Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 22 KR 177/02
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 41/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 12. April 2005 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Übernahme der Kosten von Behandlungen durch einen Nichtvertragsarzt.
Die 1947 geborene Klägerin leidet nach Angaben unter anderem ihres behandelnden Arztes Dr. N. seit Jahren an vielfältigen Allergien, Medikamentenunverträglichkeiten und vor allem an einer ausgeprägten Multiplen Chemikalienunverträglichkeit (Multiple Chemical Sensitivity – MCS) mit schweren körperlichen, neurologischen und psychischen Symptomen. Aufgrund ihrer Erkrankung begab sie sich erstmals im Jahr 1988 in Behandlung bei dem Nichtvertragsarzt R., der seine Praxis unter dem Namen "I." zunächst in B. führte und nunmehr in W. hat. Die Behandlungskosten wurden ihr zunächst von der Beklagten erstattet.
Auf Anfrage der Beklagten teilte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung H. (MDK) in einer Stellungnahme vom 29. April 1996 mit, dass ausreichende Behandlungsmöglichkeiten im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung zur Verfügung stünden. Nach der mehrjährigen Behandlung liege nun außerdem der Nachweis vor, dass die Behandlungen im I. fehlgeschlagen seien. In einem Gutachten vom 18. April 1997 vertrat der MDK die Auffassung, dass die im I. durchgeführte Diagnostik und Behandlung schulmedizinischen Konzepten widerspreche. Selbst normale Untersuchungsergebnisse würden dort subjektiv als Umwelterkrankung interpretiert. Bei der Klägerin sei zwingend eine Ausschlussdiagnostik erforderlich, die in Vertragseinrichtungen durchgeführt werden könne.
Unter Bezugnahme auf die Ausführungen des MDK teilte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 8. September 1998 mit, dass eine weitere Beteiligung an den Kosten außervertraglicher Behandlungsmethoden im I. nicht erfolgen könne. Die Klägerin erhob dagegen Widerspruch und reichte mit Schreiben vom 10. Oktober 1998 weitere Rechnungen des Instituts für Umweltkrankheiten mit der Bitte um Kostenerstattung ein. Mit Schreiben vom 19. November 1998 übernahm die Beklagte letztmalig die geltend gemachten Kosten, wies aber zugleich darauf hin, dass zukünftige Kosten nicht mehr erstattet würden. Mit Bescheid vom 21. August 2000 lehnte sie eine weitere Kostenübernahme für privatärztliche Behandlungen erneut ab. Den Widerspruch der Klägerin wies sie durch Widerspruchsbescheid vom 16. Januar 2002 zurück. Der von der Klägerin in Anspruch genommene Arzt sei nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen und könne daher Patienten nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung behandeln. Darüber hinaus entspreche die Behandlungsmethode nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse. Soweit in der Vergangenheit im Einzelfall Kosten erstattet worden seien, lasse sich daraus ein Anspruch für die Zukunft nicht ableiten.
Mit ihrer dagegen erhobenen Klage hat die Klägerin vorgetragen, die Diagnose MCS sei bei ihr gesichert. Für diese Erkrankung habe die Schulmedizin keine Therapie anzubieten. Sie benötige daher weitere Behandlungen durch den Nichtvertragsarzt R. im I ...
Das Sozialgericht hat ein Gutachten des Facharztes für Innere Medizin, Arbeitsmedizin, Lungen- und Bronchialheilkunde, Allergologie und Umweltmedizin Prof. Dr. B1 vom 1. Oktober 2003 eingeholt. Dieser hat nach ambulanter Untersuchung der Klägerin ausgeführt, dass eine ausreichend gesicherte Diagnose nicht gestellt werden könne, da die Klägerin eine weiterführende Diagnostik wegen der Befürchtung von Symptomverschlechterungen abgelehnt habe. Die von ihr angegebenen Beschwerden ähnelten jedoch dem Symptomkomplex einer MCS. Eine verbindliche Definition der MCS existiere nicht, sie beschreibe vielmehr eine Vielzahl unspezifischer Kernsymptome wie Müdigkeit, Schwindel, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen sowie unspezifische Beschwerden verschiedener Organsysteme. Da die Symptome nicht auf eine objektivierbare Ursache zurückgeführt werden könnten, sei die Anerkennung als eigenständiges Krankheitsbild umstritten. Kontrollierte Studien zur Therapie der MCS seien bisher nicht bekannt, ursächlich wirkende Pharmakotherapien gebe es nicht. Im I. orientiere man sich – ebenso wie im B2 in E. und im E1 Center in U. – an der sogenannten Klinischen Ökologie, die aufgrund fehlender Standards als unkonventionelle Richtung der Allergologie zu verstehen sei. An diagnostischen und therapeutischen Strategien stehe dort neben einer Minimierung der Allergen- und Schadstoffexposition die sogenannte Provokations-Neutralisations-Technik nach Miller im Vordergrund. Allen Einrichtungen sei gemeinsam, dass der Behandlungserfolg durch valide wissenschaftliche oder prospektive Studien zu Wirksamkeit und Verträglichkeit der Therapie nicht habe belegt werden können. Auch bei eingehender Durchsicht der internationalen Literatur ließen sich nur wenig Quellen zur Therapie der MCS finden, wobei es auch Studien gebe, die zeigten, dass Therapieansätze der Klinischen Ökologie, wie beispielsweise die Karenz gegenüber Umweltnoxen, langfristig sogar zu einer Symptomverschlechterung führen könnten. Ein über den Placeboeffekt hinausgehender Therapieerfolg habe daher bisher nicht hinreichend belegt werden können, sodass die Behandlungsmethode nicht dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse entspreche.
Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 12. April 2005 – den damaligen Bevollmächtigten der Klägerin zugestellt am 26. Mai 2005 – abgewiesen und unter Bezugnahme auf das Gutachten von Prof. B1 ausgeführt, dass ein Leistungsanspruch nicht gegeben sei, weil die Behandlung im von dem Nichtvertragsarzt R. geleiteten I. nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspreche.
Die Klägerin hat dagegen am 27. Juni 2005 (Montag) Berufung eingelegt und trägt vor, die Behandlungen bei Herrn R. hätten ihr das Leben gerettet. Nach dem Beginn der Behandlung 1988 sei es ihr schnell etwas besser gegangen, sie habe sogar Computerschulungen absolvieren und zwei Arbeitsversuche unternehmen können, die allerdings fehlgeschlagen seien. Seit die Kosten für Behandlungen bei Herrn R. nicht mehr übernommen worden seien, gehe es ihr deutlich schlechter. Die Möglichkeit, ein einigermaßen menschenwürdiges Leben zu führen, sei ihr dadurch entzogen worden. Die angefochtene Entscheidung werde den Maßstäben der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005 (1BvR 347/98 – Juris) nicht gerecht, da sie ihre Symptome teilweise als lebensbedrohlich empfinde und die streitige Behandlung notwendig sei, um eventuelle katastrophale Folgeschäden einschließlich eines Todesfallrisikos abzuwenden.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 12. April 2005 sowie die Bescheide der Beklagten vom 8. September 1998 und 21. August 2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Januar 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten der weiteren Behandlung durch den Nichtvertragsarzt R. im I. künftig zu übernehmen,
hilfsweise die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens nach § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nach persönlicher Untersuchung zur Frage, inwieweit eine hinreichende Ausschlussdiagnostik bei der Klägerin erfolgt ist beziehungsweise inwieweit durch andere medizinische Behandlungen die Erkrankungen der Klägerin geheilt werden können.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält an ihrer bisherigen Rechtsauffassung fest. Der Senat hat auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG ein nervenärztlich-umweltmedizinisches Gutachten von Dr. S. vom 30. September 2009 eingeholt. Dr. S. – ehemaliger ärztlicher Direktor und Geschäftsführer der Fachkliniken N1 – hat nach ambulanter Untersuchung der Klägerin festgestellt, dass sie unter MCS mit Nahrungsmittelintoleranzen sowie multiplen Allergien leide. Sie habe schon Ende der Sechzigerjahre erste Zeichen von systemischen Reaktionen auf umweltbedingte Belastungen gezeigt, wobei die daraus resultierenden gesundheitlichen Störungen ab Mitte der Achtzigerjahre ihren Lebensstil bestimmt hätten. Nach zahlreichen erfolglosen diagnostischen Interventionen hätten erst unter der 1988 von Herrn R. gestellten Diagnose MCS hilfreiche komplexe Therapiestrategien entwickelt werden können. Hierzu gehörten die Expositionsmeidung gegenüber unverträglichen Substanzen, die Rotation verträglicher Nahrungsmittel sowie die Expositionsmeidung gegenüber unverträglichen physikalischen Faktoren (beispielsweise ultravioletter Strahlung). Die Klägerin verdanke der Befolgung dieser Behandlungsansätze die Wiedergewinnung eines großen Teils ihrer Funktionsfähigkeit. Es gebe inzwischen auch eine Reihe von Studien, die Interventionen mit orthomolekularen Substanzen und Vakzinen bei MCS verlaufsorientiert für notwendig erachteten. Bei den herkömmlichen statistischen Evaluationsansätzen sei es bisher aber schwer gefallen, die Effektstärken dieser Behandlungsansätze nachzuweisen, da die Messinstrumente sie nicht trenngenau erfassen könnten. Nach Ablauf eines erfolgreichen Modellversuchs in den Fachkliniken N1 hätten aber die Krankenkassen die Kosten der Verabreichung von orthomolekularen Substanzen und Vakzinen nicht mehr erstattet, sodass viele Patienten versucht hätten, ohne diese Leistungen auszukommen und nur die Basisstrategien (Expositionsmeidung, individuelle Nahrungsprotokolle) fortzusetzen, wobei es bei vielen nach unterschiedlichen Zeiträumen zu Verschlechterungen des gesundheitlichen Status gekommen sei. Aufgrund der wechselnden Rahmenbedingungen sei es allerdings schwierig, statistisch signifikante Unterschiede im Hinblick auf die Therapieergebnisse nachzuweisen. Die Behandlungsstrategien des Kollegen R. seien aber nachgewiesen erfolgreich.
