L 12 AS 5560/11 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 6 AS 4406/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 5560/11 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 7. November 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes Einstiegsgeld für die Zeit von Juli bis Dezember 2011 in Höhe von monatlich 235 EUR.

Der 1957 geborene Antragsteller bezieht laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Zum 1. Juli 2010 machte er sich mit einem Mitgesellschafter als privater Arbeitsvermittler mit Coaching für Bewerbung und Beruf selbstständig. Hierfür erhielt er Leistungen zur Eingliederung von Selbstständigen in Höhe von 3.394 EUR als Zuschuss (Bescheid vom 4. Mai 2010) sowie Einstiegsgeld für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 2010 in Höhe von 260 EUR monatlich (Bescheid vom 28. April 2010). Das Einstiegsgeld wurde auch für den Folgezeitraum vom 1. Januar bis 30. Juni 2011 weiterbewilligt. Der Kläger bezog daneben weiterhin Grundsicherungsleistungen, ohne dass Einkommen angerechnet wurde (zuletzt für den Zeitraum Juli bis Dezember 2011 gemäß Bescheid vom 29. Juni 2011).

Am 20. Mai 2011 beantragte der Antragsteller die Weitergewährung des Einstiegsgeldes für die Zeit von Juli bis Dezember 2011 und legte eine Aufstellung über seine voraussichtlichen Einnahmen und Ausgaben vor. Mit Bescheid vom 6. September 2011 lehnte der Antragsgegner den Antrag ab, da keine positive Prognose für die selbstständige Tätigkeit bestehe. Den Widerspruch hiergegen wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 2. November 2011 zurück. Eine Klageerhebung gegen diesen Widerspruchsbescheid ist bis zum heutigen Tage nicht ersichtlich.

Am 26. Oktober 2011 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt und ausgeführt, dass er das Einstiegsgeld benötige, da er ansonsten seine Büromiete nicht begleichen könne und eine fristlose Kündigung der Mieträume drohe.

Mit Beschluss vom 7. November 2011 hat das SG den Antrag abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht gegeben seien, da ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht sei. Nach § 16b SGB II könne erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die arbeitslos seien, zur Überwindung der Hilfebedürftigkeit ein Einstiegsgeld erbracht werden, wenn dies zur Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt erforderlich sei. § 16c SGB II konkretisiere dies für selbstständige Hilfebedürftige dahingehend, dass für sie Eingliederungsleistungen nur erbracht werden könnten, wenn zu erwarten sei, dass die selbstständige Tätigkeit wirtschaftlich tragfähig sei und die Hilfebedürftigkeit innerhalb eines angemessenen Zeitraums dauerhaft überwunden oder verringert werde. Diese Voraussetzungen lägen nicht vor. Der Antragsteller übe zum Zeitpunkt der Entscheidung die Tätigkeit seit über 16 Monaten aus, ohne dass in diesem Zeitraum jemals anrechenbares Einkommen erwirtschaftet worden sei. Zudem ergebe sich auch aus der vorgelegten Aufstellung vom 19. Mai 2011 über die zu erwartenden Einnahmen für Juli bis Dezember 2011 wiederum eine negative Erfolgsprognose. Betriebseinnahmen von insgesamt 3.900 EUR stünden Betriebsausgaben von insgesamt 4.417,98 EUR gegenüber. Dass die negative Prognose den tatsächlichen Verhältnissen entspreche, ergebe sich daraus, dass der Antragsteller ohne das Einstiegsgeld nicht einmal seinen Mietanteil für die Büroräume zahlen könne.

Gegen den seinem Bevollmächtigten am 17. November 2011 zugestellten Beschluss richtet sich die am Montag, 19. Dezember 2011 eingelegte Beschwerde des Antragstellers. Der Argumentation des SG, dass der Antragsteller bereits seit 16 Monaten selbstständig tätig sei ohne anrechenbares Einkommen erzielt zu haben, könne nicht gefolgt werden. Das Einstiegsgeld könne bis zu einer Dauer von 24 Monaten gewährt werden, womit der Gesetzgeber zu erkennen gegeben habe, dass dem Leistungsberechtigen zumindest dieser Zeitraum zur Verfügung stehe, die selbstständige Tätigkeit auszubauen. Es liege auf der Hand, dass während der Aufbauphase nicht unbedingt mit Einkünften gerechnet werden könne. Daneben hat der Antragsteller Angaben zum Einkommen vorgelegt vom 29. November 2011 für den Zeitraum Juli bis Dezember 2011 und Januar bis Juni 2012.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten des Antragsgegners Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Die unter Beachtung der Vorschrift des § 173 SGG form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, insbesondere wäre im Hinblick auf die geltend gemachten Leistungen auch in der Hauptsache die Berufung zulässig, da die Berufungssumme von 750 EUR überschritten würde (§ 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG). In der Sache ist die Beschwerde jedoch unbegründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.). Vorliegend kommt eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der angestrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)); dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. Bundesverfassungsgericht, NVwZ 1997, 479; NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927 = Breithaupt 2005, 803). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 86b Rdnr. 42). Die Eilbedürftigkeit der erstrebten Regelung ist im Übrigen regelmäßig zu verneinen, soweit Ansprüche für bereits vor Stellung des einstweiligen Rechtsschutzantrags abgelaufene Zeiträume erhoben werden (vgl. Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 1. und 17. August 2005 - FEVS 57, 72 und 164).

