S 8 AS 102/11

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
8
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 8 AS 102/11
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 78/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Der Bescheid vom 18.11.2010, geändert durch die Bescheide vom 19.01.2011 und 23.09.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17.02.2011 wird insoweit aufgehoben, als der Beklagte verpflichtet wird, den Klägern Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe unter Zugrundelegung angemessener Kosten der Unterkunft von 352 EUR monatlich für die Zeit vom 01.11.2010 bis 31.03.2011 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Beklagte hat den Klägern die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

3. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Kosten der Unterkunft für den Zeitraum 01.11.2010 bis 31.03.2011.

Die Kläger waren bis zum 30.09.2010 in A-Stadt wohnhaft und bezogen dort Leistungen nach dem SGB II.

Die Klägerin zu 1 ist die Mutter des 2002 geborenen Klägers zu 2. Der Kläger zu 2 leidet an Diabetes mellitus. Beide Kläger sind zu 50 Grad schwerbehindert. Beim Kläger zu 2 ist darüber hinaus das Merkzeichen "H" festgestellt.

Am 06.09.2010 schloss die Klägerin zu 1 einen Mietvertrag für die Wohnung E-Straße in B-Stadt ab (Bl. 20 f). Vermieter der Wohnung ist die Schwester der Klägerin. Vor Abschluss des Mietvertrages hat sich die Klägerin keine weiteren Wohnungen angeschaut.

Am 06.09.2010 beantragte die Klägerin bei der ARGE SGB II A-Stadt, umziehen zu können. Mit Bescheid vom 14.09.2010 hob die A. die Leistungsgewährung ab dem 01.10.2010 wegen Abmeldung der Klägerin auf (Bl. 52). Mit Bescheid vom selben Tag lehnte die A. die Übernahme von Umzugskosten aufgrund des Antrages vom 14.09.2010 mit der Begründung ab, dass die Erforderlichkeit des Umzuges nicht gegeben sei. l. 22).

Am 30.09.2010 stellten die Kläger einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II bei dem Beklagten (Bl. 1).

Die Bundesagentur für Arbeit bewilligte der Klägerin zu 1 Arbeitslosengeld 1 für die Zeit vom 01.10.2010 bis 29.09.2011 in Höhe von 9 EUR täglich, monatlich 270 EUR (Bl. 6, 46, 48 ff). Der Kläger zu 2 erhält Unterhaltszahlungen in Höhe von 239 EUR monatlich und Kindergeld in Höhe von 184 EUR (Bl. 6).

Die Kläger zogen in ihre derzeitige Wohnung E-Straße nach B-Stadt, Ortsteil S. Die Wohnung ist 60 qm groß und verfügt über 2 ½ Zimmer, Küche und Bad. Die Wohnung wird ausweislich der Mietbescheinigung vom 06.10.2010 durch Kohle und Öl beheizt (Teil I der Akte). Für die Kaltmiete sind 320 EUR, für die Nebenkosten 76,35 EUR und 40 EUR für die Heizkosten zu entrichten (Bl. 5).

Die Gemeinde B-Stadt liegt im Nordwesten des Landkreises XY. und hat eine Gesamtfläche von 121 Quadratkilometer. Die Gemeinde besteht aus 13 Ortsteilen. In der Gemeinde B-Stadt lebten am 31.12.2010 laut 5 028 Einwohner. In der Gemeinde bestanden am 15.11.2010 folgende Wohnungen:

Ortsteile Hauptwohnungen Nebenwohnungen Gesamt
A. 1.608 63 1.671
B. 161 12 173
D. 89 11 100
F. 563 20 583
G. 143 12 155
H. 382 73 455
O. 160 29 189
R. 444 23 467
S. 117 08 125
S. 322 23 345
S. 155 16 171
V. 510 21 531
W. 399 11 410
Gesamt 5.053 322 5.375

Der Kläger zu 2 besucht die Mittelpunktschule in B-Stadt-A. Diese Schule befindet sich im H-Straße, in B-Stadt-A., 9,6 km vom Wohnort des Klägers zu 2 entfernt.

Mit Bescheid vom 18.11.2010 lehnte der Beklagte die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II für den Monat 2010 ab (Bl. 62).

Mit Bescheid vom gleichen Tag bewilligte der Beklagte der Klägerin zu 1 Leistungen nach dem SGB II für die Kosten der Unterkunft in Höhe von 112,99 EUR (Bl. 63). Hierbei wurden Kosten der Unterkunft in Höhe von 229 EUR anerkannt. Dies entsprach den den Klägern von der A. gewährten Kosten der Unterkunft ohne Heizkosten (vgl. Bl. 51).

