Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 5 U 3594/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 9/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 25. Oktober 2010 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
Im Streit steht die Feststellung weiterer Unfallfolgen sowie die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 6. August 2001.
Der Kläger ist 1975 geboren und arbeitete am Unfalltag als Lagerarbeiter/Kommissionär. Beim Bedienen einer Kommissioniermaschine ("Ameise") ereignete sich am 6. August 2001 ein Unfall. Beim Absteigen von der Maschine fuhr sich der Kläger damit über den linken Großzeh und zog sich dabei eine Quetschwunde am Großzehballen links ohne knöcherne Verletzungen zu (Durchgangsarztbericht Prof. Dr. S., Klinikum H. GmbH, vom 6. August 2001; Un¬fallanzeige des Arbeitgebers vom 6. August 2001). Die Wunde wurde vom Durchgangsarzt als 3 cm lang, glatt berandet, gering blutend und inspektorisch sauber beschrieben. Es fanden sich diskrete Druckschmerzen im Wundbereich. Sensibilitätsstörungen waren nicht festzustellen, die Grundgelenkbeweglichkeit war frei. Der Kläger war bis zum 19. August 2001 arbeitsunfähig. Im Rahmen der am 21. Februar 2002 durchgeführten Nachschau stellte der Durchgangsarzt Dr. Beck eine reizlose, etwa 2 cm lange, etwas verdickte Narbe am Großzehengrundgelenk links medial fest sowie einen leichten Druckschmerz der Narbe. Eine weiterführende Therapie erachtete er nicht als notwendig. Entsprechendes bestätigte Prof. Dr. S., bei dem sich der Kläger am 26. Februar 2002 auf eigene Veranlassung vorstellte.
Im April 2002 wandte sich der Kläger an die Beklagte und führte aus, er habe an seinem ersten Tag ohne Sicherheitsschuhe arbeiten müssen. In einer "gefährlichen Situation" habe er die schwer beladene "Ameise" anhalten müssen und sei sich damit über den linken Fuß gefahren. Er habe sich stark verletzt, die Wunde habe sehr geblutet, er sei mit dem Krankenwagen ins Krankenhaus gebracht worden. Im September 2002 machte der Kläger geltend, er müsse für den erlittenen Schaden entschädigt werden. Die Beklagte lehnte dies mit Schreiben vom 30. September 2002 ab.
Im Juni 2008 wandte sich der Kläger erneut an die Beklagte und machte geltend, noch immer unter Beschwerden zu leiden. Er übersandte in Anlage den Arztbrief des Dr. M., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, vom 24. Juli 2007, wonach der Kläger über Schmerzen in beiden Füßen geklagt habe sowie eine Fußheberschwäche links. Als Diagnose wurde eine linksseitige Peronaeusparese mitgeteilt. Es sei in Anbetracht des elektroneurographischen Befunds von einer peripheren Nervenschädigung im Bereich des Fibulaköpfchens auszugehen.
Mit Bescheid vom 10. Juli 2008 lehnte die Beklagte den Anspruch auf Rentengewährung wegen des Arbeitsunfalls ab. Als Unfallfolge sei lediglich eine verheilte Quetschung des linken Groß-zehenballens anzuerkennen mit Arbeitsunfähigkeit bis 19. August 2001 und Behandlungsbedürf-tigkeit bis 26. Februar 2002. Die nun geklagten Beschwerden seien nicht Folge des Unfalls, son-dern beruhten auf degenerativen Veränderungen.
Dagegen erhob der Kläger Widerspruch und brachte zur Begründung vor, die erlittene Verletzung sei viel gravierender gewesen. Das Blut habe von den Kollegen nicht gestoppt werden können, der ganze Boden sei voll Blut gewesen. Durch den Schnitt im Zeh seien auch Beinnerven betroffen worden. Er habe durch seinen Fuß kein Gefühl mehr am Bein. Er legte u.a. den Arztbrief des Dr. M. vom 24. Juli 2008 vor (u.a.: "neurologisch und elektrophysiologisch derzeit kein sicherer Hinweis für eine linksseitige Peronaeusparese"). Mit Widerspruchsbescheid vom 28. Oktober 2008 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch zurück.
