L 1 AS 4770/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
1
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 6 AS 1045/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 AS 4770/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 18. April 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten steht die Rechtmäßigkeit einer Aufhebungs- und Rückforderungsentscheidung der Beklagten gegenüber der Klägerin für die Zeit vom 16. Januar bis 30. Juni 2009 in Höhe von 783,91 EUR im Streit.

Die Klägerin ist selbständig tätig und privat kranken- und pflegeversichert. Sie lebt zusammen mit ihrem Ehemann, der von 2006 bis Dezember 2008 selbständig tätig war, vom 11. Dezember 2008 bis 3. Januar 2009 Arbeitslosengeld I bezogen hatte und am 16. Januar 2009 Arbeitslosengeld II (Alg II) für sich und die Klägerin beantragt hatte. Auch der Ehemann der Klägerin ist privat kranken- und pflegeversichert.

Mit Bescheid vom 19. Februar 2009 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen gegenüber dem Ehemann ab, da er aufgrund der nachgewiesenen Einkommensverhältnisse der Klägerin nicht hilfebedürftig sei.

Während des dagegen geführten Widerspruchsverfahrens bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 8. April 2009 dem Ehemann vorläufig einen Zuschuss zu den Beiträgen zur privaten Krankenversicherung für die Zeit vom 16. Januar bis 30. Juni 2009 in Höhe von monatlich 125,16 EUR. Mit weiterem Bescheid vom 8. April 2009 wurde auch der Klägerin vorläufig für den gleichen Zeitraum ein Zuschuss zur privaten Krankenversicherung von monatlich 118,26 EUR und zur Pflegeversicherung von 23,41 EUR bewilligt. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Bewilligung deshalb vorläufig erfolgt sei, weil die tatsächlichen Einnahmen der Klägerin aus selbständiger Tätigkeit noch nicht sicher feststehen würden. Eine abschließende Entscheidung sei erst möglich, wenn innerhalb von zwei Monaten nach Ablauf des Bewilligungszeitraums der Vordruck "abschließende Angaben zum Einkommen aus selbständiger Tätigkeit, Gewerbebetrieb oder Land- und Forstwirtschaft nach Ablauf des Bewilligungszeitraums" vorgelegt werde.

Mit Widerspruchsbescheid vom 9. April 2009 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 19. Februar 2009 im Übrigen zurück.

Mit Schreiben vom 1. September 2009 gab die Beklagte dem Ehemann der Klägerin unter Hinweis auf seine Mitwirkungspflichten auf, bis 15. Oktober 2009 zur endgültigen Berechnung des Anspruchs auf Alg II Angaben zum Einkommen aus selbständiger Tätigkeit seiner Ehefrau vorzulegen. Der Ehemann teilte am 4. September 2009 mit, er sei nicht gewillt, entsprechende Unterlagen vorzulegen, er wolle in Ruhe gelassen werden, da er keine Unterstützung erhalten habe. Er verbitte sich jede Belästigung. Die Beklagte erinnerte mit Schreiben vom 26. Oktober 2009, worauf unter dem 9. November 2009 eine Aufstellung zu den Betriebsausgaben und zum Gewinn vorgelegt wurde. Auf Nachfrage der Beklagten unter dem 21. Dezember 2009, insbesondere zu Grund und Höhe von Privatentnahmen, erfolgten keine Äußerungen der Klägerin oder ihres Ehemanns.

Mit Bescheid vom 15. Februar 2010 wurde der Klägerin (und mit weiterem Bescheid vom gleichen Tag ihrem Ehemann) mitgeteilt, dass die endgültige Leistungsprüfung ergeben habe, dass kein Anspruch bestehe. Mit Schreiben vom 21. Dezember 2009 sei sie letztmals aufgefordert worden, die zur endgültigen Berechnung notwendigen Unterlagen zum Einkommen aus der selbständigen Tätigkeit vorzulegen. Sie sei darüber belehrt worden, dass bei Nichtvorliegen geeigneter Unterlagen die Einnahmen und Ausgaben aus der selbständigen Tätigkeit geschätzt würden. Unterlagen lägen der Beklagten nicht vor. Aufgrund der geschätzten Werte bestehe kein Anspruch mehr auf Leistungen nach dem SGB II und auch nicht auf Zuschüsse zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung. Sie habe daher für die Zeit vom 18. Januar bis 30. Juni 2009 Leistungen (Zuschuss zur Krankenversicherung 654,37 EUR und Zuschuss zur Pflegeversicherung 129,54 EUR) zu Unrecht erhalten. Diese seien zurückzuzahlen.