Im hier zu entscheidenden Fall ist schon das Bestehen eines Anordnungsanspruches auf Gewährung von Einstiegsgeld für den geltend gemachten Zeitraum Juli bis Dezember 2011 zu verneinen, so dass es auf die Eilbedürftigkeit der erstrebten Regelung nicht ankommt.

Dem Anordnungsanspruch steht insoweit bereits der - soweit ersichtlich - bestandskräftige Widerspruchsbescheid vom 2. November 2011 entgegen (vgl. Spellbrink, Sozialrecht aktuell, 2007, 1, 3). Selbst wenn der Kläger fristgerecht hiergegen Klage erhoben hätte, was vom SG bisher nicht bestätigt werden konnte, würde sich im Ergebnis nichts ändern, denn auch in der Sache besteht kein Anspruch des Antragstellers.

Zur Überwindung von Hilfebedürftigkeit kann gemäß §§ 16b Abs. 1 Satz 1, 16c Abs. 1 SGB II erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die arbeitslos sind, bei Aufnahme oder Ausübung einer hauptberuflichen selbständigen Erwerbstätigkeit ein Einstiegsgeld erbracht werden, wenn dies zur Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt erforderlich ist. Nach § 16c Abs. 1 Satz 1 SGB II können Leistungen zur Eingliederung von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die eine selbständige, hauptberufliche Tätigkeit aufnehmen oder ausüben, nur gewährt werden, wenn zu erwarten ist, dass die selbständige Tätigkeit wirtschaftlich tragfähig ist und die Hilfebedürftigkeit durch die selbständige Tätigkeit innerhalb eines angemessenen Zeitraums dauerhaft überwunden oder verringert wird. Bei der Gewährung von Einstiegsgeld für die Aufnahme einer hauptberuflichen selbständigen Tätigkeit handelt es demnach um eine Ermessensentscheidung (vgl. Thie in LPK-SGB II, 4. Aufl., § 16b Rdnr. 11 ff.).

Vorliegend sind schon die Anspruchsvoraussetzungen der §§ 16 Abs. 1 Satz 1, 16c SGB II nicht gegeben, so dass eine Ermessensentscheidung nicht mehr zu treffen ist. In der Sache muss die begründete Aussicht bestehen, dass der Hilfeempfänger mit der angestrebten Tätigkeit seine Hilfebedürftigkeit dauerhaft überwinden oder verringern kann. Dabei ist eine Prognoseentscheidung zu treffen im Rahmen einer ex-ante-Betrachtung (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 1. Juni 2010 - B 4 AS 63/09 R - (juris); Hannes in Gagel, SGB II, 43. Ergänzungslieferung, § 16b Rdnr. 54 f.). Insoweit muss wahrscheinlich sein, dass der Leistungsempfänger seine Hilfebedürftigkeit binnen 24 Monaten nach Aufnahme der Tätigkeit überwunden hat, denn für diesen Zeitraum kann Einstiegsgeld nach § 16b Abs. 2 Satz 1 SGB II längstens erbracht werden. Insoweit sollte nach dem Willen des Gesetzgebers berücksichtigt werden, dass "Existenzgründungen aus Arbeitslosigkeit im SGB II regelmäßig unter schwierigen Bedingungen erfolgen" (so die Gesetzesbegründung zu § 16c, BT-Drucks. 16/10810 S. 80). Im konkreten Fall ist somit für die Prognose entscheidend der Zeitpunkt, zu dem nach Ablauf der vorangegangenen Bewilligung (30. Juni 2011) über die Verlängerung der Leistung zu entscheiden war. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Antragsteller bereits 12 Monate seine selbstständige Tätigkeit ausgeübt, ohne dass es ihm auch nur gelungen war, die Betriebsausgaben zu decken. Auch nach der vorgelegten Berechnung des Antragstellers vom 19. Mai 2011 war bei Betriebseinnahmen von 3.900 EUR und Betriebsausgaben von 4.417,98 EUR noch nicht einmal mit einem kostendeckenden Betrieb zu rechnen, ganz zu schweigen von einer Aussicht auf Gewinn oberhalb der nach dem SGB II maßgebenden Freibeträge, der allein zu einer Verkürzung der Hilfebedürftigkeit führen würde. Auch nach der nunmehr im Beschwerdeverfahren vorgelegten Aufstellung vom 29. November 2011 rechnet der Antragsteller für den Zeitraum Juli bis Dezember 2011 mit Betriebseinnahmen von 4.726,70 EUR, denen Betriebsausgaben von 5.279,89 EUR gegenüberstehen, so dass das Defizit in etwa gleich bleibt. Unabhängig von der Frage, ob für die Prognose die neueste Entwicklung überhaupt berücksichtigt werden dürfte (Angaben zum Einkommen Januar bis Juni 2012 vom 29. November 2011), ergibt sich jedenfalls auch insoweit keine andere Beurteilung. Zwar werden mit angenommenen Einnahmen von 5.300 EUR erstmals die Betriebskosten von 5.279,89 EUR überschritten, die angegebene Einkommenshöhe ist jedoch im Hinblick auf die vorangegangenen Zeitabschnitte nicht nachvollziehbar. Jedenfalls ist eine Veränderung hin zu einem dauerhaft nicht nur kostendeckenden, sondern auch die Hilfebedürftigkeit verringernden Betriebsergebnis im Rahmen der Prognose bis zum Ablauf des maximalen Förderzeitraums Ende Juni 2012 nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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