Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 12 AS 3365/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AS 3896/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 19. Juli 2011 wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung von Bewilligungen und gegen die Erstattung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Der Kläger beantragte erstmals am 04.05.2005 bei dem beklagten Landkreis, einem zugelassenen kommunalen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende (im Folgenden: Beklagter), Arbeitslosengeld (Alg) II. Er ist 1965 geboren und wohnt im Haushalt seiner Mutter, Wohnkosten fallen nicht an. In dem Antrag gab er unter anderem an, er verfüge - nur - über ein Sparbuch mit einem Guthaben von EUR 980,00, auf das im letzten Jahr Zinsen von EUR 45,00 angefallen seien. Der Beklagte bewilligte - nachdem die beantragten Leistungen zwischenzeitlich wegen fehlender Mitwirkung versagt worden waren - mit Bescheid vom 08.09.2005 für August 2005 EUR 129,00 und für September 2005 bis Januar 2006 EUR 276,00 monatlich (80 % der Regelleistung, wohl nach § 20 Abs. 3 Satz 2 SGB II a.F.). Auf Fortzahlungsanträge hin, in denen der Kläger weiterhin keine anderen Vermögenswerte angab, bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 02.01.2006 wiederum monatlich EUR 276,00 für Februar bis Juli 2006 und mit Bescheid vom 10.10.2006 EUR 175,00 für September 2006 (wegen verspäteter Antragstellung) und EUR 276,00 monatlich für Oktober 2006 bis Februar 2007. Diese Leistungen wurden ausbezahlt, im Februar 2007 jedoch anscheinend nur EUR 109,00 (insgesamt EUR 4.553,00). Ferner entrichtete der Beklagte für den Kläger Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung von anfangs EUR 117,07 und zuletzt EUR 111,57 im Monat und zur sozialen Pflegeversicherung von durchgängig EUR 15,08 im Monat (insgesamt EUR 2.089,04). Ab November 2006 absolvierte der Kläger Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigungen, hierfür gewährte ihm der Beklagte im November 2006 EUR 84,00, im Dezember 2006 EUR 96,50 und im Januar 2007 EUR 97,50 (zusammen EUR 278,00). Letztlich zahlte der Beklagte im Januar 2005 EUR 50,00 "Regiekosten" für die Durchführung der Arbeitsgelegenheit an den Maßnahmeträger aus.
Durch einen automatisierten Datenabgleich mit dem Bundeszentralamt für Steuern erfuhr der Beklagte, dass der Kläger bei der Cortal Consors S.A., Zweigniederlassung Deutschland (im Folgenden: Bank), Freistellungsaufträge über EUR 674,00 jährlich erteilt hatte. Auf das Anhörungsschreiben vom 03.01.2007 hin teilte er dem Beklagten mit, er habe vor Jahren sicherheitshalber bei verschiedenen Instituten Freistellungsaufträge erteilt, könne aber nicht mehr sagen, was daraus geworden sei. Auf Nachfrage des Beklagten teilte die Bank unter dem 21.02.2007 unter Vorlage zahlreicher Unterlagen mit, der Kläger unterhalte bei ihr ein Wertpapierdepot (Gesamtwerte EUR 75.315,88 Ende 2004, EUR 78.285,64 Ende 2005 und EUR 82.126,36 Ende 2006) sowie ein (Kredit)konto (Sollstände 26.840,92 Ende 2004, EUR 26.826,85 Ende 2005 und EUR 26.020,19 Ende 2006). Ferner teilte die Bank die auf das Depot entfallenen Zins- und Dividendeneinnahmen seit 2005 und die Bewegungen auf dem Kreditkonto mit. Für ihre Auskunft berechnete die Bank dem Beklagten EUR 12,50.
Auf ein weiteres Anhörungsschreiben vom 08.03.2007 hin gab der Kläger am 15.03.2007 an, das ihm zugerechnete Vermögen stehe ihm nur theoretisch zur Verfügung. Es habe ursprünglich eine Altersvorsorge darstellen sollen. Er habe bei dem Kauf der Aktien Schulden gemacht. Der Depot-Inhalt sei deshalb an die Bank verpfändet. Er habe in den letzten Jahren jeden Gedanken an dieses Investment verdrängt, möglicherweise sei dies ein Ausweis für eine zeitweilig eingeschränkte Zurechnungsfähigkeit.
Mit Bescheid vom 10.04.2007 hob der Beklagte die Leistungsbewilligungen für die Zeit vom 18.08.2005 bis zum 28.02.2007 vollständig auf und forderte EUR 6.972,54 von dem Kläger zurück. Der Kläger sei nicht bedürftig gewesen. Er habe die Hilfegewährung vorsätzlich oder grob fahrlässig durch unrichtige Angaben bewirkt.
Im Widerspruchsverfahren legte der Kläger den "Kreditvertrag mit Verpfändungsvereinbarung" vom 16.05.2001 zwischen ihm und der Bank vor. Daraus ergab sich, dass die Bank dem Kläger einen "Wertpapierkredit" von EUR 30.000,00 für Zinsen von eff. 6,08 % p.a. eingeräumt hatte. Als Sicherheit hatte der Kläger der Bank sein - gesamtes - Depot verpfändet, wobei der Beleihungswert nach der Art der jeweils vorhandenen Wertpapiere zwischen - grundsätzlich - 50 % und 80 % gestaffelt war. Ferner war vereinbart, dass Wertpapierverkäufe automatisch zu einer Rückführung der Inanspruchnahme (der Kreditlinie) führen sollten.
