L 24 KA 76/08

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
24
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 1 KA 118/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 24 KA 76/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 12. März 2008 wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen eine vom Disziplinarausschuss der Beklagten verhängte Geldbuße i.H.v. 1.000,- EUR.

Der Kläger war als niedergelassener Chirurg am 25. März 2006 (Samstag) ausweislich des Notfalldienstplanes des Bereiches J für das Quartal I/2006 zum Bereitschaftsdienst eingeteilt. Gegen 11.00 Uhr dieses Tages erhielt die Praxis des Klägers einen Anruf des von der Arbeiterwohlfahrt Seniorenzentren B gGmbH betriebenen Seniorenzentrums J, in dem auf den schlechten Allgemeinzustand und eine bereits diagnostizierte Stauungspneumonie einer - nur nonverbal kommunikationsfähigen - Heimbewohnerin hingewiesen und ärztliche Hilfe erbeten wurde. Die den Anruf entgegennehmende Sprechstundenhilfe des Klägers bestätigte mit einem Rückruf um 11.30 Uhr, dass der Kläger zu einem Hausbesuch kommen wolle. Infolge einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Bewohnerin mit dem Auftreten von Fieber i.H.v. 39 °C rief der Pfleger E (im Folgenden: E.) gegen 16.00 Uhr erneut in der Praxis des Klägers an. Dieser ließ daraufhin telefonisch die Anweisung durchgeben, dass der Bewohnerin Wadenwickel anzulegen und zusätzlich Flüssigkeit zuzuführen sei. Ein weiterer telefonischer Kontakt und ein Besuch des Klägers im Heim fanden nicht statt. Nach einem zwischenzeitlichen Rückgang der Körpertemperatur der Bewohnerin am Abend des 25. März 2006 kam es am Morgen des Folgetages (26. März 2006) zu einem erneuten Anstieg auf 39,6 °C. Der herbeigerufene Bereitschaftsarzt Dr. K (Facharzt für Allgemeinmedizin) verabreichte daraufhin ein Antibiotikum. Am 27. März 2006 wurde die Bewohnerin mit akuter Atemnot in ein Krankenhaus verbracht.

Die Heimleitung und Dr. K wandten sich daraufhin mit schriftlichen Stellungnahmen vom 27. März 2006 an die Beklagte, auf deren Inhalt Bezug genommen wird. Auf Bitten der Beklagten äußerte sich der Kläger im Anhörungsverfahren mit Schreiben vom 12. April 2006, 16. Juni 2006 und 12. Juli 2006. Er habe am 25. März 2006 Sprechstunde bis 13.00 Uhr und auch Hausbesuche gehabt. Er habe fachgerechte Anweisungen gegeben und darum gebeten, zurückzurufen, falls das Fieber nicht zurückgehe. Da das Heim nicht mehr angerufen habe, sei er davon ausgegangen, dass das Fieber gesunken sei. Die Bewohnerin sei von der Hausärztin mit Antibiotika versorgt worden. Im Übrigen entstehe eine Stauungspneumonie durch "unzureichende Pflege".

Auf Antrag des Vorstandes der Beklagten leitete der Disziplinarausschuss der Beklagten ein Disziplinarverfahren gegen den Kläger ein, in dem dieser sich ergänzend äußerte und eine Verantwortung "entschieden" ablehnte (Schreiben vom 3. April 2007). Nach mündlicher Verhandlung vom 4. April 2007, der der Kläger fernblieb, setzte der Disziplinarausschuss gegen den Kläger eine Geldbuße i.H.v. 1.000,- fest (Beschluss vom 4. April 2007). Zur Begründung ist ua ausgeführt, der Kläger habe gegen die ihm obliegende ärztliche Sorgfaltspflicht verstoßen. Er habe das Pflegeheim in dem Glauben gelassen, er werde einen Hausbesuch durchführen, und erst nach erneutem Anruf des Heimes konkrete Behandlungsanweisungen erteilt, ohne einen Hausbesuch durchzuführen. Dass der Kläger nunmehr die Verantwortung auf das Pflegeheim abschiebe, könne ihn nicht entlasten. Angesichts des schwerwiegenden Pflichtenverstoßes und der Tatsache, dass gegen den Kläger bereits – bestandskräftig - ein Verweis am 14. Januar 2004 ausgesprochen worden sei (Verfahren SG Potsdam S 1 KA 29/04 – LSG L 24 KA 75/08 – rechtskräftiges Urteil vom 22. Dezember 2010), sei eine Geldbuße ausgesprochen worden.

