L 16 R 355/09

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 3 R 672/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 R 355/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 26. September 2008 wird zurückgewiesen. Die Klage gegen den Bescheid vom 8. März 2010 wird abgewiesen. Die Beklagte trägt drei Viertel der außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist noch die Gewährung von Versichertenrente wegen voller Erwerbsminderung (EM) für die Zeit vom 1. Juli 2002 bis 30. September 2009.

Der 1962 geborene Kläger ist gelernter Orthopädiemechaniker und war nach Absolvierung der Meisterprüfung als Orthopädiemechanikermeister, Betriebsleiter bzw. Leiter eines Sanitätshauses und Angestellter im Außendienst versicherungspflichtig beschäftigt, und zwar bis zum 19. Juni 1999 (Eintritt dauernder krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit – AU -). Der Kläger litt an angeborenen Zystennieren mit nachfolgendem Nierenversagen, in Folge dessen er sich im August 2001 einer Nierentransplantation unterziehen musste. Bei ihm war ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie das Merkzeichen "G" anerkannt. Seit 5. März 2009 beläuft sich der GdB auf 90 (Bescheid des Landesamtes für Soziales und Versorgung – Versorgungsamt – Cottbus vom 15. Juni 2009).

Auf Grund eines Leistungsfalles vom 20. Juni 1999 gewährte die Beklagte dem Kläger Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) für die Zeit vom 23. Februar 2000 bis 30. Juni 2002 (Bescheide vom 21. September 2000 für die Zeit bis 31. Dezember 2001 und vom 3. Dezember 2001 bzw. 21. Dezember 2001 für die Zeit bis 30. Juni 2002). Auf den Weitergewährungsantrag des Klägers veranlasste die Beklagte zunächst eine stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme, der sich der Kläger vom 7. März 2002 bis 28. März 2002 in der M-Klinik Klink unterzog; auf den Entlassungsbericht vom 28. März 2002 wird Bezug genommen. Mit Bescheid vom 26. Juli 2002 bewilligte die Beklagte dem Kläger für die Zeit ab 23. Februar 2000 Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU) auf Dauer, die wegen des Bezugs von EU-Rente bis 30. Juni 2002 ab 1. Juli 2002 gezahlt wurde. Die Weitergewährung von EU-Rente lehnte die Beklagte ab. Im sich anschließenden Widerspruchsverfahren holte die Beklagte einen Befundbericht des behandelnden Internisten und Nephrologen Dr. D vom 4. September 2002 bzw. 9. September 2002 ein, auf dessen Inhalt verwiesen wird. Mit Widerspruchsbescheid vom 13. Februar 2003 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers, mit dem dieser die Weiterzahlung von EU-Rente begehrte, zurück. Im sich anschließenden Klage- und Berufungsverfahren (Sozialgericht – SG – Cottbus – S 11 RA 242/03 –, Landessozialgericht – LSG – für das Land Brandenburg bzw Berlin-Brandenburg – L 1/21 RA 225/03 –) setzte das LSG die Fachärztin für Innere Medizin und Nephrologie D-R als Sachverständige ein. Diese Ärztin bescheinigte in ihrem Gutachten vom 22. September 2005 (Untersuchungen am 23. und 23. Februar 2005) dem Kläger noch ein vollschichtiges Leistungsvermögen für körperlich leichte Arbeiten überwiegend im Sitzen mit der Möglichkeit des Haltungswechsels und unter Berücksichtigung der aufgezeigten qualitativen Leistungseinschränkungen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung bei dem LSG am 19. Oktober 2006 nahm der Kläger die Klage zurück, nachdem die Beklagte erklärt hatte, auf den "nach neuem Recht" gestellten Antrag des Klägers auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 2. August 2002 nunmehr einen Bescheid zu erlassen.

Mit Bescheid vom 1. November 2006 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Volle bzw. teilweise EM liege nicht vor. Im Widerspruchsverfahren holte die Beklagte noch einen Befundbericht von Dr. D vom 2. Januar 2007 und von dem behandelnden Orthopäden Dr. K vom 19. März 2007 ein. Die Beklagte ließ den Kläger ferner durch den Facharzt für Orthopädie Dr. B untersuchen und begutachten. Dieser Arzt hielt den Kläger in seinem Gutachten vom 7. Mai 2007 noch für sechs Stunden und mehr einsetzbar in körperlich leichten und mittelschweren Arbeiten in allen Haltungsarten ohne wesentliche Einschränkungen (Lumbalsyndrom bei Fehlstatik; diffuses Cervicobrachialsyndrom; Zustand nach Nierentransplantation). Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 2. August 2007).

Im Klageverfahren hat das SG Cottbus Befundberichte von den behandelnden Ärzten des Klägers erstatten lassen, und zwar von Dr. K vom 9. Oktober 2007, von der Internistin und Kardiologin G vom 15. Oktober 2007, von der Hautärztin B vom 9. Oktober 2007, von dem Augenarzt Dr. D vom 26. Oktober 2007, von Dr. D vom 27. Oktober 2007 und von der Neurologin und Psychiaterin W vom 15. November 2007.

Das SG hat den Facharzt für Innere Medizin Dr. F mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Dieser Arzt hat in seinem Gutachten vom 5. Juli 2008 (Untersuchung am 18. Juni 2008) folgende Gesundheitsstörungen des Klägers festgestellt: Zustand nach Nierentransplantation im August 2001 wegen terminaler Niereninsuffizienz bei angeborenen Zystennieren beidseits mit jetzt ungestörter Nierenfunktion, Adipositas I. Grades, Fettstoffwechselstörung, Hypertonus, Asthma bronchiale, chronisches Wirbelsäulensyndrom, Neurodermitis. Der Kläger könne noch täglich regelmäßig und vollschichtig leichte Tätigkeiten in gelegentlichem Wechsel der Haltungsarten unter Berücksichtigung der aufgeführten qualitativen Leistungseinschränkungen ausführen. Mittelschwere geistige Arbeiten seien dem Kläger zumutbar. Die Wegefähigkeit sei nicht eingeschränkt. Nach Transplantation einer Spenderniere sei es zu einer Normalisierung der Nierenfunktion gekommen. Die anlässlich der Rehabilitationsmaßnahme im März 2002 festgestellte Leistungseinschätzung sei auch "heute" noch zutreffend. Zu den Einwendungen des Klägers hat Dr. F sich ergänzend geäußert (Stellungnahme vom 4. September 2008); hierauf wird Bezug genommen.

Mit Urteil vom 26. September 2008 hat das SG die – unter Rücknahme der Klage im Übrigen – (nur) noch auf Gewährung von Rente wegen voller EM gerichteter Klage abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei nicht begründet. Der Kläger habe gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Rente wegen voller EM gemäß § 43 Abs. 2 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) in der ab 1. Januar 2001 geltenden und hier anwendbaren Fassung (im Folgenden ohne Zusatz zitiert). Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei der Kläger noch in der Lage, regelmäßig mindestens sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig zu sein. Zumutbar seien ihm körperlich leichte Arbeiten und geistig noch mittelschwere Arbeiten im Wechsel der Haltungsarten unter Berücksichtigung der von dem Sachverständigen Dr. F aufgezeigten qualitativen Leistungseinschränkungen. Anhaltspunkte für eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine spezifische schwere Leistungsbehinderung, die die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit erforderlich gemacht hätten, würden nicht vorliegen.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger zuletzt (nur) noch sein Begehren auf Gewährung von Rente wegen voller EM für die Zeit vom 1. Juli 2002 bis 30. September 2009 weiter. Er trägt vor: Entgegen der Auffassung des SG und der Beklagten sei er – der Kläger – nicht in der Lage, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig zu sein. Dies folge bereits aus seinen zahlreichen Krankschreibungen in den Jahren 2008 und 2009. Im Jahr 2009 sei er faktisch noch nie arbeitsfähig gewesen. Die gegenteiligen Feststellungen von Dr. Fseien nicht überzeugend. Dieser habe unzureichende und zum Teil auch fachfremde Feststellungen getroffen. Auch seine psychischen Beschwerden habe das SG nicht ausreichend gewürdigt. Das im Berufungsverfahren auf Antrag nach § 109 Absatz 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG – eingeholte Gutachten des Facharztes für Innere Medizin und Nephrologie Prof. Dr. N stütze seine Annahme, dass der Leistungsfall voller EM bereits mit dem Zeitpunkt der Nierentransplantation anzusetzen sei.

Der Senat hat im Berufungsverfahren erneut Befundberichte von den behandelnden Ärzten des Klägers erstatten lassen, und zwar von Dr. D vom 29. Mai 2009, von der Ärztin G vom 2. Juni 2009, von der Ärztin B vom 28. Mai 2009, von Dr. D vom 4. Juni 2009, von der Ärztin W vom 10. Juni 2009 und von dem Facharzt für Innere Medizin und Lungenkrankheiten G vom 16. Juni 2009. Ein Entlassungsbericht der C B vom 22. Oktober 2009 über die stationäre Behandlung des Klägers vom 15. Oktober bis 22. Oktober 2009 (offene retroperitoneale Nephrektomie am 16. Oktober 2009) ist zu den Gerichtsakten genommen worden.

Der Senat hat den Facharzt für Innere Medizin und Sozialmedizin Dr. A-S als Sachverständigen eingesetzt. Dieser Arzt hat in seinem Gutachten vom 5. Januar 2010 (Untersuchung am 5. Januar 2010) folgende Leiden diagnostiziert: Angeborene Zystennierenbildung beidseits mit Zustand nach Nierentransplantation im August 2001, Zustand nach Entfernung einer infizierten Zystenniere links im Oktober 2009, Nierenfunktionsstörung bei verbliebener Zystenniere und Transplantatniere rechts, renal-bedingte hypertensive Herzerkrankung, allergische Diathese mit bekannter asthmoider Bronchitis, Cervicobrachial- und Lendenwirbelsäulensyndrom bei Fehlhaltung und degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule, Adipositas permagna mit schwerer Fettstoffwechselstörung, Sehminderung links, soziale Phobie mit Angst- und Panikattacken, Antikörpermangel mit deutlicher Immunabwehrschwäche. Der Kläger befinde sich in einem extrem herabgesetzten Allgemeinzustand mit körperlicher Schwäche und frühzeitiger Müdigkeit und Erschöpfungszuständen. Er könne nur noch regelmäßig drei bis unter sechs Stunden täglich arbeiten. Die "jetzt" festgestellte Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit bestehe seit September 2009, als es erneut zu Zystenrupturen und Einblutungen mit nachfolgender Suprainfektion der linken Zystenniere gekommen sei, die dann entfernt worden sei.

Mit Bescheid vom 8. März 2010 bewilligte die Beklagte dem Kläger Rente wegen voller EM für die Zeit ab 1. Oktober 2009 bis zum 30. November 2028 (Monat des Erreichens der Regelaltersgrenze; Zahlbetrag ab 1. Mai 2010 = 1.045,82 EUR).

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 26. September 2008 zu ändern und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 1. November 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. August 2007 und Änderung des Bescheides vom 8. März 2010 zu verurteilen, ihm auch für die Zeit vom 1. Juli 2002 bis 30. September 2009 Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen und die Klage gegen den Bescheid vom 8. März 2010 abzuweisen.

Sie sieht unter Berücksichtigung der im Berufungsverfahren durchgeführten Beweisaufnahme keine Grundlage für die Annahme eines Eintritts voller EM vor dem 1. September 2009.

Der Senat hat auf Antrag des Klägers nach § 109 Absatz 1 SGG noch den Facharzt für Innere Medizin und Nephrologie Prof. Dr. N mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Dieser Arzt hat in seinem Gutachten vom 27. Juli 2011 (Untersuchung am 23. Mai 2011) folgende Gesundheitsstörungen mitgeteilt: Allogene Nierentransplantation am 6. August 2001, angeborene Zystennierenerkrankung, dialysepflichtige Niereninsuffizienz und chronische Hämodialyse von Juli 1999 bis Juli 2001, hypertensive Herzkrankheit, reduzierte kardiopulmonale Belastbarkeit bei kardialer Limitierung, rezidivierende Zysteneinblutungen und Zysteninfektionen der Eigennieren, Nephrektomie der Eigenniere links Oktober 2009, Nephrolithiasis der Eigenniere rechts, sekundärer Hyperparathyreoidismus, arterielle Hypertonie, rezidivierende hypertensive Entgleisungen, Polyglobulie mit Notwendigkeit von Aderlässen, Eisenmangel, Hyperlipoproteinämie, Hyperurikämie, gestörte Glucosetoleranz, Adipositas, Umbilikalhernie, Asthma bronchiale, rezidivierende fieberhafte Infekte der oberen Atemwege, chronische Pankreatitis, exokrine Pankreasinsuffizienz, chronische Gastritis, Neurodermitis, Lumbalsyndrom bei Fehlstatik, diffuses Cervicobrachialsyndrom, Angststörung mit Panikattacken, Einschlaf- und Durchschlafstörung. Die dem Kläger regelmäßig noch mögliche tägliche Arbeitszeit betrage weniger als drei Stunden. Die Einschränkungen bezüglich der körperlichen Belastbarkeit bestünden mindestens seit der Transplantation im August 2001, "allerdings im bis heute zunehmenden Ausmaß seit der Transplantation". Es sei davon auszugehen, dass bereits vor 2005 eine Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit auf leichte körperliche Tätigkeiten vorgelegen habe. Die Einschränkungen hinsichtlich der auf psychischem Gebiet verminderten Reaktions- und Konzentrationsfähigkeit und der Panikattacken bestünden mindestens seit dem 10. Juni 2009. Eine psychiatrische Begutachtung sei angezeigt.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen, wegen der medizinischen Feststellungen auf die zum Verfahren eingeholten Befundberichte und Sachverständigengutachten bzw Stellungnahmen von Dr. F, Dr. A-S und Prof. Dr. N Bezug genommen.

Die Rentenakten der Beklagten (3 Bände) und die Gerichtsakten (2 Bände) haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers, mit der dieser seine statthafte kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage im Sinne von § 54 Abs. 4 SGG insoweit weiter verfolgt, als er (nur) noch Rente wegen voller EM für die Zeit vom 1. Juli 2002 bis 30. September 2009 geltend macht, ist nicht begründet. Dabei war über den Bescheid vom 8. März 2010, der kraft Gesetzes (vgl § 96 SGG) Gegenstand des Verfahrens geworden ist und den der Kläger (nur) im Hinblick auf den dort verlautbarten Rentenbeginn angreift, erstinstanzlich kraft Klage zu befinden.

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen voller EM für die Zeit vom 1. Juli 2002 bis 30. September 2009. Der Kläger war in diesem Zeitraum nicht voll erwerbsgemindert.

Der von dem Kläger erhobene Anspruch bestimmt sich nach § 43 Abs. 2 SGB VI, weil der Kläger seinen vorliegend maßgebenden Rentenantrag im August 2002 gestellt hatte und Rente wegen voller EM ausschließlich für Zeiträume nach dem 31. Dezember 2000 geltend macht (vgl § 300 Abs. 2 SGB VI). Die Vorschrift des § 43 Abs. 2 SGB VI setzt zunächst die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit (vgl §§ 50 Abs. 1, 51 Abs. 1 SGB VI) sowie das Vorhandensein von drei Jahren mit Pflichtbeiträgen für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der EM voraus (vgl. § 43 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 2 und 3 SGB VI). Darüber hinaus muss volle EM vorliegen (vgl. § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI).

Der Kläger war nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens in dem in Rede stehenden Zeitraum nicht (voll) erwerbsgemindert. Tatsachen, aus denen sich insoweit das Vorliegen voller EM ergeben würde, sind im erforderlichen Vollbeweis nicht dargetan.

Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Ein unter sechsstündiges regelmäßiges tägliches Leistungsvermögen des Klägers auch für körperlich leichte Arbeiten, das im Hinblick auf die Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes zur Annahme voller EM ausreichen würde, ist für die Zeit vom 1. Juli 2002 bis 30. September 2009 zur vollen Überzeugung des Gerichts nicht feststellbar. Dies folgt aus einer Gesamtschau der im vorliegenden Verfahren eingeholten gerichtlichen Sachverständigengutachten, des im Verwaltungsverfahren erstatteten orthopädischen Gutachtens von Dr. B sowie der im Verfahren – S 11 RA 242/03 – L1/21 RA 225/03 – veranlassten Verwaltungs- und Gerichtsgutachten.

Insbesondere der gerichtliche Sachverständige Dr. A-S hat eine plausible und nachvollziehbare Leistungsbeurteilung abgegeben und eingehend dargelegt, dass mit den der Nephrektomie vorangegangenen Zystenblutungen im September 2009 von einem Absinken des Leistungsvermögens auf unter sechs Stunden täglich auszugehen ist. Ein früherer Leistungsfall erschließt sich mit der erforderlichen zweifelsfreien Gewissheit insbesondere auch nicht auf der Grundlage des nach § 109 Abs. 1 SGG eingeholten Gutachtens von Prof. Dr. N. Entgegen der Auffassung des Klägers besagt dieses Gutachten gerade nicht, dass die "jetzt" – insoweit in Übereinstimmung mit Dr. A-S - festgestellte Leistungsminderung bereits zum Zeitpunkt der Nierentransplantation im August 2001 und seither unverändert vorgelegen hätte. Prof. Dr. N räumt ausdrücklich ein, dass es seit der Transplantation in einem "zunehmenden Ausmaß", dh progredient, zu weiteren Leistungseinschränkungen gekommen sei. Im Hinblick auf das im Jahr 2005 eingeholte Gutachten der Ärztin D-R führt er - nachvollziehbar - aus, dass die dort festgestellte maximale Belastbarkeit des Klägers bis zu 125 Watt nur leichte körperliche Tätigkeiten zugelassen habe. Weiter heißt es hierzu wörtlich, dass davon auszugehen sei, dass bereits vor 2005 eine Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit auf leichte körperliche Tätigkeiten bestanden habe. Dies stimmt mit der Beurteilung der Sachverständigen D-R vollends überein. Allerdings folgt hieraus nicht, dass seinerzeit schon die tatsächlichen Voraussetzungen (voller) EM vorgelegen hätten. Vielmehr ergibt sich daraus, dass der Kläger lediglich nicht mehr in der Lage war, mittelschwere bzw schwere körperliche Arbeiten zu verrichten. Dass ein Leistungsvermögen des Klägers für körperlich leichte Arbeiten durchaus auch nach der Transplantation noch gegeben war, hatte schließlich auch der behandelnde Nephrologe Dr. D unter Hinweis auf das gute Transplantationsergebnis bekräftigt (vgl Befundbericht vom 4. September 2002 bzw 9. September 2002). Auch die festgestellten Beeinträchtigungen auf psychischem und orthopädischem Fachgebiet rechtfertigen keinen früheren Leistungsfall, zumal ein zeitnahes und auch von Prof. Dr. N – der hierzu keine sichere Beurteilung abgeben kann - nicht beanstandetes fachorthopädisches Gutachten von Dr. B vom 7. Mai 2007 vorliegt und eine wesentliche psychische Erkrankung des Klägers vor Beginn der Behandlung bei der Fachärztin W (März 2006) ohnehin nicht belegbar ist. Diese Ärztin hatte indes noch im Mai 2009 gegenüber dem Versorgungsamt mitgeteilt, dass bei verabreichter Medikation ein relatives Wohlbefinden des Klägers ohne ausgeprägte Angst- und Panikattacken vorliege, und auch im Berufungsverfahren hat sie noch im Juni 2009 eine Besserung mitgeteilt.

Es bedurfte deshalb auch keines weiteren psychiatrischen Gutachtens zur Abklärung des aktuellen Gesundheitszustandes des Klägers – wie von Prof. Dr. N empfohlen. Denn dieser aktuelle Gesundheitszustand ist im Hinblick auf den nur noch streitigen Zeitraum nicht entscheidungserheblich. Soweit Prof. Dr. N damit argumentiert, dass auch nach der Nierentransplantation die Lebensqualität und Lebenserwartung des Klägers eingeschränkt gewesen sei, resultiert hieraus keine feststellbare quantitative Leistungsminderung. Das erhöhte Risiko für Herz- und Kreislauferkrankungen wie Schlaganfall und Herzinfarkt hat sich im streitigen Zeitraum ebenso wenig manifestiert wie eine Blutvergiftung in Folge von Infektionen durch die Transplantation. Gleiches gilt für das erhöhte Krebsrisiko. Selbst der behandelnde Arzt Dr. D hatte – worauf nochmals verwiesen wird - in seinem Bericht vom 9. September 2002 auf das "sehr gute" Transplantationsergebnis verwiesen und eine leichte Bürotätigkeit noch vollschichtig für möglich erachtet. Das zeitnahe und fachkompetente Gerichtsgutachten der Nephrologin D-R aus dem LSG-Verfahren - L 1/21 RA 225/03 - vom 22. September 2005 (Untersuchung des Klägers am 23. Februar und 24. Februar 2005) geht ebenfalls noch von einem vollschichtigen Leistungsvermögen des Klägers für körperlich leichte Arbeiten unter den dort aufgeführten qualitativen Leistungseinschränkungen aus, ohne dass die Voraussetzungen eines Summierungsfalls oder einer spezifischen schweren Leistungsbehinderung vorgelegen hätten. Demgemäß hatte der Kläger seinerzeit die Klage im Oktober 2006 auch zurückgenommen. Schließlich vermag das Gutachten von Prof. Dr. N auch die übereinstimmende Beurteilung bis zur Zystennierenentfernung von Dr. F und Dr. A-S nicht zu entkräften. Eine mündliche ergänzende Anhörung von Prof. Dr. N war danach nicht angezeigt. Das Gutachten von Prof. Dr. N enthält keine aufklärungsbedürftigen Unklarheiten, vielmehr hat sich dieser Sachverständige bei der Beantwortung der entsprechenden Beweisfrage zu dem Eintritt der Leistungseinschränkungen umfassend verhalten. Dass er teilweise – was durchaus plausibel ist – retrospektiv keine sichere Beurteilung abgeben kann, stellt den Kläger möglicherweise nicht zufrieden, bildet aber keinen Grund für eine ergänzende Befragung.

Die Feststellungslast für die den Klageanspruch begründenden Tatsachen nach Ausschöpfung der Ermittlungsmöglichkeiten des Gerichts trägt der Kläger. Er hat keine neuen Tatsachen vorgetragen – und diese sind auch im Übrigen nicht ersichtlich -, die eine weitere Sachaufklärung erfordert hätten. Sein Vorbringen zuletzt in den Schriftsätzen vom 13. Oktober 2011 und 26. Oktober 2011 zielt vielmehr darauf ab, eine andere Beurteilung bereits festgestellter gesundheitlicher Einschränkungen ohne Änderung der Tatsachengrundlage herbeizuführen (vgl BSG, Beschluss vom 19. November 2007 – B 5a/5 R 382/06 B = SozR 4-1500 § 160a N 21; BSG, Beschluss vom 27. August 2009 – B 13 R 177/09 B – juris). Insgesamt steht zur Überzeugung des Senats fest, dass ein letztlich konstantes Krankheitsgeschehen – worauf der Kläger offenkundig abhebt – seit August 2001 (Transplantation) nicht vorgelegen haben kann, sondern eine quantitative Leistungsminderung auf unter sechs Stunden täglich im Verlauf eingetreten sein muss. Zur Überzeugung des Senats war dies jedenfalls bis September 2009 – wie dargelegt – nicht der Fall.

Das noch mindestens sechsstündige Restleistungsvermögen des Klägers war nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme auch nicht derart reduziert, dass es im streitigen Zeitraum einem Arbeitseinsatz des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter betriebsüblichen Bedingungen entgegengestanden hätte (vgl. § 43 Abs. 3 SGB VI). Der Kläger konnte zwar nach den getroffenen Feststellungen wegen seiner Leiden jedenfalls nur noch körperlich leichte Arbeiten überwiegend im Sitzen bzw im gelegentlichen Wechsel der Haltungsarten in geschlossenen Räumen verrichten. Ausgeschlossen waren Arbeiten mit Heben, Tragen und Bewegen von mittelschweren bzw schweren Lasten, unter erschwerten Expositionsbedingungen, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, in Zwangshaltungen und in Nachtschicht (vgl Gutachten D-R und Gutachten Dr. B vom 7. Mai 2007 sowie von Dr. F vom 5. Juli 2008).

Bei Beachtung dieser qualitativen Leistungseinschränkungen bestand aber in dem zu prüfenden Zeitraum weder eine spezifische Leistungsbehinderung noch lag eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor (vgl BSG, Urteil vom 18. Februar 1998 - B 5/4 RA 58/97 R - juris). Die bei dem Kläger festgestellten qualitativen Leistungseinschränkungen waren nicht geeignet, das Feld körperlich leichter Arbeiten wesentlich einzuengen. Denn die vorliegenden Leistungseinschränkungen zählen nicht zu den ungewöhnlichen Leistungseinschränkungen und schon gar nicht zu den schweren spezifischen Leistungsbehinderungen (vgl dazu die auf die Vorlagebeschlüsse des 13. Senats ergangenen Beschlüsse des Großen Senats des BSG vom 19. Dezember 1996 - GS 1 bis 4/95 - GS 2/95 = SozR 3-2600 § 44 Nr. 8). Insgesamt betrafen die bei dem Kläger festgestellten qualitativen Leistungseinschränkungen jedenfalls lediglich einen kleinen Teilbereich des allgemeinen Arbeitsmarktes, lassen aber ein weites Feld von Beschäftigungsmöglichkeiten unberührt. Die Wegefähigkeit des Klägers ist zudem erhalten. Der Kläger war in der Lage, täglich viermal eine Fußstrecke von mehr als 500 Metern in mindestens 20 Minuten zurückzulegen und öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen (vgl zum Ganzen: BSG, Urteil vom 21. März 2006 - B 5 RJ 51/04 R = SozR 4-2600 § 43 Nr 8 mwN). Da nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens – wie dargelegt - eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine spezifische schwere Leistungsbehinderung nicht vorlagen, war die konkrete Bezeichnung einer Verweisungstätigkeit nicht erforderlich.

Darauf, ob der Kläger einen seinem verbliebenen Leistungsvermögen entsprechenden Arbeitsplatz tatsächlich erhalten hätte, kommt es nicht an. Denn die jeweilige Arbeitsmarktlage, die für leistungsgeminderte Arbeitnehmer wie den Kläger kaum entsprechende Arbeitsplatzangebote zur Verfügung stellte, ist für die Feststellung von EM - wie der Gesetzgeber klargestellt hat - unerheblich (vgl § 43 Abs. 3 SGB VI).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt das Ergebnis des Verfahrens.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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