Der Senat hat sodann gemäß § 106 SGG ein Gutachten nach Aktenlage des Facharztes für Hygiene und Umweltmedizin Prof. Dr. W1 vom 28. März 2011 eingeholt. Dieser hat ausgeführt, dass sich der Begriff der MCS auf ein klinisches Syndrom beziehe, das durch wiederkehrende vielfältige Symptome verschiedener Organsysteme als Reaktion auf eine Vielzahl von unterschiedlichen chemischen Substanzen in niedrigsten Dosisbereichen gekennzeichnet sei. Es bestehe wissenschaftlicher Konsens weder zur Ätiologie der MCS noch zu den Therapiekonzepten. MCS sei daher nach wie vor eine Ausschlussdiagnose und könne erst gestellt werden, wenn keine andere körperliche, psychosomatische und/oder psychiatrische Diagnose das Beschwerdebild des Betroffenen ausreichend erkläre. Kontrollierte Studien zur Therapie von MCS lägen nicht vor, auch wirksame Pharmakotherapien seien nicht bekannt. Adäquate therapeutische Ansätze bedürften vielmehr stets eines ganzheitlichen bio-psycho-sozialen Verständnisses. Bei der Klägerin könne lediglich von einem Verdacht auf MCS gesprochen werden, da andere körperliche oder psychische Ursachen nicht hinreichend ausgeschlossen worden seien. Die von dem Nichtvertragsarzt R. angewandten Therapien würden nach den Prinzipien der Klinischen Ökologie durchgeführt, die wissenschaftlich umstritten und deren Nutzen wissenschaftlich nicht ausreichend belegt sei. Sie entspreche daher nicht dem anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse. Demgegenüber sei eine medizinisch erforderliche Behandlung auf der Grundlage einer sachgerechten Differentialdiagnostik im Rahmen der stationären vertragsärztlichen Versorgung möglich.
Dr. S. ist im Parallelverfahren L 1 KR 31/05 zum Termin zur mündlichen Verhandlung am 20. Dezember 2011 geladen worden und hat auf Befragen erklärt, es gebe Hinweise, dass der Körper eines MCS-Patienten immunologisch, endokrinologisch, neuropsychologisch und vom Stoffwechsel her Dysfunktionen habe. Eine schlüssige Theorie für diese Störungen gebe es aber derzeit nicht. Entscheidend sei das Erscheinungsbild, wobei auch Laborbefunde Hinweise geben könnten. Bei der Klägerin bestehe ein schweres Krankheitsbild, das nicht mehr durch Verhaltensänderungen, wie zum Beispiel Expositionsvermeidung, ausreichend behandelt werden könne. Differentialdiagnostik und ergänzende Therapien seien hinreichend betrieben worden. Die bei ihr vorliegende Betäubungsmittelunverträglichkeit könne gefährlich werden, wenn sie plötzlich operiert werden müsse, da es dabei zu – auch lebensbedrohlichen – Komplikationen kommen könne. Durch eine entsprechende Hyposensibilisierung sei es möglich, die unerwünschten Wirkungen der Narkosemittel zu reduzieren. Eine derartige Behandlung in Deutschland sei aber zurzeit nicht möglich, da der Kollege R. die Methode nicht mehr praktiziere.
Prof. Dr. W1 ist in der mündlichen Verhandlung ergänzend gehört worden. Auf Befragen hat er ausgeführt, er habe in seiner beruflichen Tätigkeit sowohl universitäre Forschung betrieben als auch Patienten mit umweltbezogenen Krankheiten klinisch behandelt. Grob geschätzt habe er vielleicht etwa hundert MCS-Patienten betreut. Zu den Behandlungsmethoden gehörten die Hyposensibilisierung mittels psychotherapeutischer Verfahren ebenso wie eine interdisziplinäre Differentialdiagnostik. Es gebe auch im Bereich der Immunologie bei Menschen unterschiedliche Empfindlichkeiten gegenüber verschiedenen Umweltbelastungen. Die Immunologie gehöre aber nicht zu seinem Fachgebiet. Aus den Akten sei ihm bekannt, dass die Klägerin gegenüber verschiedenen Betäubungsmitteln überempfindlich sei. Hieraus resultiere selbstverständlich eine Gefährdung des Patienten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte und die ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 20. Dezember 2011 zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch sonst zulässige (§§ 143, 151 SGG) Berufung ist nicht begründet, da das Sozialgericht die Klage zu Recht abgewiesen hat. Die Klägerin kann die Kostenübernahme für künftige Behandlungen bei dem Nichtvertragsarzt R. im I. nicht verlangen.
Gemäß § 13 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) besteht ein Anspruch auf Kostenübernahme, sofern die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen kann oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch dem Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstehen. Da die Krankenkassen den Versicherten grundsätzlich Sach- oder Dienstleistungen schulden (§ 13 Abs. 1 SGB V), gewährt § 13 Abs. 3 SGB V einen Anspruch auf Kostenübernahme nur für den Ausnahmefall, dass eine von der Krankenkasse geschuldete Leistung infolge eines Mangels im Leistungssystem nicht oder nicht in der gebotenen Zeit zur Verfügung gestellt werden kann. Der Kostenübernahmeanspruch tritt somit in beiden Regelungsalternativen an die Stelle des ursprünglich gegebenen Sach- oder Dienstleistungsanspruchs des Versicherten gegen seine Krankenkasse und darf somit grundsätzlich nicht weitergehen als dieser. Es ist also erforderlich, dass der Versicherte einen entsprechenden Sachleistungsanspruch hat, den die Krankenkasse nicht beziehungsweise nicht rechtzeitig erfüllen kann (BSG, Urteil vom 21.11.1991 – 3 RK 17/90; BSG, Urteil vom 19.11.1996 – 1 RK 15/96; beide Juris).
Ein Sachleistungsanspruch ist jedoch ausgeschlossen, wenn – wie hier – ein Arzt in Anspruch genommen wird, der nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen ist (BSG, Urteil vom 27.06.2007 – B 6 KA 37/06 R; BSG, Urteil vom 24.09.1996 – 1 RK 33/95; BSG, Urteil vom 10.05.1995 - 1 RK 14/94; alle Juris). Dies ergibt sich insbesondere aus § 76 Abs. 1 SGB V, wonach die Versicherten (nur) unter den zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Ärzten, den medizinischen Versorgungszentren, den ermächtigten Ärzten, den ermächtigten oder nach § 116b SGB V an der ambulanten Versorgung teilnehmenden Einrichtungen, den Zahnkliniken der Krankenkassen, den Eigeneinrichtungen der Krankenkassen nach § 140 Abs. 2 Satz 2 SGB V, den nach § 72a Abs. 3 SGB V vertraglich zur ärztlichen Behandlung verpflichteten Ärzten und Zahnärzten, den zum ambulanten Operieren zugelassenen Krankenhäusern sowie den Einrichtungen nach § 75 Abs. 9 SGB V frei wählen können.
Etwas anderes gilt nur dann, wenn eine Behandlung durch einen Vertragsarzt nicht möglich oder nicht zumutbar ist und der Versicherte daher auf die Hilfe eines Nichtvertragsarztes angewiesen ist (BSG, Urteil vom 24.09.1996, a.a.O.; BSG, Urteil vom 18.01.1996 – 1 RK 22/95; beide Juris). Dies ist indes nicht der Fall, wie sich aus den vorliegenden Gutachten ergibt.
Dabei kann dahin stehen, ob Prof. B1 und Prof. W1 darin zu folgen ist, dass bereits die Diagnose einer MCS bei der Klägerin nicht gesichert und insofern weitere Differentialdiagnostik erforderlich sei. Denn auch wenn man von dem Vorliegen einer MCS bei der Klägerin ausgeht, stehen vertragsärztliche Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Hierzu gehört zum einen der von Prof. W1 genannte Ansatz, der eine Hyposensibilisierung mittels psychotherapeutischer Verfahren sowie eine interdisziplinäre Betrachtung in Form von auf das individuelle Krankheitsbild abgestimmten Behandlungen durch die jeweiligen Fachärzte vorsieht. Aber auch die Basisstrategien für die Behandlung der MCS nach den Grundsätzen der Klinischen Ökologie – im Wesentlichen die Austestung und Vermeidung unverträglicher Stoffe sowie die Erarbeitung von Verhaltens- und Ernährungskonzepten – können im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung, zum Beispiel in den Fachkliniken N1, erlangt werden. Soweit die Klägerin darüber hinaus spezifische Behandlungsansätze der Klinischen Ökologie wie die Verabreichung von Vakzinen und orthomolekularen Substanzen begehrt, werden diese nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. S. sowie den eigenen Angaben der Klägerin von dem Arzt R. mittlerweile nicht mehr angeboten, sodass ein diesbezüglicher Anspruch gar nicht erfüllbar wäre. Nur hinzu kommt, dass es sich bei diesen Therapien nicht um wissenschaftlich anerkannte Methoden handelt; insoweit wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils des Senats vom gleichen Tag im Verfahren L 1 KR 31/05 Bezug genommen.
Der Senat war nicht gehalten, dem Beweisantrag der Klägerin auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens zu der Frage nachzukommen, inwieweit eine hinreichende Ausschlussdiagnostik bei ihr erfolgt ist beziehungsweise inwieweit durch andere medizinische Behandlungen ihre Erkrankungen geheilt werden können. Die Frage nach hinreichender Ausschlussdiagnostik ist bereits nicht entscheidungserheblich, da die Voraussetzungen des geltend gemachten Kostenübernahmeanspruchs auch dann nicht erfüllt sind, wenn man vom Vorliegen einer MCS bei der Klägerin ausgeht. Die Frage nach anderen Behandlungsmöglichkeiten der bei der Klägerin vorliegenden Erkrankung ist durch die vorliegenden Gutachten bereits hinreichend geklärt, wie im Einzelnen dargelegt wurde.
Die Klägerin kann auch keine Ansprüche daraus herleiten, dass die Beklagte ihr bis Ende 1998 die Kosten der Behandlungen durch den Nichtvertragsarzt R. erstattet hat, denn sie kann aus Vertrauensschutzgründen nicht die Fortführung einer sie begünstigenden, aber rechtswidrigen Verwaltungspraxis auf unbestimmte Zeit verlangen. Die Inanspruchnahme eines bestimmten Arztes über einen längeren Zeitraum kann im Übrigen einen solchen Vertrauenstatbestand schon grundsätzlich nicht begründen, weil ein Versicherter ohnehin damit rechnen muss, seinen Arzt wechseln zu müssen, beispielsweise weil dieser seine Praxis aufgibt, seinen Wohnort ändert oder aus ähnlichen Gründen (BSG 11.7.2000 a.a.O.). Darüber hinaus ist die Klägerin mit Bescheid vom 19. November 1998 ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass die Kostenerstattung letztmalig erfolgt sei.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.
Der Senat hat die Revision gegen das Urteil nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Übernahme der Kosten von Behandlungen durch einen Nichtvertragsarzt.
Die 1947 geborene Klägerin leidet nach Angaben unter anderem ihres behandelnden Arztes Dr. N. seit Jahren an vielfältigen Allergien, Medikamentenunverträglichkeiten und vor allem an einer ausgeprägten Multiplen Chemikalienunverträglichkeit (Multiple Chemical Sensitivity – MCS) mit schweren körperlichen, neurologischen und psychischen Symptomen. Aufgrund ihrer Erkrankung begab sie sich erstmals im Jahr 1988 in Behandlung bei dem Nichtvertragsarzt R., der seine Praxis unter dem Namen "I." zunächst in B. führte und nunmehr in W. hat. Die Behandlungskosten wurden ihr zunächst von der Beklagten erstattet.
Auf Anfrage der Beklagten teilte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung H. (MDK) in einer Stellungnahme vom 29. April 1996 mit, dass ausreichende Behandlungsmöglichkeiten im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung zur Verfügung stünden. Nach der mehrjährigen Behandlung liege nun außerdem der Nachweis vor, dass die Behandlungen im I. fehlgeschlagen seien. In einem Gutachten vom 18. April 1997 vertrat der MDK die Auffassung, dass die im I. durchgeführte Diagnostik und Behandlung schulmedizinischen Konzepten widerspreche. Selbst normale Untersuchungsergebnisse würden dort subjektiv als Umwelterkrankung interpretiert. Bei der Klägerin sei zwingend eine Ausschlussdiagnostik erforderlich, die in Vertragseinrichtungen durchgeführt werden könne.
Unter Bezugnahme auf die Ausführungen des MDK teilte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 8. September 1998 mit, dass eine weitere Beteiligung an den Kosten außervertraglicher Behandlungsmethoden im I. nicht erfolgen könne. Die Klägerin erhob dagegen Widerspruch und reichte mit Schreiben vom 10. Oktober 1998 weitere Rechnungen des Instituts für Umweltkrankheiten mit der Bitte um Kostenerstattung ein. Mit Schreiben vom 19. November 1998 übernahm die Beklagte letztmalig die geltend gemachten Kosten, wies aber zugleich darauf hin, dass zukünftige Kosten nicht mehr erstattet würden. Mit Bescheid vom 21. August 2000 lehnte sie eine weitere Kostenübernahme für privatärztliche Behandlungen erneut ab. Den Widerspruch der Klägerin wies sie durch Widerspruchsbescheid vom 16. Januar 2002 zurück. Der von der Klägerin in Anspruch genommene Arzt sei nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen und könne daher Patienten nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung behandeln. Darüber hinaus entspreche die Behandlungsmethode nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse. Soweit in der Vergangenheit im Einzelfall Kosten erstattet worden seien, lasse sich daraus ein Anspruch für die Zukunft nicht ableiten.
Mit ihrer dagegen erhobenen Klage hat die Klägerin vorgetragen, die Diagnose MCS sei bei ihr gesichert. Für diese Erkrankung habe die Schulmedizin keine Therapie anzubieten. Sie benötige daher weitere Behandlungen durch den Nichtvertragsarzt R. im I ...
Das Sozialgericht hat ein Gutachten des Facharztes für Innere Medizin, Arbeitsmedizin, Lungen- und Bronchialheilkunde, Allergologie und Umweltmedizin Prof. Dr. B1 vom 1. Oktober 2003 eingeholt. Dieser hat nach ambulanter Untersuchung der Klägerin ausgeführt, dass eine ausreichend gesicherte Diagnose nicht gestellt werden könne, da die Klägerin eine weiterführende Diagnostik wegen der Befürchtung von Symptomverschlechterungen abgelehnt habe. Die von ihr angegebenen Beschwerden ähnelten jedoch dem Symptomkomplex einer MCS. Eine verbindliche Definition der MCS existiere nicht, sie beschreibe vielmehr eine Vielzahl unspezifischer Kernsymptome wie Müdigkeit, Schwindel, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen sowie unspezifische Beschwerden verschiedener Organsysteme. Da die Symptome nicht auf eine objektivierbare Ursache zurückgeführt werden könnten, sei die Anerkennung als eigenständiges Krankheitsbild umstritten. Kontrollierte Studien zur Therapie der MCS seien bisher nicht bekannt, ursächlich wirkende Pharmakotherapien gebe es nicht. Im I. orientiere man sich – ebenso wie im B2 in E. und im E1 Center in U. – an der sogenannten Klinischen Ökologie, die aufgrund fehlender Standards als unkonventionelle Richtung der Allergologie zu verstehen sei. An diagnostischen und therapeutischen Strategien stehe dort neben einer Minimierung der Allergen- und Schadstoffexposition die sogenannte Provokations-Neutralisations-Technik nach Miller im Vordergrund. Allen Einrichtungen sei gemeinsam, dass der Behandlungserfolg durch valide wissenschaftliche oder prospektive Studien zu Wirksamkeit und Verträglichkeit der Therapie nicht habe belegt werden können. Auch bei eingehender Durchsicht der internationalen Literatur ließen sich nur wenig Quellen zur Therapie der MCS finden, wobei es auch Studien gebe, die zeigten, dass Therapieansätze der Klinischen Ökologie, wie beispielsweise die Karenz gegenüber Umweltnoxen, langfristig sogar zu einer Symptomverschlechterung führen könnten. Ein über den Placeboeffekt hinausgehender Therapieerfolg habe daher bisher nicht hinreichend belegt werden können, sodass die Behandlungsmethode nicht dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse entspreche.
Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 12. April 2005 – den damaligen Bevollmächtigten der Klägerin zugestellt am 26. Mai 2005 – abgewiesen und unter Bezugnahme auf das Gutachten von Prof. B1 ausgeführt, dass ein Leistungsanspruch nicht gegeben sei, weil die Behandlung im von dem Nichtvertragsarzt R. geleiteten I. nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspreche.
Die Klägerin hat dagegen am 27. Juni 2005 (Montag) Berufung eingelegt und trägt vor, die Behandlungen bei Herrn R. hätten ihr das Leben gerettet. Nach dem Beginn der Behandlung 1988 sei es ihr schnell etwas besser gegangen, sie habe sogar Computerschulungen absolvieren und zwei Arbeitsversuche unternehmen können, die allerdings fehlgeschlagen seien. Seit die Kosten für Behandlungen bei Herrn R. nicht mehr übernommen worden seien, gehe es ihr deutlich schlechter. Die Möglichkeit, ein einigermaßen menschenwürdiges Leben zu führen, sei ihr dadurch entzogen worden. Die angefochtene Entscheidung werde den Maßstäben der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005 (1BvR 347/98 – Juris) nicht gerecht, da sie ihre Symptome teilweise als lebensbedrohlich empfinde und die streitige Behandlung notwendig sei, um eventuelle katastrophale Folgeschäden einschließlich eines Todesfallrisikos abzuwenden.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 12. April 2005 sowie die Bescheide der Beklagten vom 8. September 1998 und 21. August 2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Januar 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten der weiteren Behandlung durch den Nichtvertragsarzt R. im I. künftig zu übernehmen,
hilfsweise die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens nach § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nach persönlicher Untersuchung zur Frage, inwieweit eine hinreichende Ausschlussdiagnostik bei der Klägerin erfolgt ist beziehungsweise inwieweit durch andere medizinische Behandlungen die Erkrankungen der Klägerin geheilt werden können.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält an ihrer bisherigen Rechtsauffassung fest. Der Senat hat auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG ein nervenärztlich-umweltmedizinisches Gutachten von Dr. S. vom 30. September 2009 eingeholt. Dr. S. – ehemaliger ärztlicher Direktor und Geschäftsführer der Fachkliniken N1 – hat nach ambulanter Untersuchung der Klägerin festgestellt, dass sie unter MCS mit Nahrungsmittelintoleranzen sowie multiplen Allergien leide. Sie habe schon Ende der Sechzigerjahre erste Zeichen von systemischen Reaktionen auf umweltbedingte Belastungen gezeigt, wobei die daraus resultierenden gesundheitlichen Störungen ab Mitte der Achtzigerjahre ihren Lebensstil bestimmt hätten. Nach zahlreichen erfolglosen diagnostischen Interventionen hätten erst unter der 1988 von Herrn R. gestellten Diagnose MCS hilfreiche komplexe Therapiestrategien entwickelt werden können. Hierzu gehörten die Expositionsmeidung gegenüber unverträglichen Substanzen, die Rotation verträglicher Nahrungsmittel sowie die Expositionsmeidung gegenüber unverträglichen physikalischen Faktoren (beispielsweise ultravioletter Strahlung). Die Klägerin verdanke der Befolgung dieser Behandlungsansätze die Wiedergewinnung eines großen Teils ihrer Funktionsfähigkeit. Es gebe inzwischen auch eine Reihe von Studien, die Interventionen mit orthomolekularen Substanzen und Vakzinen bei MCS verlaufsorientiert für notwendig erachteten. Bei den herkömmlichen statistischen Evaluationsansätzen sei es bisher aber schwer gefallen, die Effektstärken dieser Behandlungsansätze nachzuweisen, da die Messinstrumente sie nicht trenngenau erfassen könnten. Nach Ablauf eines erfolgreichen Modellversuchs in den Fachkliniken N1 hätten aber die Krankenkassen die Kosten der Verabreichung von orthomolekularen Substanzen und Vakzinen nicht mehr erstattet, sodass viele Patienten versucht hätten, ohne diese Leistungen auszukommen und nur die Basisstrategien (Expositionsmeidung, individuelle Nahrungsprotokolle) fortzusetzen, wobei es bei vielen nach unterschiedlichen Zeiträumen zu Verschlechterungen des gesundheitlichen Status gekommen sei. Aufgrund der wechselnden Rahmenbedingungen sei es allerdings schwierig, statistisch signifikante Unterschiede im Hinblick auf die Therapieergebnisse nachzuweisen. Die Behandlungsstrategien des Kollegen R. seien aber nachgewiesen erfolgreich.
Der Senat hat sodann gemäß § 106 SGG ein Gutachten nach Aktenlage des Facharztes für Hygiene und Umweltmedizin Prof. Dr. W1 vom 28. März 2011 eingeholt. Dieser hat ausgeführt, dass sich der Begriff der MCS auf ein klinisches Syndrom beziehe, das durch wiederkehrende vielfältige Symptome verschiedener Organsysteme als Reaktion auf eine Vielzahl von unterschiedlichen chemischen Substanzen in niedrigsten Dosisbereichen gekennzeichnet sei. Es bestehe wissenschaftlicher Konsens weder zur Ätiologie der MCS noch zu den Therapiekonzepten. MCS sei daher nach wie vor eine Ausschlussdiagnose und könne erst gestellt werden, wenn keine andere körperliche, psychosomatische und/oder psychiatrische Diagnose das Beschwerdebild des Betroffenen ausreichend erkläre. Kontrollierte Studien zur Therapie von MCS lägen nicht vor, auch wirksame Pharmakotherapien seien nicht bekannt. Adäquate therapeutische Ansätze bedürften vielmehr stets eines ganzheitlichen bio-psycho-sozialen Verständnisses. Bei der Klägerin könne lediglich von einem Verdacht auf MCS gesprochen werden, da andere körperliche oder psychische Ursachen nicht hinreichend ausgeschlossen worden seien. Die von dem Nichtvertragsarzt R. angewandten Therapien würden nach den Prinzipien der Klinischen Ökologie durchgeführt, die wissenschaftlich umstritten und deren Nutzen wissenschaftlich nicht ausreichend belegt sei. Sie entspreche daher nicht dem anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse. Demgegenüber sei eine medizinisch erforderliche Behandlung auf der Grundlage einer sachgerechten Differentialdiagnostik im Rahmen der stationären vertragsärztlichen Versorgung möglich.
Dr. S. ist im Parallelverfahren L 1 KR 31/05 zum Termin zur mündlichen Verhandlung am 20. Dezember 2011 geladen worden und hat auf Befragen erklärt, es gebe Hinweise, dass der Körper eines MCS-Patienten immunologisch, endokrinologisch, neuropsychologisch und vom Stoffwechsel her Dysfunktionen habe. Eine schlüssige Theorie für diese Störungen gebe es aber derzeit nicht. Entscheidend sei das Erscheinungsbild, wobei auch Laborbefunde Hinweise geben könnten. Bei der Klägerin bestehe ein schweres Krankheitsbild, das nicht mehr durch Verhaltensänderungen, wie zum Beispiel Expositionsvermeidung, ausreichend behandelt werden könne. Differentialdiagnostik und ergänzende Therapien seien hinreichend betrieben worden. Die bei ihr vorliegende Betäubungsmittelunverträglichkeit könne gefährlich werden, wenn sie plötzlich operiert werden müsse, da es dabei zu – auch lebensbedrohlichen – Komplikationen kommen könne. Durch eine entsprechende Hyposensibilisierung sei es möglich, die unerwünschten Wirkungen der Narkosemittel zu reduzieren. Eine derartige Behandlung in Deutschland sei aber zurzeit nicht möglich, da der Kollege R. die Methode nicht mehr praktiziere.
Prof. Dr. W1 ist in der mündlichen Verhandlung ergänzend gehört worden. Auf Befragen hat er ausgeführt, er habe in seiner beruflichen Tätigkeit sowohl universitäre Forschung betrieben als auch Patienten mit umweltbezogenen Krankheiten klinisch behandelt. Grob geschätzt habe er vielleicht etwa hundert MCS-Patienten betreut. Zu den Behandlungsmethoden gehörten die Hyposensibilisierung mittels psychotherapeutischer Verfahren ebenso wie eine interdisziplinäre Differentialdiagnostik. Es gebe auch im Bereich der Immunologie bei Menschen unterschiedliche Empfindlichkeiten gegenüber verschiedenen Umweltbelastungen. Die Immunologie gehöre aber nicht zu seinem Fachgebiet. Aus den Akten sei ihm bekannt, dass die Klägerin gegenüber verschiedenen Betäubungsmitteln überempfindlich sei. Hieraus resultiere selbstverständlich eine Gefährdung des Patienten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte und die ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 20. Dezember 2011 zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch sonst zulässige (§§ 143, 151 SGG) Berufung ist nicht begründet, da das Sozialgericht die Klage zu Recht abgewiesen hat. Die Klägerin kann die Kostenübernahme für künftige Behandlungen bei dem Nichtvertragsarzt R. im I. nicht verlangen.
Gemäß § 13 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) besteht ein Anspruch auf Kostenübernahme, sofern die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen kann oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch dem Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstehen. Da die Krankenkassen den Versicherten grundsätzlich Sach- oder Dienstleistungen schulden (§ 13 Abs. 1 SGB V), gewährt § 13 Abs. 3 SGB V einen Anspruch auf Kostenübernahme nur für den Ausnahmefall, dass eine von der Krankenkasse geschuldete Leistung infolge eines Mangels im Leistungssystem nicht oder nicht in der gebotenen Zeit zur Verfügung gestellt werden kann. Der Kostenübernahmeanspruch tritt somit in beiden Regelungsalternativen an die Stelle des ursprünglich gegebenen Sach- oder Dienstleistungsanspruchs des Versicherten gegen seine Krankenkasse und darf somit grundsätzlich nicht weitergehen als dieser. Es ist also erforderlich, dass der Versicherte einen entsprechenden Sachleistungsanspruch hat, den die Krankenkasse nicht beziehungsweise nicht rechtzeitig erfüllen kann (BSG, Urteil vom 21.11.1991 – 3 RK 17/90; BSG, Urteil vom 19.11.1996 – 1 RK 15/96; beide Juris).