Dagegen hat die Klägerin bereits am 9. März 2010 Klage zum SG erhoben. Mit Beschluss vom 27. Mai 2010 hat das SG das Verfahren mit dem mittlerweile vom Ehemann der Klägerin anhängig gemachten Klageverfahren (Az: S 17 AS 1045/10), das ebenfalls am 9. März 2010 erhoben worden war, zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Im Widerspruchsverfahren, das der Ehemann der Klägerin auch für die Klägerin durchführte, wurde vorgebracht, das Berechnungsverfahren der Beklagten verstoße gegen die Menschenwürde und das Sozialstaatsgebot. Deshalb werde die Beklagte auch keine weiteren Unterlagen und Einblicke in Formulare, Kontoauszüge, Betriebswirtschaftsunterlagen, Nachweise über Wohnungs- und Krankenversicherung und die Einkommens- und Vermögensverhältnisse erhalten. Die Beklagte müsse in ihrem besonderen Härtefall schnell und unbürokratisch finanzielle Hilfe leisten, dies habe auch das Bundesverfassungsgericht geurteilt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 28. September 2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Im Klageverfahren hat das SG die Klägerin und ihren Ehemann mit Verfügungen vom 1. Oktober 2010 und 6. Dezember 2010 aufgefordert, geeignete Nachweise über die tatsächlichen Betriebsausgaben und -einnahmen zu erbringen. Es sei nicht erforderlich, hierzu die gesamten Geschäftsunterlagen beim SG vorzulegen. Eine aussagekräftige Zusammenfassung sei ausreichend. Die Klägerin und ihr Ehemann sind diese Aufforderung nicht nachgekommen.

Das SG hat mit Urteil vom 28. April 2011 die vom Kläger und seiner Ehefrau erhobenen Klagen abgewiesen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Ehemann der Klägerin ausgeführt, er sei nicht bereit, mit der Beklagten zusammen zu arbeiten. Er lege keine weiteren Geschäftsunterlagen vor. Er habe seiner Frau das feste Versprechen gegeben, sie in dieser Sache nicht mehr zu behelligen. Zur Begründung ist im Urteil ausgeführt, die Klagen seien jedenfalls zulässig geworden, da die Vorverfahren durchgeführt worden seien. Die Voraussetzungen für die Rückforderungsentscheidung seien erfüllt. Zur Begründung hat das SG auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid Bezug genommen. Es hätte den beweisbelasteten Klägern oblegen, entsprechende Nachweise vorzulegen. Dem hätten sie sich entgegen gestellt.

Das Urteil wurde mit Postzustellungsurkunde vom 20. Mai 2011 zugestellt.

Mit Schreiben vom 15. Juni 2011 erhoben die Klägerin und ihr Ehemann "Beschwerde" an das LSG gegen das Urteil vom 28. April 2011. Sie teilten auf Nachfrage des Senats mit, dass der Ehemann Nichtzulassungsbeschwerde - über die der Senat mit Beschluss vom 15. November 2011 entschieden hat [Az.: L 1 AS 2544/11 NZB) gegen das Urteil erheben, die Klägerin den Schriftsatz vom 15. Juni 2011 als Berufung angesehen haben wolle. Zur Begründung hat die Klägerin vorgetragen, das SG habe nicht fair und unvoreingenommen geurteilt. Zwar habe das SG nach den Buchstaben des Gesetzes gehandelt, sich aber zu sehr von den Argumenten und der Bürokratie der Arbeitsagentur leiten lassen. Das sozialrechtliche Günstigkeitsprinzip sei nicht beachtet worden.

Die Klägerin beantragt, sinngemäß gefasst,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 28. April 2011 sowie den Bescheid vom 15. Februar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. September 2010 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist zur Begründung im Wesentlichen auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidungen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 SGG auch im Übrigen zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Berufung, ist unbegründet. Die Beklagte hat den Bescheid vom 8. April 2009 aufgehoben und die als vorläufige Leistungen gewährten Zuschüsse zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung von der Klägerin erstattet verlangt.

Gemäß § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1a Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) ist u.a. die Vorschrift des § 328 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) über die Gewährung vorläufiger Leistungen entsprechend anzuwenden.

Über die Erbringung von Geldleistungen kann vorläufig entschieden werden, wenn u.a. zur Feststellung der Voraussetzungen des Anspruchs eines Arbeitnehmers auf Geldleistungen voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist, die Voraussetzungen für den Anspruch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorliegen und der Arbeitnehmer die Umstände, die einer sofortigen abschließenden Entscheidung entgegenstehen, nicht zu vertreten hat (§ 328 Abs.1 Nr. 3 SGB III). Auf Grund der vorläufigen Entscheidung erbrachte Leistungen sind auf die zustehende Leistung anzurechnen. Soweit mit der abschließenden Entscheidung ein Leistungsanspruch nicht oder nur in geringerer Höhe zuerkannt wird, sind auf Grund der vorläufigen Entscheidung erbrachte Leistungen zu erstatten (§ 328 Abs. 3 SGB III).

