L 3 SB 2077/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 5 SB 4079/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 2077/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 03. Mai 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 50.

Bei dem 1957 geborenen türkischen Kläger, der im Besitz einer unbefristeten Aufent-haltsberechtigung ist, wurde zuletzt mit Bescheid vom 12.08.2008 ein GdB von 30 festgestellt (koronare Herzkrankheit, Bluthochdruck Teil-GdB 20; degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Schulter-Arm-Syndrom Teil-GdB 10; Depression Teil-GdB 20).

Im Jahr 2009 zog sich der Kläger eine Rotatorenmanschettenruptur an der rechten Schulter zu, die am 11.11.2009 operativ behandelt wurde. Vom 20.05.2010 bis 24.06.2010 absolvierte er deshalb ein Heilverfahren in der Rehabilitationsklinik H., Baden-Baden.

Am 22.07.2010 stellte der Kläger beim Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis den Antrag auf Erhöhung des GdB. Nach Beiziehung der medizinischen Unterlagen von den behandelnden Ärzten stellte dieses mit Bescheid vom 09.09.2010 den GdB mit 40 seit 22.07.2010 fest. Hierbei legte es folgende Funktionsbeeinträchtigung zugrunde:

1. Koronare Herzkrankheit, Bluthochdruck (Teil-GdB 20)

2. Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Schulter-Arm-Syndrom, Funktionsbehinderungen beider Schultergelenke (Teil-GdB 20)

3. Depression (Teil-GdB 20)

4. Funktionsbehinderung beider Kniegelenke (Teil-GdB 10)

Die weiter geltend gemachten Gesundheitsstörungen Fettstoffwechselstörung, Hyperthyreose, Prostatavergrößerung, Zustand nach Lungentuberkulose und operierter Leistenbruch bedingten jeweils keinen Teil-GdB von mindestens 10.

Hiergegen legte der Kläger am 03.10.2010 Widerspruch ein. Zur Begründung trug er vor, der Zustand nach Leistenoperation sei nicht ausreichend berücksichtigt worden. Hierzu legte er den Arztbrief des Krankenhauses S. vom 24.09.2001 über eine am 21.09.2001 durchgeführte Leistenoperation vor. Weiter ergebe sich aus der fachärztlichen Bescheinigung von Dr. T., Leitende Ärztin bei R. Heidelberg, vom 08.03.2010, dass er unter folgenden Funktionsstörungen leide: Schulterteilsteife rechts, Zustand nach Unfall mit RM-Ruptur rechts 22.08.2009, Zustand nach operativer RM-Rekonstruktion rechte Schulter am 11.11.2009, chronisches myoten-dinotisches Cervicalsyndrom, chronisches rezidivierendes Lumbalsyndrom, chronische rezidi-vierende Omalgien linke Schulter, Gonalgien beidseits, KHK, arterielle Hypertonie, Hyper-cholesterinämie, depressive Erkrankung. Schließlich sei dem Attest von Dr. E. vom 07.05.2010 zu entnehmen, dass er auch wegen einer Depression behandelt werde und Medikamente nehme.

Mit Widerspruchsbescheid vom 02.11.2010 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 16.11.2010 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben, ohne diese zu begründen. Das SG hat die behandelnden Ärzte des Klägers als sachverständige Zeugen gehört. Der Arzt für Orthopädie Dr. W. hat in der schriftlichen Zeugenaussage vom 20.12.2010 mitgeteilt, ein Impingement-Syndrom der linken Schulter habe sich unter konservativer Therapie rasch gebessert, auch rechts zeige sich jetzt ein zufriedenstellendes postoperatives Ergebnis, die anfängliche Schultersteife habe sich gut gemacht. Die rechte Schulter sei bei der letzten Untersuchung am 19.11.2010 etwa um ein Drittel bewe¬gungseingeschränkt gewesen mit folgenden Maßen: Anheben/Rückführen 120°/0°/30°, Abspreizen/Anziehen 100°/0°/30°, Innen-/Aussendrehung 85°/0°/30°. Im Knie habe sich im Juli 2010 kein Entzündungszeichen gefunden. Druckschmerzen hätten nicht bestanden. Es bestehe ein Druckschmerz über dem Schienbeinkopf am Ansatz der Patellasehne, ansonsten sei das Kniegelenk unauffällig. Wegen Wirbelsäulenbeschwerden stehe der Kläger nicht in Behandlung. Die Funktionsbehinderung der Kniegelenke sei mit einem GdB von 10 ausreichend hoch bemessen. Für die Funktionsbehinderung der Schultern sei ein GdB von 10 bis maximal 20 angemessen.

