L 2 AL 51/10

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 4 AL 90193/09
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 2 AL 51/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Aufrechnung einer bestandskräftig festgestellten Forderung der Beklagte gegen ihn mit seinem Arbeitslosengeldanspruch.

Der am 1947 geborene Kläger bezog seit 2004 zeitweilig Arbeitslosengeld von der Beklagten und übte zahlreiche, teilweise kurze Beschäftigungen aus. Die Beklagte hob mit Bescheid vom 4. Juni 2007 die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab dem 2. April 2007 auf und forderte mit Bescheid vom 10. Juli 2007 von dem Kläger die Erstattung von ihm zu Unrecht gezahltem Arbeitslosengeld in Höhe von 933,16 EUR. Die Forderung ergab sich daraus, dass der Kläger zwar eine Arbeitsaufnahme rechtzeitig bei der Beklagten angezeigt hatte, die Verarbeitung durch die Beklagte aber nicht zeitnah erfolgte, sodass eine Überzahlung eintrat. Die betreffenden Bescheide wurden bestandskräftig. Auf Antrag des Klägers bewilligte die Beklagte dem Kläger ab dem 11. November 2009 erneut Arbeitslosengeld für die Dauer von 416 Tagen in Höhe von 22,82 EUR täglich (684,60 EUR monatlich).

Mit Schreiben vom 24. November 2009 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass er in Höhe von 933,16 EUR zu hohe Leistungen erhalten habe und geprüft werde, ob und in welcher Höhe diese Rückforderung gegen den aktuellen Leistungsanspruch aufgerechnet werden könne. Sie fügte einen Fragebogen im Hinblick auf die Hilfebedürftigkeit nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) bei und bat um Ausfüllung und Mitteilung bis zum 8. Dezember 2009. Mit Schreiben vom 25. November 2009 teilte der Kläger mit, dass der Europäische Gerichtshof in Luxemburg die Rechtssache zum Abschluss bringen werde, da sie willkürlich sei und gegen das EU-Recht verstoße. Mit weiterem Anhörungsschreiben vom 30. November 2009 teilte die Beklagte dem Kläger erneut mit, dass eine Aufrechnung beabsichtigt sei, wenn er jedoch nachweisen könne, dass er durch die Aufrechnung hilfebedürftig werden würde; dann werde nicht aufgerechnet. Dies solle anhand der Angaben im Fragebogen geprüft werden. Die Beklagte fügte erneut einen Fragebogen als Anlage bei, welchen der Kläger nicht zurücksandte.

Mit Aufrechnungsbescheid vom 14. Dezember 2009 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass die Forderung aus dem Bescheid vom 10. Juli 2009 derzeit 933,16 EUR betrage und ab dem 1. Januar 2010 in Höhe von 3,33 EUR täglich gegen den Anspruch auf Arbeitslosengeld aufgerechnet werde. Mit Änderungsbescheid vom 14. Dezember 2009 teilte sie ihm weiter mit, das wegen der Aufrechnung in der Zeit vom 1. Januar 2010 bis zum 10. Oktober 2010 täglich 19,49 EUR Arbeitslosengeld gezahlt würden, für den 11. Oktober 2010 22,06 EUR und ab dem 12. Oktober 2010 wieder 22,82 EUR täglich. Gegen die Aufrechnung und die Reduzierung seines Leistungsanspruches legte der Kläger Widerspruch ein.

