S 31 KR 511/10

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
31
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 31 KR 511/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klägerin wird zur Zahlung von 2.710,97 EUR verurteilt. Die Beteiligten tragen die Kosten des Verfahrens jeweils zur Hälfte.

Tatbestand:

Streitig ist, ob im Rahmen einer Krankenhausabrechnung die Nebendiagnose G 81.0 (Schlaffe Hemiparese und Hemiplegie) nach dem ICD-10-GM Version 2008 zu berück-sichtigen war (alle im Folgenden verwendeten Abrechnungsregeln beziehen sich auf das Systemjahr 2008).

Die bei der Beklagten versicherte G. R. wurde auf Einweisung ihrer behandelnden Ärzte K. und S. wegen des Verdachts auf eine symptomatische KHK vom 22.01. bis zum 01.02.2008 von der Klägerin stationär behandelt. Zur Abklärung eines Myokardinfarktes erfolgte am 28.01.2008 eine Herzkatheteruntersuchung, die jedoch abgebrochen werden musste. Ausweislich des Entlassungsberichts vom 01.02.008 erfolgte der Abbruch aufgrund einer massiven Angstüberlagerung der Versicherten, ausweislich des Verlegungsberichts der Intensivstation vom 29.01.2008 aufgrund eines organischen Psychosyndroms. Die Versicherte beklagte im Anschluss eine rechtsseitige Hemiparese (armbetont). Ausweislich eines Anforderungsscheins für eine neurologische Konsiliaruntersuchung vom 28.01.2008 trat bei der Versicherten zudem für ca. 5 Minuten eine Aphasie auf. Die Versicherte wurde daraufhin auf die Intensivstation verlegt. Die Beschwerden bildeten sich noch am gleichen Tag vollständig zurück. Auch im Rahmen der neurologischen Konsiliaruntersuchung am Folgetag zeigten sich keine neurologischen Defizite mehr. Die Klägerin konnte am 29.01.2008 wieder auf die Normalstation verlegt werden. Am 30.01.2008 wurde eine Herzkatheteruntersuchung durchgeführt, die von der Versicherten toleriert wurde.

Mit Rechnung vom 05.02.2008 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten einen Be-trag von 4.976,82 EUR für die Behandlung der Versicherten geltend. Dem lag die G-DRG F49B zugrunde. Die Beklagte beglich die Rechnung.

Nachdem die Beklagte in der Folge auf Grundlage einer Stellungnahme des Medizini-schen Dienstes (MDK) zum Ergebnis kam, dass richtigerweise die G-DRG I68C abzu-rechnen gewesen wäre, was zu einem Rechnungsbetrag von lediglich 2.039,32 EUR geführt hätte, nahm sie am 11.03.2010 eine Aufrechnung mit einer unstreitigen Forderung der Klägerin in Höhe des Differenzbetrags vor.

Am 29.09.2010 hat die Klägerin Klage erhoben und auf das Aufrechnungsverbot nach dem zwischen den Beteiligten weiterhin gültigen sogenannten Sicherstellungsvertrag verwiesen. Die Beklagte hat daraufhin die Klageforderung unter dem 03.01.2011 aner-kannt, gleichzeitig aber Widerklage erhoben. Sie hat zunächst eine Verurteilung der Klägerin zur Zahlung der ursprünglich von ihr selbst einbehaltenen 2.811,90 EUR beantragt. Die Klägerin hat das Anerkenntnis bezüglich der Klage am 12.01.2011 angenommen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Internisten und Sozialmediziners Dr. W. nach §§ 103, 106 Sozialgerichtsgesetz - SGG -. Nach dem Gutachten hätte die G-DRG F49E abgerechnet werden müssen. Die Halbseitenlähmung sei nicht als Nebendiagnose zu kodieren gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Beweisaufnahme wird auf das vorgenannte Gutachten sowie die ergänzenden Stellungnahmen des Sachverständigen Bezug genommen.

Die Beklagte und Widerklägerin hat auf das Gutachten hin mit Schriftsatz vom 05.04.2011 die Widerklage in Höhe von 100,93 EUR zurückgenommen.

Die Beklagte und Widerklägerin nimmt Bezug auf das Sachverständigengutachten.

Die Beklagte und Widerklägerin beantragt,

die Klägerin auf die Widerklage hin zur Zahlung von 2.710,97 EUR zu verurteilen.

