L 9 U 552/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 10 U 443/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 552/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 26. November 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen eines Arbeitsunfalles vom 29.07.2006 über den 16.04.2007 hinaus.

Der 1964 geborene Kläger war bei der Firma D.-C. AG in der Graugießerei als Anlagenführer beschäftigt, als er am 29.07.2006 gegen 6.15 Uhr von einem Gabelstapler angefahren wurde. Dabei zog sich der Kläger eine Unterschenkelfraktur links mit zweitgradigem Weichteilschaden sowie mehrere Rippenfrakturen links zu. Die Erstversorgung erfolgte in den Städtischen Kliniken Esslingen, wo noch am 29.07.2006 die Unterschenkelfraktur operativ versorgt wurde. Am 03.08.2006 wurde der Kläger in die Unfallchirurgische Abteilung der Klinik am Eichert, G., verlegt, wo er bis 10.08.2006 stationär behandelt wurde. Ab dem 18.10.2006 befand er sich zu einer stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme in der Rehabilitationsklinik Saulgau. Der Kläger wurde am 08.11.2006 arbeitsunfähig in die weitere D-ärztliche Behandlung entlassen. Eine stufenweise Wiedereingliederung mit vier Stunden am Tag ab dem 20.11.2006 wurde für möglich erachtet (Bericht vom 07.11.2006). Die am 20.11.2006 aufgenommene Belastungserprobung wurde jedoch wegen starker Schmerzen im oberen Sprunggelenk links abgebrochen. Eine weitere Belastungserprobung war, nachdem sich der Kläger am 08.12.2006 bei Prof. Dr. U. Klinik am Eichert, vorgestellt hatte und dabei eine problemlose Belastung möglich gewesen war und keine Schmerzen beklagt worden waren, in der Zeit vom 08.01.2007 bis 26.01.2007 durchgeführt worden. Arbeitsfähigkeit trat daraufhin ab dem 28.01.2007 (Prof. Dr. U., Berichte vom 26.01.2007 bzw. 13.02.2007) wieder ein.

In dem von der Beklagten in Auftrag gegebenen Ersten Rentengutachten beschrieben Dr. O.-K. und Prof. Dr. U. unter Berücksichtigung eines radiologischen Zusatzgutachtens vom 18.05.2007 (Prof. Dr. Dammann, Assistenzarzt Jesdrusik) bei reizlosen Narben an der proximalen Tibia links, der Patella links und dem Sprunggelenk links eine in anatomischer Stellung durchbaute Unterschenkelfraktur links mit noch liegendem UTN-Nagel sowie starken Schmerzen am lateralen Fußrand mit Schwellneigung und Anlaufschmerz mit Lymphödem und Blutablaufstörung linker Unterschenkel, eine Umfangsminderung am linken Oberschenkel von 1,5 cm, eine Umfangsvermehrung am Unterschenkel von 1 cm sowie am Vorfußballen und Rist über dem Kahnbein um 1 cm links. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 v.H. liege ab dem 28.01.2007 und voraussichtlich noch bis 17.04.2008 vor (Gutachten vom 03.05.2007 nach Untersuchung am 17.04.2007).

Die Fachärztin für Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. K. wies in ihrer beratungsärztlichen Stellungnahme darauf hin, dass der Befund keine rentenberechtigende MdE zum Zeitpunkt des Gutachtens rechtfertige. Es liege nur eine geringe Muskelminderung von 1 cm vor, eine Bewegungseinschränkung sei nicht vorhanden.

Wegen der Folgen seines Arbeitsunfalles gewährte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 29.08.2007 eine Rente für den Zeitraum vom 29.01.2007 bis 16.04.2007 nach einer MdE um 20 v.H. Sie berücksichtigte Anlauf- und Belastungsschmerzen, eine Schwellneigung am Unterschenkel, Vorfuß und Rist sowie eine diskrete Muskelminderung des Beines nach in anatomischer Stellung knöchern durchbautem Unterschenkelbruch mit noch liegendem Metall, nicht jedoch einen - unfallunabhängigen - Senk-Spreizfuß beiderseits. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15.01.2008 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 06.02.2008 Klage zum Sozialgericht Ulm (SG) erhoben.