Dr. P., Facharzt für Allgemeinmedizin, hat unter dem 22.12.2010 mitgeteilt, es bestehe ein Prostataadenom unter Dauermedikation mit kompensierter Blasenentleerungsstörung. Darüber hinaus bestünden eine arterielle Hypertonie, eine koronare Herzerkrankung, Hyper¬cholesterinämie sowie eine Depression. Über die vom Beklagten festgestellten Funktions¬beeinträchtigungen hinaus sei das Prostataadenom mit einem Teil-GdB von 10 zu berücksichtigen. Beigefügt war der Arztbrief des Kardiologen Dr. N. vom 14.07.2010, wonach bei einer Belastung bis 100 Watt keine Belastungskoronarinsuffizienz aufgetreten war. Die alltägliche und maximale Belastbarkeit sei bisher ohne Angina pectoris- oder Dyspnoe-Symptomatik geblieben, auch seien keine Tachykardien, kein Schwindel und keine Synkopen aufgetreten. Eine KHK habe angiographisch ausgeschlossen werden können. Dr. P. hat sodann einen weiteren von Dr. N. am 28.12.2010 verfassten Arztbrief vorgelegt, in welchem dieser mitteilt, der Kläger habe sich wegen thorakaler Schmerzen mit Zunahme unter Belastung erneut vorgestellt. Aufgrund der geklagten nitropositiven Beschwerden und bei klinisch positiver Ergometrie bestehe der Verdacht auf eine Progression der 2004 festgestellten Koronarsklerose mit der Empfehlung zur weiterführenden kardiologischen Invasivdiagnostik. Mit dem Kläger sei ein Termin zur Koronarangiographie vereinbart worden.

Der Urologe Dr. P. hat unter dem 30.12.2010 mitgeteilt, der Kläger sei zuletzt am 10.09.2009 untersucht worden und habe sich im Jahr 2010 lediglich ein Wiederholungsrezept ausstellen lassen.

Der Facharzt für Chirurgie, Phlebologie, Koloproktologie Dr. H. hat unter dem 07.01.2011 mitgeteilt, er habe den Kläger zuletzt am 11.05.2010 wegen Hämorrhoiden behandelt, im Moment sei der Kläger beschwerdefrei. Eine von Dr. C. durchgeführte Koloskopie habe keinen Befund ergeben.

Das SG hat daraufhin Dr. B. mit der Erstellung eines fachinternistischen Gutachtens beauftragt. Im Gutachten vom 14.03.2011 hat dieser folgende Diagnosen gestellt:

1. Arterielle Hypertonie, tablettenbehandelt, gut eingestellt ohne hypertensive Folgeschäden am Herz, dem arteriellen Gefäßsystem oder den Nieren. 2. Koronare Herzkrankheit ohne höhergradige Koronarstenosen, ausgeprägter Koronarspasmus, tablettenbehandelt, gut eingestellt ohne Ruhe- oder Belastungsischämie und ohne Störung der linksventrikulären Pumpfunktion. 3. Traumatische Rotatorenmanschettenruptur rechtes Schultergelenk 08/2009, operativ behandelt, leichte Funktionsstörung mit endgradig schmerzhafter Bewe¬gungseinschränkung, Impingementsyndrom linkes Schultergelenk, unter NSAR-Therapie erscheinungsfrei. 4. Pseudoradikuläres myotendinotisches Cervikal- und Lumbalsyndrom, mäßige degenerative Veränderungen, unter NSAR-Therapie erschei-nungsfrei. 5. Insertionstendinopathie der distalen Patellarsehne rechts mit radiologisch festgestellter Sehnenansatzverknöcherung. 6. Depression, mittelschwere und schwere, länger anhaltende Episoden, tablettenbehandelt, hierunter stabil gebessert. 7. Prostatahypertrophie, Harnentleerungsstörung, tablettenbehandelt, hierunter gebessert. 8. Hämorrhoiden, Hämorrhoidenblutung, in Resten vorhanden nach mehr-facher Sklerosierungsbehandlung, derzeit erscheinungsfrei. 9. Anamnestisch hyperthyreote Basedow-Struma, Antikörper (TRAK) negativ, tablettenbehandelt, hierunter erscheinungsfrei bei peripherer Euthyreose.

Den sich hieraus ergebenden GdB hat Dr. B. wie folgt bewertet:

Arterielle Hypertonie, koronare Herzkrankheit GdB 20 Rotatorenmanschettenruptur rechtes Schultergelenk nach OP, Impingementsyndrom linkes Schultergelenk, pseudoradikuläres

Cervikal- und Lumbalsyndrom, Schulter-Arm-Syndrom GdB 20

Depression, mittelschwere und schwere Episoden GdB 20

Die übrigen Erkrankungen bedingten keinen Teil-GdB von mindestens 10. Der Gesamt-GdB betrage 40.

Nachdem das SG die Beteiligten unter Einräumung einer Frist zur Stellungnahme bis zum 15.04.2011 darauf hingewiesen hatte, dass es beabsichtige, den Rechtsstreit gem. § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, hat sich der Kläger zunächst mit Schreiben vom 23.03.2011mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt, sodann mit Schriftsatz vom 28.04.2011 jedoch eine Begutachtung nach § 109 SGG beantragt. Mit Gerichtsbescheid vom 03.05.2011 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es sich die Ausführungen des Sachverständigen Dr. B. im Gutachten vom 14.03.2011 zu eigen gemacht. Dem Antrag auf Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG sei nicht stattzugeben, da dieser aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden sei und die Stattgabe zu einer Verzögerung des Verfahrens führen würde.

