L 18 AS 832/10

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 66 AS 12385/09
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AS 832/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 6. April 2010 wird zurückgewiesen. Hinsichtlich der im Berufungsverfahren erneut gestellten Anträge zu 3. – 5. der Klageschrift vom 23. April 2009 ist der Rechtsstreit erledigt. Die mit Schriftsatz vom 15. Juni 2010 erhobene Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind im Verfahren beim Landessozialgericht nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten im Rahmen der Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) u.a. über die Höhe der Regelleistung im Zeitraum vom 1. April 2009 bis zum 31. Juli 2009, über Einzelheiten der Berechnung der Leistung, über die Gewährung eines behinderungsbedingten Zuschlages i.H.v. 35 % der Regelleistung und über die Gewährung von Leistungen zur Eingliederung Schwerbehinderter.

Der 1955 geborene, ledige Kläger bezieht Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes von dem Beklagten. Mit Bescheid des Landesamtes für Gesundheit und Soziales – Versorgungsamt – vom 7. Juni 2005 wurde bei dem Kläger ein Grad der Behinderung von 50 ab November 2002 anerkannt (Funktionsbeeinträchtigungen: Seelische Störung, Rosacea, Wirbelsäulenfehlhaltung mit zeitweiser Reizsymptomatik, Hörminderung beidseits, Tinnitus).

Mit zwei Bescheiden vom 11. März 2009 bewilligte der Beklagte dem Kläger für den Zeitraum vom 1. April 2009 bis zum 31. Juli 2009 und für den Zeitraum vom 1. August 2009 bis zum 31. Januar 2010 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von 553,77 EUR monatlich (Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhaltes - inkl. Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung gem. § 21 Abs. 5 SGB II i.H.v. 35,79 EUR – 386,79 EUR, Kosten für die Unterkunft und Heizung 166,98 EUR). Der Kläger erhob u.a. hinsichtlich des Bescheides, mit dem ihm Leistungen für den Zeitraum vom 1. April 2009 bis zum 31. Juli 2009 gewährt worden waren, Widerspruch. Zur Begründung trug er vor: Der Bewilligungszeitraum sei zu kurz bemessen. Auch sei der Regelsatz in verfassungswidriger Weise zu niedrig angesetzt. Hinsichtlich des ernährungsbedingten Mehrbedarfs bestehe eine Unterdeckung; der diesbezügliche Betrag sei seit dem Jahr 1997 nicht mehr der Entwicklung der Regelsätze angepasst worden. Zudem sei bei der Festsetzung der Leistungen die Rundungsvorschrift des § 41 Abs. 2 SGB II nicht beachtet worden. Auch würden die Leistungen in fehlerhafter Weise nur für 360 Tage im Jahr gewährt. Seine Schwerbehinderung werde bei der Festsetzung der Leistung nicht in angemessener Weise berücksichtigt. Die Regelung des § 21 Abs. 4 SGB II diskriminiere ihn indirekt. Ihm seien Leistungen der Teilhabe nach dem Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) zu bewilligen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 24. März 2009 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück und führte an: Die Höhe der gewährten Regelleistung entspreche der gesetzlichen Vorgabe, die ihrerseits verfassungsgemäß sei. Hinsichtlich der gewährten Leistung für einen ernährungsbedingten Mehrbedarf liege keine Beschwer vor; denn ein solcher Mehrbedarf sei im Fall des Klägers nach Maßgabe der Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge gar nicht zu erkennen, da der Regelsatz den notwendigen Aufwand für die vom Kläger benötigte Vollkost decke. Entgegen der Auffassung des Klägers sei der Bewilligungszeitraum nicht zu kurz bemessen. Durch Erlass eines weiteren Bewilligungsbescheides vom 11. März 2009 für den Zeitraum vom 1. August 2009 bis zum 31. Januar 2010 sei sichergestellt, dass dem Kläger nahtlos weiter Leistungen gewährt würden. Ein Verstoß gegen die Rundungsvorschrift des § 41 Abs. 2 SGB II liege nicht vor. Die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II für (nur) 360 Tage im Jahr entspreche den gesetzlichen Vorgaben (§ 41 Abs. 1 Satz 2 SGB II).