Der Kläger hat sich zur Begründung auf die Einschätzung von Prof. Dr. U. bezogen.

Das SG hat Beweis erhoben durch das Einholen einer sachverständigen Zeugenaussage von Prof. Dr. U ... Er führte unter dem 25.05.2008 aus, dass der Kläger im Jahr 2007 über belastungsabhängig auftretende Schmerzen am linken operierten Bein und ebenso über eine gelegentlich auftretende Schwellneigung geklagt habe. Es seien Krankengymnastik und Schmerzmittel verordnet worden. Im Februar 2008 sei das Metall entfernt worden. Die zuletzt vorgenommene röntgenologische Untersuchung vor der Metallentfernung am 23.01.2008 habe ergeben, dass die Fraktur knöchern sicher fest konsolidiert sei. Bezüglich der Beschwerden seien ab dem 02.05.2007 lediglich Schmerzen, Schwellungen und belastungsabhängige Schmerzen der Akte zu entnehmen. Im Entlassungsbericht vom 12.02.2008 über den stationären Aufenthalt des Klägers vom 05.02.2008 bis 08.02.2008 zur Entfernung des Osteosynthesematerials, welcher der sachverständigen Zeugenaussage beigefügt gewesen war, wird von einer Arbeitsunfähigkeit für die Dauer von ca. 2 Wochen ausgegangen, von einer MdE im rentenberechtigenden Ausmaß sei nach Abschluss der Wundheilung nicht auszugehen. Auf Anfrage des SG haben Oberarzt Dr. H., Prof. Dr. U. ergänzend ausgeführt, eine MdE um 20 v.H. sei aus ihrer Sicht für die Zeit vom 17.04.2007 bis 04.02.2008 bei nicht konsolidierter Unterschenkelfraktur, einliegendem Osteosynthesematerial und subjektiven Beschwerden angebracht, für die Zeit nach der Operation mit Metallentfernung am 05.02.2008 sei bis 17.04.2008 eine MdE von 20 v.H. angemessen und üblich (Stellungnahme vom 17.08.2008).

Hierauf hat die Beklagte die Stellungnahme der Fachärztin für Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. K. vorgelegt. Sie hat die Auffassung vertreten, dass von einem normalen Verlauf und einer knöchernen Konsolidierung nach spätestens sechs Monaten auszugehen sei.

Das SG hat weiter Beweis erhoben durch das Einholen eines unfallchirurgisch-orthopädischen Fachgutachtens bei PD Dr. S., Stuttgart. Unter Berücksichtigung der im August 2008 durchgeführten kernspintomographischen Diagnostik hat PD Dr. S. das Vorliegen einer Osteochondrosis dissecans an der linken Talusschulter diagnostiziert, welche kernspintomographisch und darüber hinaus auch im Rahmen einer diagnostischen Arthroskopie (04.08.2008) eindeutig dokumentiert sei. Das partielle Synovektomieren sowie das Anbohren des Befundes haben im Verlauf jedoch nur zu einer kurzfristigen Besserung der Beschwerden geführt. Auch heute habe der Kläger unter Belastung immer wieder Schmerzen im Sprunggelenk und stelle insoweit einen Unfallzusammenhang her. Es bestehe eine konsolidierte Unterschenkelfraktur links in Schaftmitte mit zeitgerechter Heilung und mittlerweile erfolgter Materialentfernung. Die Rippenfrakturen 2, 4 und 6 links seien konsolidiert und es bestehe die bereits erwähnte Osteochondrosis dissecans in der lateralen Talusschulter des linken oberen Sprunggelenks. Die zum Zeitpunkt der Begutachtung angegebenen Beschwerden beruhten zum ganz überwiegenden Teil auf der Osteochondrosis dissecans-Erkrankung. Diese sei in der Zeit nach dem Unfall symptomatisch geworden. Es sei davon auszugehen, dass das Leiden schon länger bestanden habe und möglicherweise klinisch nur unterschwellig auffällig gewesen sei. Die MdE bewerte er vom 17.04.2007 bis zum 04.02.2008 mit 15 v.H., vom 05.02.2008 bis 24.02.2008 mit 100 v.H. und ab 25.02.2008 auf Dauer mit 15 v.H. Die Einschätzung auf Dauer richte sich nach dem leichten Rotationsfehler des linken Unterschenkels und der Muskelminderung am linken Bein.

