit nach §§ 47 ff SGB XII annehmen wollte, so führt dies noch nicht zur Bejahung einer besonderen Bedarfslage, wie bereits das BSG-Urteil vom 7. November 2006, das auch in der nachfolgenden Rechtsprechung maßgebend geblieben ist, deutlich macht. Eine solche ist nur anzuerkennen, wenn der geltend gemachte Bedarf auch im System des durch den Bezug von Alg-II eröffneten SGB V mit Grundversorgung (bzgl. medizinischen notwendigen Leistungen) und zumutbarer Eigenbeteiligung nicht befriedigt werden kann, aber aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten ist. Auch wenn es sich danach bei den Kosten für Medikamente um einen Bedarf mit Grundrechtsbezug handeln kann, so ist daraus noch nicht ableitbar, dass damit bei akuten, vorübergehenden und eher leichten Erkrankungen der Sozialhilfeträger außerhalb der Regelung des SGB V zwingend zur Kostentragung verpflichtet ist. Denn im Konzept des ab 01. Januar 2004 geltenden SGB V hat der Gesetzgeber bereits die ausnahmsweise Übernahme apothekenpflichtiger, aber nicht verschreibungspflichtiger Medikamente zugelassen (§ 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V), wenn dies wegen der Schwere der Erkrankung erforderlich erscheint und damit dem verfassungsrechtlichen Gebot aus Art. 2 Abs. 2 Grundgesetz zum Schutz von Körper und Gesundheit Rechnung getragen. Entsprechende Ansprüche müssen daher beim Krankenversicherungsträger geklärt werden. Dass unter dieser Schwelle jedwede Erkrankung und deren medikamentöse Behandlung für Alg-II-Bezieher einen (zusätzlichen) Leistungsanspruch gegen den Sozialhilfeträger begründet, ist hingegen aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht geboten. Zwar mag es im Ergebnis letzten Endes zweckmäßig sein, auch in solchen Fallkonstellationen Leistungen zur Verfügung zu stellen, doch liegt es im Rahmen des gesetzgeberischen Ermessens, Leistungsansprüche nur in einem unbedingt erforderlichen Umfang zu begründen. Unabhängig davon, dass vorliegend nicht belegt ist, ob und ggf. welche Medikamente aus ärztlicher Sicht zwingend zur Behandlung notwendig gewesen sind, hat der Gesetzgeber gerade zur Abdeckung der Kosten auch "niederschwelliger" Erkrankungen einen statistisch ermittelten Anteil für Gesundheitspflege in dem Regelsatz zur Verfügung gestellt. Mit seinem Vorbringen zur Übernahme jedenfalls der über diesen Anteil hinausgehenden Kosten macht der Kläger im Kern einen unzutreffend ermittelten und damit zu niedrigen Regelsatz geltend. Diese Frage ist jedoch nicht Gegenstand des Rechtsstreits gegen den Sozialhilfeträger, sondern ist vom Kläger ggf. mit dem Leistungsträger nach dem SGB II zu klären.

Gemäß § 145 Abs. 4 Satz 5 SGG wird das Urteil des Sozialgerichts mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Landessozialgericht rechtskräftig.

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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