L 1 AS 4152/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
1
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 12 AS 2834/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 AS 4152/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 30.08.2011 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt im vorliegenden Verfahren nunmehr noch die Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.04.2010 bis zum 06.03.2011.

Der am 07.07.1952 geborene Kläger bezog von dem Beklagten aufgrund Bescheid vom 01.02.2010 Arbeitslosengeld II (Alg II) für die Zeit vom 01.11.2009 bis zum 30.04.2010 in Höhe der Regelleistung von monatlich 359,- EUR. Nachdem mehrfach an den Kläger gerichtete Post mit dem Vermerk "Empfänger unter der angegebenen Adresse nicht zu ermitteln" an den Beklagten zurückgesandt worden war, stellte dieser die Auszahlung der Leistungen ab 01.04.2010 vorläufig ein.

Der Kläger gab bei einer Vorsprache beim Beklagten am 01.04.2010 unter anderem an, keinen festen Wohnsitz zu haben. Der Beklagte forderte den Kläger daraufhin mehrmalig, zuletzt mit Schreiben vom 09.07.2010 und Fristsetzung bis zum 26.07.2010 auf, schriftlich zur Bestreitung seines Lebensunterhalts seit April 2010 Stellung zu nehmen sowie darzulegen, wo er sich derzeit aufhalte.

Der Kläger sprach in der Folgezeit vor, jedoch weigerte er sich, einen Weiterbewilligungsantrag zu stellen; insbesondere verweigerte er eine Unterschrift, was er damit begründete, schon einmal vor 20 Jahren ein Formular bei dem Beklagten unterschrieben zu haben. Bei einer persönlichen Vorsprache am 02.08.2010 verweigerte er es zudem mehrfach ausdrücklich, einen Weiterbewilligungsantrag zu stellen (vgl. den Vermerk über die Vorsprache des Klägers auf Bl. 90 der Verwaltungsakte).

Mit Bescheid vom 02.09.2010 versagte der Beklagte dem Kläger die Gewährung von Leistungen ab dem 01.04.2010 unter Berufung auf § 66 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I). Der Bescheid war mit einer Rechtsbefehlsbelehrung versehen, wonach innerhalb eines Monats schriftlich oder zur Niederschrift bei der im Briefkopf genannten Stelle Widerspruch eingelegt werden könne.

Mit Schreiben vom 01.12.2010 (Bl. 2 der SG-Akte S 12 AS 2835/11) verwies der Kläger erneut darauf, dass er bereits vor 20 Jahren eine Unterschrift geleistet und kein Geld erhalten habe, weswegen er keinen neuen Antrag unterschreiben werde. Die Frage nach seinem Wohnsitz werde immer wieder gestellt, obwohl der Beklagte wisse, dass er keinen Wohnsitz habe. Er wohne mietfrei bei Freunden, weswegen er auch keine Antrag auf Geld für seine Wohnkosten gestellt habe.

Der Kläger sprach dann erst wieder am 07.03.2011 beim Beklagten vor und beantragte erneut die Gewährung von Alg II. Am 04.05.2011 und am 06.05.2011 erklärte er hierzu ergänzend, dass er für die Zwischenzeit, in der er nichts erhalten habe, einen Antrag auf Überprüfung stelle. Er habe in dieser Zeit Geld von Bekannten erhalten und müsse dieses zurückzahlen.

Am 07.03.2011 hat der Kläger zur Niederschrift beim Verwaltungsgericht Stuttgart (VG) Untätigkeitsklage gem. § 75 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) mit dem Antrag erhoben, den Beklagten zur Beantwortung seines Schreibens vom 01.12.2010 zu verpflichten (Az. 4 K 874/11). Es sei kein Grund dafür ersichtlich, dass der Beklagte dieses Schreiben bisher nicht bearbeitet habe. Das VG hat die Klage mit Beschluss vom 12.04.2011 an das Sozialgericht Stuttgart (SG) verwiesen (Az. S 12 AS 2834/11).

Am 18.03.2011 hat der Kläger schriftlich eine weitere Klage beim VG erhoben (Az. 4 K 983/11). Mit seinem Antrag an das VG hat er sich im Wesentlichen dagegen gewandt, für eine Leistung des Beklagten eine Unterschrift leisten zu müssen. Die Behauptung des Beklagten, er habe zuvor Anträge unterschrieben, sei unzutreffend. Insoweit seien sofortige Maßnahmen und ein Prozess erforderlich, da er versichern könne, in den letzten fünf Jahren kein Formular des Beklagten unterschrieben zu haben. Das VG hat auch diesen Rechtsstreit mit Beschluss vom 12.04.2011 an das SG verwiesen. Dieses Verfahren ist beim SG derzeit weiterhin anhängig.

Mit Bescheid vom 09.05.2011 hat der Beklagte dem Kläger aufgrund des Antrags vom 07.03.2011 für die Zeit vom 07.03.2011 bis 26.07.2011 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von monatlich 364,- EUR bewilligt. Der Kläger war zu diesem Zeitpunkt in einer Notübernachtungseinrichtung des Sozialamtes der Stadt S. untergebracht.

Der Beklagte hat in dem Verfahren S 12 AS 2834/11 die Auffassung vertreten, dass aus dem Schreiben vom 01.12.2010 (Bl. 80 der Verw.-Akte) nicht ersichtlich sei, dass er hierauf hätte reagieren müssen. Vielmehr sei in diesem Schreiben eine (bloße) Mitteilung des Klägers zu sehen. Erneut seien Leistungen erst ab dem 07.03.2011 wieder beantragt worden. Im Übrigen wäre, wenn im Schreiben vom 01.12.2010 ein Antrag zu sehen gewesen wäre, zum Zeitpunkt der Klageeinreichung dieser als unzulässig zurückzuweisen, da die zur Antragsbearbeitung zustehende Sechs-Monats-Frist noch nicht verstrichen gewesen sei.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit dem Aktenzeichen S 12 AS 2834/11 mit Gerichtsbescheid vom 30.08.2011 abgewiesen. Die Klage sei als Untätigkeitsklage nach § 88 Sozialgerichtsgesetz (SGG) unzulässig, weil das Schreiben des Klägers vom 01.12.2010 keinen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts darstelle. Vielmehr beinhalte das Schreiben des Klägers lediglich eine Mitteilung an den Beklagten darüber, warum er nicht bereit sei, ein Antragsformular auszufüllen und zu unterschreiben. Auch als Leistungsklage sei die Klage mangels Rechtsschutzinteresse unzulässig, da der Kläger auf seinen Leistungsantrag vom 07.03.2011 mit Bescheid vom 09.05.2011, obwohl er den entsprechenden Antrag nicht unterschrieben habe, Leistungen nach dem SGB II bewilligt erhalten habe. Die begehrte Verpflichtung sei damit nicht geeignet, die Rechtstellung des Klägers zu verbessern. Darüber hinaus sei die Klage auch unbegründet; es gebe keine Normen, aufgrund derer der Beklagte verpflichtet sei, das Schreiben des Klägers vom 01.12.2010 zu beantworten. Das Schreiben des Klägers vom 01.12.2010 stelle eine Meinungsäußerung dar, welche der Beklagte zur Kenntnis genommen habe, ohne jedoch verpflichtet gewesen zu sein, hierauf in Form eines Antwortschreibens zu reagieren.

Der Kläger hat am 19.09.2011 beim SG Berufung eingelegt. Mit seiner Berufung hat er nunmehr geltend gemacht, dass ihm auch für die Zeit vom 01.04.2010 bis 07.03.2011 Leistungen zu gewähren seien. Im Übrigen sei er nicht bereit, einen erneuten Leistungsantrag zu unterschreiben, da sich an seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen in den letzten 25 Jahren nichts geändert habe.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 30.08.2011 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 02.09.2010 zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 01.04.2010 bis zum 06.03.2011 Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Am 17.11.2011 ist im Landessozialgericht ein Erörterungstermin durchgeführt worden, in welchem der Kläger klargestellt hat, dass es ihm vorliegend allein noch um die Gewährung von Leistungen für die Zeit vom 01.04.2010 bis zum 06.03.2011 gehe.

Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten, die Akten des SG sowie die Akten des Landessozialgerichts Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143 f. und 151 SGG statthafte und zulässige Berufung ist nicht begründet.

Das vom Kläger zunächst beim VG und SG als Untätigkeitsklage geführte Rechtsmittel war erstinstanzlich nach § 88 SGG unzulässig, weil es sich bei dem Schreiben des Klägers vom 01.12.2010 um eine Meinungsäußerung des Klägers zu den früheren Anfragen des Beklagten handelte und nicht um einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts. Einen Antrag auf Leistungen hat der Kläger erst wieder am 07.03.2011 gestellt, woraufhin ihm antragsgemäß - trotz fehlender Unterschrift unter dem Leistungsantrag - Leistungen nach dem SGB II ab dem 07.03.2011 gewährt worden sind. Deswegen war die Klage auch als Leistungsklage mangels eines Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Darüber hinaus ist eine Rechtsgrundlage für einen Anspruch auf Beantwortung der Meinungsäußerung des Klägers vom 01.12.2010 durch den Beklagten nicht ersichtlich. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird nach § 153 Abs. 2 SGG auf die zutreffenden Entscheidungsgründe in dem angegriffenen Gerichtsbescheid des SG Bezug genommen, denen der Senat sich ausdrücklich anschließt.

Im Übrigen kann das Schreiben vom 01.12.2010 nach seinem Wortlaut nicht als Weiterbewilligungsantrag angesehen werden, zumal der Kläger die Stellung eines solchen Antrags bei seiner persönlichen Vorsprache am 02.08.2010 mehrfach ausdrücklich verweigert hatte. Auch kann das Schreiben vom 01.12.2010 nicht so ausgelegt werden, dass es bereits als Überprüfungsantrag für die Zeit vom 01.04.2010 bis zum 07.03.2011 zu verstehen wäre; das Schreiben enthält vielmehr eine allgemeine Unmutsäußerung des Klägers über die wiederholten Nachfragen des Beklagten. Da der Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 02.09.2010 zu diesem Zeitpunkt bereits bestandskräftig war und das Schreiben vom 01.12.2010 keinen neuen Antrag enthielt, sah der Beklagte sich zu Recht nicht mehr veranlasst, auf dieses Schreiben zu reagieren. Auf die Überprüfungsanträge des Klägers nach § 44 SGB X vom 04.05.2011 und am 06.05.2011 bezieht sich die beim VG bzw. SG erhobene Untätigkeitsklage des Klägers an keiner Stelle.

Erstmalig im Berufungsverfahren hat der Kläger dann mit seiner Berufungsschrift vom 07.09.2011 und im Erörterungstermin am 17.11.2011 erklärt, dass es ihm im vorliegenden Verfahren ausschließlich noch um eine Überprüfung der Nichtgewährung von Leistungen für die Zeit vom 01.04.2010 bis zum 06.03.2011 gehe. Die in dieser Erklärung liegende Klageänderung erachtet der Senat nicht als sachdienlich, weil keine Vorbefassung des Beklagten - der der Klageänderung im Übrigen nicht zugestimmt hat - vorliegt und die Klage daher bereits wegen Fehlens eines Vorverfahrens nach § 78 Abs. 1 SGG und zudem auch wegen Fehlens einer erstinstanzlichen Zuständigkeit des LSG für dieses Begehren unzulässig wäre. Das LSG ist gem. § 29 Abs. 1 SGG nur zuständig für Entscheidungen im Berufungsverfahren; die Sonderfälle der §§ 29 Abs. 2 bis 4 und 55a SGG bzw. des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG i.V.m. § 201 GVG und § 202 Satz 2 SGG sind vorliegend ersichtlich nicht einschlägig. Die einzige allgemeine Ausnahme hierzu enthält § 96 i. V. m. § 153 Abs. 1 SGG (BSG, Urteil vom 31. Juli 2002, B 4 RA 20/01 R in SozR 3-1500 § 29 Nr. 1). Diese Ausnahme liegt hier jedoch nicht vor, weil hinsichtlich des mit der Klageänderung verfolgten Anspruchs noch kein Verwaltungsakt oder Widerspruchsbescheid im Sinne von § 96 SGG vorliegt. Auch ist es den Beteiligten verwehrt, durch Vereinbarung eine erstinstanzliche Zuständigkeit des LSG zu begründen (BSG, a.a.O). Dies gilt insbesondere für den Fall der hier vorliegenden gewillkürten Klageänderung (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 28.09.2006 - L 10 R 4911/05 -).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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