Auf die hiergegen vom Kläger mit Schriftsatz vom 09.06.2009 erhobenen Einwendungen hat PD Dr. S. unter dem 18.08.2009 ergänzend Stellung genommen und an seiner Beurteilung festgehalten.

Mit Urteil vom 26.11.2009 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf die Gewährung einer Rente über den 16.04.2007 hinaus, weil für diesen Zeitraum eine MdE in nicht rentenberechtigendem Grad vorliege. Es hat sich im Wesentlichen auf das von ihm eingeholte Gutachten gestützt.

Gegen das ihm am 19.12.2009 zugestellte Urteil hat der Kläger mit einem am 18.01.2010 beim SG eingegangenen Schreiben Berufung eingelegt.

Er weist daraufhin, dass an dem linken Unterschenkel immer noch Schmerzen bestünden, bei starken Belastungen im Beruf würden diese immer stärker. Auch die Muskeln und Nerven um die Bruchstelle herum seien noch gereizt und würden bei Belastung noch stärker. Er habe seinen Arbeitsplatz wechseln müssen, weil er die hohe Belastung auf dem Fuß nicht mehr habe machen können. Dies bedeute für ihn einen Verdienstausfall, weil er von einer Dreischichtbeschäftigung auf eine zweischichtige habe wechseln müssen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 26. November 2009 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 29. August 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Januar 2008 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm über den 16. April 2007 hinaus eine Unfallrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch das Einholen einer weiteren sachverständigen Zeugenaussage bei Prof. Dr. U ... Dieser führte - zusammen mit Oberarzt Dr. H. - unter dem 15.05.2010 aus, dass aufgrund der kernspintomographischen Diagnose vom 14.05.2008, welche eine Osteochondrosis dissecans der lateralen Talusschulter Stadium II, ödematöse Signalveränderungen im Fettgewebe zwischen Achillessehne und Tibiahinterkante sowie eine unauffällige Darstellung des medialen und lateralen Bandapparates ergeben habe, eine Sprunggelenksarthroskopie empfohlen worden sei, welche am 04.08.2008 auch durchgeführt worden sei. Intraoperativ habe sich der Knorpelschaden der lateralen Talusschulter eindeutig erkennen lassen, er sei geshaved und außerdem sei eine Pridie-Bohrung angelegt worden. Im weiteren Verlauf habe sich der Kläger wiederholt wegen belastungsabhängigen Schmerzen und Spannungsgefühlen im linken Kniegelenk und Sprunggelenk in der Unfallchirurgischen Ambulanz vorgestellt. Es sei davon auszugehen, dass die diagnostizierte Osteochondrosis dissecans am linken Sprunggelenk ein unfallunabhängig vorliegendes Geschehen sei, welches sich erst Jahre nach dem in Frage stehenden Unfallgeschehen manifestiert habe. Es werde darauf hingewiesen, dass Röntgenbilder des linken Sprunggelenks vom 17.04.2007 weder eine Veränderung im Sinne einer Osteochondrosis dissecans tali aufgewiesen hätten noch die jetzt am 13.07.2009 radiologisch eindeutig beschriebene Osteophytenbildung an der ventralen distalen Tibiakante. Beschwerden könnten deshalb ebenso von der unfallunabhängig bestehenden Osteochondrosis dissecans tali als auch von der Osteophytenbildung an der ventralen distalen Tibiakante hervorgerufen worden sein. Es könne nicht beurteilt werden, ob es sich bei der beschriebenen Osteophytenbildung um eine beginnende posttraumatische Arthrose handele oder ob sich hier eine altersentsprechende Degeneration abzeichne.

Der Kläger hat mit seinen Schreiben vom 22.11.2011 und 27.12.2011 nochmals Stellung genommen und an dem geltend gemachten Anspruch festgehalten.

Mit Verfügung vom 04.11.2011 hat der Senat die Beteiligten auf die Absicht, den Rechtsstreit durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu entscheiden, hingewiesen und mit weiterem Schreiben vom 07.12.2011 darüber informiert, dass an dieser Absicht festgehalten wird. Es war nochmals Frist zur Stellungnahme eingeräumt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogene Akte der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Eine Zustimmung der Beteiligten ist hierzu nicht erforderlich.