Die Klägerin und Widerbeklagte beantragt,

die Widerklage abzuweisen.

Die Klägerin und Widerbeklagte trägt vor, die allein noch streitige Nebendiagnose G 81.0 sei deshalb zu kodieren, da sie das diagnostische Management insofern beeinflusst ha-be, als sie zur Verlegung der Versicherten auf die Intensivstation und zur Anforderung des neurologischen Konsils geführt habe. In der DKR D003d heiße es zu Symptomen als Nebendiagnosen, dass Symptome dann nicht als Nebendiagnosen zu kodieren seien, wenn sie im Regelfall als eindeutige und unmittelbare Folge mit der zugrunde liegenden Krankheit vergesellschaftet seien. Das sei bei der hier aufgetretenen Halbseitenlähmung, die als Symptom einer transitorischen ischämischen Attacke (TIA) zu werten sei, nicht der Fall.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte, die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten sowie die beigezogene Patientenakte der Klägerin verwiesen, deren jeweiliger wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die nach dem angenommenen Anerkenntnis hinsichtlich der Klage und einer Teilklage-rücknahme hinsichtlich der Widerklage verbliebene Widerklage gerichtet auf Zahlung in Höhe von 2.710,97 EUR ist zulässig und begründet. Die Beklagte und Widerklägerin hat ei-nen entsprechenden Zahlungsanspruch gegenüber der Klägerin und Widerbeklagten.

Rechtsgrundlage für die Forderung der Beklagten und Widerklägerin ist der allgemeine öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch, der im Fall von zu Unrecht geleisteten Vergü-tungen zwischen Krankenkassen und Krankenhäusern greift (vgl. hierzu etwa Landessozialgericht – LSG – Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29.01.2009, L 16 KR 242/06). Die Klägerin hätte ihrer Abrechnung richtigerweise die G-DRG F49E statt die G-DRG F49B zugrunde legen müssen. Die Differenz zwischen diesen beiden DRGs beträgt 2.710,97 EUR.

Die Klägerin hätte lediglich die G-DRG F49E zugrunde legen dürfen, da zusätzlich zu den zwischen den Beteiligten mittlerweile unstreitigen Hauptdiagnosen, Prozeduren und sonstigen Nebendiagnosen die ICD-10-GM Ziffer G81.0 nicht als Nebendiagnose hätte kodiert werden dürfen.

Gemäß der DKR D003d Satz 2 (Seite 10) müssen Nebendiagnosen für Kodierzwecke als Krankheiten interpretiert werden, die das Patientenmanagement in der Weise beeinflus-sen, dass irgendeiner der folgenden Faktoren erforderlich ist: therapeutische Maßnah-men, diagnostische Maßnahmen, erhöhter Betreuungs-, Pflege- und/oder Überwachungsaufwand (vgl. zur Maßgeblichkeit eines zusätzlichen Aufwands Bundessozialgericht – BSG –, Urteil vom 25.11.2010, B 3 KR 4/10 R, Rdnr. 16 f.; Sozialgericht – SG – Fulda, Urteil vom 20.09.2011, S 4 KR 75/10). Gemäß dem Unterabschnitt "Symptome als Nebendiagnose" (Seite 11) wird ein Symptom nicht kodiert, wenn es im Regelfall als eindeutige und unmittelbare Folge mit der zugrunde liegenden Krankheit vergesellschaftet ist. Stellt ein Symptom jedoch ein eigenständiges, wichtiges Problem für die medizinische Betreuung dar, so wird es als Nebendiagnose kodiert (der Abschnitt "Symptome als Nebendiagnose" wurde 2005 in die DKR eingeführt, vgl. dazu Anhang B Seite 160 der DKR 2005, befand sich inhaltlich aber zuvor schon in den DKR 2004, allerdings unter dem Abschnitt Hauptdiagnose, vgl. Seite 5 und 6 der DKR 2004).