Mit Bescheid vom 22.11.2010 wurde den Klägern Wohngeld für die Zeit vom 01.11.2010 bis 30.09.2011 in Höhe von 153,00 EUR monatlich gewährt und für den Monat Oktober 2010 in Höhe von 257,00 EUR (Bl. 66ff).

Mit Schreiben vom 26.11.2010, eingegangen am 29.11.2010, legte die Prozessbevollmächtigte Widerspruch gegen den Bescheid vom 18.11.2010 ein. In dem Widerspruch wird ausgeführt, dass der Umzug erforderlich gewesen sei, da Verwandte im neuen Wohnort ansässig seien, und dadurch eine bessere Betreuung des Sohnes gewährleistete wäre, was der Klägerin eine besser Eingliederung in Arbeit ermögliche (Bl. 82).

Auf den Widerspruch der Kläger erging am 19.01.2011 ein Teilabhilfebescheid. Der Beklagte gewährte den Klägern ab 01.11.2010 bis 31.03.2011 nunmehr Leistungen in Höhe von 155,44 EUR (Bl. 113). Hierbei wurden Kosten der Unterkunft in Höhe von 297,95 EUR zugrunde gelegt (Bl. 114 c). Der Beklagte gewährte nunmehr den Klägern die nach den kommunalen Richtlinien bestimmten angemessenen Kosten der Unterkunft in Höhe der angemessenen Nettokaltmiete von 221,60 EUR zuzüglich den tatsächlichen Betriebskosten in Höhe von 76,35 EUR.

Mit Schreiben vom 07.02.2011 legte die Klägerin Widerspruch gegen den Teilabhilfebescheid vom 19.01.2011 ein (Bl. 133).

Mit Widerspruchsbescheid vom 17.02.2011 wies der Beklagte den Widerspruch der Kläger zurück.

Die Kläger haben am 11.03.2011 Klage beim Sozialgericht Marburg erhoben.

Im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens hat das Gericht Befundberichte bei dem behandelnden Kinderarzt des Klägers zu 2 eingeholt. Der behandelnde Arzt teilte mit, dass der Kläger zu 2 an Diabetes mellitus Typ 1 leide. Ein Umzug in eine andere Wohnung sei möglich, da er keinen Einfluss auf die Haupterkrankung, den Diabetes, habe.

Die Beklagte hat im laufenden gerichtlichen Verfahren zunächst das als "schlüssiges Konzept" bezeichnete Papier für 2010 (Bl. 20-45) und dessen Fortschreibung für 2011 übersandt (Bl. 66- 97).

Mit Bescheid vom 23.09.2011 hat der Beklagte einen Änderungsbescheid für den Zeitraum 01.11.2010 bis 31.03.2011 erlassen. Nunmehr werden Kosten der Unterkunft in Höhe von 309,45 EUR für die Kläger zu 1 und zu 2 anerkannt (Bl. 98).

Die Kläger sind der Ansicht, der angegriffene Bescheid sei rechtswidrig, da nicht die tatsächlichen Kosten der Unterkunft übernommen werden würden. Der Umzug sei erforderlich gewesen, weil die Wohnung in A-Stadt zu klein gewesen sei. Sie haben zudem näher bei ihrer Familie sein wollen.

Die Kläger beantragen,
den Bescheid vom 18.11.2010, geändert durch die Bescheide vom 19.01.2011 und 23.09.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17.02.2011 abzuändern und die Beklagte zu verpflichten, den Klägern Kosten der Unterkunft in tatsächlicher, hilfsweise in angemessener Höhe zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Ansicht, dass die Leistungsgewährung rechtmäßig sei. Ein höherer Leistungsanspruch der Kläger bezüglich der Kosten der Unterkunft bestünde nicht. Der Beklagte verweist auf sein schlüssiges Konzept.

In der mündlichen Verhandlung vom 05.12.2011 wurde die Klägerin zu 1 befragt und die Zeugen S. und C. über die Erstellung des schlüssigen Konzepts des Beklagten vernommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten und der Aussagen der Zeugen wird im Übrigen auf die Gerichtsakte S 8 AS 102/11 und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten, der ARGE II A-Stadt sowie die Sitzungsniederschrift der mündlichen Verhandlung vom 05.12.2011 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist im tenorierten Umfang begründet, darüber hinaus unbegründet.

