L 24 KA 48/11

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
24
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 1 KA 97/09
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 24 KA 48/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 16. Februar 2011 wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen. Die Revision wird nicht zugelassen. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 1.190,- EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Streitig ist die Höhe eines Anspruchs auf Kostenerstattung nach teilweise erfolgreichem Widerspruch des Vertragsarztes im Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung. Gegen den Kläger, einen zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Facharzt für Innere Medizin, verfügte der Prüfungsausschuss für das Jahr 2005 einen Regress i.H.v. 68.643,01 EUR (Bescheid vom 21. November 2007). Im Widerspruchsverfahren übermittelte der Beklagte dem Kläger auf dessen Antrag eine Kopie der Verwaltungsakte und die dem Bescheid zugrunde liegenden Anlagen als Datenträger. Mit Schreiben vom 8. Juli 2008 begründeten die Prozessbevollmächtigten den Widerspruch im Wesentlichen mit einer Verletzung des rechtlichen Gehörs. Mit Widerspruchsbescheid vom 3. September 2008 gab der Beklagte dem Widerspruch teilweise statt und setzte einen Regress i.H.v. 10.569,60 EUR fest. Ferner erklärte er die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für notwendig und verpflichtete sich, dem Kläger die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten anteilig i.H.v. 5/6 zu erstatten. Mit ihrer bei dem Beklagten eingereichten Kostennote vom 11. November 2008 machten die Bevollmächtigten unter Zugrundelegung eines Gegenstandswerts von 68.643,01 EUR und einer 2,3-fachen Geschäftsgebühr einen Gesamtbetrag von 2.756,84 EUR geltend. Die Prüfungsstelle erkannte als im Widerspruchsverfahren entstandene notwendige Aufwendungen einen Betrag von 1.566,84 EUR an (Bescheid vom 16. Januar 2009). Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 7. September 2009). Das Sozialgericht (SG) Potsdam hat die auf Verurteilung des Beklagten zur Zahlung weiterer Kosten des Widerspruchsverfahrens i.H.v. 1.190,- EUR gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 16. Februar 2011). Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei nicht begründet. Nach der hier anzuwendenden Nr. 2300 des Vergütungsverzeichnisses (VV) der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) könne eine Gebühr von mehr als 1,3 nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig gewesen sei. Vorliegend sei die Gebührenbestimmung der Bevollmächtigten nach § 14 Abs. 1 RVG unbillig und daher nicht verbindlich, weil deren Tätigkeit im Widerspruchsverfahren weder als umfangreich noch als schwierig zu bewerten sei. Vorliegend sei dem Widerspruchsschreiben, das sich allein auf formale Gründe stütze, weder eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Verordnungsvolumen des Klägers noch eine detaillierter Vortrag zu Praxisbesonderheiten zu entnehmen. Das Vorbringen zur Verletzung der Anhörungspflicht habe keiner besonderen Recherchearbeiten oder eines besonders umfangreichen Aktenstudiums bedurft, insbesondere auch keiner Auseinandersetzung mit den der Prüfung zugrunde liegenden Daten. Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er trägt vor: Das SG habe verkannt, dass die anwaltliche Tätigkeit über das Erstellen von Schriftsätzen hinausgehe. Nach Durchsicht umfangreicher Unterlagen und Besprechung mit ihm – dem Kläger – habe sich der Bevollmächtigte auf bestimmte Aspekte in seiner Widerspruchsbegründung beschränkt. Er habe sein Ermessen bei der Gebührenfestsetzung beanstandungsfrei ausgeübt.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 16. Februar 2011 aufzuheben und den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 7. September 2009 zu verurteilen, an ihn weitere 1.190,- EUR zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (vgl §§ 124 Abs. 2, 155 Abs. 3 und 4 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers, mit der er seine statthafte kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gegen den allein streitgegenständlichen Bescheid des Beklagten vom 7. September 2009 (vgl. BSGE 74, 59, 60; § 106 Abs. 5 Satz 6 SGB V) weiter verfolgt, ist nicht begründet. Der Erhebung einer Verpflichtungsklage auf Bestimmung der Notwendigkeit der Zuziehung eines Rechtsanwalts nach § 63 Abs. 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) bedarf es nicht, da der Beklagte diese Notwendigkeit zumindest konkludent anerkannt hat (vg.l u.a. BSG, Urteil vom 5. Mai 2009 – B 13 R 137/08 R – juris; Urteil vom 21. Dezember 2009 – B 14 AS 83/08 R – juris). Der Beklagte hat die dem Kläger zu erstattenden notwendigen Aufwendungen zutreffend festgesetzt. Es besteht kein Anspruch des Klägers auf Erstattung höherer Kosten als der von dem Beklagten festgesetzten 1.566,84 EUR.

Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit der Widerspruch erfolgreich ist, der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, verpflichtet, dem Widerspruchsführer die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Nach § 63 Abs. 2 SGB X sind die Gebühren und Auslagen ua eines Rechtsanwalts im Vorverfahren erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war. Gebühren und Auslagen i.S. des § 63 Abs. 2 SGB X sind nur die gesetzlichen Gebühren und Auslagen (vgl. BSGE 78, 159, 161f = SozR 3-1300 § 63 Nr. 7 S 25 f; SozR 4-1300 § 63 Nr. 8 RdNr16). Diese sind bei Beauftragung eines Rechtsanwalts seit dem 1. Juli 2004 – wie hier - nach Maßgabe des RVG sowie des VV der Anlage 1 zum RVG zu bestimmen vgl. § 1 Abs. 1 und § 2 Abs. 2 Satz 1 RVG, jeweils i.d.F. des Art 3 des Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (KostRMoG) vom 5. Mai 2004, BGBl I 718; zum Inkrafttreten Art 8 KostRMoG, zum Übergangsrecht§§ 60, 61 RVG).

Rechtsgrundlage für die geltend gemachte Geschäftsgebühr ist die Nr. 2300 des VV zum RVG. Danach erhält der Rechtsanwalt in sozialrechtlichen Angelegenheiten, in denen im gerichtlichen Verfahren Gebühren nach dem Gegenstandswert entstehen, eine Geschäftsgebühr, wobei eine Gebühr von mehr als 1,3 gefordert werden kann, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Dies ist indes nicht der Fall, so dass sich die entsprechende Gebührenbestimmung als unbillig erweist.

Bei der Beurteilung, ob eine Tätigkeit rechtlich schwierig oder umfangreich war, ist nicht nach einzelnen Rechtsgebieten zu differenzieren (vgl. BSG, Urteil vom 5. Mai 2010 – B 11 AL 14/09 R – juris – mwN; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19. Oktober 2010 – L 7 KA 87/09 - juris). Abzustellen ist also – wie im Rahmen von § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG - auch bei einer Streitigkeit auf dem Gebiet des Kassenarztrechts auf den konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände (vgl. BSG aaO). Danach ist vorliegend eine über das Normalmaß hinausgehende Schwierigkeit der Sache ebenso wenig zu erkennen wie ein besonderer Umfang der anwaltlichen Tätigkeit. Der Prozessbevollmächtigte hat sich hinsichtlich der formellen Rechtmäßigkeit des Prüfverfahrens kurz geäußert und im Wesentlichen die fehlende Anhörung des Klägers und die nicht erfolgte Übersendung einer erweiterten Arzneimitteldatei nach § 296 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) gerügt. Inhaltlich hat er sich mit dem Regressbegehren nicht auseinander gesetzt und musste dies aus seiner Sicht auch nicht. Der zeitliche Aufwand, den der Prozessbevollmächtigte des Klägers auf den (mit Ausnahme von Akteneinsichts- und Fristverlängerungsanfragen einzigen sich inhaltlich auf das Begehren beziehenden) im Widerspruchsverfahren gefertigten Schriftsatz vom 8. Juli 2008 verwendet hat, erscheint zur Überzeugung auch des Landessozialgerichts bestenfalls durchschnittlich; für besonderen Zeitaufwand etwa in Form besonders langer Besprechungen, besonders aufwändiger Recherchearbeit, besonders umfangreichen Aktenstudiums, besonders umfangreicher Anfertigung von Notizen oder komplexen Schriftverkehrs ist nichts von Substanz vorgetragen, geschweige denn Beweis angetreten (vgl. hierzu Bundessozialgericht, Urteil vom 1. Juli 2009, B 4 AS 21/09 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 29). Dies gilt umso mehr, als die von den Prozessbevollmächtigten in Bezug genommenen – nachträglich zugänglich gemachten - erweiterten Dateien ausweislich des eigenen Vorbringens der Bevollmächtigten inhaltlich nicht geprüft werden konnten. Eine Aufarbeitung der Daten vor dem Hintergrund der Anspruchsvoraussetzungen der Wirtschaftlichkeitsprüfung erfolgte daher ersichtlich nicht. Dass die Bevollmächtigten aufgrund ihrer Kenntnisse im Kassenarztrecht sich darauf beschränkt haben, die aufgrund ihrer Beurteilung wesentlichen formalen Mängel zu rügen, macht die Angelegenheit per se nicht zu einer schwierigen oder umfangreichen, auch wenn das Vertragsarztrecht gerade im Bereich der Wirtschaftlichkeitsprüfung sich im Hinblick auf die Rechtsfortbildung durch das Bundessozialgericht vielfach als schwierig erweist. Denn Fragen der Anhörungs- und Darlegungspflicht stellen keine spezifisch vertragsärztliche Materie dar und bedürfen grundsätzlich auch keiner weitergehenden inhaltlichen Befassung mit den Rechtsproblemen der Wirtschaftlichkeitsprüfung. Eine solche ist auch im weiteren Verlauf des Widerspruchsverfahrens nicht erfolgt. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 und 3 Verwaltungsgerichtsordnung. Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 3, 63 Gerichtskostengesetz. Der Beschluss über die Streitwertfestsetzung ist unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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