Die hiergegen gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) Potsdam nach uneidlicher Vernehmung des E. als Zeuge mit Urteil vom 12. März 2008 abgewiesen. Hinsichtlich des Ergebnisses der Vernehmung wird auf die Anlage 1 zur Sitzungsniederschrift vom 12. März 2008 Bezug genommen. Zur Begründung hat das SG im Wesentlichen auf den Inhalt des Beschlusses des Disziplinarausschusses vom 4. April 2007 Bezug genommen. Im Übrigen sei der Notfalldienst schon seiner Struktur nach ein Fahrdienst mit grundsätzlicher Pflicht zum Hausbesuch.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er trägt ergänzend vor: Er habe eine zutreffende Ferndiagnose abgegeben und fachgerechte Handlungsanweisungen gegeben, die auch – wie E. bestätigt habe - zu einer Besserung des Zustandes der Bewohnerin geführt hätten. Bei einer Verschlechterung, die erst am nächsten Tag eingetreten sei und nicht ihm angelastet werden könne, hätte der Pfleger ohne weiteres noch einmal anrufen können. Da das Heim nicht mehr angerufen habe, sei er – der Kläger – davon ausgegangen und habe auch davon ausgehen können, dass die angeordneten Maßnahmen geholfen hätten und sein Erscheinen nicht mehr erforderlich gewesen sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 12. März 2008 und den Bescheid des Disziplinarausschusses der Beklagten vom 4. April 2007 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Ohne Inaugenscheinnahme der Bewohnerin habe der Kläger deren tatsächlichen Gesundheitszustand nicht abschließend beurteilen können, zumal die Bewohnerin sich über ihre Beschwerden nur nonverbal habe äußern können. Schilderungen eines Pflegers könnten eine derartige Untersuchung nicht ersetzen.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist nicht begründet Der Disziplinarausschuss der Beklagten hat die streitgegenständliche Geldbuße gegen den Kläger zu Recht verhängt.

Die statthafte isolierte Anfechtungsklage ist zulässig. Eines Vorverfahrens bedarf es nach § 81 Abs. 5 Satz 4 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) – nicht. Die Klagefrist ist eingehalten.

Die Klage ist jedoch nicht begründet. Grundlage des angefochtenen Bescheides ist die aufgrund von § 10 Abs. 1a der Satzung der Beklagten vom 22. Juni 1991 i.d.F. vom 16. April 2004 erlassene Disziplinarordnung (DO) der Beklagten vom 22. Juni 2005, namentlich die §§ 7,8 und 11 DO, i.V.m. § 81 Abs. 5 Satz 1 bis 3 SGB V. Die letztgenannten Vorschriften regeln, dass die Satzungen der Kassenärztlichen Vereinigungen die Voraussetzungen und das Verfahren zur Verhängung von Maßnahmen gegen Mitglieder bestimmen müssen, die ihren vertragsärztlichen Pflichten nicht oder nicht ordnungsgemäß erfüllen. Der Umfang dieser Befugnisse ergibt sich aus § 81 Abs. 5 Satz 2 SGB V. Disziplinarmaßnahmen in diesem Sinne sind nach der Aufzählung des § 81 Abs. 5 Satz 2 und 3 SGB V je nach der Schwere der Verfehlung Verwarnung, Verweis, Geldbuße bis 10.000,- EUR oder die Anordnung des Ruhens der Zulassung oder der vertragsärztlichen Beteiligung bis zu zwei Jahren. Das Bundessozialgericht (BSG) geht in ständiger Rechtsprechung, die der Senat seiner Entscheidung zugrunde legt, davon aus, daß diese gesetzlichen Vorgaben für die Festsetzung von Disziplinarmaßnahmen ausreichen (vgl. BSG SozR 3-2500 § 81 Nr. 6 S 22; Urteil vom 14. März 2001 – B 6 KA 36/00 R = SozR 3-2500 § 81 Nr. 7).

Der auf die genannten Regelungen gestützte Beschluss des Disziplinarausschusses der Beklagten vom 4. April 2007 ist rechtmäßig. Der Kläger hat durch das beanstandete Verhalten seine vertragsärztlichen Pflichten nicht ordnungsgemäß erfüllt i.S.v. § 81 Abs. 5 Satz 1 SGB V i.V.m. § 75 Abs. 2 Satz 2 SGB V. Jedwedes Verhalten, das nicht mit der durch die Zulassung übernommenen Verpflichtung zur Versorgung der Versicherten im Einklang mit den gesetzlichen und untergesetzlichen Vorgaben steht, kann Gegenstand einer Disziplinarmaßnahme sein, wobei es sich um eine tatsächliche und schuldhafte (vgl. BSG aaO) Pflichtverletzung handeln muss. Die – im Übrigen zwischen den Beteiligten nicht streitige - Nichtdurchführung eines Hausbesuches zur ärztlichen Versorgung der Heimbewohnerin am 25. März 2005 stellt einen derartigen schuldhaften Pflichtverstoß dar. Nach § 1 der – hier noch heranzuziehenden - Gemeinsamen Bereitschaftsdienstordnung der Landesärztekammer Brandenburg und der Beklagten vom 12. Januar 2005 (BDO) soll der Bereitschaftsdienst als Notdienst i.S.v. § 75 Abs. 1 Satz 1 SGB V (damaliger Fassung) in dringenden Fällen die Behandlung erkrankter Personen im Land Brandenburg während der sprechstundenfreien Zeiten sicherstellen. Die Behandlung im Rahmen des Bereitschaftsdienstes ist darauf ausgerichtet, den Patienten bis zur nächstmöglichen regulären ambulanten oder stationären Versorgung ärztlich zweckmäßig und ausreichend zu versorgen. Sie hat sich auf das Notwendige zu beschränken. Im Gegensatz dazu erfolgt die notärztliche Versorgung durch den Rettungsdienst. Eine persönliche Untersuchung der Heimbewohnerin, die nur im Rahmen eines Hausbesuchs möglich war, war am 25. März 2005 notwendig im vorgenannten Sinne. Denn die Bewohnerin, die sich verbal nicht zu ihren Beschwerden äußern konnte, litt an einem erheblichen Krankheitsbild (Stauungspneumonie) und bedurfte nach den Schilderungen des Pflegepersonals zu ihrem Allgemeinzustand und der gestellten Diagnose ärztlicher Hilfe, was schon daraus erhellt, dass sie zumindest nachmittags an erheblich erhöhter Körpertemperatur von über 39 °C mit Fieber litt. Eine körperliche Untersuchung war damit unabdingbar. Der Kläger hat sich stattdessen auf die Schilderungen des Pflegepersonals verlassen, einen Hausbesuch zunächst in Aussicht gestellt, diesen dann aber nicht durchgeführt, sondern vielmehr eine Ferndiagnose erstellt und ärztliche Anweisungen erteilt. Obgleich er nach der BDO verpflichtet war, die notwendige Behandlung bis zur nächsten regulären Behandlung durchzuführen, zieht er sich nunmehr darauf zurück, dass er darauf vertraut habe, wegen eines nicht mehr erfolgten Rückrufs hätten seine angeordneten Maßnahmen gewirkt und ein Hausbesuch sei nicht erforderlich gewesen. Ungeachtet dessen, dass E. als Zeuge bekundet hat, der Kläger habe ihm noch um 16.00 Uhr mitgeteilt, dass er – zumindest zeitnah - nicht kommen werde (obgleich er morgens noch einen Hausbesuch nach seiner Sprechstunde in Aussicht gestellt hatte), und eingedenk der Tatsache, dass sich der Kläger ohne einen erneuten Anruf des Pflegepersonals bis 16.00 Uhr ersichtlich nicht um die Bewohnerin gekümmert hatte und keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass er sich ohne einen erneuten Anruf überhaupt noch einmal nach der schwer kranken Bewohnerin erkundigt hätte, durfte der Kläger nicht darauf vertrauen, dass er mit den Anweisungen an den Pfleger seine ärztlichen Pflichten erfüllt hatte, auch wenn es zunächst zu einer Besserung des Gesundheitszustandes der Bewohnerin gekommen war. Letztlich wälzt er seine Verantwortung auf das Pflegepersonal ab, das weder geeignet noch dazu berufen war, eine kompetente Einschätzung des Gesundheitszustandes der Patientin abzugeben. Der Kläger war auch objektiv nicht gehindert, einen Hausbesuch durchzuführen. Denn er behandelte in seiner Praxis am 25. März 2006 regulär nur vier Patienten und sechs Patienten im Bereitschaftsdienst. Ferner führte er einen (!) Hausbesuch durch. Es ist nicht ersichtlich – und auch nicht vorgetragen -, dass der Kläger zeitlich nicht in der Lage gewesen wäre, an dem besagten Tag einen Hausbesuch in dem ebenfalls in Jüterbog gelegenen Heim durchführen. Die Entfernung zwischen Praxis und Pflegeheim beträgt nur 1,37 km lt. Routenplaner. Die Pflichtverletzung war auch schuldhaft (zum Verschuldenserfordernis vgl BSG, Beschluss vom 8. Mai 1996 – 6 BKa 67/95 – juris). Der Kläger wusste um seine Pflichten bereits aus dem früheren Disziplinarverfahren (Beschluss vom 14. Januar 2004), als er es ebenfalls abgelehnt hatte, einen Hausbesuch in dem hier in Rede stehenden Pflegeheim durchzuführen. Ein pflichtbewusster Arzt hätte bei der hier gegebenen Sachlage einen Hausbesuch durchgeführt und auch durchführen müssen, so dass dem Kläger zumindest Fahrlässigkeit anzulasten ist. Die getroffene Auswahl der Disziplinarmaßnahme war auch angesichts des wiederholten Pflichtverstoßes weder unverhältnismäßig noch sonst ermessensfehlerhaft. Bei der Auswahl der Disziplinarmaßnahme hat der Ausschuss einen gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Entscheidungsspielraum (vgl. BSG SozR 3-2500 § 81 Nr. 6 S 26 mwN). Insoweit ist auch die Höhe der Geldbuße nicht zu beanstanden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) iVm § 52 Abs. 1 und 3, 63 Abs. 2 Gerichtskostengesetz.

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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