Der Bescheid vom 18.11.2010, in Form der Änderungsbescheide vom 19.01.2011 und 23.09.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.02.2011 ist insoweit aufzuheben, als der Beklagte verpflichtet wird, den Klägern Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe unter Zugrundelegung angemessener Kosten der Unterkunft von 352 EUR monatlich für die Zeit vom 01.11.2010 bis 31.03.2011 zu zahlen. Im Übrigen ist die Klage abzuweisen, da kein Anspruch der Kläger auf Übernahme der tatsächlichen Kosten der Unterkunft besteht.

Die Kläger haben weder nach § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II (in der bis zum 31.03.2011 geltenden Fassung) nach § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II Anspruch auf Übernahme der tatsächlichen Kosten der Unterkunft. Gemäß § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II sind die Aufwendungen für die Unterkunft, soweit sie den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, als Bedarf des allein stehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft so lange zu berücksichtigen, wie es dem allein stehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate.

Jedoch können sich die Kläger nicht auf diese Vorschrift nicht berufen. Zwar sind Leistungen für Unterkunft und Heizung nach dem § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II nach einem Umzug über die Grenzen des kommunalen Vergleichsraums hinaus nicht auf die Aufwendungen am bisherigen Wohnort begrenzt (vgl. BSG, Urteil vom 01.06.2010, Az.: B 4 AS 60/09 R), jedoch folgt daraus nicht, dass die Kläger Anspruch auf die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung gegen den Beklagten haben.

Der Umstand, dass die Kläger Anfang Oktober 2010 in den Zuständigkeitsbereich des Beklagten zogen und im Oktober 2010 keine Leistungen nach dem SGB II bezogen, führt nicht dazu, dass sie sich auf die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II berufen können. Denn die Klägerin zu 1 stand zum Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrages im Leistungsbezug nach dem SGB II, so dass es nicht darauf ankommt, ob die Kläger im Monat Oktober 2010 hilfebedürftig im Sinne von § 7 SGB II waren (vgl. BSG, Urteil vom 30.08.2010, Az.: B 4 AS 10/10 R), so dass die Klägerin zu 1 verpflichtet gewesen wäre, eine vorherige Zusicherung einzuholen.

Gemäß § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II haben die Kläger Anspruch auf die gesetzlichen Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung der angemessen Kosten der Unterkunft in Höhe von 352 EUR monatlich. Der Betrag von 352 EUR umfasst die angemessene Nettokaltmiete sowie die angemessenen Betriebskosten. Die vom Gericht zugrunde gelegten monatlich angemessenen Kosten der Unterkunft ergeben sich aus § 22 Abs. 1 SGB II i.V.m. §§ 12 WoGG, Anlage 1 zu § 1 Abs. 3 WoVV. Dieser Betrag ist statt des vom Beklagten zugrunde gelegten Betrages bei der Leistungsgewährung als Bedarf zu berücksichtigen, da das vom Beklagten vorgelegte Konzept zur Ermittlung der Kosten der Unterkunft für die Gemeinde B-Stadt nicht den Maßgaben des BSG entspricht und deshalb nicht für die Gemeinde B-Stadt als schlüssiges Konzept betrachtet werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 22.09.2009, Az.: B 4 AS 18/09 R).

Die angemessenen Kosten der Unterkunft sind von der Behörde in einem Dreischritt zu ermitteln.

Der Beklagte ist in einem ersten Schritt in nicht zu beanstandender Weise von einer abstrakt angemessenen Wohnungsgröße von 60 Quadratmeter für zwei Personen ausgegangen.

Nach Vorgaben des BSG sind die Kosten der Unterkunft für eine Wohnung des einfachen Standards zu gewähren (BSG, Urteil vom 22.09.2009, Az.: B 4 AS 18/09 R, Rn. 17). Der Beklagte geht insofern über die Vorgaben des BSG hinaus, als er davon ausgeht, dass die von ihm ermittelten Kosten der Unterkunft neben den Wohnungen des einfachen auch Wohnungen mittleren Standards umfassen (vgl. Bl. 76 der Gerichtsakte).

Die Wohnungsstandards hat der Beklagte hinreichend definiert.

Jedoch greift das vorgelegte Konzept des Beklagten beim nächsten Prüfungsschritt zu kurz. Der Beklagte definiert zwar den Vergleichsraum, er legt somit zwar dar, auf welchen räumlichen Vergleichsmaßstab für die weiteren Prüfungsschritte abzustellen ist, jedoch vertritt er die Ansicht, dass der gesamte Landkreis XY. den Vergleichsraum bildet (vgl. 67 der Gerichtsakte).