Gegenstand des Rechtsstreits ist der zulässigerweise mit einer Anfechtungs- und Leistungsklage verfolgte Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente. Diesen Anspruch hatte die Beklagte in dem mit der Klage angefochtenen Bescheid und Widerspruchsbescheid für die Zeit nach dem 16.04.2007 abgelehnt.

Zu Recht haben die Beklagte und das SG entschieden, dass der Kläger keinen Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen des von der Beklagten anerkannten Arbeitsunfalles vom 29.07.2006 über den 16.04.2007 hinaus hat.

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vH gemindert ist, haben nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nach § 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v.H. mindern. Gemäß § 72 Abs. 1 SGB VII wird die Rente von dem Tag an gezahlt, der auf den Tag folgt, an dem entweder der Anspruch auf Verletztengeld endet oder der Versicherungsfall eingetreten ist, wenn kein Anspruch auf Verletztengeld entstanden ist.

Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22.6.2004, B 2 U 14/03 R in SozR 4-2700 § 56 Nr. 1): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.

Voraussetzung für die Berücksichtigung einer Gesundheitsstörung bzw. Funktionseinschränkung bei der Bemessung der MdE ist u. a. ein wesentlicher ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis bzw. dem dadurch eingetretenen Gesundheitserstschaden und der fortdauernden Gesundheitsstörung (sog. haftungsausfüllende Kausalität). Dabei müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen, zu denen - neben der versicherten Tätigkeit - der Gesundheitserstschaden und die eingetretenen fortdauernden Gesundheitsstörungen gehören, mit einem der Gewissheit nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit erwiesen sein. Für die Bejahung eines ursächlichen Zusammenhanges zwischen dem Gesundheitserstschaden und den fortdauernden Gesundheitsstörungen gilt in der gesetzlichen Unfallversicherung die Kausalitätstheorie der "wesentlichen Bedingung". Diese hat zur Ausgangsbasis die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie. In einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob das Ereignis nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Auf Grund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden, bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen. Nach der Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens abgeleitet werden (vgl. die zusammenfassende Darstellung der Kausalitätstheorie der wesentlichen Bedingung im Urteil des BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 17 = BSGE 96, 196-209 und in Juris).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze steht dem Kläger wegen der Folgen des von der Beklagten anerkannten Arbeitsunfalles über den 16.04.2007 hinaus keine Rente zu. Der Senat stützt seine Überzeugung dabei im Wesentlichen auf die im Rahmen des Ersten Rentengutachtens am 17.04.2007 in der Klinik am Eichert erhobenen Befunde sowie auf das vom SG eingeholte Gutachten des PD Dr. S ... Ausweislich der im Rahmen des Ersten Rentengutachtens erfolgten Untersuchung bestanden damals reizlose Narben an der proximalen Tibia links, über der Patella links und über dem Sprunggelenk links. Die Unterschenkelfraktur war als in anatomischer Stellung durchbaut mit noch einliegendem UTN-Nagel angegeben worden. Es bestanden starke Schmerzen am lateralen Fußrand mit einer Schwellneigung und Anlaufschmerz mit einem Lymphödem und Blutablaufstörung am linken Unterschenkel. Im Seitenvergleich betrug die Umfangsminderung an der linken unteren Extremität 1 bis 1,5 cm. Funktionsstörungen fielen beim Entkleiden nicht auf, das Gangbild wurde als flüssig und harmonisch beschrieben. Zehen- und Einbeinstand waren beidseits möglich, lediglich der Fersenstand konnte links nicht durchgeführt werden. Die Beweglichkeit im linken und rechten Sprunggelenk war wie die übrigen Gelenke der unteren Gliedmaßen seitengleich und nicht eingeschränkt. Mit diesem Befund sind auch nach Überzeugung des Senats keine Einschränkungen (mehr) nachgewiesen, die eine MdE in rentenberechtigenden Grad rechtfertigen könnten. Denn der Kläger ist mit den beschriebenen Befunden deutlich besser gestellt als die Beeinträchtigungen, für die in der Rentenliteratur die geltend gemachte MdE um 20 v.H. vorgeschlagen wird. So wird eine MdE um 20 v.H. etwa für einen Fersenbeinbruch mit deutlicher Abflachung des Tubergelenkwinkels, einer mittelgradigen Arthrose und schmerzhafter Wackelsteife des unteren Sprunggelenkes, einer Fehlstellung des Rückfußes im Varus- oder Valgussinn und noch ausreichender Beweglichkeit im oberen Sprunggelenk und in der Fußwurzel angenommen (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. S. 678f.). Entsprechend wird die Versteifung des oberen Sprunggelenkes im Winkel von 90-100 Grad zum Unterschenkel bewertet. Eine Versteifung des oberen und unteren Sprunggelenkes soll dagegen bereits eine MdE um 25 v.H. rechtfertigen (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O.). Im Gegensatz zu den beschriebenen Vergleichswerten beurteilt der Senat den Unfallfolgezustand beim Kläger funktionell als deutlich besser. Bewegungseinschränkungen im Sinne von anhaltenden Funktionseinschränkungen sind in dem Gutachten weder für das Sprunggelenk noch für das Kniegelenk festgestellt worden. Mit der beschriebenen Muskelminderung liegt im Seitenvergleich auch nur eine geringfügige Minderung vor. Der MdE-Einschätzung von Prof. Dr. U. im Ersten Rentengutachten kann unter Berücksichtigung der in der Rentenliteratur genannten Vergleichswerte daher nicht gefolgt werden. Soweit Prof. Dr. U. von einer höheren MdE über den 17.04.2007 hinaus ausgeht, fehlt es an einer den Senat überzeugenden Begründung, zumal er entgegen seiner Ausführungen im Gutachten auf Anfrage des SG (ergänzende Stellungnahme vom 17.08.2008) in die MdE-Bewertung neben einliegendem Osteosynthesematerial und subjektiven Beschwerden eine nicht konsolidierte Unterschenkelfraktur eingestellt hat, welche so zum Zeitpunkt der Begutachtung nicht vorgelegen hat ("Die Röntgenaufnahmen zeigen die Fraktur links mit einem UTN-Nagel in anatomischer Stellung knöchern fast voll durchbaut. Keine Lockerungszeichen, kein Lysesaum, keine posttraumatische Arthrose."). Zudem behauptet er lediglich pauschal und ohne auf näher bezeichnete Nachweise einzugehen, die MdE-Bewertung sei für die von ihm angegebenen Zeiträume angemessen und üblich. Dies ist angesichts der Vergleichswerte in der Rentenliteratur weder nachvollziehbar noch schlüssig.