Mit seiner Klage vom 23. April 2009 hat der Kläger unter weiterer Verfolgung seines Begehrens zunächst beantragt, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 11. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. März 2009 zu verurteilen, 1. "das Alg II für den Bewilligungszeitraum vom 1.4.2009 bis 31.7.2009 auf das verfassungsgemäße Minimum anzuheben", 2. einen "behinderungsbedingten Zuschlag i.H.v. 35 % des Regelsatzes zu zahlen", 3. den Beklagten zu verurteilen, den Bewilligungszeitraum "auf das nach § 41 Abs. 1 SGB II vorgesehene Regelmaß von 6 Monaten pro Bescheid zu erstrecken", 4. "gem. der Rundungsvorschrift nach § 41 Abs. 2 SGB II zu verfahren" und 5. "das Existenzminimum für 365 Tage im Jahr zu zahlen". Mit Schriftsatz vom 24. April 2009 hat sich die DGB Rechtsschutz GmbH als Prozessbevollmächtigte für den Kläger bestellt und beantragt, den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 11. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. März 2009 zu verurteilen, "dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes unter Berücksichtigung eines Regelsatzes von 627,- EUR monatlich für den Zeitraum vom 1.4.009 bis 31.7.2009 zu gewähren". Auf Nachfrage des Sozialgerichts (SG) Berlin hat die Prozessbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 11. Mai 2009 mitgeteilt, dass nur eine Klage beabsichtigt gewesen sei und "die Anträge aus dem Schriftsatz vom 24.4.2009 gestellt" würden.

Durch Änderungsbescheid vom 6. Juni 2009 hat der Beklagte die Regelleistung für den Zeitraum vom 1. bis zum 31. Juli 2009 im Hinblick auf die Erhöhung des Regelsatzes u.a. für alleinstehende Personen auf 359,- EUR für die Zeit ab 1. Juli 2009 angepasst und dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts i.H.v. insgesamt 561,77 EUR gewährt (Regelleistung inkl. Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung i.H.v. 394,79 EUR, Kosten für die Unterkunft und Heizung 166,98 EUR).

Das SG hat die Klage unter Zugrundelegung des Antrages der Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Gerichtsbescheid vom 6. April 2010 abgewiesen und ausgeführt: Die Klage sei unbegründet. Auch unter Berücksichtigung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 9. Februar 2010 - 1 BvL 1/09 – bestehe kein Anspruch auf Zugrundelegung eines höheren Regelsatzes für den Zeitraum vom 1. April 2009 bis zum 31. Juli 2009. Zwar sei dem Gesetzgeber aufgegeben worden, die Regelleistung bis zum 31. Dezember 2010 in einem verfassungsgemäßen Verfahren neu festzusetzen, weil die gesetzlichen Vorschriften über die Höhe der Regelleistung mit dem Grundgesetz (GG) unvereinbar seien. Für alle Leistungszeiträume davor könnten Hilfebedürftige jedoch keine höheren Leistungen erhalten. Etwas anderes ergebe sich auch nicht im Hinblick auf die vom BVerfG mit dem vorgenannten Urteil geschaffene Härtefallregelung, die nur für Zeiträume ab der Verkündung des Urteils und damit nicht für Leistungszeiträume vor dem 9. Februar 2010 gelte. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf Gewährung eines Mehrbedarfs für erwerbsfähige behinderte Hilfebedürftige. Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger – wie es die Regelung des § 21 Abs. 4 SGB II voraussetze - an einer regelmäßigen besonderen Maßnahme teilnehme, die geeignet sei, einen Mehrbedarf beim Betroffenen auszulösen. Im Übrigen richte sich der Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile nach den Vorschriften des SGB IX (vgl. Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 28. November 2007 - L 28 AS 420/07 -, juris). Soweit der Kläger die Kürze des Bewilligungszeitraumes von nur 4 Monaten im angefochtenen Bescheid vom 11. März 2009 bemängele, sei angesichts des am selben Tage erlassenen Bescheides für den Folgezeitraum 1. August 2009 bis zum 31. Januar 2010 keine Rechtsverletzung erkennbar.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter und stellt weitere Anträge. Unter Wiederholung und Vertiefung seines bisherigen Vorbringens führt er ergänzend aus: Der angefochtene Gerichtsbescheid sei in sich widersprüchlich, da einerseits von einer tatsächlich und rechtlich einfach gelagerten Sache ausgegangen worden sei und andererseits die Sprungrevision ermöglicht werde. Sowohl die Entscheidung des SG als auch das darin zitierte Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 28. November 2007, das ihn betreffe, beruhten auf einer Verletzung des GG und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), weshalb eine Vorlage des Rechtsstreits sowohl an das BVerfG als auch an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) angeregt werde. Das SG habe versäumt, ihm als behindertem Menschen effektiven Rechtsschutz zu gewähren. Der Beklagte sei zur Förderung (Schwer-) Behinderter und zur Bewilligung von Teilhabeleistungen bzw. ggf. zur Weiterleitung des Antrages auf solche Leistungen anzuhalten.