Dagegen hat der Kläger am 6. November 2008 Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben. Im Auftrag des SG hat unter dem 9. September 2009 Prof. Dr. M., Universitätsklinikum H., ein fachneurologisches Gutachten über den Gesundheitszustand des Klägers erstellt. Als unfallabhängige Diagnosen formulierte er eine Quetschung des linken Großzehenballen 2001; unfallunabhängig lägen eine vorübergehende Peronaeusläsion in Höhe Fibulaköpfchen links 2007 sowie anamnestisch eine Lumbalgie vor. Die vorn Kläger geschilderten erheblichen Einschränkungen in der Gehfähigkeit mit Schonhaltung im Bewegungsablauf des linken Beines seien möglicherweise durch einen kulturell bedingten Verarbeitungsmechanismus des Unfallgeschehens bedingt. Die vom Kläger geschilderten Einschränkungen seien nicht auf das Unfallgeschehen zurückzuführen, insbesondere nicht die von ihm geschilderte und als belastend empfundene schmerzbedingte Bewegungseinschränkung der hüftnahen Beinmuskulatur in Rückenlage oder beim Treppensteigen. Allerdings solle durch ein psychiatrisches Zusatzgutachten geklärt werden, ob die Angstvorstellungen des Klägers auf den Unfall zurückzuführen sind.
Daraufhin hat im Auftrag des SG unter dem 10. Februar 2010 Prof. Dr. S., Universitätsklinikum H., Zentrum für Psychosoziale Medizin, ein psychiatrisches Gutachten erstellt und mitgeteilt, dass auf diesem Fachgebiet keine Gesundheitsstörungen vorliegen würden. Auch finde sich keine eindeutige kulturspezifische Begründung für das Verhalten des Klägers. Die im Vorgutachten angegebene Symptomverstärkung könne deshalb allenfalls auf eine intensivere Beschäftigung des Probanden mit der Symptomatik zurückgeführt werden.
Mit Urteil vom 25. Oktober 2010 hat das SG die Klage abgewiesen, gestützt auf das Gutachten von Prof. Dr. M. und Prof. Dr. S ...
Gegen das ihm am 27. November 2010 zugestellte Urteil hat der Kläger am 27. Dezember 2010 Berufung eingelegt und zur Begründung vorgebracht, er habe seit "der Operation" am Fuß wegen des Unfalls vom 6. August 2001 das Taubheitsgefühl, vorher habe er keine Beschwerden gehabt. Nach Bestellung eines Bevollmächtigten hat dieser weiter zur Berufung ausgeführt und Antrag nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) unter Benennung von Dr. L. als Arzt des Vertrauens gestellt. Dieser hat mit Schreiben vom 27. Juni 2011 die Begutachtung wegen Arbeitsüberlastung abgelehnt. Nach Erinnerung hat der Bevollmächtigte am 30. September 2011 Dr. B. als zur Gutachtenserstellung bereiten Arzt benannt. Dieser wurde mit gerichtlicher Verfügung vom 4. Oktober 2011 zum Sachverständigen bestellt unter Fristsetzung zur Gutachtenserstattung zum 15. Dezember 2011. Am 15. Dezember 2011 hat Dr. B. die ihm mit dem Gutachtensauftrag übersandten Akten zurückgesandt mit der Bemerkung, der Kläger sei nicht zum Termin in der Praxis erschienen und auch nicht erreichbar. Der Kläger hat vorgetragen, er habe seinen Kalender verloren, deshalb den Termin versäumt und möchte nunmehr durch Dr. B. untersucht werden.
Der Kläger beantragt, sinngemäß gefasst,
das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 25. Oktober 2010 sowie den Bescheid vom 10. Juli 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Oktober 2008 aufzuhe-ben und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 6. August 2001 Verletztenrente nach einer MdE um wenigstens 20 v.H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
und verweist zur Begründung auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidungen.
Der Senat hat den Beteiligten nach Rückgabe des Gutachtensauftrags durch Dr. B. mitgeteilt, es komme die Möglichkeit in Betracht, die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung zurückzuweisen, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halte. Die Beteiligten haben Gelegenheit erhalten, zu dieser Verfahrensweise Stellung zu nehmen. Der Senat hat darauf hingewiesen, dass keine weiteren Ermittlungen mehr durchgeführt würden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungs- und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte über die Berufung des Klägers gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss entscheiden, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, nachdem die Beteiligten Gelegenheit erhalten hatten, sich hierzu zu äußern.