Die Beklagte hat mit Bescheid vom 15. Februar 2010 zu Recht ausgeführt, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II hat, da nach den vorgelegten Unterlagen die Prüfung der Hilfebedürftigkeit nicht abschließend erfolgen kann und die Klägerin nicht bereit ist, die von der Beklagten für erforderlich erachteten weiteren Nachweise zu erbringen.

Leistungen nach dem SGB II erhalten Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig sind, hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (§ 7 Abs. 1 SGB II). Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben (§ 7 Abs. 2 SGB II). Zu den Leistungen nach dem SGB II gehört nach § 26 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 SGB II auch ein Zuschuss zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung für Personen, die nicht gesetzlich kranken- und pflegeversichert sind. Als nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin gehört die Klägerin zur Bedarfsgemeinschaft mit diesem (§ 7 Abs. 3 Nr. 3 SGB II) und hat damit grundsätzlich als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft Anspruch auf Leistungen, soweit auch in ihrer Person die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 SGB II erfüllt sind, also insbesondere die Hilfebedürftigkeit.

Hilfebedürftig ist gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, sind auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen (§ 9 Abs. 2 SGB II). Als Einkommen zu berücksichtigen sind Einnahmen in Geld oder Geldeswert abzüglich der nach § 11b abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11a genannten Einnahmen.

Nach Maßgabe dieser Kriterien hat die Beklagte zu Recht das Einkommen der Klägerin aus selbständiger Tätigkeit ihren Berechnungen zugrunde gelegt, wie sie gegenüber der Beklagten unter dem 9. November 2009 von der Klägerin und ihrem Ehemann gemacht worden sind. Auf die Nachfragen der Beklagten nach Grund und Höhe insbesondere der privaten Entnahmen hat die Klägerin mitgeteilt, dass sie keine weiteren Angaben machen wird. So hat die Klägerin z.B. angegeben, im Monat Januar 3.296,35 EUR Einnahmen gehabt zu haben, denen Betriebsausgaben in Höhe von 2.025,71 EUR (Raumkosten, abziehbare Vorsteuer, Umsatzsteuer) sowie Privatentnahmen in Höhe von 600,- EUR entgegen gestanden hätten. Vergleichbare Angaben hat die Klägerin auch für die Monate Februar bis Juli 2009 gemacht. Dabei schwankten die monatlichen Privatentnahmen zwischen 600,- EUR (Januar und Februar 2009) und 780,- EUR (März bis Juli 2009), ohne dass die Klägerin bereit gewesen wäre, zu diesen wie auch zur Höhe ihrer Betriebseinnahmen weitere Angaben zu machen.

Auf Grundlage der von der Klägerin mitgeteilten Einnahmen hat die Beklagte daher ein anzurechnendes monatliches Einkommen von 1.869,91 EUR ermittelt, das den Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft in Höhe von 1.011,20 EUR sowie den Bedarf der Klägerin und ihres Ehemannes für die Kosten der privaten Kranken- und Pflegeversicherung überstiegen hat. Die Berechnung der Beklagten, wie sie der Klägerin im Widerspruchsbescheid ausgeführt worden ist, unterliegt keinen Rechtszweifeln. Begründete Einwendungen hat die Klägerin dagegen nicht erhoben.

Auch ihr Vorbringen im Berufungsverfahren rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. Auch im Sozialrecht existiert kein über die gesetzlichen Grenzen hinausgehendes Günstigkeitsgebot. Derjenige, der steuerfinanzierte Leistungen des Staates erhalten möchte, ist gehalten, alles erforderliche dafür zu tun, damit die Leistungsvoraussetzungen von der Behörde und den Gerichten geprüft werden können. Wenn sich die Beteiligten aber - wie hier - weigern, Unklarheiten zu beseitigen und weitere Auskünfte zu erteilen, die zur abschließenden Prüfung erforderlich sind, müssen sie sich auch an diesem Verhalten festhalten lassen. Auch das SG, das die Klägerin und ihren Ehemann mehrmals unter Hinweis auf die Rechtsfolgen gebeten hatte, die bestehenden Nachweise zu erbringen, kann letztlich nur auf der Basis dessen entscheiden, was aktenkundig ist. Dies hat das SG getan und wie der Senat an der darauf gestützten Berechnung der Beklagten keinen Anlass zur Kritik oder Änderung gesehen. Weitere Ermittlungen waren daher durch den Senat nicht angezeigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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