Diese Definition steht nicht in Einklang mit den vom BSG entwickelten Maßstäben. Denn das BSG hat zu dem Begriff des Vergleichsraumes ausgeführt: "Bei der Festlegung des Vergleichsraumes geht es um die Ermittlung einer (angemessenen) Referenzmiete am Wohnort oder im weiteren Wohnumfeld des Hilfebedürftigen. Daher sind ausgehend vom Wohnort des Hilfeempfängers Vergleichsmaßstab diejenigen ausreichend großen Räume (nicht bloße Orts- oder Stadtteile) der Wohnbebauung, die auf Grund ihrer räumlichen Nähe zueinander, ihrer Infrastruktur und insbesondere ihrer verkehrstechnischen Verbundenheit einen insgesamt betrachtet homogenen Lebens- und Wohnbereich bilden (BSG, Urteil vom 22.09.2010, Az.: B 4 AS 18/09 R, Rn. 15ff). Das BSG geht dabei im Grundsatz vom Wohnort des Hilfebedürftigen als dem maßgeblichen räumlichen Vergleichsraum aus (BSG, Urteil vom 19.2.2009, Az.: B 4 AS 30/08 R, Rn. 20-23).

Nach Ansicht der Kammer wäre auf die Gemeinde B-Stadt mit den 13 Ortsteilen und nicht auf den gesamten Landkreis XY. als Vergleichsraum abzustellen. Denn der gesamte Landkreis XY. bildet keinen homogenen Lebens- und Wohnbereich im Sinne der Rechtsprechung des BSG. Da der Beklagte als Vergleichsraum auf den gesamten Landkreis XY. abstellt, entspricht er nicht dem vom BSG aufgestellten Vergleichsmaßstab, da der Beklagte durch das gewählte Vorgehen nicht den räumlichen Gegebenheiten des Wohnorts und damit dem sozialen Gefüge der Kläger hinreichend Rechnung trägt. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Weite des Vergleichsmaßstabes im Rahmen der Zumutbarkeit des Umzuges entgegengetreten werden soll (vgl. Bl. 67 der Gerichtsakte).

Das vorgelegte Konzept des Beklagten ist nicht geeignet, um nach Maßgabe der Produkttheorie zu ermitteln, wie viel auf dem Wohnungsmarkt am Wohnort der Kläger und der umliegenden Ortsteile für eine einfache Wohnung aufzuwenden ist. Mit dem Konzept wird das Ziel, einen Quadratmeterpreis für Wohnungen einfachen Standards zu ermitteln, um diesen nach Maßgabe der Produkttheorie mit der dem Hilfeempfänger zugestandenen Quadratmeterzahl zu multiplizieren und so die angemessene Miete feststellen zu können, nicht erreicht. Denn die Ermittlung des angemessenen Quadratmeterpreises ist nicht schlüssig, da die vom BSG aufgestellten Kriterien nur teilweise erfüllt werden.

Entscheidend ist nach Ansicht des BSG, "dass den Feststellungen des Grundsicherungsträgers ein Konzept zu Grunde liegt, dieses im Interesse der Überprüfbarkeit des Ergebnisses schlüssig und damit die Begrenzung der tatsächlichen Unterkunftskosten auf ein "angemessenes Maß" hinreichend nachvollziehbar ist" (BSG, Urteil vom 22.09.2010, Az.: B 4 AS 18/09 R, Rn. 18).

Das BSG führt weiter aus (Urteil vom 22.09.2010, Az.: B 4 AS 18/09 R, Rn. 18), dass "ein Konzept [ ] ein planmäßiges Vorgehen des Grundsicherungsträgers im Sinne der systematischen Ermittlung und Bewertung genereller [ist], wenngleich orts- und zeitbedingter Tatsachen für sämtliche Anwendungsfälle im maßgeblichen Vergleichsraum und nicht nur ein punktuelles Vorgehen von Fall zu Fall. Schlüssig ist das Konzept, wenn es mindestens die folgenden Voraussetzungen erfüllt:

- Die Datenerhebung darf ausschließlich in dem genau eingegrenzten und muss über den gesamten Vergleichsraum erfolgen (keine Ghettobildung) - es bedarf einer nachvollziehbaren Definition des Gegenstandes der Beobachtung, zB welche Art von Wohnungen - Differenzierung nach Standard der Wohnungen, Brutto- und Nettomiete (Vergleichbarkeit), Differenzierung nach Wohnungsgröße, - Angaben über den Beobachtungszeitraum, - Festlegung der Art und Weise der Datenerhebung (Erkenntnisquellen, zB Mietspiegel), - Repräsentativität des Umfangs der eingezogenen Daten, - Validität der Datenerhebung, - Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze der Datenauswertung und - Angaben über die gezogenen Schlüsse (zB Spannoberwert oder Kappungsgrenze)".