Der Beklagte erließ den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 10.06.2009. Er führte aus, der Kläger habe bei allen Anträgen durch Verschweigen des Wertpapierdepots über seine Hilfebedürftigkeit getäuscht. Er sei nicht hilfebedürftig gewesen. Er habe über Wertpapiere und ein Sparkonto mit Gesamtwerten von EUR 102.156,80 Ende 2004, EUR 105.112,49 Ende 2005 und EUR 104.305,83 Ende 2006 verfügt. Das Vermögen sei kein geschütztes Altersvorsorgevermögen gewesen. Der Grundfreibetrag des Klägers habe EUR 8.000,00 im Jahre 2005, EUR 8.200,00 vom 01.01. bis 31.07.2006 und - nach einer Gesetzesänderung - EUR 6.150,00 ab dem 01.08.2006 betragen; hinzu sei jeweils der weitere Freibetrag von EUR 750,00 gekommen. Das Vermögen des Klägers habe diese Freibeträge weit überstiegen. Dem Kläger seien gewährt worden: Alg II in Höhe von EUR 4.553,00, Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung von EUR 2.089,04 sowie Mehraufwandsentschädigungen für die Arbeitsgelegenheiten von EUR 328,00 (eingeschlossen die "Regiekosten" von EUR 50,00). Es seien daher insgesamt EUR 6.970,04 zu Unrecht gewährt worden. Jedoch seien in dem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid zu Unrecht nur EUR 6.960,04 geltend gemacht worden, aus Vertrauensschutzgründen verbleibe es dabei. Ferner verlange der Beklagte von dem Kläger die Erstattung der EUR 12,50 für die Auskunft der Bank. Der Erstattungsbetrag betrage daher insgesamt EUR 6.972,54.
Der Kläger hat am 09.07.2009 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Er hat vorgetragen, der Beklagte habe übersehen, dass das Konto bei der Bank ein Darlehenskonto sei und die vom Beklagten als Vermögenswerte eingestuften Beträge von um die EUR 26.000,00 tatsächlich Schulden gewesen seien. Ferner sei das Depot zur Sicherung dieses Darlehens verpfändet gewesen. Auch sei die Verwertung der Wertpapiere unwirtschaftlich, da es sich um Altersvorsorge handle und die gegenwärtigen Aktienkurse schlecht seien. Letztlich könne die Mehraufwandsentschädigung nicht zurückgefordert werden, da er für sie gearbeitet habe.
Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat daran festgehalten, dass auch die Beträge auf dem Kreditkonto des Klägers Vermögen seien.
In der mündlichen Verhandlung vom 19.07.2011 gab der Beklagte ein Teilanerkenntnis des Inhalts ab, dass der Kläger die Mehraufwandsentschädigung und die Kosten der Bankauskunft nicht erstatten müsse und der angegriffene Bescheid insoweit geändert werde. Der Kläger, der nicht erschienen war, hat das Teilanerkenntnis nicht angenommen.
Mit Urteil vom 19.07.2011 hat das SG gemäß dem Teilanerkenntnis des Beklagten den Bescheid vom 10.04.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.06.2009 insoweit abgeändert, dass die Bewilligung der Mehraufwandsentschädigungen nicht aufgehoben wird, der Kläger keine EUR 12,50 als Kosten des Verwaltungsverfahrens erstatten muss und daher der Erstattungsbetrag nur EUR 6.632,04 beträgt; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Das SG hat ausgeführt, der Kläger sei im Leistungszeitraum nicht hilfebedürftig im Sinne von §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 9 Abs. 1 SGB II gewesen. Er habe Vermögen im Sinne des § 12 Abs. 1 SGB II in Höhe von EUR 75.000,00 bis EUR 82.000,00 besessen. Zwar habe der Kläger parallel das Wertpapierdarlehen, wie sich aus dem Kreditkonto ergebe, in Höhe von EUR 26.000,00 bis EUR 27.000,00 nahezu ausgeschöpft. Jedoch hätten Veräußerungsgewinne aus dem Depot automatisch zu einer Verringerung des in Anspruch genommenen Darlehens geführt. Bei einer - jederzeit möglichen - vollständigen Ablösung des Darlehens wäre das Pfandrecht der Bank am Depot daher erloschen. Auch der nach einer Darlehensablösung noch verbleibende Wert des Depots von jederzeit mindestens EUR 48.000,00 habe die Freibeträge des Klägers, die der Beklagte zutreffend errechnet habe, weit überstiegen. Als Altersvorsorgevermögen nach § 12 Abs. 3 Nr. 3 SGB II a.F. sei das Vermögen nicht geschützt gewesen, da der Kläger nicht von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit gewesen sei. Eine Verwertung des Depots hätte auch keine besondere Härte im Sinne von § 12 Abs. 3 Nr. 6 SGB II dargestellt. Eine Verwertung wäre insbesondere nicht unwirtschaftlich gewesen. Zwar weise der Kläger auf eine schlechte Kursentwicklung hin. Aus dem positiven Verlauf des Depotwerts während dreier Jahre ergäben sich jedoch keine Anhaltspunkte für seine Darstellung. Die weiteren Voraussetzungen für eine Rücknahme der Bewilligungsentscheidungen nach § 45 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) lägen vor. Der Kläger habe in seinen Anträgen mehrfach falsche Angaben gemacht, nämlich die ausdrückliche Frage nach dem Besitz von Wertpapieren verneint. Angesichts der Behauptung des Klägers, er habe den Überblick verloren, sei zumindest von grober Fahrlässigkeit auszugehen (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X). Nach der Aufhebung der Bewilligungsentscheidung habe der Kläger die zu Unrecht gewährten Leistungen nach § 50 Abs. 1 SGB X zu erstatten. Dass der Beklagte EUR 10,00 zu wenig zurückfordere, stelle keine Rechtsverletzung des Klägers dar. Die Pflicht zur Erstattung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung folge aus § 40 Abs. 1 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 335 Abs. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III).
