L 11 AS 824/09 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 17 AS 1070/09 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AS 824/09 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zur Frage der Rechtmäßigkeit der Ladung zu einer ärztlichen Untersuchung und einer sich hieraus ergebenden Absenkung des Arbeitslosengeldes II (Alg II) des Antragstellers
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 16.09.2009 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Ladung zu einer ärztlichen Untersuchung und einer sich hieraus ergebenden Absenkung des Arbeitslosengeldes II (Alg II) des Antragstellers (ASt) für die Zeit vom 01.08.2009 bis 31.10.2009 i.H.v. 10 v.H. der maßgebenden Regelleistung (36.- Euro mtl.) im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes. Darüber hinaus begehrt der ASt die einstweilige Verpflichtung der Antragsgegnerin (Ag), gegen den ASt Sanktionen wegen des Abbruchs zweier vorausgegangener Maßnahmen festzustellen.
Der 1956 geborene ASt steht seit Jahren im Leistungsbezug bei der Ag.
Mit Schreiben vom 09.07.2009 lud die Ag den ASt zum wiederholten Mal zu einer ärztlichen Untersuchung durch Dr. W. am 20.07.2009. Der Einladung war eine Rechtsfolgenbelehrung beigefügt. Den vom ASt hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Ag mit Widerspruchsbescheid vom 13.08.2009 zurück. Der Bescheid ist nach Aktenlage bestandskräftig.
Mit Bescheid vom 24.07.2009 senkte die Ag das Alg II des ASt für die Zeit vom 01.08.2009 bis 31.10.2009 um 10 v.H. der maßgebenden Regelleistung ab (mtl. 36.- Euro). Der ASt sei trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen zu einer ärztlichen Untersuchung nicht erschienen, ohne hierfür einen wichtigen Grund zu haben. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Ag mit Widerspruchsbescheid vom 18.08.2009 zurück. Die hiergegen erhobene Klage (S 17 AS 1072/09) hat das Sozialgericht Nürnberg mit Urteil vom 16.09.2009 abgewiesen. Die dagegen eingelegte Berufung (L 11 AS 852/09) ist noch anhängig.
Außerdem hat der ASt am 12.08.2009 im Wege des einstweiligen Rechtsschutz beantragt, die Ag zu verpflichten, die Ladung zur ärztlichen Untersuchung vom 09.07.2009 zurückzunehmen und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 24.07.2009 wiederherzustellen. Des Weiteren hat er beantragt, die Ag zu verpflichten, wegen des Abbruchs zweier vorausgegangener Maßnahmen Sanktionen gegen ihn festzustellen. Seine Erwerbsfähigkeit sei nicht beeinträchtigt, die Ag habe die ärztliche Untersuchung willkürlich angeordnet. Der ASt habe bei vorangegangenen Maßnahmen zur Eingliederung gute Leistungen erzielt. Wenn die Ag wegen der vorausgegangenen Maßnahmeabbrüche Sanktionen gegen ihn verhängt hätte, hätte er in den hiergegen geführten Rechtsmitteln die vorgebrachten Unwahrheiten der Maßnahmeträger widerlegen und damit seine eigene Leistungsfähigkeit beweisen können.
Mit Beschluss vom 16.09.2009 hat das Sozialgericht Nürnberg (SG) den Antrag abgewiesen. Die aufschiebende Wirkung des gegen den Bescheid der Ag vom 24.07.2009 eingelegten Rechtsmittels sei nicht anzuordnen, da ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides nicht zu erkennen seien. Auch eine unbillige Härte liege nicht vor. Die Ag habe den ASt nach pflichtgemäßen Ermessen nach § 309 Abs. 1 S. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) zu einer ärztlichen Untersuchung vorgeladen. Allein der berufliche Werdegang des ASt und seine bisherige fehlende berufliche Integration gebe hinreichend Anlass für eine derartige Vorladung. Der Antrag des ASt, die Ag zur Festsetzung von weiteren Sanktionen gegen den ASt wegen zweier Maßnahmen zu verpflichten, sei unbegründet, da ein solcher Anspruch nicht bestehe.
Hiergegen hat der ASt am 03.12.2009 Beschwerde zum Bayerischen Landessozialgericht (LSG) eingelegt und mit im Wesentlichen gleichen Argumenten wie das erstinstanzliche Verfahren begründet. Eine Untersuchung verletze massiv seine Privatsphäre und könne seine Eingliederung nicht erleichtern. Es sei bei vorangegangenen Maßnahmen zu keinen Schwierigkeiten gekommen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Akten der Ag, sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.

Die statthafte Beschwerde ist nur zum Teil zulässig, §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG), im Übrigen unbegründet.

1.
Soweit sich der Kläger gegen die Ladung zu einer ärztlichen Untersuchung am 20.07.2009 wendet, kann dieses Begehren wegen des Zeitablaufs nur als Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ladung angesehen werden. Ein solcher Fortsetzungsfeststellungsantrag kann nach allg. Meinung (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 9. Auflage, § 86b RdNr. 10h) auch gestellt werden, wenn sich der Verwaltungsakt vor Klageerhebung erledigt hat. Ist aber der Zeitraum, für den der Verwaltungsakt Geltung beansprucht, während eines Eilverfahrens verstrichen, hat sich der Streitgegenstand des Eilverfahrens durch Zeitablauf erledigt. Eine Änderung des ursprünglichen Eilantrages in einen Fortsetzungsfeststellungsantrag analog § 131 Abs. 1 S. 3 SGG ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht zulässig (vgl. Keller aaO § 86 b Rdnr. 9b; § 131 Rdnr. 7c).