Ein Mangel des Konzeptes des Beklagten stellt nach Ansicht der Kammer insbesondere dar, dass das vorgelegte Konzept das Treffen empirischer Aussagen für den Landkreis XY. nicht zulässt. Zwar hat der Beklagte mit 2580 einbezogenen Wohnungen eine beträchtliche Anzahl von Wohnungen ermittelt und einer Auswertung unterworfen, jedoch fehlen entsprechende Ermittlungen hinsichtlich der Struktur des Landkreises bzw. der betroffenen Gemeinde, die eine Einordnung der gewonnenen Erkenntnisse ermöglichen.

Der Beklagte führt aus, dass 5 % bzw. 7 % der Mietwohnungen des Landkreises in die Ermittlungen eingeflossenen seien. Der Beklagte geht somit davon aus, dass im Landkreis ca. 38.000 Mietwohnungen bestehen. Der Landkreis XY. hat ausweislich des statistischen Berichts 166.000 Einwohner. Es liegen dem Gericht keine Erkenntnisse vor, wie die Einwohner des Landkreises XY. wohnen. Es ist nicht nachvollziehbar, wie das Verhältnis von bewohntem Eigentum und vermieteten Wohnungen ist. Ebenso liegen keine Daten vor, wie viele Personen durchschnittlich im Landkreis XY. zusammen wohnen. Es fehlt an Angaben bezüglich der Verteilung: viele Wohnungen werden alleine, zu zweit oder mit mehr als drei oder vier Personen bewohnt. Wie viele Wohnungen bis 45 Quadratmeter, 60 Quadratmeter und größer gibt es im Landkreis. Gleiches gilt für die Eingruppierung der Wohnstandards. Wie viele Wohnungen des gehobenen, mittleren und einfachen Standards sind im Landkreis XY. vorhanden. Nur wenn diese Daten vorliegen, können die Ergebnisse der durchgeführten Erhebung eingeordnet werden. Nur dann, wenn diese Daten bekannt sind, kann eine Aussage getroffen werden, ob die Daten statistisch-relevant sind.

Allein, weil die Daten die Annahmen der Ersteller des Konzeptes bestätigen, können keine Ableitungen über die tatsächlichen Verhältnisse sicher getroffenen werden, denn es fehlt an der Erhebung über den Kontext.

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass nur sehr wenige der vom Beklagten als einfachen Standards definierten Wohnungen in die Erhebung eingeflossen sind. Von den 2580 Wohnungen werden lediglich 287 Wohnungen dieser Kategorie zugeordnet. Ob dies die tatsächlichen Verhältnisse widerspiegelt oder nur Folge der Datenerhebung ist, konnte der Beklagte nicht beantworten. So fällt auf, dass 1418 Wohnungen und damit mehr als die Hälfte der analysierten Wohnungen dem gehoben Standard zugerechnet werden und nur 875 und 287 Wohnungen dem mittleren bzw. dem einfachen Standard.

Dafür dass die ermittelten Mietpreise nicht die tatsächlichen Verhältnisse wiedergeben, spricht, dass der Beklagte für die Gemeinde B-Stadt nur 1 verfügbare Wohnung benennen konnte, die seinen angemessenen Kriterien entspricht. Für den Landkreis konnten für 2010 insgesamt nur 27 angemessene verfügbare Wohnungen benannt werden (Bl. 139f Gerichtsakte).

Aus den genannten Gründen können keine Rückschlüsse hinsichtlich der Repräsentativität des Umfangs der eingezogenen Daten, der Validität der Datenerhebung und die Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze der Datenauswertung für den Wohnort der Kläger gezogen werden. Da das Konzept diesbezügliche keine Aussagen zulässt, sind die Angaben über die gezogenen Schlüsse für den Wohnort der Kläger nicht nachvollziehbar.

Da die Leistungsbewilligung des Bescheides vom 18.11.2010, in Form der Änderungsbescheide vom 19.01.2011 und 23.09.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.02.2011 auf Basis eines nicht schlüssigen Konzeptes erfolgte, ist der angegriffene Bescheid teilweise aufzuheben und der Beklagte zu verpflichten, den Klägern Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe unter Zugrundelegung angemessener Kosten der Unterkunft von 352 EUR monatlich für die Zeit vom 01.11.2010 bis 31.03.2011 zu zahlen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und trägt dem Obsiegen der Kläger Rechnung.

Die Berufung gegen die Entscheidung wird nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Rechtstreits zugelassen, weil gemäß § 144 Abs. 1 SGG das Rechtsmittel der Berufung nicht gegeben wäre.
Rechtskraft
Aus
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