Am 18. Dezember 2009 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Stendal (SG) erhoben und zugleich um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht (Az. S 4 AL 191/09 ER bzw. im Beschwerdeverfahren L 2 AL 3/10 B ER), um die aufschiebende Wirkung seines Widerspruches anzuordnen. Der einstweilige Rechtsschutzantrag war weder erst- noch zweitinstanzlich erfolgreich (Beschluss des Senates vom 15. Februar 2010). Mit Widerspruchsbescheid vom 26. Januar 2010 hat die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurückgewiesen und ausgeführt: Der Kläger habe nicht nachgewiesen, dass er durch die Aufrechnung hilfebedürftig werde, obwohl ihm hierzu ausdrücklich Gelegenheit gegeben worden sei. Auch aus dem Akteninhalt sei nicht zu entnehmen, dass er hilfebedürftig im Sinne des SGB II oder des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch – Sozialhilfe (SGB XII) würde. Bei der Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens sei berücksichtigt worden, dass dem Kläger der hälftige Leistungssatz (11,41 EUR) täglich verbleiben müsste. Wegen der Besonderheiten des Einzelfalles sei der tägliche Leistungssatz von 22,82 EUR jedoch nur um 3,33 EUR täglich reduziert worden. Die Beklagte berücksichtige insoweit, dass der Kläger die Arbeitsaufnahme rechtzeitig angezeigt habe, aber die Verarbeitung durch die Beklagte nicht zeitnah erfolgt sei. Des Weiteren berücksichtige sie, dass der Kläger alleinstehend sei. Von der Aufrechnung könne jedoch nicht gänzlich abgesehen werden, da der Kläger durch die Überzahlung des Arbeitslosengeldes aufgrund der Arbeitsaufnahme einen Vermögensvorteil erlangt habe, da er sowohl Arbeitslosengeld als auch Arbeitsentgelt bezogen habe. Die Aufrechnung in Höhe von 3,33 EUR täglich werde daher für angemessen gehalten.

Der Kläger hat zur Begründung seiner Klage vorgetragen: Er habe die Überzahlung nicht verursacht. Die von der Beklagten herangezogene Aufrechnungsvorschrift im Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil (SGB I) verstoße gegen höherrangiges Recht. Eine solche Aufrechnung verstoße gegen das Grundgesetz, EU-Recht und gegen die "Konvention der Menschenrechte der UNO".

Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 9. Juni 2010 die Klage abgewiesen und zur Begründung unter anderem ausgeführt: Die Beklagte sei berechtigt, die bestandskräftig festgestellte Forderung bis zur Hälfte des Arbeitslosengeldanspruches des Klägers aufzurechnen. Die Aufrechnung sei in Höhe von monatlich 99,90 EUR erfolgt, mithin betreffe sie weniger als die Hälfte seines Leistungsanspruchs. Dass der Kläger durch die Aufrechnung hilfebedürftig im Sinne des SGB II werde, sei nicht ersichtlich. Er habe auch hierzu nichts vorgetragen. Den Fragebogen, den die Beklagte ihm zugesandt habe, habe er nicht ausgefüllt und nicht zurückgesandt. Ein Verstoß gegen höherrangiges Recht sei nicht ersichtlich.

Der Kläger hat gegen den ihm am 14. Juni 2010 zugestellten Gerichtsbescheid des SG am 17. Juni 2010 Berufung eingelegt und zur Begründung insbesondere ausgeführt: Er halte schon die Rückforderung für nicht berechtigt, außerdem halte er die Aufrechnung für unrechtmäßig. Sie führe zu einer sozialen Ausgrenzung. Seinen bisherigen Lebensstandard, der sich auf einem normalen Niveau bewege, könne er mit der vorgenommenen Aufrechnung nicht mehr halten. Er habe den Bogen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht ausgefüllt, weil er die Erfahrung gemacht habe, dass mit solchen Angaben "Schindluder" getrieben werden könne. Außerdem komme es hierauf überhaupt nicht an, weil eine solche Aufrechnung ohnehin unrechtmäßig sei. Fragebogen und Hilfebedürftigkeit ständen niemals zur Debatte. Sein Recht auf Eigentum nach dem Grundgesetz (Art. 14 GG) werde verletzt, ihm würden schwere Nachteile zugefügt. Er bestehe auf der Auszahlung der vollen Höhe des Arbeitslosengeldanspruchs. Die Beklagte wolle ihre Schuld nicht zugeben. Es bestehe eine Gefährdung des Grundgesetzes und der Strukturen der Europäischen Union. Hierbei verweise er insbesondere auf Art. 25 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, wonach u. a. jeder das Recht auf einen Lebensstandard habe, der seine und seiner Familie Gesundheit und Wohl gewährleistet, einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Versorgung und notwendige soziale Leistungen. Das SGB I stehe nicht über dem Grundgesetz und EU-Recht. Deshalb sei der Rechtsstreit dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen mit Verweis auf den Vertrag von Lissabon. Der soziale Schutz müsse auch bei einer Aufrechnung erhalten bleiben.

Mit Beschluss vom 10. März 2011 hat der Senat einen neu in der Berufungsinstanz gestellten Antrag des Klägers auf Schadensersatz gegen Mitarbeiter der Beklagten abgetrennt und mit Beschluss vom 16. März 2011 den Rechtsstreit insoweit an das Landgericht Stendal verwiesen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stendal vom 9. Juni 2010 und den Bescheid der Beklagten vom 14. Dezember 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Januar 2010 aufzuheben und ihm das nicht ausbezahlte Arbeitslosengeld für 1. Januar 2010 bis 22. Juni 2010 in Höhe von insgesamt 566,10 EUR zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie führt zur Begründung aus: Sie habe das ihr zustehende Ermessen dahingehend ausgeübt, dass statt der nach dem Gesetz möglichen Aufrechnung bis zur Hälfte des Leistungssatzes nur ein Betrag von 100,00 EUR monatlich aufgerechnet werde, damit eine Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II nicht eintrete. Der Kläger habe zur Entscheidungsfindung nichts beigetragen und trage auch im Beschwerdeverfahren nichts zur Sache bei, sodass die Aufrechnungsentscheidung zutreffend sei.

Die Beklagte nahm vom 1. Januar 2010 bis 22. Juni 2010 eine entsprechende Aufrechnung vor. Danach nahm der Kläger wieder eine Arbeit auf. Seit dem 19. Dezember 2010 war der Kläger wieder arbeitslos. Mit Bescheid vom 11. Februar 2011 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass die Forderung aus der Überzahlung noch 367,06 EUR betrage und ab dem 1. Februar 2011 in Höhe von 0,33 EUR täglich gegen den Anspruch auf Arbeitslosengeld aufgerechnet werde. Seit dem 28. Februar 2011 hat der Kläger wieder eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen.

Im Erörterungstermin vom 4. August 2010 hat der Berichterstatter dem Kläger im Einzelnen dargelegt, welche konkreten Angaben nötig sind, um die Hilfebedürftigkeit prüfen zu können. Der Kläger hat entsprechende Angaben in der Folgezeit nicht gemacht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagte ergänzend Bezug genommen. Diese Akten sind bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt worden.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist statthaft (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Der Wert des Beschwerdegegenstandes lag über 750 EUR. Zum Zeitpunkt der Einlegung der Berufung am 17. Juni 2010 bezog sich der wirtschaftliche Wert der Aufrechnung noch auf die gesamte Forderung in Höhe von 933,16 EUR. Erst mit der Arbeitsaufnahme zum 23. Juni 2010 und der Einstellung der Aufrechnung durch die Beklagte reduzierte sich der wirtschaftliche Wert des Streitgegenstandes im Verlauf des Berufungsverfahrens auf unter 750 EUR. Dies ist jedoch unbeachtlich. Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt worden und auch im Übrigen zulässig.

Gegenstand der Berufung ist nur der Aufrechnungsbescheid vom 14. Dezember 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Januar 2010 und die daraus resultierende verminderte Auszahlung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld (Änderungsbescheid vom 14. Dezember 2009). Dagegen ist der Folgeaufrechnungsbescheid vom 11. Februar 2011 und die daraus resultierende Verminderung des Alg-Anspruches nicht Gegenstand dieses Rechtsstreites. Nach § 96 SGG wird ein neuer Verwaltungsakt nach Klageerhebung nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Der betreffende Verwaltungsakt trifft jedoch eine neue Verwaltungsentscheidung über den Restrückforderungsbetrag auf der Grundlage der aktuellen Verhältnisse. Die frühere Entscheidung wird damit nicht abgeändert oder ersetzt. Ihre Wirkung hat mit der Arbeitsaufnahme und der Aufhebung der Leistungsbewilligung geendet.

Die Berufung ist nicht begründet. Das SG hat zu Recht entschieden, dass die Klage abzuweisen ist. Denn die Bescheide vom 14. Dezember 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Januar 2010 sind rechtmäßig und verletzen nicht die Rechte des Klägers. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Auszahlung des restlichen Arbeitslosengeldes, der Anspruch ist durch die Aufrechnung erloschen.

Richtige Klageart ist die Anfechtungsklage in Verbindung mit einem Folgenbeseitigungsanspruch durch den bereits erfolgten Vollzug des Verwaltungsaktes. Die Beklagte hat über die Aufrechnung in Form eines Verwaltungsaktes entschieden. Sie hatte dem Kläger zuvor bereits höhere Leistungen in der gewünschten Höhe bewilligt. Der Vollzug der Verrechnung bewirkt keine Erledigung des Verwaltungsaktes nach § 39 Abs. 2 SGB X auf sonstige Weise (so anscheinend BSG, Urteil vom 27. März 2007 – B 13 RJ 43/05 R, Rn. 13 – zitiert nach juris). Denn eine Erledigung eines Verwaltungsaktes tritt grundsätzlich nicht allein wegen der Vollziehung des Verwaltungsaktes ein, solange diese zumindest für die Zukunft rückgängig gemacht werden kann (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9.Aufl., § 131 RN. 7a m.w.N.; Urteil des LSG Berlin-Brandenburg v. 25. November 2010 – L 27 R 947/07 – zitiert nach juris). Dies ist bei einem auf eine Geldleistung gerichteten Verwaltungsakt der Fall. Rechtswirkungen entfaltet der Aufrechnungsverwaltungsakt insoweit, als er der vollständigen Auszahlung des Arbeitslosengeldes entgegensteht. Eine Rückgängigmachung der Vollziehung läge in der Auszahlung des einbehaltenen Arbeitslosengeldes.

Die Aufrechnung der Beklagten war rechtmäßig und der Kläger hat keinen Anspruch auf weiteres Arbeitslosengeld in Höhe von 3,33 EUR täglich für den Zeitraum 1. Januar 2010 bis 22. Juni 2010. Die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Aufrechnung und der Höhe des Leistungsanspruches hängt nicht davon ab, ob die ausgesprochene Aufrechnungserklärung als Verwaltungsakt ergehen durfte oder nicht (hierzu ist eine Vorlage vor den Großen Senat des Bundessozialgerichts anhängig: Vorlagebeschluss vom 25. Februar 2010 – B 13 R 76/09 R – zitiert nach juris). Auch nach der Auffassung, die für die Aufrechnung von einer verwaltungsrechtlichen Willenserklärung ausgeht und einen Verwaltungsakt nicht für zulässig hält (so der 4. Senat des Bundessozialgerichts z. B. im Urteil vom 24. Juli 2003 – SozR 4-1200 § 52 Nr. 1 und Urteil vom 5. September 2006 – B 4 R 71/06 R – zitiert nach juris) liegt in dem Verwaltungsakt zugleich die betreffende verwaltungsrechtliche Willenserklärung. Bei der materiell rechtlichen Prüfung der Rechtmäßigkeit der Aufrechnung wirkt sich dieser Streit daher nicht aus.

Gemäß § 51 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - (SGB I) kann der zuständige Leistungsträger gegen Ansprüche auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen Gegenansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufrechnen, wenn der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des Zwölften Buches über die Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch wird. Die Sonderregelungen in § 51 SGB I überlagern die allgemeinen Voraussetzungen für eine Aufrechnung, die ebenfalls vorliegen müssen. Es bestand eine Aufrechnungslage. Es handelt sich um gleichartige Geldforderungen im Gegenseitigkeitsverhältnis. Die Gegenforderung der Beklagten ist vollwirksam und fällig, die Forderung des Klägers bereits entstanden und erfüllbar. Die Beklagte hat gegen den Kläger einen Anspruch auf Erstattung zu Unrecht gezahlten Arbeitslosengeldes, mithin zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen. Die diesbezüglichen Verwaltungsentscheidungen sind bestandskräftig geworden. Die Überzahlung beruhte darauf, dass der Kläger gleichzeitig sowohl Arbeitslosengeld als auch Arbeitsentgelt bezogen hat. Die Aufrechnungserklärung ist auch hinreichend bestimmt. Es ist aus dem Verfügungssatz erkennbar mit welcher Forderung und in welcher Höhe aufgerechnet wird.

Die Beklagte ist nach § 51 Abs. 2 SGB I berechtigt, bis zur Hälfte des Arbeitslosengeldanspruches des Klägers aufzurechnen. Sie rechnet hier in Höhe von 3,33 EUR täglich auf, also in Höhe eines Betrages, der weit unterhalb der Hälfte der täglichen Leistungen des Klägers in Höhe von 22,82 EUR liegt. Der Kläger hat nicht nachgewiesen, dass er durch diese Aufrechnung hilfebedürftig im Sinne des SGB II oder des SGB XII würde. Er hat auch nicht vorgetragen und es ist auch nicht aus anderen Umständen ersichtlich, dass eine solche Hilfebedürftigkeit zu befürchten war. Den ihm von der Beklagten zugesandten Fragebogen hat er nicht ausgefüllt und nicht zurückgesandt. Er hat dem SG vielmehr mitgeteilt, dass der Fragebogen und die Hilfebedürftigkeit nicht zur Debatte ständen. Auch nach umfangreicher Erläuterung im Erörterungstermin vor dem Berichterstatter und einer nachgehenden Auflage war der Kläger nicht bereit diese Angaben zu tätigen, weil er die "Gefahr das Schindluders" mit seinen Informationen sah. Ohne Zustimmung des Klägers kann auch das Gericht die Informationen nicht von Banken, Versicherungen und Finanzämtern einholen. Für den Nachweis der Hilfebedürftigkeit trifft den Leistungsberechtigten die Obliegenheit, im Sinne einer verstärkten Mitwirkungspflicht (vgl. Seewald in KassKomm SGB, § 51 SGB I, Rn. 19a). Entscheidet er sich nach umfangreicher Belehrung dazu, solche Angaben zu seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen nicht abgeben zu wollen, ist dies sein Recht, er trägt jedoch dann die Konsequenzen, wenn sich die Hilfebedürftigkeit nicht aus anderen Umständen ergibt. Allein der Umstand, dass nach der Aufrechnung nur noch eine Arbeitslosengeldzahlung, welche 225,70 EUR über dem Regelsatz (ohne Kosten der Unterkunft) liegt, gezahlt wird, reicht dafür nicht aus. Auch wenn eine Hilfebedürftigkeit allein nach der Höhe des Arbeitslosengeldes in Abhängigkeit von den jeweiligen Unterkunftskosten möglich erscheint, kann dies nicht geprüft werden. Der Kläger hat seine Unterkunftskosten nicht mitgeteilt. Auch seine Vermögensverhältnisse oder etwaigen sonstigen Einkünfte sind nicht bekannt. Der Kläger hat auch nicht zeitnah eine von Bedürftigkeit abhängende Leistung bezogen (z. B. bis 31. Dezember 2004 Arbeitslosenhilfe bzw. ab 1. Januar 2005 Arbeitslosengeld II) aus der auf eine aktuelle Bedürftigkeit hätte geschlossen werden können. D. h. die Beschränkung der privilegierten Aufrechnung durch den Leistungsträger greift nicht ein.

Die Aufrechnungsentscheidung steht im Ermessen der Beklagten. Dies zeigt schon die Formulierung, wonach der Leistungsträger aufrechnen kann. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich. Gemäß § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG dürfen die Gerichte nur prüfen, ob die Verwaltung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Dazu gehört auch, festzustellen, ob der Leistungsträger überhaupt seiner Pflicht zur Ermessensbetätigung nachgekommen ist. Die Beklagte hat zumindest im Widerspruchsbescheid ausreichende Ermessenserwägungen angestellt. Sie hat erkannt, dass ihr ein Ermessen eingeräumt ist. Bei der Entscheidung hat sie die Interessen des Leistungsempfängers und die Interessen der Beitragszahler gegeneinander abgewogen und auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen sie bei der Ausübung des Ermessens ausgegangen ist. Sie hat zugunsten des Klägers berücksichtigt, dass er die Arbeitsaufnahme rechtzeitig angezeigt hat, aber die Verarbeitung durch die Verwaltung nicht zeitnah erfolgt ist und dass er alleinstehend ist und die Kosten nicht aufteilen kann. Des weiterein hat sie berücksichtigt, dass die Höhe des dem Kläger gezahlten Arbeitslosengeldes bei einer weitergehenden Kürzung die Höhe der Regelleistung nicht mehr überschreiten würde. Sie hat deshalb nicht den vollen Minderungsbetrag angesetzt. Zugleich hat sie berücksichtigt, dass der Kläger einen Vermögensvorteil erlangt hat. Dem Kläger verblieb ein Arbeitslosengeldanspruch in Höhe von 584,70 EUR.

Soweit der Kläger meint, die behördliche Entscheidung bzw. § 51 Abs. 2 SGB I seien nicht mit dem Grundgesetz (GG) oder dem Europäischen Recht vereinbar, folgt der Senat dieser Auffassung nicht. Die Regelung ist vielmehr verfassungsgemäß. Ein Verstoß gegen Artikel 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Artikels 20 Abs. 1 GG ist insbesondere dadurch ausgeschlossen, dass es dem Kläger jederzeit möglich ist, eine etwaige Hilfebedürftigkeit nachzuweisen (§ 51 Abs. 2 SGB I). Aus diesem Grund liegt auch kein Verstoß gegen die im Europäischen Recht geltenden Menschenrechtsstandards vor. Gefordert ist nur die Wahrung eines sozialen Mindeststandards. Gerade die Einhaltung dieser Mindeststandards (sozioexistenzielles Minimum) ist durch die Beschränkung der Aufrechnung, wenn sonst Hilfebedürftigkeit nach dem SGB XII oder SGB II eintreten würde, gewährleistet. Eine Aufrechterhaltung des bisherigen Lebensstandards lässt sich aus den europäischen Normen nicht ableiten.

Der betreffende Aufrechnungsbescheid war auch nicht – ohne Auswirkung auf das Ergebnis – aus formellen Gründen aufzuheben, weil die durch ihn ausgesprochene Aufrechnungserklärung nicht als Verwaltungsakt hätte ergehen dürfen. Zu der Frage, ob die Aufrechnung durch Verwaltungsakt oder durch eine verwaltungsrechtliche Willenserklärung auszuüben ist, besteht in der Rechtssprechung des Bundessozialgerichts Uneinigkeit. Der 4. Senat vertritt, die Auffassung, dass ein Aufrechnungsverwaltungsakt als "Anscheinsverwaltungsakt" aufzuheben ist (Urteil vom 24. Juli 2003 – SozR 4-1200 § 52 Nr. 1; Urteil vom 5. September 2006 – B 4 R 71/06 R – zitiert nach juris); demgegenüber vertritt u. a. der 13. Senat die Auffassung, die Aufrechnung sei durch Verwaltungsakt auszuüben und hat die Rechtsfrage dem Großen Senat zur Entscheidung vorgelegt (Vorlagebeschluss vom 25. Februar 2010 – B 13 R 76/09 R – zitiert nach juris). Der Senat folgt der Auffassung, dass § 51 SGB I eine ausreichende Ermächtigung für eine Aufrechnung durch Verwaltungsakt geschaffen hat. Es handelt sich um ein zivilrechtliches Rechtsinstitut, welches aber durch die Besonderheiten im Bereich des Sozialverwaltungsrechtes überlagert wird. So muss die Behörde bei der Ausübung der Aufrechnung eine Ermessensentscheidung treffen. Der Gesetzgeber selbst hat deutlich gemacht, dass er von einem Verwaltungsakt ausgeht. So muss vor einem Verwaltungsakt, der in die Rechte eines Beteiligten eingreift, eine Anhörung durchgeführt werden. Nach § 24 Abs. 2 Nr. 7 SGB X ist eine solche Anhörung entbehrlich, wenn gegen Ansprüche oder mit Ansprüchen von weniger als 70 EUR aufgerechnet oder verrechnet werden soll. Diese Regelung impliziert, dass die Behörde ermächtigt ist, die Aufrechnung oder Verrechnung durch Verwaltungsakt zu erklären.

Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 SGG.

Die Revision war nicht nach § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. Grundsätzliche Bedeutung liegt dann vor, wenn sich eine Rechtsfrage stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich ist und deren Klärung auch durch das Revisionsgericht zu erwarten ist. Hierfür muss auch die rechtliche Frage, für den zu entscheidenden Fall erheblich sein, denn die Klärungsfähigkeit schließt die Entscheidungserheblichkeit ein (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 160 Rn. 9). Die Frage, ob die Aufrechnungserklärung als Verwaltungsakt erklärt werden muss oder ob dies nicht zulässig ist, berührt in dieser Konstellation das Ergebnis dieses Rechtsstreites nicht.
Rechtskraft
Aus
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