L 11 R 4523/11 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 9 R 3730/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 4523/11 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 09.09.2011 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für das Antrags- und Beschwerdeverfahren auf je 4.051,78 EUR festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde der Antragstellerin ist statthaft und zulässig, aber nicht begründet.

Die gemäß § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Antragstellerin ist nicht nach § 172 Abs 3 Nr 1 SGG in der seit 11.08.2010 geltenden Fassung des Art 6 Drittes Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 05.08.2010 (BGBl I S 1127) ausgeschlossen. Denn in der Hauptsache wäre die Berufung nicht unzulässig, da sich die Antragstellerin gegen die Festsetzung von Beiträgen zur Gesetzlichen Kranken- (KV) und sozialen Pflegeversicherung (PV) sowie zur Gesetzlochen Renten- und Arbeitslosenversicherung durch die Antragsgegnerin in Höhe von 8.103,56 EUR wendet (Bescheid der Antragsgegnerin vom 7.10.2010 in der Fassung des Bescheids vom 26.052011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.07.2011). Nicht Gegenstand des Verfahrens ist der weitere Bescheid der Antragsgegnerin vom 07.10.2010, mit dem diese die Künstlersozialabgabepflicht der Antragstellerin und deren Höhe (2.665,20 EUR) feststellte.

Die Beschwerde ist unbegründet. Das SG hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung zu Recht abgelehnt, da an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide keine ernstliche Zweifel bestehen und auch eine unbillige Härte nicht gegeben ist.

Widerspruch und Anfechtungsklage (hier Klage vom 11.08.2011 - S 9 R 3409/11) haben nicht bereits kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung. Nach Abs 1 des mit Wirkung vom 02.01.2002 durch Art 1 Nr 35 des Sechsten Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes (6. SGGÄndG) vom 17.08.2001 (BGBl I S 2144) eingefügten § 86a SGG haben Widerspruch und Anfechtungsklage zwar grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Nach § 86a Abs 2 Nr 1 SGG entfällt jedoch - wie vorliegend - die aufschiebende Wirkung bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten. Nach § 86b Abs 1 Nr 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache aber auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Die Frage, ob die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage aufgrund von § 86b Abs 1 Nr 2 SGG anzuordnen ist, ist anhand einer Interessenabwägung zu beurteilen. Die öffentlichen Interessen am sofortigen Vollzug des Verwaltungsaktes und die privaten Interessen an der Aussetzung der Vollziehung sind gegeneinander abzuwägen. Dabei ist zu beachten, dass das Gesetz mit dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung dem öffentlichen Interesse an einer sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides Vorrang vor dem Interesse des Betroffenen an einem Aufschub der Vollziehung einräumt. Diese typisierend zu Lasten des Einzelnen ausgestaltete Interessenabwägung kann aber auch im Einzelfall zugunsten des Betroffenen ausfallen. Die konkreten gegeneinander abzuwägenden Interessen ergeben sich in der Regel aus den konkreten Erfolgsaussichten des Hauptsachverfahrens, dem konkreten Vollziehungsinteresse und der für die Dauer einer möglichen aufschiebenden Wirkung drohenden Rechtsbeeinträchtigung (so auch Beschluss des Senats vom 06.05.2010, L 11 R 1806/10 ER-B). Dabei sind auch stets die Maßstäbe des § 86a Abs 3 Satz 2 SGG zu berücksichtigen. Demgemäß hat eine Aussetzung der Vollziehung zu erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgabepflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

Der Senat geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass bei Beitragsstreitigkeiten ernstliche Zweifel in Sinne des § 86a Abs 3 Satz 2 SGG nur dann vorliegen, wenn ein Obsiegen des Antragstellers in der Hauptsache wahrscheinlicher ist als ein Unterliegen (vgl auch Beschluss des Senats vom 28.06.2010, L 11 R 1903/10 ER-B, nv). Andernfalls wäre in Beitragsangelegenheiten angesichts der vielfach in vorläufigen Rechtsschutzverfahren noch ungeklärten Verhältnisse eine Aussetzung der Vollziehung häufig nicht durchsetzbar, was die Funktionsfähigkeit der Sozialversicherungsträger beeinträchtigen könnte (ebenso LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 01.07.2004, L 5 B 2/04 KR ER mwN, juris).

Nach dem gegenwärtigen Stand ist es überwiegend wahrscheinlich, dass die Klage keinen Erfolg haben wird. Denn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides dürften nicht bestehen. Bei einer Gesamtabwägung überwiegen die Indizien, die für eine abhängige Beschäftigung der von der Antragsgegnerin im angefochtenen Bescheid genannten Personen sprechen, bei Weitem diejenigen, die für deren selbständige Tätigkeit sprechen. Dies hat das SG ausführlich und zutreffend dargestellt, sodass der Senat von einer weiteren Begründung diesbezüglich absieht und zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG hierauf Bezug nimmt. Ein überwiegend wahrscheinliches Obsiegen könnte aufgrund der vorliegenden Sachlage nur nach Durchführung einer Beweisaufnahmen (zB insbesondere im Fall der Mitarbeiterin D. C.) prognostiziert werden; eine solche Beweisaufnahme ist aber gerade im vorliegenden Verfahren nicht durchzuführen, diese bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.

Auch soweit das Beschwerdevorbringen auf den offen Ausgang des Hauptsacheverfahrens verweist, gibt dies, angesichts der vorstehenden Ausführungen, keinen Grund die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen. Im Übrigen konnte der Senat auch nicht feststellen, dass die Ausführungen des SG im angefochtenen Beschluss tendenziell oder willkürlich wären. Auch dass das SG nicht alles in seine Abwägung eingestellt hat, was einzustellen gewesen wäre, ist nicht erkennbar.

Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage wegen einer unbilligen Härte kommt ebenfalls nicht in Betracht. Eine unbillige Härte liegt vor, wenn durch die sofortige Beitreibung ein über den Entzug des Geldes wirtschaftlicher Schaden droht, der durch eine spätere Erstattung nicht oder nur schwer wieder gut zu machen ist, ohne dass dem ein überwiegendes öffentliches Interesse gegenüber steht (Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 5. Auflage 2008, Kap. V RdNr 17 mwN). Ob die Anordnung der aufschiebenden Wirkung wegen unbilliger Härte nur dann in Betracht kommt, wenn auch Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bestehen (vgl. hierzu die ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzgerichtshofes [BFH], Beschluss vom 09.12.1999, III B 16/99 = BFH/NV 2000, 885; BFHE 92, 314; siehe auch Beschluss des Hessischen Finanzgerichts vom 15.01.2007, 11 V 2553/06, juris), braucht hier nicht entschieden zu werden. Denn Nachteile, die über die eigentliche Leistung hinausgehen und nicht oder nur schwer wieder gut gemacht werden könnten, sind vorliegend von der Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht worden. Zwar hat sie pauschal behauptet, sie könne wegen der wirtschaftlichen Lage den von der Antragsgegnerin festgesetzten Betrag nicht "in einem Schlag" bezahlen. Doch hat sie insoweit auch weder Umstände zur wirtschaftlichen Situation näher dargelegt oder gar glaubhaft gemacht, noch hat die Antragstellerin - soweit ersichtlich - bei der Antragsgegnerin eine Stundung oder Ratenzahlung begehrt. Eine unbillige Härte kann mithin nicht festgestellt werden.

Damit war die Beschwerde zurückzuweisen, wobei die Kostenentscheidung auf einer entsprechenden Anwendung des § 197 a Abs 1 SGG i. V. m. § 154 Abs 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) beruht.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird nach § 197 a SGG i. V. m. §§ 63 Abs 1, 52 Abs 1 und 2 Gerichtskostengesetz (GKG) auf die Hälfte der streitigen Beitragsnachforderung und der Nebenkosten - mithin ½ aus 8.103,56 EUR (vgl den Bescheid vom 26.05.2011), also 4.051,78 EUR - festgesetzt. Gleichzeitig wird die Streitwertfestsetzung erster Instanz von Amts wegen geändert (§ 63 Abs. 3 GKG).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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