Die Voraussetzungen des als Obersatz anzusehenden Satz 2 der DKR D003d (Seite 10) sind hier nicht erfüllt. Dies ergibt sich zur Überzeugung der Kammer aus dem nachvoll-ziehbar begründeten und umfassenden Gutachten des Sachverständigen Dr. W ... Da-nach hat die Halbseitenlähmung hier weder einen therapeutischen noch einen diagnostischen oder pflegerischen Aufwand hervorgerufen. Richtig ist zwar, dass die Klägerin infolge der bei der ersten Herzkatheteruntersuchung am 28.01.2008 aufgetretenen Komplikationen zur Überwachung auf die Intensivstation verlegt wurde und dass auch ein neurologisches Konsil angefordert wurde. Der Sachverständige hat aber nachvollziehbar dargelegt, dass diese Maßnahmen nicht durch die Halbseiten-lähmung, sondern durch die im Verlauf der Herzkatheteruntersuchung unstreitig aufgetretene TIA bedingt waren. Dass die Halbseitenlähmung (wie im Übrigen auch die Aphasie) erst die Diagnose einer TIA ermöglichten, ändert nichts daran, dass Anlass für die intensivmedizinische Überwachung und die Anforderung des neurologischen Konsils eben die TIA selbst und nicht deren Symptom war. Der Sachverständige hat dies nachvollziehbar unter Bezugnahme auf die Gemeinsame Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie und der Deutschen Schlaganfallgesellschaft zur Primär- und Sekundärprävention der zerebralen Ischämie dargelegt. Die TIA sei grundsätzlich als "drohender Schlaganfall" anzusehen. Dies erfordere zwingend weitergehende Untersuchungen zur Verhinderung insbesondere eines Schlaganfalls. Gemäß der vorgenannten Leitlinie gehörten zu den notwendigen Untersuchungen auch neurologische Untersuchungen. Dass trotz vollständiger Rückbildung der neurologischen Defizite bereits am 28.01.2008 am 29.01.2008 noch das neurologische Konsil durchgeführt wurde, belegt, dass nicht ein neurologisches Defizit, sondern eben die TIA diese weitergehende Diagnostik erforderlich machte. Gleiches gilt für die Verlegung auf die Intensivstation. Wäre diese allein durch die Halbseitenlähmung bedingt gewesen, hätte sie nicht bis zum 29.01.2008 andauern müssen. Im Übrigen rechtfertigt eine (nur) armbetonte Halbseitenlähmung – im Gegensatz zu einer TIA – keine Verlegung auf die Intensivstation.

Es ist zwar fraglich, ob eine Halbseitenlähmung im Sinne von Satz 1 des Unterabschnitts "Symptome als Nebendiagnose" der DKR D003d (Seite 11) als eindeutige und unmittelbare Folge mit der Krankheit TIA vergesellschaftet ist. Doch auch wenn dies nicht der Fall sein sollte, stünde dies einem Erfolg der Widerklage nicht entgegen. Denn dann wären eben lediglich die Voraussetzungen, unter denen ein Symptom nach dieser Kodierregel nicht als Nebendiagnose kodiert wird, nicht erfüllt. Damit wäre aber noch nicht positiv festgestellt, dass das Symptom als Nebendiagnose zu kodieren ist. Insofern ist Satz 2 des Unterabschnitts heranzuziehen. Danach wird ein Symptom nur dann als Nebendiagnose kodiert, wenn es ein eigenständiges und wichtiges Problem für die medizinische Betreuung darstellt. Wenn die Halbseitenlähmung selbst aber wie bereits festgestellt weder einen therapeutischen noch einen diagnostischen oder pflegerischen Aufwand verursachte, kann sie auch nicht als wichtiges Problem für die medizinische Betreuung angesehen werden. Sofern der Unterabschnitt "Symptome als Nebendiagnose" so zu verstehen ist, dass die Kodierung eines Symptoms als Nebendiagnose nur unter den Voraussetzungen von Satz 2 möglich ist, ist eine Anerkennung der Halbseitenlähmung als Nebendiagnose dann nicht möglich. Sollten die beiden Sätze des Unterabschnitts dagegen Raum für eine Kodierung eines Symptoms als Nebendiagnose auch für den Fall lassen, dass Satz 2 nicht bejaht werden kann, gleichzeitig aber auch die Voraussetzungen nach Satz 1 nicht erfüllt sind, so bliebe als Kriterium für eine positive Feststellung nur der Rückgriff auf Satz 2 der DKR D003d (Seite 10). Danach aber kann, wie bereits dargestellt, ebenfalls keine Kodierung als Nebendiagnose erfolgen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG i.V.m. §§ 154 ff. Verwaltungsgerichtsord-nung (VWGO).
Rechtskraft
Aus
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