Gegen den am 05.05.2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 19.05.2011 Berufung eingelegt, ohne diese zu begründen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 03. Mai 2011 aufzuheben und den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 09. September 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02. November 2010 zu verurteilen, den bei ihm bestehenden Grad der Behinderung mit mindestens 50 ab dem 22. Juli 2010 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet.

1. Das SG hat im angefochtenen Gerichtsbescheid den Antrag auf Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG zutreffend wegen Verspätung abgelehnt. Ein Anlass zu weiterer Aufklärung des Sachverhalts, insbesondere zur Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG, besteht nicht, da der Kläger im Berufungsverfahren keinen entsprechenden Antrag mehr gestellt hat. Denn ein vom SG abgelehnter Antrag, der vor dem LSG erneut gestellt werden soll, muss dort wiederholt werden (vgl. Hk-SGG/Roller, § 109 Rn. 2).

2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB von mindestens 50. Der vom Beklagten festgestellte GdB von 40 ist ausreichend und angemessen. Wegen der rechtlichen Voraussetzungen der zu treffenden Entscheidung, der bei der Feststellung des GdB anzuwendenden Maßstäbe sowie der danach für die von den Gesundheitsstörungen des Klägers ausgehenden Funktionsbeeinträchtigungen anzusetzenden Einzel-GdB verweist der Senat gem. § 53 Abs. 2 SGG auf die ausführlichen und zutreffenden Ausführungen des SG im angefochtenen Gerichtsbescheid. Weder im Klageverfahren noch im Berufungsverfahren hat der anwaltlich vertretene Kläger mitgeteilt, aus welchen Gründen er die angefochtene Entscheidung für unzutreffend hält.

Ergänzend ist lediglich auszuführen, dass der von Dr. N. im Arztbrief vom 28.12.2010 gestellte Verdacht auf Progression einer Koronarsklerose aufgrund der gutachterlichen Untersuchung durch Dr. B. nicht bestätigt werden konnte. Das Ruhe-EKG ergab einen alters-entsprechenden Normalbefund, das Belastungs-EKG zeigte eine unauffällige Belastungsreaktion bei altersentsprechend mäßiger ergometrischer Belastbarkeit bis zu 100 Watt-Stufe infolge Trainingsmangels ohne Hinweis auf eine ruhe- oder belastungskoronare Insuffizienz oder auf eine hypertensive Entgleisung, auch traten keine Rhythmusstörungen auf. Die Echokardiographie ergab keine segmentale oder globale Kontraktivitätsstörungen, keine hypertensiven Folgeschäden, keine diastolische Funktionsstörung, keine Linksherzhypertrophie und keine degenerativen Klappenveränderungen bei normaler Größe aller vier Herzhöhlen und einwandfreiem Kontraktionsverhalten beider Ventrikel, sondern lediglich eine belanglose Mitralklappeninsuffizienz ersten Grades. Dies rechtfertigt keinen höheren Teil-GdB als 20. Denn nach Teil B 9.1.1 Nr. 2 der als Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung erlassenen Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VM) ist ein GdB von 20 - 40 erst bei einer Leistungsbeeinträchtigung bei mittelschwerer Belastung, bei Beschwerden und Auftreten pathologischer Messdaten bei Ergometerbelastung mit 75 Watt gerechtfertigt.

Die Funktionsbeeinträchtigungen des Klägers auf orthopädischem Gebiet sind mit einem Teil-GdB von 20 gleichfalls zutreffend bewertet, nachdem der behandelnde Orthopäde Dr. W. im Dezember 2010 mitgeteilt hat, eine Behandlung wegen Wirbelsäulenbeschwerden finde nicht statt, ein Impingement-Syndrom der linken Schulter habe sich rasch gebessert, auch bezüglich der rechten Schulter bestehe nach anfänglicher Schultersteife ein zufriedenstellendes postoperatives Ergebnis. Gem. Teil B 18.13 VG ist eine Bewegungseinschränkung des Schultergelenks bei einer Armhebung nur bis zu 120° mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit mit einem GdB von 10, bei einer Armhebung nur bis zu 90° mit einem GdB von 20 zu bewerten. Nach den von Dr. W. mitgeteilten Messdaten, wonach der Kläger den rechten Arm noch bis 120° heben konnte, sowie nach den im Reha-Bericht der Klinik H. mitgeteilten Bewegungsmaße (Schulterelevation rechts 140°, links 160°), ist ein Teil-GdB von 20 allenfalls dadurch gerechtfertigt, dass auch am linken Arm geringfügigere Beeinträchtigungen bestanden haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved