L 10 AS 534/11 B PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 29 AS 1480/10
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 10 AS 534/11 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 25. Februar 2011 wird zurückgewiesen.

Gründe:

Die Beschwerde gegen den im Tenor bezeichneten Beschluss des Sozialgerichts (SG) Cottbus, mit dem der Antrag des Klägers abgelehnt worden ist, ihm Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung seines Bevollmächtigten zu gewähren, ist zulässig aber nicht begründet, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung des Klägers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesettz (SGG) iVm §§ 114 Satz 1, 121 Abs 2 Satz 1 1. Alt Zivilprozessordnung (ZPO)). Dabei beurteilt das angerufene Gericht die Erfolgsaussicht regelmäßig in summarischer Prüfung des Sach- und Streitstandes ohne strenge Anforderungen, dh ohne abschließende tatsächliche und rechtliche Würdigung des Streitstoffs. Die Prüfung der Erfolgsaussicht soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der PKH vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Für die Annahme hinreichender Erfolgsaussicht reicht die "reale Chance zum Obsiegen" aus, nicht hingegen eine "nur entfernte Erfolgschance" (vgl Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 13. März 1990 - 2 BvR 94/88, juris RdNr 26 = BVerfGE 81, 347, 357f).

An diesen Vorgaben gemessen ist die hinreichende Erfolgsaussicht der am 18. August 2010 erhobenen Klage nicht gegeben.

Dies ergibt sich entgegen der Auffassung des SG wohl nicht bereits daraus, dass die am 18. August 2010 erhobene reine Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 11. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. April 2010 unzulässig ist, weil sie nicht fristgemäß erhoben worden ist und die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht erfüllt sind. Gemäß § 87 Abs 1 Satz 1, Abs 2 SGG ist die Klage binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides zu erheben. Erfolgt die Bekanntgabe - wie hier - mit einfachem Brief im Inland, so gilt der Widerspruchsbescheid gemäß § 37 Abs 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben (Satz 1), außer wenn er nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist (Satz 3 1. Halbs). Diese Zugangsfiktion greift aber nur ein, wenn der Tag der Aufgabe zur Post in den Behördenakten vermerkt wurde (BSG, Urteil vom 28. November 2006 – B 2 U 33/05 R, juris = SozR 4-2700 § 136 Nr 2, jeweils RdNr 15, Urteil vom 03. März 2009 – B 4 AS 37/08 R, juris = SozR 4-4200 § 22 Nr 15, jeweils RdNr 17 und Urteil vom 06. Mai 2010 - B 14 AS 12/09 R, juris RdNr 10), was hier - entgegen der Auffassung des SG - nicht geschehen ist.

Zwar trägt der Entwurf des Widerspruchsbescheids vom 13. April 2010 (Bl 212ff der Verwaltungsakte) auf Seite 4 unten neben einer handschriftlichen Datumsangabe ("13.4.10") auch ein handschriftliches Namenskürzel eines Mitarbeiters des Beklagten. Damit ist aber allenfalls ein innerbehördlicher Vorgang bestätigt worden, nämlich die Zuleitung des Widerspruchsbescheids an die Poststelle des Beklagten, die den Versand durch das Postunternehmen zu veranlassen hatte. Nicht aber gibt dieser Vermerk Aufschluss über den Tag der Aufgabe des den Widerspruchsbescheid beinhaltenden Briefes zur "Post".

Hinsichtlich des nachfolgenden Vorgangs, nämlich der Aufgabe des Briefes beim Postunternehmen bzw ggf auch des Einwurfes des Briefes in den Postkasten (BSG, Urteil vom 03. März 2009 – B 4 AS 37/08 R, aaO, RdNr 17), enthält der vom Beklagten vorgelegte Verwaltungsvorgang keine Vermerke mehr (vgl zum Ganzen auch BSG, Beschluss vom 26. August 1997 – 5 RJ 6/96, juris = SozR 3 -1960 § 4 Nr 3). Ein Postausgangsbuch führt der Beklagte vermutlich nicht. Er wird daher wohl nicht nachweisen können, wann er den Widerspruchsbescheid abgesandt hat. Ebenso wenig wird der Beklagte nachweisen können, wann der Widerspruchsbescheid dem Kläger zugegangen ist (§ 37 Abs 2 Satz 3 2. Halbs SGB X). Davon ausgehend wäre zu Gunsten des Klägers davon auszugehen, dass die Klagefrist am 18. August 2010 jedenfalls noch nicht abgelaufen war (vgl BSG, Urteil vom 28. November 2006, aaO).