2.
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs bzw. der Klage gegen den Bescheid der Ag vom 24.07.2009 war nicht anzuordnen.
Nach § 86 b Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise in Fällen anordnen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben. Der Antrag kann auch noch in der Berufungsinstanz gestellt werden (Keller aaO § 86b Rdnr. 8a)
Nach § 39 Nr. 1 SGB II haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende entscheidet, keine aufschiebende Wirkung. Unter Berücksichtigung des § 39 Nr. 1 SGB II ist von einem Regel-Ausnahme-Verhältnis zugunsten des Suspensiveffekts auszugehen, da der Gesetzgeber die sofortige Vollziehung zunächst angeordnet hat.
Davon abzuweichen besteht nur Anlass, wenn ein überwiegendes Interesse des durch den Verwaltungsakt Belasteten festzustellen ist. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung muss eine mit gewichtigen Argumenten zu begründende Ausnahme bleiben (vgl. Keller aaO § 86b Rdnr 12a). Ist der Verwaltungsakt offenbar rechtswidrig und ist der Betroffene dadurch in seinen subjektiven Rechten verletzt, wird die aufschiebende Wirkung angeordnet, weil dann ein überwiegendes öffentliches Interesse oder Interesse eines Dritten an der Vollziehung nicht erkennbar ist. Ist die Klage aussichtslos, wird die aufschiebende Wirkung nicht angeordnet. Sind die Erfolgsaussichten nicht in dieser Weise abschätzbar, bleibt eine allgemeine Interessenabwägung, wobei die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens und die Entscheidung des Gesetzgebers in § 39 Nr 1 SGB II mit berücksichtigt werden (vgl. zum Ganzen: Keller aaO Rdnr 12c).
Unter Berücksichtigung dieser Anhaltspunkte ist der Absenkungsbescheid vom 24.07.2009 nicht offensichtlich rechtswidrig.
Nach § 31 Abs. 2 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) wird das Alg II des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einer ersten Stufe um 10 v.H. der für ihn maßgebenden Regelleistung abgesenkt, wenn dieser trotz schriftlicher Belehrung bei einem ärztlichen oder psychologischen Untersuchungstermin nicht erscheint, ohne hierfür einen wichtigen Grund für sein Verhalten nachzuweisen.
Die Untersuchungsaufforderung muss einem in der Aufforderung konkret bezeichneten, nach §§ 59 SGB II i.V.m. 309 SGB III (analog) zulässigen Zweck dienen und klar bestimmen, zu welchen Zeitpunkt der Hilfebedürftige an welchen Ort erscheinen soll (vgl Berlit in LPK-SGB II 3. Auflage 2009, § 31 Rdnr. 78). Diesen Voraussetzungen wird das Einladungsschreiben vom 09.07.2009 gerecht. Dem Schreiben war auch die nach § 31 Abs. 2 SGB II erforderliche Rechtsfolgenbelehrung beigefügt.
Begrenzt wird die Möglichkeit einer Absenkung lediglich bei aufgrund objektiver Anhaltspunkte erkennbar "schikanösen" Meldeanordnungen. Nicht ausreichend ist der subjektive Eindruck, ohne Sinn "schikaniert" zu werden (vgl Berlit aaO). Unter Berücksichtigung der bisherigen fehlgeschlagenen Integration und des beruflichen Werdegangs des ASt ergeben sich aber zumindest hinreichende Anhaltspunkte für eine möglicherweise eingeschränkte Erwerbsfähigkeit des ASt. Die Grenze der "Schikane" wird somit durch die Ladung keinesfalls überschritten.
Aber selbst bei offenen Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens wäre die aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels nicht anzuordnen. Im Rahmen der dann erforderlichen Interessenabwägung sind die Interessen des ASt nicht derart berührt, dass von dem Regel-Ausnahme-Prinzip des § 39 SGB II abzuweichen wäre. Hierbei ist auch zu beachten, dass im Verfahren lediglich geringfügige Leistungen für die Vergangenheit streitig sind (insgesamt 108.- Euro). Überragende Interessen des ASt sind damit jedenfalls nicht verletzt.

3.
Die ASt war auch nicht zu verpflichten, wegen des Abbruchs zweier vorausgegangener Maßnahmen Sanktionen gegen den ASt festzustellen. Zutreffende Rechtsgrundlage für das Begehren des ASt ist eine Regelanordnung nach § 86b Absatz 2 Satz 2 SGG. Hier fehlte dem Antrag aber bereits das Rechtsschutzbedürfnis für das erstinstanzliche Verfahren. Der diesbezüglich gestellte Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz war unzulässig. Der Kläger wurde zudem durch den Nichterlass einer Sanktion wegen des Abbruchs der Maßnahmen nicht in seinen Rechten verletzt.
Nach all dem war die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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