Ein Sachleistungsanspruch ist jedoch ausgeschlossen, wenn – wie hier – ein Arzt in Anspruch genommen wird, der nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen ist (BSG, Urteil vom 27.06.2007 – B 6 KA 37/06 R; BSG, Urteil vom 24.09.1996 – 1 RK 33/95; BSG, Urteil vom 10.05.1995 - 1 RK 14/94; alle Juris). Dies ergibt sich insbesondere aus § 76 Abs. 1 SGB V, wonach die Versicherten (nur) unter den zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Ärzten, den medizinischen Versorgungszentren, den ermächtigten Ärzten, den ermächtigten oder nach § 116b SGB V an der ambulanten Versorgung teilnehmenden Einrichtungen, den Zahnkliniken der Krankenkassen, den Eigeneinrichtungen der Krankenkassen nach § 140 Abs. 2 Satz 2 SGB V, den nach § 72a Abs. 3 SGB V vertraglich zur ärztlichen Behandlung verpflichteten Ärzten und Zahnärzten, den zum ambulanten Operieren zugelassenen Krankenhäusern sowie den Einrichtungen nach § 75 Abs. 9 SGB V frei wählen können.
Etwas anderes gilt nur dann, wenn eine Behandlung durch einen Vertragsarzt nicht möglich oder nicht zumutbar ist und der Versicherte daher auf die Hilfe eines Nichtvertragsarztes angewiesen ist (BSG, Urteil vom 24.09.1996, a.a.O.; BSG, Urteil vom 18.01.1996 – 1 RK 22/95; beide Juris). Dies ist indes nicht der Fall, wie sich aus den vorliegenden Gutachten ergibt.
Dabei kann dahin stehen, ob Prof. B1 und Prof. W1 darin zu folgen ist, dass bereits die Diagnose einer MCS bei der Klägerin nicht gesichert und insofern weitere Differentialdiagnostik erforderlich sei. Denn auch wenn man von dem Vorliegen einer MCS bei der Klägerin ausgeht, stehen vertragsärztliche Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Hierzu gehört zum einen der von Prof. W1 genannte Ansatz, der eine Hyposensibilisierung mittels psychotherapeutischer Verfahren sowie eine interdisziplinäre Betrachtung in Form von auf das individuelle Krankheitsbild abgestimmten Behandlungen durch die jeweiligen Fachärzte vorsieht. Aber auch die Basisstrategien für die Behandlung der MCS nach den Grundsätzen der Klinischen Ökologie – im Wesentlichen die Austestung und Vermeidung unverträglicher Stoffe sowie die Erarbeitung von Verhaltens- und Ernährungskonzepten – können im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung, zum Beispiel in den Fachkliniken N1, erlangt werden. Soweit die Klägerin darüber hinaus spezifische Behandlungsansätze der Klinischen Ökologie wie die Verabreichung von Vakzinen und orthomolekularen Substanzen begehrt, werden diese nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. S. sowie den eigenen Angaben der Klägerin von dem Arzt R. mittlerweile nicht mehr angeboten, sodass ein diesbezüglicher Anspruch gar nicht erfüllbar wäre. Nur hinzu kommt, dass es sich bei diesen Therapien nicht um wissenschaftlich anerkannte Methoden handelt; insoweit wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils des Senats vom gleichen Tag im Verfahren L 1 KR 31/05 Bezug genommen.
Der Senat war nicht gehalten, dem Beweisantrag der Klägerin auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens zu der Frage nachzukommen, inwieweit eine hinreichende Ausschlussdiagnostik bei ihr erfolgt ist beziehungsweise inwieweit durch andere medizinische Behandlungen ihre Erkrankungen geheilt werden können. Die Frage nach hinreichender Ausschlussdiagnostik ist bereits nicht entscheidungserheblich, da die Voraussetzungen des geltend gemachten Kostenübernahmeanspruchs auch dann nicht erfüllt sind, wenn man vom Vorliegen einer MCS bei der Klägerin ausgeht. Die Frage nach anderen Behandlungsmöglichkeiten der bei der Klägerin vorliegenden Erkrankung ist durch die vorliegenden Gutachten bereits hinreichend geklärt, wie im Einzelnen dargelegt wurde.
Die Klägerin kann auch keine Ansprüche daraus herleiten, dass die Beklagte ihr bis Ende 1998 die Kosten der Behandlungen durch den Nichtvertragsarzt R. erstattet hat, denn sie kann aus Vertrauensschutzgründen nicht die Fortführung einer sie begünstigenden, aber rechtswidrigen Verwaltungspraxis auf unbestimmte Zeit verlangen. Die Inanspruchnahme eines bestimmten Arztes über einen längeren Zeitraum kann im Übrigen einen solchen Vertrauenstatbestand schon grundsätzlich nicht begründen, weil ein Versicherter ohnehin damit rechnen muss, seinen Arzt wechseln zu müssen, beispielsweise weil dieser seine Praxis aufgibt, seinen Wohnort ändert oder aus ähnlichen Gründen (BSG 11.7.2000 a.a.O.). Darüber hinaus ist die Klägerin mit Bescheid vom 19. November 1998 ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass die Kostenerstattung letztmalig erfolgt sei.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.
Der Senat hat die Revision gegen das Urteil nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Login
HAM
Saved