Dem SG ist indes zuzustimmen, dass der Rechtsstreit keine hinreichende Erfolgsaussicht bietet, weil die Klage unbegründet ist. Die Folgen der Rückzahlung oder Gutschrift von Betriebskostenguthaben richtet sich hier nach § 22 Abs 1 Satz 4 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung. Danach mindern diese Zahlungen den Bedarf an Unterkunft und Heizung im Monat nach der Rückzahlung. Diese Minderung tritt hier bezüglich des hälftigen Mietanteils des Klägers ein.

In Rechtsprechung und Schrifttum ist noch keine Klarheit darüber hergestellt, ob § 22 Abs 1 Satz 4 SGB II eine eigene, nicht durch eine andere Norm ergänzungspflichtige Aufhebungs- und Erstattungsvorschrift ist (so wohl LSG NRW Urteil vom 13. Juli 2011 – L 12 As 234/10, Revision anhängig BSG B 4 AS 159/11 R; vgl auch BSG Urteil vom 15. März 2008 – B 14/7b AS 58/06 RdNr 37 – § 22 Abs 1 Satz 4 SGB II als Sonderregelung) oder (so LSG Baden-Württemberg Urteil vom 20. Dezember 2010 – L 3 AS 3759/09) als eine die allgemeinen Aufhebungsvorschriften der §§ 44ff SGB X modifizierende Bestimmung zu sehen ist, die (nur) dazu dient, den Anrechnungszeitraum (Folgemonat), den Anrechnungsumfang ("Rückzahlung und Guthaben mindern", dh sind abzugsfrei zu saldieren) und den begünstigten Träger (die Minderung der KdU stellt eine Ausnahme vom § 19 Satz 2 SGB II dar) abweichend zu regeln (zu diesen Motiven der Regelung klar und ausführlich BT-Drucks 16/1696 S 26/27). Wie diese Frage zu entscheiden ist, bleibt ohne Auswirkungen für den Ausgang dieses Rechtsstreits. Wird die Regelung des § 22 Abs 1 Satz 4 SGB II als eigene Aufhebungs- und Rückerstattungsregel begriffen, die durchzusetzen ist, ohne dass es des Rückgriffs auf §§ 44ff SGB X bedarf, wären hier keine Vertrauenschutzerwägungen anzustellen, da § 22 Abs 1 Satz 4 SGB II keinerlei Vertrauensschutzregelung enthält. Aber auch wenn die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide unter Rückgriff auf § 48 SGB X geprüft wird, kann eine Aufhebung und Rückforderung gegenüber dem Kläger erfolgen, ohne dass diesem der von seinem Bevollmächtigten angenommene und vom SG diskutierte Vertrauensschutz zusteht. Denn unbeschadet der Frage, ob der Kläger einer Pflicht zur Mitteilung wesentlicher Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (§ 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB X) bzw wusste oder aus grober Fahrlässigkeit nicht wusste, dass ihm die gewährte Leistung nicht (vollständig) zustand – § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 4 SGB X – ist eine Rückforderung jedenfalls nach § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 iVm § 40 Abs 2 Nr 2 SGB II, 330 Abs 3 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) vorzunehmen, da die Auszahlung eines Guthabens (oder eine Gutschrift) jedenfalls – insofern statuiert § 22 Abs 1 Satz 4 SGB II keine Abweichung zu den allgemeinen Regeln – ein Fall der Einnahmeerzielung ist, der nach Maßgabe der bezeichneten Vorschriften – (für die Verwaltung pflichtig) – mit einer Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung zu begegnen ist.

Eine anfängliche Rechtswidrigkeit des gegenüber dem Kläger ergangenen Bewilligungsbescheides vom 07. August 2009, die den dargestellten unterschiedlichen "Konstrutionsmöglichkeiten" wegen der in § 45 SGB X enthaltenen weiteren Aufhebungsvoraussetzungen und Vertrauensschutzregelungen Relevanz geben würde, liegt nicht vor. Bezüglich formaler Anforderungen und der Berechnung des Betrages, in dessen Umfang die Aufhebung erfolgt und die Erstattung verlangt wird, sind – wie das SG zutreffend ausführt – Fehler nicht ersichtlich.

Im PKH-Beschwerdeverfahren sind gemäß § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 127 Abs 4 ZPO Kosten nicht zu erstatten.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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