Die gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG auch im Übrigen zulässige Beru-fung ist unbegründet. Das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen, denn die Beklagte hat rechtsfehlerfrei einen Anspruch des Klägers auf Verletztenrente wegen der Folgen des Unfalls vom 6. August 2001 abgelehnt.
Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Versicherungsfälle der gesetzlichen Unfallversiche-rung sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Arbeitsunfälle sind Unfäl¬le von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII be¬gründenden Tätigkeiten (versicherte Tätigkeiten). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 SGB VII).
Die Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträch-tigung des körperlichen oder geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeits-möglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII), d.h. auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (BSGE 1, 174, 178; BSG SozR 2200 § 581 Nr. 22). Als Fol¬ge eines Unfalls sind Gesundheitsstörungen nur zu berücksichtigen, wenn das Unfallereignis wie auch das Vorliegen der konkreten Beeinträchtigung bzw. Gesundheitsstörung jeweils bewiesen und die Beeinträchtigung mit Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurückzuführen ist. Für die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist ein ursächlicher Zu-sammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall einerseits (haftungsbegrün-dende Kausalität) und zwischen der hierbei eingetretenen Schädigung und der Gesundheitsstö-rung andererseits (haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich. Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, die Schädigung und die eingetretene Gesundheitsstörung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht, welcher nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, grundsätzlich die hinreichende Wahr-scheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit ausreicht (BSGE 58, 80, 82; 61, 127, 129; BSG, Urt. v. 27. Juni 2000 - B 2 U 29/99 R - m.w.N.). Hinreichende Wahrscheinlichkeit bedeu-tet, dass bei vernünftiger Abwägung aller Umstände den für den Zusammenhang sprechenden Umständen ein deutliches Übergewicht zukommt, so dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann (BSGE 45, 285, 286). Kommen mehrere Ursachen in Betracht, so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl. BSGE 63, 277, 278). Daran fehlt es, wenn die Krankheitsanlage so leicht ansprechbar gewesen ist, dass die Auslösung akuter Er-scheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte (vgl. BSGE 62, 220, 222; BSG, Urt. v. 2. Mai 2001 - B 2 U 18/00 R -, in: HVBG-Info 2001, 1713). Lässt sich ein Zusammenhang nicht wahrscheinlich machen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der materiellen Beweislast zu Lasten des Versicherten (vgl. BSGE 6, 70, 72; BSG SozR 3-2200 § 548 Nr. 11 S. 33). Der Kläger hat bei dem Unfall am 6. August 2001 lediglich eine folgenlos verheilte Quetschung des Großzehenballens links erlitten. Ein Gesundheitsfolgeschaden, der hinreichend wahrschein-lich auf dem Unfall beruht, ist nicht nachgewiesen.
Wie Prof. Dr. M. in Übereinstimmung mit dem behandelnden Neurologen Dr. M. festgestellt hat, hat der Kläger im Jahr 2007 vermutlich vorübergehend an einer Peronaeussehnenparese gelitten, die aber bereits im Juli 2008 nicht mehr zu verifizieren war. Weitere Erkrankungen auf neurologischem Fachgebiet sind weder vorgetragen noch durch die behandelnden Ärzte und Gutachter festzustellen. Insbesondere ist kein organischer Befund aus¬zumachen, der die vom Kläger demonstrierte Gangstörung, die Beinheberschwäche links sowie die geklagten Schmerzen erklären könnte. Unabhängig davon, dass also schon keine Erkrankung festzustellen ist, wäre im Übrigen auch ein physiologischer Zusammenhang zwischen der Verletzung an der linken Großzehe und dem Zentrum der vorn Kläger demonstrierten Ein¬schränkungen im Hüftbereich kaum herzuleiten.