Gegen dieses Urteil, das ihm am 05.08.2011 zugestellt worden ist, hat der Kläger am 02.09.2011 bei dem SG Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Er trägt vor, der Beklagte hätte seinen - des Klägers - Finanzstatus schon viel früher abfragen können, dann wäre es nicht zu einer Überzahlung gekommen. Er habe in den Anträgen nicht absichtlich falsche Angaben gemacht, sondern geglaubt, alle Fragen richtig beantwortet zu haben. Er habe in der Folgezeit den Depotstand nicht überprüft, weil ihn die ständig fallenden Werte geärgert hätten. Weitere Ausführungen macht der Kläger zu der Arbeit, die er im Rahmen der Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung geleistet habe.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 19. Juli 2007 abzuändern und den Bescheid des Beklagten vom 10. April 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Juni 2007 insgesamt aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt die angegriffene Entscheidung.
Der Senat hat unter dem 06.10.2011 Hinweise zur Rechtslage gegeben, mitgeteilt, er erwäge, durch Beschluss ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter zu entscheiden, und Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 31.10.2011 gegeben. Der Kläger hat mit e-mails vom 29.10.2011 und 02.11.2011 (beide gerichtet an das Sozialgericht Stuttgart) weitere Ausführungen gemacht.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die Akten der Beklagten und auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge verwiesen.
II.
1. Der Senat konnte über die Berufung nach § 153 Abs. 4 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheiden. Er hält die Berufung einstimmig für unbegründet. Der Rechtsstreit weist nach seiner Einschätzung auch keine besonderen Schwierigkeiten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht auf, die mit den Beteiligten in mündlicher Verhandlung erörtert werden müssten. Die Beteiligten sind zu dieser Verfahrensweise gehört worden.
2. Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet. Zu Recht hat das SG durch das Urteil (Teilanerkenntnis- und Schlussurteil) vom 19.07.2011 die Klage weitgehend abgewiesen. Der angegriffene Bescheid ist in der Fassung des Teilanerkenntnisses des Beklagten vom 19.07.2011 rechtmäßig. Der Kläger war im Leistungszeitraum nicht hilfebedürftig und daher nicht leistungsberechtigt nach dem SGB II. Die Voraussetzungen für eine rückwirkende Rücknahme der Bewilligungsbescheide nach § 45 Abs. 1, Abs. 2 SGB X waren gegeben. Zur Begründung verweist der Senat insoweit auf die zutreffenden Ausführungen des SG (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend und im Hinblick auf die Ausführungen des Klägers im Berufungsverfahren ist lediglich auszuführen:
a) Das Wertpapiervermögen des Klägers war auch nicht nach § 12 Abs. 2 Nr. 2 oder 3 SGB II a.F. von einer Verwertung ausgeschlossen. Es handelte sich nicht um ein nach Bundesrecht gefördertes Altersvorsorgevermögen ("Riester-" oder "Rürup-Rente" oder dgl.). Und es bestand kein zivilrechtlicher Verwertungsausschluss mit der Bank. Das Pfandrecht der Bank an den in den Wertpapieren verbrieften Forderungen (§ 1273 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]) des Klägers wäre mit einer vollständigen Tilgung des Darlehens erloschen (§§ 1273 Abs. 2, 1252 BGB) und kann daher nicht einem dauerhaft wirkenden Verwertungsausschluss (vgl. hierzu § 168 Abs. 3 Versicherungsvertragsgesetz [VVG] n.F.) gleichgestellt werden.
Das Vermögen war verwertbar. Der Kläger konnte trotz der Verpfändung über die Wertpapiere verfügen. Dies folgt bereits aus der Formulierung "Wertpapierverkäufe aus Ihrem Depot führen automatisch zu einer Rückführung der maximal möglichen Inanspruchnahme" im Vorspruch zu dem Vertrag vom 16.05.2001. Dass diese Klausel auch während des Kreditvertrags Verfügungen durch den Kläger zuließ, zeigt sich schon daran, dass es nach den von der Bank vorgelegten Kontoauszügen solche Verfügungen gegeben hat. So wurden z. B. am 16.12.2005 SAP-Aktien für EUR 3.301,20 veräußert. Hierbei kann es sich nicht um eine Veräußerung durch die Bank gehandelt haben, dann dazu wäre die Bank nur nach einer (Teil-)kündigung des Kredits berechtigt gewesen (Nrn. 1.3, 2.5 Abs. 2 des Vertrags). Und selbst wenn sich diese Klausel nur auf Verkäufe durch die Bank beziehen sollte, so stand dem Kläger die Möglichkeit offen, das Wertpapierdarlehen zu kündigen, ggfs. ordentlich mit dreimonatiger Frist (§ 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB, vgl. Nr. 1.4 des Vertrags). Wenn der Kläger dann die Valuta nicht hätte zurückzahlen können, hätte die Bank nach Nr. 2.5 Abs. 2 des Vertrags das Wertpapierdepot verwertet, den Kredit selbst zurückgeführt und sodann - nach dem damit verbundenen Erlöschen des Pfandrechts - die verbliebenen Wertpapiere nach Nr. 2.6 lit. a Satz 1 des Vertrags an den Kläger herausgegeben. Nachdem der Wert der Papiere durchgängig um mindestens EUR 48.000,00 über dem in Anspruch genommenen Kredit lag, hätte der Kläger hieraus in jedem Falle ein freies Vermögen erlöst, das immer noch weit über den Vermögensfreibeträgen des § 12 Abs. 3 SGB II a.F. gelegen hätte.
Dass eine Verwertung auf diese Weise unwirtschaftlich im Sinne von § 12 Abs. 3 Nr. 6 SGB II gewesen wäre, vermag der Senat nicht zu erkennen. Es ist zwar nicht bekannt, zu welchen Preisen der Kläger die Wertpapiere dereinst gekauft hat. Zum einen kommt es darauf jedoch nicht an. Unwirtschaftlich ist eine Verwertung nur dann, wenn der tatsächliche Wert eines Vermögensgegenstandes ("Substanzwert") erheblich über dem zurzeit zu erzielenden Erlös liegt (vgl. Mecke, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, Rn. 84 m.w.N.). Eine solche Differenz kann z. B. bei kapitalbildenden Lebensversicherungen vorliegen, aus denen bei einer vorzeitigen Auflösung u.U. nur der so genannte Rückkaufswert erzielt werden kann, wenn man nämlich davon ausgeht, dass eine solche Versicherung einen davon zu unterscheidenden "wirklichen" Wert hat, der sich z. B. aus den bisher gezahlten Prämien ergibt. In ähnlicher Weise kann bei Grundstücken eine Differenz zwischen Verkehrs- und Sachwert entstehen. Bei börsengehandelten Wertpapieren gibt es einen solchen Unterschied nicht. Ihr Wert kann grundsätzlich durch nichts anderes als den Kurswert wiedergegeben werden. Wenn überhaupt, ist wäre ein davon abweichender "wirklicher" Wert der Nennwert, der allerdings regelmäßig erheblich unter dem Kurswert liegt. Diese Beurteilung solcher Wertpapiere beruht darauf, dass sie bereits bei Erwerb mit einem erheblichen Kursrisiko belastet sind, dass der Erwerber bewusst in Kauf nimmt. Dieses Risiko eines Kursverlusts (hier: zwischen Erwerb und Antragstellung nach dem SGB II) kann nicht der Grundsicherung für Arbeitsuchende überbürdet werden (so auch Radüge, in: Juris Praxiskommentar [jurisPK], SGB II, Stand 15.08.2011, Rn. 157; Sauer, Grundsicherung für Arbeitsuchende, 2011, § 12 Rn. 86). Solange daher der Kurswert von Aktien (ggfs. abzüglich der Kosten der Veräußerung) über den Freibeträgen liegt, ist die Verwertung wirtschaftlich. Zum anderen ergibt sich aus den von der Bank vorgelegten Kontoauszügen, darin ist dem SG beizupflichten, während der drei Jahre 2005 bis 2007 ein zwar langsamer, aber stetiger Anstieg des Depotwerts trotz der zwischenzeitlichen Veräußerung von Aktien. Etwaige Verluste des Klägers seit Erwerb wären damit zumindest teilweise wieder ausgeglichen.
b) Vor diesem Hintergrund kann offen bleiben, ob der Kläger während des Leistungsbezugs nicht schon wegen ausreichenden Einkommens, nämlich der regelmäßigen Zinsen- und Dividendenzahlungen aus den Wertpapieren (§ 11 Abs. 1 SGB II), nicht bedürftig war.
c) Auch der Senat geht davon aus, dass der Kläger die Existenz seines Wertpapierdepots bei den jeweiligen Antragstellungen zumindest grob fahrlässig (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X) verschwiegen hat. Seine Aussage, er habe die Anlage "aus den Augen verloren" bzw. "verdrängt", schließt zwar möglicherweise Vorsatz aus, aber nicht grobe Fahrlässigkeit. Es wäre im Sinne grober Fahrlässigkeit leichtfertig, als Antragsteller nach dem SGB II ein Wertpapierdepot mit Anlagewerten von etwa EUR 80.000,00 zu vergessen. Außerdem trifft der Vortrag des Klägers nicht zu. Aus den Unterlagen der Bank ergibt sich nicht nur, dass es im Leistungszeitraum Verfügungen über Wertpapiere und Einzahlungen bzw. Überweisungen auf das Kreditkonto (z. B. EUR 3.000,00 am 31.08.2005 und EUR 500,00 am 02.01.2006) gegeben hat, sondern auch, dass die Kontoauszüge und Jahresabschlussrechnungen regelmäßig per Post an den Kläger geschickt wurden. Der Kläger war daher durchgängig über die Fortexistenz von Depot und Konto unterrichtet.
d) Der Beklagte fordert zu Recht (§ 40 Abs. 1 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 335 Abs. 1 Satz 1 SGB III) die für den Kläger entrichteten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge zurück. Diese Erstattungspflicht des Begünstigten selbst ist nach § 335 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 SGB II nur dann ausgeschlossen, wenn für die selbe Zeit ein anderes Kranken- und Pflegeversicherungsverhältnis bestanden hätte, das mit einer Beitragspflicht verbunden war (§ 335 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGB III). Ein solches weiteres Versicherungspflichtverhältnis ist nicht ersichtlich. Insbesondere war der Kläger während des Leistungszeitraums nicht abhängig beschäftigt.
e) Die weiteren Ausführungen des Klägers zu der Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung haben, worauf der Senat bereits unter dem 06.10.2011 hingewiesen hatte, keinen erkennbaren Bezug zum Streitgegenstand. Die Mehraufwandsentschädigung ist dem Kläger nach dem Teilanerkenntnis des Beklagten vor dem SG verblieben. Das Alg II selbst ist keine "Gegenleistung" für die Arbeit, der der Kläger erbracht hat. Es kann keine Entlohnung sein, weil es auch ohne die Arbeitsgelegenheit gewährt worden wäre.
3. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.
4. Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich.
2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung von Bewilligungen und gegen die Erstattung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Der Kläger beantragte erstmals am 04.05.2005 bei dem beklagten Landkreis, einem zugelassenen kommunalen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende (im Folgenden: Beklagter), Arbeitslosengeld (Alg) II. Er ist 1965 geboren und wohnt im Haushalt seiner Mutter, Wohnkosten fallen nicht an. In dem Antrag gab er unter anderem an, er verfüge - nur - über ein Sparbuch mit einem Guthaben von EUR 980,00, auf das im letzten Jahr Zinsen von EUR 45,00 angefallen seien. Der Beklagte bewilligte - nachdem die beantragten Leistungen zwischenzeitlich wegen fehlender Mitwirkung versagt worden waren - mit Bescheid vom 08.09.2005 für August 2005 EUR 129,00 und für September 2005 bis Januar 2006 EUR 276,00 monatlich (80 % der Regelleistung, wohl nach § 20 Abs. 3 Satz 2 SGB II a.F.). Auf Fortzahlungsanträge hin, in denen der Kläger weiterhin keine anderen Vermögenswerte angab, bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 02.01.2006 wiederum monatlich EUR 276,00 für Februar bis Juli 2006 und mit Bescheid vom 10.10.2006 EUR 175,00 für September 2006 (wegen verspäteter Antragstellung) und EUR 276,00 monatlich für Oktober 2006 bis Februar 2007. Diese Leistungen wurden ausbezahlt, im Februar 2007 jedoch anscheinend nur EUR 109,00 (insgesamt EUR 4.553,00). Ferner entrichtete der Beklagte für den Kläger Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung von anfangs EUR 117,07 und zuletzt EUR 111,57 im Monat und zur sozialen Pflegeversicherung von durchgängig EUR 15,08 im Monat (insgesamt EUR 2.089,04). Ab November 2006 absolvierte der Kläger Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigungen, hierfür gewährte ihm der Beklagte im November 2006 EUR 84,00, im Dezember 2006 EUR 96,50 und im Januar 2007 EUR 97,50 (zusammen EUR 278,00). Letztlich zahlte der Beklagte im Januar 2005 EUR 50,00 "Regiekosten" für die Durchführung der Arbeitsgelegenheit an den Maßnahmeträger aus.
Durch einen automatisierten Datenabgleich mit dem Bundeszentralamt für Steuern erfuhr der Beklagte, dass der Kläger bei der Cortal Consors S.A., Zweigniederlassung Deutschland (im Folgenden: Bank), Freistellungsaufträge über EUR 674,00 jährlich erteilt hatte. Auf das Anhörungsschreiben vom 03.01.2007 hin teilte er dem Beklagten mit, er habe vor Jahren sicherheitshalber bei verschiedenen Instituten Freistellungsaufträge erteilt, könne aber nicht mehr sagen, was daraus geworden sei. Auf Nachfrage des Beklagten teilte die Bank unter dem 21.02.2007 unter Vorlage zahlreicher Unterlagen mit, der Kläger unterhalte bei ihr ein Wertpapierdepot (Gesamtwerte EUR 75.315,88 Ende 2004, EUR 78.285,64 Ende 2005 und EUR 82.126,36 Ende 2006) sowie ein (Kredit)konto (Sollstände 26.840,92 Ende 2004, EUR 26.826,85 Ende 2005 und EUR 26.020,19 Ende 2006). Ferner teilte die Bank die auf das Depot entfallenen Zins- und Dividendeneinnahmen seit 2005 und die Bewegungen auf dem Kreditkonto mit. Für ihre Auskunft berechnete die Bank dem Beklagten EUR 12,50.
Auf ein weiteres Anhörungsschreiben vom 08.03.2007 hin gab der Kläger am 15.03.2007 an, das ihm zugerechnete Vermögen stehe ihm nur theoretisch zur Verfügung. Es habe ursprünglich eine Altersvorsorge darstellen sollen. Er habe bei dem Kauf der Aktien Schulden gemacht. Der Depot-Inhalt sei deshalb an die Bank verpfändet. Er habe in den letzten Jahren jeden Gedanken an dieses Investment verdrängt, möglicherweise sei dies ein Ausweis für eine zeitweilig eingeschränkte Zurechnungsfähigkeit.
Mit Bescheid vom 10.04.2007 hob der Beklagte die Leistungsbewilligungen für die Zeit vom 18.08.2005 bis zum 28.02.2007 vollständig auf und forderte EUR 6.972,54 von dem Kläger zurück. Der Kläger sei nicht bedürftig gewesen. Er habe die Hilfegewährung vorsätzlich oder grob fahrlässig durch unrichtige Angaben bewirkt.
Im Widerspruchsverfahren legte der Kläger den "Kreditvertrag mit Verpfändungsvereinbarung" vom 16.05.2001 zwischen ihm und der Bank vor. Daraus ergab sich, dass die Bank dem Kläger einen "Wertpapierkredit" von EUR 30.000,00 für Zinsen von eff. 6,08 % p.a. eingeräumt hatte. Als Sicherheit hatte der Kläger der Bank sein - gesamtes - Depot verpfändet, wobei der Beleihungswert nach der Art der jeweils vorhandenen Wertpapiere zwischen - grundsätzlich - 50 % und 80 % gestaffelt war. Ferner war vereinbart, dass Wertpapierverkäufe automatisch zu einer Rückführung der Inanspruchnahme (der Kreditlinie) führen sollten.
Der Beklagte erließ den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 10.06.2009. Er führte aus, der Kläger habe bei allen Anträgen durch Verschweigen des Wertpapierdepots über seine Hilfebedürftigkeit getäuscht. Er sei nicht hilfebedürftig gewesen. Er habe über Wertpapiere und ein Sparkonto mit Gesamtwerten von EUR 102.156,80 Ende 2004, EUR 105.112,49 Ende 2005 und EUR 104.305,83 Ende 2006 verfügt. Das Vermögen sei kein geschütztes Altersvorsorgevermögen gewesen. Der Grundfreibetrag des Klägers habe EUR 8.000,00 im Jahre 2005, EUR 8.200,00 vom 01.01. bis 31.07.2006 und - nach einer Gesetzesänderung - EUR 6.150,00 ab dem 01.08.2006 betragen; hinzu sei jeweils der weitere Freibetrag von EUR 750,00 gekommen. Das Vermögen des Klägers habe diese Freibeträge weit überstiegen. Dem Kläger seien gewährt worden: Alg II in Höhe von EUR 4.553,00, Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung von EUR 2.089,04 sowie Mehraufwandsentschädigungen für die Arbeitsgelegenheiten von EUR 328,00 (eingeschlossen die "Regiekosten" von EUR 50,00). Es seien daher insgesamt EUR 6.970,04 zu Unrecht gewährt worden. Jedoch seien in dem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid zu Unrecht nur EUR 6.960,04 geltend gemacht worden, aus Vertrauensschutzgründen verbleibe es dabei. Ferner verlange der Beklagte von dem Kläger die Erstattung der EUR 12,50 für die Auskunft der Bank. Der Erstattungsbetrag betrage daher insgesamt EUR 6.972,54.
Der Kläger hat am 09.07.2009 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Er hat vorgetragen, der Beklagte habe übersehen, dass das Konto bei der Bank ein Darlehenskonto sei und die vom Beklagten als Vermögenswerte eingestuften Beträge von um die EUR 26.000,00 tatsächlich Schulden gewesen seien. Ferner sei das Depot zur Sicherung dieses Darlehens verpfändet gewesen. Auch sei die Verwertung der Wertpapiere unwirtschaftlich, da es sich um Altersvorsorge handle und die gegenwärtigen Aktienkurse schlecht seien. Letztlich könne die Mehraufwandsentschädigung nicht zurückgefordert werden, da er für sie gearbeitet habe.
Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat daran festgehalten, dass auch die Beträge auf dem Kreditkonto des Klägers Vermögen seien.
In der mündlichen Verhandlung vom 19.07.2011 gab der Beklagte ein Teilanerkenntnis des Inhalts ab, dass der Kläger die Mehraufwandsentschädigung und die Kosten der Bankauskunft nicht erstatten müsse und der angegriffene Bescheid insoweit geändert werde. Der Kläger, der nicht erschienen war, hat das Teilanerkenntnis nicht angenommen.
Mit Urteil vom 19.07.2011 hat das SG gemäß dem Teilanerkenntnis des Beklagten den Bescheid vom 10.04.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.06.2009 insoweit abgeändert, dass die Bewilligung der Mehraufwandsentschädigungen nicht aufgehoben wird, der Kläger keine EUR 12,50 als Kosten des Verwaltungsverfahrens erstatten muss und daher der Erstattungsbetrag nur EUR 6.632,04 beträgt; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Das SG hat ausgeführt, der Kläger sei im Leistungszeitraum nicht hilfebedürftig im Sinne von §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 9 Abs. 1 SGB II gewesen. Er habe Vermögen im Sinne des § 12 Abs. 1 SGB II in Höhe von EUR 75.000,00 bis EUR 82.000,00 besessen. Zwar habe der Kläger parallel das Wertpapierdarlehen, wie sich aus dem Kreditkonto ergebe, in Höhe von EUR 26.000,00 bis EUR 27.000,00 nahezu ausgeschöpft. Jedoch hätten Veräußerungsgewinne aus dem Depot automatisch zu einer Verringerung des in Anspruch genommenen Darlehens geführt. Bei einer - jederzeit möglichen - vollständigen Ablösung des Darlehens wäre das Pfandrecht der Bank am Depot daher erloschen. Auch der nach einer Darlehensablösung noch verbleibende Wert des Depots von jederzeit mindestens EUR 48.000,00 habe die Freibeträge des Klägers, die der Beklagte zutreffend errechnet habe, weit überstiegen. Als Altersvorsorgevermögen nach § 12 Abs. 3 Nr. 3 SGB II a.F. sei das Vermögen nicht geschützt gewesen, da der Kläger nicht von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit gewesen sei. Eine Verwertung des Depots hätte auch keine besondere Härte im Sinne von § 12 Abs. 3 Nr. 6 SGB II dargestellt. Eine Verwertung wäre insbesondere nicht unwirtschaftlich gewesen. Zwar weise der Kläger auf eine schlechte Kursentwicklung hin. Aus dem positiven Verlauf des Depotwerts während dreier Jahre ergäben sich jedoch keine Anhaltspunkte für seine Darstellung. Die weiteren Voraussetzungen für eine Rücknahme der Bewilligungsentscheidungen nach § 45 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) lägen vor. Der Kläger habe in seinen Anträgen mehrfach falsche Angaben gemacht, nämlich die ausdrückliche Frage nach dem Besitz von Wertpapieren verneint. Angesichts der Behauptung des Klägers, er habe den Überblick verloren, sei zumindest von grober Fahrlässigkeit auszugehen (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X). Nach der Aufhebung der Bewilligungsentscheidung habe der Kläger die zu Unrecht gewährten Leistungen nach § 50 Abs. 1 SGB X zu erstatten. Dass der Beklagte EUR 10,00 zu wenig zurückfordere, stelle keine Rechtsverletzung des Klägers dar. Die Pflicht zur Erstattung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung folge aus § 40 Abs. 1 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 335 Abs. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III).
Gegen dieses Urteil, das ihm am 05.08.2011 zugestellt worden ist, hat der Kläger am 02.09.2011 bei dem SG Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Er trägt vor, der Beklagte hätte seinen - des Klägers - Finanzstatus schon viel früher abfragen können, dann wäre es nicht zu einer Überzahlung gekommen. Er habe in den Anträgen nicht absichtlich falsche Angaben gemacht, sondern geglaubt, alle Fragen richtig beantwortet zu haben. Er habe in der Folgezeit den Depotstand nicht überprüft, weil ihn die ständig fallenden Werte geärgert hätten. Weitere Ausführungen macht der Kläger zu der Arbeit, die er im Rahmen der Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung geleistet habe.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 19. Juli 2007 abzuändern und den Bescheid des Beklagten vom 10. April 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Juni 2007 insgesamt aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt die angegriffene Entscheidung.
Der Senat hat unter dem 06.10.2011 Hinweise zur Rechtslage gegeben, mitgeteilt, er erwäge, durch Beschluss ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter zu entscheiden, und Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 31.10.2011 gegeben. Der Kläger hat mit e-mails vom 29.10.2011 und 02.11.2011 (beide gerichtet an das Sozialgericht Stuttgart) weitere Ausführungen gemacht.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die Akten der Beklagten und auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge verwiesen.
II.
1. Der Senat konnte über die Berufung nach § 153 Abs. 4 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheiden. Er hält die Berufung einstimmig für unbegründet. Der Rechtsstreit weist nach seiner Einschätzung auch keine besonderen Schwierigkeiten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht auf, die mit den Beteiligten in mündlicher Verhandlung erörtert werden müssten. Die Beteiligten sind zu dieser Verfahrensweise gehört worden.
2. Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet. Zu Recht hat das SG durch das Urteil (Teilanerkenntnis- und Schlussurteil) vom 19.07.2011 die Klage weitgehend abgewiesen. Der angegriffene Bescheid ist in der Fassung des Teilanerkenntnisses des Beklagten vom 19.07.2011 rechtmäßig. Der Kläger war im Leistungszeitraum nicht hilfebedürftig und daher nicht leistungsberechtigt nach dem SGB II. Die Voraussetzungen für eine rückwirkende Rücknahme der Bewilligungsbescheide nach § 45 Abs. 1, Abs. 2 SGB X waren gegeben. Zur Begründung verweist der Senat insoweit auf die zutreffenden Ausführungen des SG (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend und im Hinblick auf die Ausführungen des Klägers im Berufungsverfahren ist lediglich auszuführen:
a) Das Wertpapiervermögen des Klägers war auch nicht nach § 12 Abs. 2 Nr. 2 oder 3 SGB II a.F. von einer Verwertung ausgeschlossen. Es handelte sich nicht um ein nach Bundesrecht gefördertes Altersvorsorgevermögen ("Riester-" oder "Rürup-Rente" oder dgl.). Und es bestand kein zivilrechtlicher Verwertungsausschluss mit der Bank. Das Pfandrecht der Bank an den in den Wertpapieren verbrieften Forderungen (§ 1273 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]) des Klägers wäre mit einer vollständigen Tilgung des Darlehens erloschen (§§ 1273 Abs. 2, 1252 BGB) und kann daher nicht einem dauerhaft wirkenden Verwertungsausschluss (vgl. hierzu § 168 Abs. 3 Versicherungsvertragsgesetz [VVG] n.F.) gleichgestellt werden.
Das Vermögen war verwertbar. Der Kläger konnte trotz der Verpfändung über die Wertpapiere verfügen. Dies folgt bereits aus der Formulierung "Wertpapierverkäufe aus Ihrem Depot führen automatisch zu einer Rückführung der maximal möglichen Inanspruchnahme" im Vorspruch zu dem Vertrag vom 16.05.2001. Dass diese Klausel auch während des Kreditvertrags Verfügungen durch den Kläger zuließ, zeigt sich schon daran, dass es nach den von der Bank vorgelegten Kontoauszügen solche Verfügungen gegeben hat. So wurden z. B. am 16.12.2005 SAP-Aktien für EUR 3.301,20 veräußert. Hierbei kann es sich nicht um eine Veräußerung durch die Bank gehandelt haben, dann dazu wäre die Bank nur nach einer (Teil-)kündigung des Kredits berechtigt gewesen (Nrn. 1.3, 2.5 Abs. 2 des Vertrags). Und selbst wenn sich diese Klausel nur auf Verkäufe durch die Bank beziehen sollte, so stand dem Kläger die Möglichkeit offen, das Wertpapierdarlehen zu kündigen, ggfs. ordentlich mit dreimonatiger Frist (§ 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB, vgl. Nr. 1.4 des Vertrags). Wenn der Kläger dann die Valuta nicht hätte zurückzahlen können, hätte die Bank nach Nr. 2.5 Abs. 2 des Vertrags das Wertpapierdepot verwertet, den Kredit selbst zurückgeführt und sodann - nach dem damit verbundenen Erlöschen des Pfandrechts - die verbliebenen Wertpapiere nach Nr. 2.6 lit. a Satz 1 des Vertrags an den Kläger herausgegeben. Nachdem der Wert der Papiere durchgängig um mindestens EUR 48.000,00 über dem in Anspruch genommenen Kredit lag, hätte der Kläger hieraus in jedem Falle ein freies Vermögen erlöst, das immer noch weit über den Vermögensfreibeträgen des § 12 Abs. 3 SGB II a.F. gelegen hätte.
Dass eine Verwertung auf diese Weise unwirtschaftlich im Sinne von § 12 Abs. 3 Nr. 6 SGB II gewesen wäre, vermag der Senat nicht zu erkennen. Es ist zwar nicht bekannt, zu welchen Preisen der Kläger die Wertpapiere dereinst gekauft hat. Zum einen kommt es darauf jedoch nicht an. Unwirtschaftlich ist eine Verwertung nur dann, wenn der tatsächliche Wert eines Vermögensgegenstandes ("Substanzwert") erheblich über dem zurzeit zu erzielenden Erlös liegt (vgl. Mecke, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, Rn. 84 m.w.N.). Eine solche Differenz kann z. B. bei kapitalbildenden Lebensversicherungen vorliegen, aus denen bei einer vorzeitigen Auflösung u.U. nur der so genannte Rückkaufswert erzielt werden kann, wenn man nämlich davon ausgeht, dass eine solche Versicherung einen davon zu unterscheidenden "wirklichen" Wert hat, der sich z. B. aus den bisher gezahlten Prämien ergibt. In ähnlicher Weise kann bei Grundstücken eine Differenz zwischen Verkehrs- und Sachwert entstehen. Bei börsengehandelten Wertpapieren gibt es einen solchen Unterschied nicht. Ihr Wert kann grundsätzlich durch nichts anderes als den Kurswert wiedergegeben werden. Wenn überhaupt, ist wäre ein davon abweichender "wirklicher" Wert der Nennwert, der allerdings regelmäßig erheblich unter dem Kurswert liegt. Diese Beurteilung solcher Wertpapiere beruht darauf, dass sie bereits bei Erwerb mit einem erheblichen Kursrisiko belastet sind, dass der Erwerber bewusst in Kauf nimmt. Dieses Risiko eines Kursverlusts (hier: zwischen Erwerb und Antragstellung nach dem SGB II) kann nicht der Grundsicherung für Arbeitsuchende überbürdet werden (so auch Radüge, in: Juris Praxiskommentar [jurisPK], SGB II, Stand 15.08.2011, Rn. 157; Sauer, Grundsicherung für Arbeitsuchende, 2011, § 12 Rn. 86). Solange daher der Kurswert von Aktien (ggfs. abzüglich der Kosten der Veräußerung) über den Freibeträgen liegt, ist die Verwertung wirtschaftlich. Zum anderen ergibt sich aus den von der Bank vorgelegten Kontoauszügen, darin ist dem SG beizupflichten, während der drei Jahre 2005 bis 2007 ein zwar langsamer, aber stetiger Anstieg des Depotwerts trotz der zwischenzeitlichen Veräußerung von Aktien. Etwaige Verluste des Klägers seit Erwerb wären damit zumindest teilweise wieder ausgeglichen.
b) Vor diesem Hintergrund kann offen bleiben, ob der Kläger während des Leistungsbezugs nicht schon wegen ausreichenden Einkommens, nämlich der regelmäßigen Zinsen- und Dividendenzahlungen aus den Wertpapieren (§ 11 Abs. 1 SGB II), nicht bedürftig war.
c) Auch der Senat geht davon aus, dass der Kläger die Existenz seines Wertpapierdepots bei den jeweiligen Antragstellungen zumindest grob fahrlässig (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X) verschwiegen hat. Seine Aussage, er habe die Anlage "aus den Augen verloren" bzw. "verdrängt", schließt zwar möglicherweise Vorsatz aus, aber nicht grobe Fahrlässigkeit. Es wäre im Sinne grober Fahrlässigkeit leichtfertig, als Antragsteller nach dem SGB II ein Wertpapierdepot mit Anlagewerten von etwa EUR 80.000,00 zu vergessen. Außerdem trifft der Vortrag des Klägers nicht zu. Aus den Unterlagen der Bank ergibt sich nicht nur, dass es im Leistungszeitraum Verfügungen über Wertpapiere und Einzahlungen bzw. Überweisungen auf das Kreditkonto (z. B. EUR 3.000,00 am 31.08.2005 und EUR 500,00 am 02.01.2006) gegeben hat, sondern auch, dass die Kontoauszüge und Jahresabschlussrechnungen regelmäßig per Post an den Kläger geschickt wurden. Der Kläger war daher durchgängig über die Fortexistenz von Depot und Konto unterrichtet.
d) Der Beklagte fordert zu Recht (§ 40 Abs. 1 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 335 Abs. 1 Satz 1 SGB III) die für den Kläger entrichteten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge zurück. Diese Erstattungspflicht des Begünstigten selbst ist nach § 335 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 SGB II nur dann ausgeschlossen, wenn für die selbe Zeit ein anderes Kranken- und Pflegeversicherungsverhältnis bestanden hätte, das mit einer Beitragspflicht verbunden war (§ 335 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGB III). Ein solches weiteres Versicherungspflichtverhältnis ist nicht ersichtlich. Insbesondere war der Kläger während des Leistungszeitraums nicht abhängig beschäftigt.
e) Die weiteren Ausführungen des Klägers zu der Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung haben, worauf der Senat bereits unter dem 06.10.2011 hingewiesen hatte, keinen erkennbaren Bezug zum Streitgegenstand. Die Mehraufwandsentschädigung ist dem Kläger nach dem Teilanerkenntnis des Beklagten vor dem SG verblieben. Das Alg II selbst ist keine "Gegenleistung" für die Arbeit, der der Kläger erbracht hat. Es kann keine Entlohnung sein, weil es auch ohne die Arbeitsgelegenheit gewährt worden wäre.
3. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.
4. Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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