Der Kläger beantragt nach seinem Vorbringen (vgl. den Schriftsatz vom 15. Juni 2010), den Gerichtsbescheid vom 6. April 2010 zu ändern und

1. den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 11. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. März 2009 zu verurteilen, das Alg II für den Bewilligungszeitraum vom 1. April 2009 bis zum 31. Juli 2009 auf das verfassungsgemäße Minimum anzuheben, 2. den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 11. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. März 2009 zu verurteilen, einen behinderungsbedingten Zuschlag i.H.v. 35 % des Regelsatzes zu zahlen, 3. den Beklagten zu verurteilen, den Bewilligungszeitraum auf das nach § 41 Abs. 1 SGB II vorgesehene Regelmaß von 6 Monaten pro Bescheid zu erstrecken, 4. gem. der Rundungsvorschrift nach § 41 Abs. 2 SGB II zu verfahren, 5. das Existenzminimum für 365 Tage im Jahr zu zahlen, 6. den Beklagten zu verurteilen, für den Bewilligungszeitraum (1. April 2009 – 31. Juli 2009) Leistungen zur Eingliederung Schwerbehinderter gem. § 16 SGB II, §§ 33 ff. SGB IX zu erbringen, im Falle des Unterliegens die ausgefallenen Entgeltersatzleistungen zu zahlen, 7. den Beklagten zu verurteilen, für den Bewilligungszeitraum die von ihm festgestellte Erwerbsunfähigkeit bedarfserhöhend zu berücksichtigen, 8. im Falle des Unterliegens zu den Klageanträgen und –ergänzungsanträgen den Beklagten zu verurteilen, den Widerspruch des Klägers unter Wahrung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden und ihm alle in Betracht kommenden Leistungen der Teilhabe des SGB IX zu bewilligen, 9. im Falle der Unzuständigkeit des Beklagten alle zur Leistungserbringung in Betracht kommenden Reha-Träger beizuladen und zur Leistung zu verurteilen, § 75 SGG, 10. im Falle der Unzuständigkeit des Beklagten alle zur Leistungserbringung in Betracht kommenden Reha-Träger beizuladen und zur Abgabe von Zusicherungen zur Leistungsgewährung gem. §§ 1 ff. SGB IX zu verurteilen, § 75 SGG, 11. alle entgegenstehenden Bescheide aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Verwaltungsakte (6 Bände) des Beklagten und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung, über die die Berichterstatterin nach Übertragung des Rechtsstreits zur Entscheidung auf sie gemäß § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern aufgrund mündlicher Verhandlung nach §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 1 SGG entscheiden konnte, ist teils unzulässig und im Übrigen unbegründet.

Unzulässig ist die Berufung des Klägers, soweit er darin die Anträge zu 3. – 5. aus seinem Klageschriftsatz vom 23. April 2009 wiederholt. Insoweit ist der Rechtsstreit durch Klagerücknahme erledigt (vgl. §§ 153 Abs. 1, 102 Abs. 1 Satz 2 SGG); dem Senat ist daher eine inhaltliche Entscheidung über die Begehren des Klägers, den Bewilligungszeitraum des angefochtenen Bescheides auf sechs Monate zu erstrecken und den Beklagten zur Berücksichtigung der Rundungsvorschrift des § 41 Abs. 2 SGB II sowie zur Zahlung des Existenzminimums für 365 Tage im Jahr zu verurteilen, verwehrt. Denn die insoweit erhobene Klage zum SG hat die Prozessbevollmächtigte namens des Klägers konkludent zurückgenommen, als sie dem SG auf Nachfrage mitteilte, dass "die Anträge aus dem Schriftsatz vom 24. April 2009 gestellt werden". Dieser enthielt indes lediglich das Begehren, den Beklagten unter Änderung des angefochtenen Bescheides zu verurteilen, dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes unter Berücksichtigung eines Regelsatzes von 627,- EUR monatlich für den Zeitraum vom 1. April 2009 bis zum 31. Juli 2009 zu gewähren. Sollte der Kläger mit seiner Berufung hinsichtlich der Anträge zu 3. – 5. die Absicht gehabt haben, erneut Klage zu erheben, wäre diese ebenfalls unzulässig, da das Landessozialgericht (LSG) für eine Entscheidung über die Klage mangels Zuständigkeit des LSG als erstinstanzlichem Gericht nicht berufen ist (§ 29 SGG; vgl. BSG, Urteil vom 31. Juli 2002 – B 4 RA 20/01 R -, SozR 3-1500 § 29 Nr. 1).

Die Berufung ist auch unzulässig, soweit der Kläger erstmals in der Berufungsinstanz die Anträge zu 6. bis 11. gestellt hat; denn dieses Begehren ist nicht Gegenstand seiner Antragstellung im Verfahren vor dem SG gewesen, so dass das LSG mangels instanzieller Zuständigkeit nicht zu einer Entscheidung befugt ist (§ 29 SGG).

Die Berufung des Klägers in Bezug auf seine Anträge zu 1. und 2., mit der er bei verständiger Würdigung (vgl. § 123 SGG) seine Begehren weiter verfolgt, den Beklagten zur Gewährung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Gestalt einer höheren Regelleistung nach §§ 19 Satz 1, 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II i.H.v. 627,- EUR monatlich und zur Gewährung eines behinderungsbedingten Zuschlages i.H.v. 35 % des Regelsatzes zu verurteilen, ist hingegen zulässig; denn soweit der Kläger einen behinderungsbedingten Zuschlag i.H.v. 35 % der Regelleistung geltend macht, ist dieses Begehren als nicht abtrennbarer Streitgegenstand (vgl. BSG, Urteil vom 22. März 2010 – B 4 AS 59/09 R -, SozR 4-4200 § 21 Nr. 9) Teil des bereits erstinstanzlich erhobenen Anspruchs auf eine höhere Regelleistung gewesen, über den das SG entschieden hat.

Gegenstand des mit den statthaften kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklagen (vgl. § 54 Abs. 4 SGG) verfolgten Begehrens auf höhere Leistungen nach dem SGB II ist der Bewilligungsbescheid vom 11. März 2009 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 6. Juni 2009 (vgl. § 96 SGG) in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. März 2009, mit dem der Beklagte dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die Zeit vom 1. April 2009 bis 31. Juli 2009 bewilligt hat. Der Kläger hat in Ausübung seines Dispositionsrechtes zulässig den Streitgegenstand auf die Höhe der Regelleistung und die Gewährung von Mehrbedarfsleistungen in Form eines "behinderungsbedingten Zuschlages" beschränkt. Die Höhe der Kosten für die Unterkunft und Heizung, die für sich genommen eine abtrennbare Verfügung darstellen (vgl. BSG, u.a. Urteile vom 07. November 2006 - B 7b AS 8/06 R –, BSGE 97, 217 – 230 = SozR 4-4200 § 22 Nr. 1 - und vom 13. November 2008 – B 14 /7b AS 2/07 R -, juris), ist nicht Gegenstand der Klage.

Für die erhobenen Ansprüche des Klägers auf weitere bzw. höhere SGB II-Leistungen für die Zeit vom 1. April 2009 bis 31. Juli 2009 sind Rechtsgrundlagen nicht ersichtlich. Zwar war der Kläger im Streit entscheidenden Zeitraum vom 1. April 2009 bis 31. Juli 2009 gemäß § 7 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 9 SGB II hilfebedürftig. Er allein bildete eine Bedarfsgemeinschaft i.S.d. § 7 Abs. 3 Nr. 1 SGB II. Von einer Erwerbsfähigkeit des Klägers nach §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 8 SGB II ist jedenfalls gem. § 44a Abs. 1 Satz 3 SGB II in der hier maßgeblichen, ab dem 1. August 2006 geltenden Fassung vom 2. Dezember 2006 auch unter Berücksichtigung seiner Schwerbehinderung für den streitigen Zeitraum auszugehen. Danach hat der Beklagte in Wahrnehmungszuständigkeit für die Leistungsträger des SGB II bis zu einer Entscheidung der Einigungsstelle über die Erwerbsfähigkeit Leistungen zu erbringen (vgl. BSG, Urteil vom 7. November 2006 – B 7b AS 10/06 R -, BSGE 97, 231 - 242 = SozR 4-4200 § 22 Nr. 2). Eine solche Entscheidung der Einigungsstelle hat der Beklagte bis heute nicht herbeigeführt, da mangels Mitwirkung des Klägers an der medizinischen Begutachtung nicht geklärt werden kann, ob er erwerbsfähig ist. Die Höhe der für den Kläger anzusetzenden monatlichen Regelleistung ergibt sich für die Zeit vom 1. April 2009 bis zum 30. Juni 2009 aus § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II i.V.m. den Bekanntmachungen über die Höhe der Regelleistung nach § 20 Absatz 2 Satz 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch für die Zeit ab 1. Juli 2008 (BGBl. I 1102) vom 26. Juni 2008 und für die Zeit ab 1. Juli 2009 aus § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II i.V.m. den Bekanntmachungen über die Höhe der Regelleistung nach § 20 Absatz 2 Satz 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch für die Zeit ab 1. Juli 2009 vom 17. Juni 2009 (BGBl. I S. 1342). Danach belief sich die Regelleistung – wie von dem Beklagten bewilligt - für die Zeit vom 1. April 2009 bis zum 30. Juni 2009 auf 351,- EUR monatlich und für die Zeit vom 1. bis zum 31. Juli 2009 auf 359,- EUR monatlich. Die genannte Regelleistungshöhe ist – wie bereits das SG zutreffend ausgeführt hat - bis zum 31. Dezember 2010 ungeachtet der Verfassungswidrigkeit der ihr zugrunde liegenden Rechtsvorschriften weiterhin maßgebend (vgl. BVerfG, Urteil vom 9. Februar 2010 – u.a. 1 BvL 1/09 – juris). Auf die diesbezüglichen Ausführungen im Beschluss des Senats vom 1. Dezember 2010 (betr. den Antrag des Klägers auf Prozesskostenhilfe) wird verwiesen.

Einen Anspruch auf Gewährung eines "behinderungsbedingten Zuschlages i.H.v. 35 % des Regelsatzes" hat der Kläger ebenfalls nicht. Als Rechtsgrundlage kommt insoweit im System der Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB II nur § 21 Abs. 4 SGB II in der hier noch anzuwendenden Fassung vom 20. Juli 2006 in Betracht. Danach erhalten erwerbsfähige behinderte Hilfebedürftige, denen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 33 des Neunten Buches sowie sonstige Hilfen zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben oder Eingliederungshilfen nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 – 3 des Zwölften Buches erbracht werden, einen Mehrbedarf von 35 vom Hundert der nach § 20 maßgebenden Regelleistung. Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen dieser Normen zwar insofern, als er zum Kreis der erwerbsfähigen behinderten Hilfebedürftigen gehört. Ihm wurden aber im Streit entscheidenden Zeitraum vom 1. April 2009 bis zum 31. Juli 2009 keine Leistungen zur Teilhabe bzw. sonstige Hilfen "erbracht". In diesem Zusammenhang kommt es nicht darauf an, ob beim Kläger möglicherweise ein Anspruch auf eine Teilhabeleistung oder eine Leistung zur Eingliederungshilfe bestanden hätte; denn nur die tatsächliche Teilnahme an einer regelförmigen besonderen Maßnahme kann die Zuerkennung eines Mehrbedarfs rechtfertigen (vgl. BSG, Urteile vom 25. Juni 2008 – B 11b AS 19/07 R -, SozR 4-3500 § 54 Nr. 1, und vom 22. März 2010 – B 4 AS 59/09 R-, SozR 4-4200 § 21 Nr. 9).

Eine andere Rechtsgrundlage für den vom Kläger begehrten Mehrbedarf ist nicht ersichtlich. Eine abweichende Festsetzung der pauschalierten Regelleistungen nach § 20 SGB II wegen atypischer Bedarfslagen, wie sie für die Hilfe zum Lebensunterhalt bzw. für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe – (SGB XII) die Norm des § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII ermöglicht, sieht das SGB II – jedenfalls bis zum 03. Juni 2010 - nicht vor (vgl. BSGE 97, 242 = SozR 4-4200 § 20 Nr. 1). Der Gesetzgeber hat durch die Einfügung des § 3 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 und Satz 2 SGB II durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006 (BGBl. I 1706) klargestellt, dass die nach dem SGB II vorgesehenen Leistungen den Bedarf der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und der mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen decken. Eine davon abweichende Festlegung der Bedarfe ist ausgeschlossen. Bewusst hat der Gesetzgeber eine dem § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII entsprechende Vorschrift nicht geschaffen (vgl. BT-Drucks. 16/1696 S. 27: "Die nach dem Recht der Sozialhilfe vorgesehene Möglichkeit, Bedarfe abweichend festzulegen, wenn im Einzelfall ein Bedarf unabweisbar seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht (§ 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII), ist nach dem System der Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht vorgesehen."; vgl. BSG, Urteil vom 28. Oktober 2009 - B 14 AS 44/08 R -, SozR 4-4200 § 7 Nr. 15). § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB II in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung scheidet als Anspruchsgrundlage bereits deswegen aus, weil nach dieser Vorschrift keine dauerhaften, monatlich wiederkehrenden pauschalen Bedarfe gedeckt werden können (vgl. BSG, Urteil vom 7. November 2006 – B 7b AS 14/06 R -, SozR 4-4200 § 2o Nr. 1).

Zugunsten des Klägers kommt auch keine Leistungsgewährung auf der Grundlage der durch die Anordnung des BVerfG im Urteil vom 9. Februar 2010 (– 1 BvL 1/09 u.a. – juris) geschaffenen Härtefallregelung unter Berücksichtigung von Artikel 1 Abs. 1 i.V.m. Artikel 20 Abs. 1 Grundgesetz in Betracht, da diese Regelung – wie die 3. Kammer des 1. Senats des BVerfG mit Beschluss vom 24. März 2010 (– 1 BvR 395/09 – juris) klargestellt hat – nur für die Zeit ab Verkündung des Urteils vom 9. Februar 2010 gilt. Ebenso wenig kommt ein Anspruch gegen den Beklagten auf der Grundlage des § 21 Abs. 6 SGB II i.d.F. des Gesetzes zur Abschaffung des Finanzplanungsrates und zur Übertragung der fortzuführenden Aufgaben auf den Stabilitätsrat sowie zur Änderung weiterer Gesetze vom 27. Mai 2010 (BGBl. I S. 671) in Betracht, weil diese Regelung erst am 3. Juni 2010 in Kraft getreten ist.

Ein Anspruch gegen den Sozialhilfeträger aus § 73 SGB XII auf Leistungen zur Deckung atypischer Bedarfslagen scheidet vorliegend bereits deshalb aus, weil das Bestehen eines Bedarfs nicht ersichtlich ist. Im Unterschied zur Regelung des § 21 Abs. 4 SGB II, die pauschalierend eine Leistung für den Mehrbedarf eines erwerbsfähigen behinderten Hilfebedürftigen festsetzt, setzt § 73 SGB II das Vorliegen einer atypischen Bedarfslage voraus. Hierdurch soll verhindert werden, dass die Norm zu einer allgemeinen Auffangregelung für Leistungsempfänger des SGB II mutiert (vgl. BSG, Urteil vom 19. August 2010 - B 14 AS 13/10 R –, juris). Voraussetzung eines Anspruchs nach § 73 SGB XII ist mithin eine besondere Bedarfslage, die eine gewisse Nähe zu den speziell in den §§ 47 bis 74 SGB XII geregelten Bedarfslagen aufweist. Insoweit fehlt es an schlüssigen Darlegungen zur Frage, welche zusätzlichen Kosten dem Kläger tatsächlich aufgrund seiner Behinderung im Streit entscheidenden Zeitraum vom 1. April 2009 bis 31. Juli 2009 entstanden sein sollen. Die Gelegenheit, im Rahmen der mündlichen Verhandlung hierzu vorzutragen, hat der Kläger nicht wahrgenommen. Weitere Ermittlungen hierzu von Amts wegen waren bereits deshalb nicht angezeigt, weil nach Lage der Sache schon entsprechende Anknüpfungstatsachen vom Kläger nicht vorgebracht worden und auch im Übrigen nicht ersichtlich sind (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 24. August 2011 – L 18 AS 1708/09 -, juris). Soweit der Kläger Kosten der Telekommunikation und des öffentlichen Personennahverkehrs nennt (vgl. Bl. 27 seines Schriftsatzes vom 15. Juni 2010), ist darauf hinzuweisen, dass diese keine atypische Bedarfslage begründen. Vielmehr sind solche Kosten von der Regelleistung, die nach § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB II nicht nur Ernährung, sondern auch Bedarfe des täglichen Lebens sowie in vertretbarem Umfang auch Beziehungen zur Umwelt umfasst, abgedeckt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Zwar ist die Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Vorschriften über die Höhe der Regelleistung für Zeiträume vor der gesetzlichen Neuregelung bei Kostenentscheidungen zugunsten des klagenden Hilfebedürftigen angemessen zu berücksichtigen, soweit dies die gesetzlichen Bestimmungen ermöglichen (vgl. BVerfG in den o.a. Urteilen vom 9. Februar 2010). Dem Kläger war aber bereits aufgrund der Ausführungen im Gerichtsbescheid des SG bekannt, dass er für Zeiträume vor der gesetzgeberischen Neuregelung keine höhere Regelleistung erhalten kann. Soweit er im Berufungsverfahren in Kenntnis der mangelnden Erfolgsaussichten seines Begehrens dennoch daran festhielt, erschien eine auch nur anteilige Kostenerstattung durch den Beklagten nicht geboten.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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