Soweit Prof. Dr. M. auf psychiatrischem Fachgebiet eine Erkrankung nicht ausschließen wollte, die möglicherweise auf den Unfall zurückgeführt werden könnte, hat Prof. Dr. S. in seinem Gutachten schlüssig und überzeugend dargelegt, dass der Kläger psychisch völlig ge¬sund ist. Ob eine Fehlverarbeitung des Unfalls vom 6. August 2001 vorliegt, konnte offen gelas¬sen werden, da angesichts der Schwere des Unfalls und den vom Kläger geklagten Einschrän¬kungen jedenfalls ein wesentlicher Zusammenhang zwischen beiden Faktoren nicht hinreichend wahrscheinlich ist.
Da bereits keine Gesundheitsstörung vorliegt, kommt auch eine Rentengewährung nicht in Be-tracht.
Weitere Beweiserhebungen - von Amts wegen oder nach § 109 SGG - waren nicht veranlasst. Auf Antrag des Versicherten muss ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, dass der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt (§ 109 Abs. 1 SGG). Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist (§ 109 Abs. 2 SGG). Das Gericht hat den vom Kläger gestellten Antrag nach § 109 SGG, ihn durch Dr. B. begutachten zu lassen, genehmigt. Allerdings hat der Kläger den Termin nicht wahrgenommen und war auch durch Dr. B. nicht erreichbar, so dass dieser den Auftrag zurückgegeben hatte. Die Zulassung der Begutachtung durch Dr. B., nachdem sich der Kläger über seinen Bevollmächtigten bei Gericht gemeldet hatte und den Verlust seines Kalenders als Grund für die Terminsversäumnis vorgebracht hat, würde die Erledigung des Rechtsstreits verzögern. Die Rückgabe des Gutachtens durch Dr. B. beruhte auf grob fahrlässigem Verhalten des Klägers, dem laut Auskunft seines Bevollmächtigten auch durch diesen der Termin (nochmals) mitgeteilt worden war. Die Frage der vorwerfbaren Verzögerung war vor dem Hintergrund eines - wiederholten - Antrags nicht anders zu beantworten als bei einem erstmaligen Antrag nach § 109 SGG, so dass der Antrag, die Untersuchung durch Dr. B. nochmals in Auftrag zu geben, abzulehnen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
Im Streit steht die Feststellung weiterer Unfallfolgen sowie die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 6. August 2001.
Der Kläger ist 1975 geboren und arbeitete am Unfalltag als Lagerarbeiter/Kommissionär. Beim Bedienen einer Kommissioniermaschine ("Ameise") ereignete sich am 6. August 2001 ein Unfall. Beim Absteigen von der Maschine fuhr sich der Kläger damit über den linken Großzeh und zog sich dabei eine Quetschwunde am Großzehballen links ohne knöcherne Verletzungen zu (Durchgangsarztbericht Prof. Dr. S., Klinikum H. GmbH, vom 6. August 2001; Un¬fallanzeige des Arbeitgebers vom 6. August 2001). Die Wunde wurde vom Durchgangsarzt als 3 cm lang, glatt berandet, gering blutend und inspektorisch sauber beschrieben. Es fanden sich diskrete Druckschmerzen im Wundbereich. Sensibilitätsstörungen waren nicht festzustellen, die Grundgelenkbeweglichkeit war frei. Der Kläger war bis zum 19. August 2001 arbeitsunfähig. Im Rahmen der am 21. Februar 2002 durchgeführten Nachschau stellte der Durchgangsarzt Dr. Beck eine reizlose, etwa 2 cm lange, etwas verdickte Narbe am Großzehengrundgelenk links medial fest sowie einen leichten Druckschmerz der Narbe. Eine weiterführende Therapie erachtete er nicht als notwendig. Entsprechendes bestätigte Prof. Dr. S., bei dem sich der Kläger am 26. Februar 2002 auf eigene Veranlassung vorstellte.
Im April 2002 wandte sich der Kläger an die Beklagte und führte aus, er habe an seinem ersten Tag ohne Sicherheitsschuhe arbeiten müssen. In einer "gefährlichen Situation" habe er die schwer beladene "Ameise" anhalten müssen und sei sich damit über den linken Fuß gefahren. Er habe sich stark verletzt, die Wunde habe sehr geblutet, er sei mit dem Krankenwagen ins Krankenhaus gebracht worden. Im September 2002 machte der Kläger geltend, er müsse für den erlittenen Schaden entschädigt werden. Die Beklagte lehnte dies mit Schreiben vom 30. September 2002 ab.
Im Juni 2008 wandte sich der Kläger erneut an die Beklagte und machte geltend, noch immer unter Beschwerden zu leiden. Er übersandte in Anlage den Arztbrief des Dr. M., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, vom 24. Juli 2007, wonach der Kläger über Schmerzen in beiden Füßen geklagt habe sowie eine Fußheberschwäche links. Als Diagnose wurde eine linksseitige Peronaeusparese mitgeteilt. Es sei in Anbetracht des elektroneurographischen Befunds von einer peripheren Nervenschädigung im Bereich des Fibulaköpfchens auszugehen.
Mit Bescheid vom 10. Juli 2008 lehnte die Beklagte den Anspruch auf Rentengewährung wegen des Arbeitsunfalls ab. Als Unfallfolge sei lediglich eine verheilte Quetschung des linken Groß-zehenballens anzuerkennen mit Arbeitsunfähigkeit bis 19. August 2001 und Behandlungsbedürf-tigkeit bis 26. Februar 2002. Die nun geklagten Beschwerden seien nicht Folge des Unfalls, son-dern beruhten auf degenerativen Veränderungen.
Dagegen erhob der Kläger Widerspruch und brachte zur Begründung vor, die erlittene Verletzung sei viel gravierender gewesen. Das Blut habe von den Kollegen nicht gestoppt werden können, der ganze Boden sei voll Blut gewesen. Durch den Schnitt im Zeh seien auch Beinnerven betroffen worden. Er habe durch seinen Fuß kein Gefühl mehr am Bein. Er legte u.a. den Arztbrief des Dr. M. vom 24. Juli 2008 vor (u.a.: "neurologisch und elektrophysiologisch derzeit kein sicherer Hinweis für eine linksseitige Peronaeusparese"). Mit Widerspruchsbescheid vom 28. Oktober 2008 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch zurück.
Dagegen hat der Kläger am 6. November 2008 Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben. Im Auftrag des SG hat unter dem 9. September 2009 Prof. Dr. M., Universitätsklinikum H., ein fachneurologisches Gutachten über den Gesundheitszustand des Klägers erstellt. Als unfallabhängige Diagnosen formulierte er eine Quetschung des linken Großzehenballen 2001; unfallunabhängig lägen eine vorübergehende Peronaeusläsion in Höhe Fibulaköpfchen links 2007 sowie anamnestisch eine Lumbalgie vor. Die vorn Kläger geschilderten erheblichen Einschränkungen in der Gehfähigkeit mit Schonhaltung im Bewegungsablauf des linken Beines seien möglicherweise durch einen kulturell bedingten Verarbeitungsmechanismus des Unfallgeschehens bedingt. Die vom Kläger geschilderten Einschränkungen seien nicht auf das Unfallgeschehen zurückzuführen, insbesondere nicht die von ihm geschilderte und als belastend empfundene schmerzbedingte Bewegungseinschränkung der hüftnahen Beinmuskulatur in Rückenlage oder beim Treppensteigen. Allerdings solle durch ein psychiatrisches Zusatzgutachten geklärt werden, ob die Angstvorstellungen des Klägers auf den Unfall zurückzuführen sind.
Daraufhin hat im Auftrag des SG unter dem 10. Februar 2010 Prof. Dr. S., Universitätsklinikum H., Zentrum für Psychosoziale Medizin, ein psychiatrisches Gutachten erstellt und mitgeteilt, dass auf diesem Fachgebiet keine Gesundheitsstörungen vorliegen würden. Auch finde sich keine eindeutige kulturspezifische Begründung für das Verhalten des Klägers. Die im Vorgutachten angegebene Symptomverstärkung könne deshalb allenfalls auf eine intensivere Beschäftigung des Probanden mit der Symptomatik zurückgeführt werden.
Mit Urteil vom 25. Oktober 2010 hat das SG die Klage abgewiesen, gestützt auf das Gutachten von Prof. Dr. M. und Prof. Dr. S ...
Gegen das ihm am 27. November 2010 zugestellte Urteil hat der Kläger am 27. Dezember 2010 Berufung eingelegt und zur Begründung vorgebracht, er habe seit "der Operation" am Fuß wegen des Unfalls vom 6. August 2001 das Taubheitsgefühl, vorher habe er keine Beschwerden gehabt. Nach Bestellung eines Bevollmächtigten hat dieser weiter zur Berufung ausgeführt und Antrag nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) unter Benennung von Dr. L. als Arzt des Vertrauens gestellt. Dieser hat mit Schreiben vom 27. Juni 2011 die Begutachtung wegen Arbeitsüberlastung abgelehnt. Nach Erinnerung hat der Bevollmächtigte am 30. September 2011 Dr. B. als zur Gutachtenserstellung bereiten Arzt benannt. Dieser wurde mit gerichtlicher Verfügung vom 4. Oktober 2011 zum Sachverständigen bestellt unter Fristsetzung zur Gutachtenserstattung zum 15. Dezember 2011. Am 15. Dezember 2011 hat Dr. B. die ihm mit dem Gutachtensauftrag übersandten Akten zurückgesandt mit der Bemerkung, der Kläger sei nicht zum Termin in der Praxis erschienen und auch nicht erreichbar. Der Kläger hat vorgetragen, er habe seinen Kalender verloren, deshalb den Termin versäumt und möchte nunmehr durch Dr. B. untersucht werden.
Der Kläger beantragt, sinngemäß gefasst,
das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 25. Oktober 2010 sowie den Bescheid vom 10. Juli 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Oktober 2008 aufzuhe-ben und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 6. August 2001 Verletztenrente nach einer MdE um wenigstens 20 v.H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
und verweist zur Begründung auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidungen.
Der Senat hat den Beteiligten nach Rückgabe des Gutachtensauftrags durch Dr. B. mitgeteilt, es komme die Möglichkeit in Betracht, die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung zurückzuweisen, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halte. Die Beteiligten haben Gelegenheit erhalten, zu dieser Verfahrensweise Stellung zu nehmen. Der Senat hat darauf hingewiesen, dass keine weiteren Ermittlungen mehr durchgeführt würden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungs- und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte über die Berufung des Klägers gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss entscheiden, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, nachdem die Beteiligten Gelegenheit erhalten hatten, sich hierzu zu äußern.
Die gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG auch im Übrigen zulässige Beru-fung ist unbegründet. Das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen, denn die Beklagte hat rechtsfehlerfrei einen Anspruch des Klägers auf Verletztenrente wegen der Folgen des Unfalls vom 6. August 2001 abgelehnt.
Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Versicherungsfälle der gesetzlichen Unfallversiche-rung sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Arbeitsunfälle sind Unfäl¬le von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII be¬gründenden Tätigkeiten (versicherte Tätigkeiten). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 SGB VII).
Die Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträch-tigung des körperlichen oder geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeits-möglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII), d.h. auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (BSGE 1, 174, 178; BSG SozR 2200 § 581 Nr. 22). Als Fol¬ge eines Unfalls sind Gesundheitsstörungen nur zu berücksichtigen, wenn das Unfallereignis wie auch das Vorliegen der konkreten Beeinträchtigung bzw. Gesundheitsstörung jeweils bewiesen und die Beeinträchtigung mit Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurückzuführen ist. Für die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist ein ursächlicher Zu-sammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall einerseits (haftungsbegrün-dende Kausalität) und zwischen der hierbei eingetretenen Schädigung und der Gesundheitsstö-rung andererseits (haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich. Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, die Schädigung und die eingetretene Gesundheitsstörung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht, welcher nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, grundsätzlich die hinreichende Wahr-scheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit ausreicht (BSGE 58, 80, 82; 61, 127, 129; BSG, Urt. v. 27. Juni 2000 - B 2 U 29/99 R - m.w.N.). Hinreichende Wahrscheinlichkeit bedeu-tet, dass bei vernünftiger Abwägung aller Umstände den für den Zusammenhang sprechenden Umständen ein deutliches Übergewicht zukommt, so dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann (BSGE 45, 285, 286). Kommen mehrere Ursachen in Betracht, so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl. BSGE 63, 277, 278). Daran fehlt es, wenn die Krankheitsanlage so leicht ansprechbar gewesen ist, dass die Auslösung akuter Er-scheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte (vgl. BSGE 62, 220, 222; BSG, Urt. v. 2. Mai 2001 - B 2 U 18/00 R -, in: HVBG-Info 2001, 1713). Lässt sich ein Zusammenhang nicht wahrscheinlich machen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der materiellen Beweislast zu Lasten des Versicherten (vgl. BSGE 6, 70, 72; BSG SozR 3-2200 § 548 Nr. 11 S. 33). Der Kläger hat bei dem Unfall am 6. August 2001 lediglich eine folgenlos verheilte Quetschung des Großzehenballens links erlitten. Ein Gesundheitsfolgeschaden, der hinreichend wahrschein-lich auf dem Unfall beruht, ist nicht nachgewiesen.
Wie Prof. Dr. M. in Übereinstimmung mit dem behandelnden Neurologen Dr. M. festgestellt hat, hat der Kläger im Jahr 2007 vermutlich vorübergehend an einer Peronaeussehnenparese gelitten, die aber bereits im Juli 2008 nicht mehr zu verifizieren war. Weitere Erkrankungen auf neurologischem Fachgebiet sind weder vorgetragen noch durch die behandelnden Ärzte und Gutachter festzustellen. Insbesondere ist kein organischer Befund aus¬zumachen, der die vom Kläger demonstrierte Gangstörung, die Beinheberschwäche links sowie die geklagten Schmerzen erklären könnte. Unabhängig davon, dass also schon keine Erkrankung festzustellen ist, wäre im Übrigen auch ein physiologischer Zusammenhang zwischen der Verletzung an der linken Großzehe und dem Zentrum der vorn Kläger demonstrierten Ein¬schränkungen im Hüftbereich kaum herzuleiten.
Soweit Prof. Dr. M. auf psychiatrischem Fachgebiet eine Erkrankung nicht ausschließen wollte, die möglicherweise auf den Unfall zurückgeführt werden könnte, hat Prof. Dr. S. in seinem Gutachten schlüssig und überzeugend dargelegt, dass der Kläger psychisch völlig ge¬sund ist. Ob eine Fehlverarbeitung des Unfalls vom 6. August 2001 vorliegt, konnte offen gelas¬sen werden, da angesichts der Schwere des Unfalls und den vom Kläger geklagten Einschrän¬kungen jedenfalls ein wesentlicher Zusammenhang zwischen beiden Faktoren nicht hinreichend wahrscheinlich ist.
Da bereits keine Gesundheitsstörung vorliegt, kommt auch eine Rentengewährung nicht in Be-tracht.
Weitere Beweiserhebungen - von Amts wegen oder nach § 109 SGG - waren nicht veranlasst. Auf Antrag des Versicherten muss ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, dass der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt (§ 109 Abs. 1 SGG). Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist (§ 109 Abs. 2 SGG). Das Gericht hat den vom Kläger gestellten Antrag nach § 109 SGG, ihn durch Dr. B. begutachten zu lassen, genehmigt. Allerdings hat der Kläger den Termin nicht wahrgenommen und war auch durch Dr. B. nicht erreichbar, so dass dieser den Auftrag zurückgegeben hatte. Die Zulassung der Begutachtung durch Dr. B., nachdem sich der Kläger über seinen Bevollmächtigten bei Gericht gemeldet hatte und den Verlust seines Kalenders als Grund für die Terminsversäumnis vorgebracht hat, würde die Erledigung des Rechtsstreits verzögern. Die Rückgabe des Gutachtens durch Dr. B. beruhte auf grob fahrlässigem Verhalten des Klägers, dem laut Auskunft seines Bevollmächtigten auch durch diesen der Termin (nochmals) mitgeteilt worden war. Die Frage der vorwerfbaren Verzögerung war vor dem Hintergrund eines - wiederholten - Antrags nicht anders zu beantworten als bei einem erstmaligen Antrag nach § 109 SGG, so dass der Antrag, die Untersuchung durch Dr. B. nochmals in Auftrag zu geben, abzulehnen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
Login
BWB
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