Eine andere Beurteilung folgt auch nicht wegen der geltend gemachten Schmerzen. Besondere, über das nach dem Unfall zu erwartende Maß hinausgehende Schmerzen lassen sich dem Ersten Rentengutachten nicht entnehmen. Zum damaligen Zeitpunkt sind - unabhängig von der Ursache der Schmerzen (es waren weder die von PD Dr. S. beschriebene Osteochondrosis dissecans-Erkrankung, noch die von Prof. Dr. U. angegebene Osteophytenbildung an der ventralen Tibiakante [Röntgenuntersuchung vom 13.07.2009] diagnostiziert worden) - die von Prof. Dr. U. im Ersten Rentengutachten beschriebenen Einschränkungen einschließlich der geklagten Beschwerden und Schmerzen schon nicht geeignet gewesen, die MdE in rentenberechtigenden Grad über den Untersuchungszeitpunkt hinaus zu begründen. Denn mit den von Prof. Dr. U. berücksichtigten (und auch von der Beklagten gewürdigten) Schmerzen mag zwar eine Beeinträchtigung der Belastbarkeit des Beines einhergehen, diese war aber nicht vergleichbar mit einer andauernden schmerzhaften Wackelsteife des unteren Sprunggelenkes im Rahmen des oben angegebenen Fersenbeinbruches, welche neben der funktionellen Einschränkung der Gelenkfunktion auch eine andauernde, sozusagen bei jedem Schritt bedingende Schmerzhaftigkeit verursacht. Im Unterschied hierzu ist der Kläger durch den Unfallfolgezustand funktionell nicht wesentlich beeinträchtigt, was der Senat schon der im Gutachten enthaltenen Schilderung des Befundes entnimmt. Dort war das Gangbild in Halbschuhen (eine Versorgung mit orthopädischen Schuhen ist nicht erforderlich) als flüssig und harmonisch beschrieben worden, eine Kehrtwendung war unproblematisch möglich und die Standprüfungen - bis auf den Fersenstand links - uneingeschränkt ausführbar, was bei den zum Vergleich genannten Einschränkungen rentenberechtigender Art nicht der Fall ist. Ein außergewöhnliches Schmerzsyndrom wird weder in den vorliegenden Gutachten beschrieben noch ist eine solche Schmerzbehandlung ersichtlich. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass auch Prof. Dr. U. eine MdE in rentenberechtigenden Grad nur für einen begrenzten Zeitraum vorgeschlagen hat (bis 17.04.2008).

Eine wesentliche Verschlimmerung des Befundes lässt sich weder den vorliegenden Befunden noch dem Gutachten von PD Dr. S. (zwei Jahre später) entnehmen. Auch bei dieser Untersuchung war ein flüssiges Gangbild bei unproblematisch möglichen Umwendbewegungen beschrieben worden. Im Gegensatz zur Voruntersuchung fiel nun eine geringe Innendrehung des linken Fußes auf; die Standprüfungen waren jedoch allesamt unauffällig durchführbar. Aufgrund der weiterhin nachweisbaren Muskelminderung am linken Bein und des festgestellten geringen Rotationsfehlers hielt PD Dr. S. eine MdE um 15 v.H. für angemessen und bestätigte damit, dass der Unfallfolgezustand eine Rente in rentenberechtigenden Grad nicht rechtfertigt. Die darüber hinaus diagnostizierte Osteochondrosis dissecans-Erkrankung des oberen linken Sprunggelenkes an der lateralen Talusschulter ist Ausdruck einer lokalen Knochenstoffwechselerkrankung des Sprungbeines links und damit unfallunabhängig, was neben dem gehörten Sachverständigen PD Dr. S. auch Prof Dr. U. und Dr. H. in ihrer sachverständigen Zeugenaussage vom 15.05.2010 bestätigt haben. PD Dr. S. vermochte insoweit auch überzeugend darzulegen, dass die vom Kläger zum Zeitpunkt der gutachterlichen Untersuchung geklagten Beschwerden zum ganz überwiegenden Teil auf den Folgen dieser Erkrankung beruhen. Die von Prof. Dr. U. und Dr. Helber beschriebene Osteophytenbildung an der ventralen distalen Tibiakante war auf den Röntgenbildern vom 23.01.2008 noch nicht zu erkennen und trotz Kernspintomographie im Mai 2008 und Sprunggelenksarthroskopie im August 2008 erstmals im Juli 2009 diagnostiziert worden. Eine wesentliche Verursachung der Schmerzen hierdurch und bereits zum Zeitpunkt der Begutachtung bei PD Dr. S. bzw. der Diagnosestellung der Osteochondrosis dissecans-Erkrankung im Mai 2008 vermag der Senat nicht nachzuvollziehen, zumal ein zweifelsfreier Unfallzusammenhang dieser Osteophyten auch von Prof. Dr. U. und Dr. H. nicht hergestellt wird. Hierzu führen die genannten Ärzte nämlich aus, dass es sich auch um eine altersentsprechende Degeneration handeln könne.

Schließlich sind die Rippenfrakturen 2, 4 und 6 links folgenlos ausgeheilt und deshalb in die MdE-Bewertung nicht zusätzlich einzustellen.

Da der Kläger ab 17.04.2007 somit wegen der Unfallfolgen nicht in rentenberechtigenden Grade in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert ist (Anhaltspunkte für einen Stützrententatbestand [weiterer Versicherungsfall mit einer MdE um wenigstens 10 vH], der auch bei einer MdE um 10 vH zu einer Verletztenrente führen würde, liegen nicht vor), hat er auch keinen Anspruch auf Verletztenrente über den 17.04.2007 hinaus.

Der Senat weist die Berufung des Klägers deshalb zurück. Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved