L 10 LW 4062/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 12 LW 148/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 LW 4062/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Es wird festgestellt, dass das Berufungsverfahren L 10 LW 2571/11 gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 28.04.2011 durch Berufungsrücknahme erledigt ist.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Fortsetzung des Berufungsverfahrens L 10 LW 2571/11 und daraufhin die Gewährung von Altersrente ab einem früheren Zeitpunkt nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) sowie die Aufhebung einer von der Beklagten erklärten Aufrechnung.

Der am 1942 geborene Kläger war von Januar 1965 bis Juni 1997 beitragspflichtig zur Beklagten, hatte jedoch nur Beiträge bis einschließlich September 1992 gezahlt. Dementsprechend lehnte die Beklagte - nachdem der Kläger im Februar 2008 um Mitteilung gebeten hatte, welchen Rentenbezug er bekommen könne (Bl. 180 VA) und nach entsprechender Information durch die Beklagte im April 2008 einen Rentenantrag gestellt hatte (Bl. 168 VA) - die Gewährung von Altersrente mit Bescheid vom 16.06.2008 und Widerspruchsbescheid vom 12.09.2008 mangels erfüllter Wartezeit ab. Im Rahmen des nachfolgenden Rechtsstreits ergab sich in einem Termin zur Erörterung des Sachverhaltes vor dem Landessozialgericht Baden-Württemberg (L 10 U 594/09), dass der Kläger im Falle einer Zahlung von 2.934,84 EUR (ausstehende Beiträge bis 31.12.1994, ohne Säumniszuschläge, Gesamtsäumnisbetrag 4.042,40 EUR) und Verrechnung dieses Betrages mit den ausstehenden Beiträgen die Wartezeit erfüllen könne. Daraufhin schlossen die Beteiligten einen verfahrensbeendigenden Vergleich. Auf dieser Grundlage zahlte der Kläger den von ihm über die Tochter (vgl. Bl. 56 VA) darlehensweise finanzierten Betrag in Höhe von 2.934,84 EUR an die Beklagte und legte Nachweise über die Abgabe seines landwirtschaftlichen Unternehmens vor. Daraufhin bewilligte die Beklagte - ausgehend von einer Antragstellung im Februar 2008 - mit Bescheid vom 08.06.2010 (Bl. 31 VA) Altersrente ab dem 01.02.2008 (mit Ausnahme eines Ruhenszeitraums, während dem der Kläger landwirtschaftliche Flächen bewirtschaftet hatte). Von der Nachzahlung wurde ein Betrag in Höhe von 2.934,84 EUR an den Kläger ausgezahlt, der Restbetrag wurde im Einverständnis mit dem Kläger (Bl. 56 VA) mit rückständigen Beitragsansprüchen verrechnet. Zugleich wurde - entsprechend einer vorherigen Ankündigung (Bl. 52 VA) - die zum 01.06.2010 beginnende laufende Zahlung in Höhe von 344,32 EUR zur Hälfte (172,16 EUR) wiederum gegen Beitragsansprüche der Beklagten aufgerechnet. Nachdem der Kläger eine Bescheinigung des Sozialamtes über seinen Sozialhilfebedarf vorgelegt hatte (hinsichtlich der Einzelheiten wird auf Bl. 26 VA verwiesen), reduzierte die Beklagte den Aufrechnungsbetrag der Bescheinigung entsprechend ab 01.07.2010 auf 58,15 EUR (Bescheid vom 05.07.2010, Bl. 20 VA). Der gegen die Aufrechnung mit laufenden Leistungen bzw. auf einen früheren Rentenbeginn (ab Beginn des Monats, in dem das 65. Lebensjahr erreicht wurde) gerichtete Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 16.12.2010 zurückgewiesen, wobei die Beklagte ihre Ermessenserwägungen identisch mit einem während des Widerspruchsverfahrens an den Kläger gerichteten Schreiben (Bl. 12 VA) zur Frage der Aufrechnung darlegte.

Das hiergegen am 17.01.2011 angerufene Sozialgericht Reutlingen wies die Klage mit Urteil vom 28.04.2011 ab. Der Kläger habe keinen früheren Rentenanspruch, insbesondere bestehe kein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch, weil die Beklagte nicht verpflichtet gewesen sei, den Kläger über die Möglichkeit einer Antragstellung mit Erreichen des 65. Lebensjahres zu informieren, da er zum damaligen Zeitpunkt die Wartezeit nicht erfüllt habe. Die erklärte Aufrechnung sei nicht zu beanstanden, weil die Beklagte in geringerer Höhe aufgerechnet habe, als rechnerisch möglich sei.

Hiergegen legte der Kläger am 05.05.2011 Berufung ein. Im Rahmen eines Termins zur Erörterung des Sachverhaltes am 16.09.2011 wurde dem Kläger im Einzelnen die Sach- und Rechtslage erläutert und er wurde dabei insbesondere auch darauf hingewiesen, dass er - orientiert an den tatsächlichen und rechtlichen Handlungsmöglichkeiten der Beklagten - unter anderem insofern günstig stehe, als der Aufrechnungsbetrag auf die Beitragsschuld statt auf die Säumniszuschläge angerechnet werde, was zum jeweiligen Jahresanfang zu einer höheren Rente führe. Auch einen früheren Rentenbeginn könne der Kläger nicht beanspruchen, wobei die Beklagte zu seinen Gunsten einen Rentenantrag für Februar 2008 angenommen habe, obwohl er erst im April 2008 Rente beantragt habe. Ein Herstellungsanspruch bestehe nicht, weil der Kläger nach seinen eigenen Angaben zu Beginn des Termins über die Möglichkeit eines Rentenantrags mit 65 Jahren informiert gewesen sei und eine Verpflichtung der Beklagten zur Information des Klägers mangels erfüllter Wartezeit nicht bestanden habe. Daraufhin nahm der Kläger im Termin die Berufung zurück.

Bereits einen Tag später hat der Kläger seine Berufungsrücknahme widerrufen. Er meint, er sei im Termin zur Erörterung des Sachverhalts unter Druck gesetzt worden.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Verfahren fortzusetzen und das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 28.04.2011 abzuändern sowie die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 08.06.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2010 zu verurteilen, auch für die Zeit vom 01.03.2007 bis 31.01.2008 Altersrente zu gewähren und den Bescheid vom 08.06.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2010 hinsichtlich der dort erklärten Aufrechnung mit laufenden Rentenzahlungen aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

festzustellen, dass das Verfahren erledigt ist, hilfsweise die Berufung zurückzuweisen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Über den vom Kläger gestellten Antrag kann der Senat nicht sachlich entscheiden. Denn das Berufungsverfahren gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 28.04.2011 ist durch die im Erörterungstermin vom 16.09.2011 durch den Kläger erklärte Rücknahme der Berufung erledigt. Dies ist vom Senat durch Urteil festzustellen, da der Kläger die Fortführung des Berufungsverfahrens begehrt und seine Rücknahmeerklärung widerruft.

Nach § 156 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann die Berufung bis zur Rechtskraft des Urteils oder einer vergleichbaren verfahrensbeendigenden Entscheidung des Gerichts zurückgenommen werden. Die Rücknahme der Berufung als zur Einlegung der Berufung gegenteiliger Akt beendet das Verfahren; darüber hinaus führt sie zum Verlust des Rechtsmittels (§ 156 Abs. 2 Satz 1 SGG).

Prozessrechtliche Gründe für eine Unwirksamkeit der Rücknahmeerklärung sind nicht ersichtlich. Auf Grund des im Termin zur Erörterung des Sachverhalts angefertigten Protokolls steht fest (§ 122 SGG i.V.m. § 165 Zivilprozessordnung - ZPO -), dass der Kläger die Erklärung abgab. Auch der Kläger behauptet nicht, die Erklärung nicht oder nicht wirksam abgegeben zu haben.

Er meint vielmehr, seine Rücknahmeerklärung widerrufen zu können. Dies ist nicht der Fall.

Die Berufungsrücknahme ist - wie die Berufungseinlegung - eine Prozesshandlung, also eine prozessgestaltende Erklärung (Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 9. Auflage, Rdnr. 10 Vor § 60). Sie ist weder widerruflich noch anfechtbar (BSG, Urteil vom 06.04.1960, 11/9 RV 214/57 in SozR Nr. 3 zu § 119 BGB und - soweit ersichtlich zuletzt - Beschluss vom 24.04.2003, B 11 AL 33/03 B). Denn einer eindeutigen Verfügung eines Prozessbeteiligten über die Gestaltung der künftigen prozessualen Beziehungen der Prozessbeteiligten zueinander kann die Wirksamkeit nicht deshalb genommen werden, weil ihr - im Falle der Anfechtung - ein Irrtum zu Grunde liegt oder - im Falle des Widerrufs - der Erklärende seinen Willen ändert. Im Interesse eines geordneten Prozessgangs und der Rechtssicherheit darf die Rechtswirksamkeit einer solchen Erklärung nicht in der Schwebe bleiben (BSG, Urteil vom 06.04.1960, a.a.O.).

Zwar gilt anderes, wenn Gründe vorliegen, die im Falle eines Urteils zur Fortführung des Verfahrens führen (so genannte Wiederaufnahmegründe, vgl. § 179 SGG, § 580 ZPO) oder der Grundsatz von Treu und Glauben das Festhalten an der Prozesshandlung verbietet (vgl. hierzu Keller, a.a.O. Rdnr. 12a m.w.N. zur Rechtsprechung). Derartige Umstände sind hier aber weder vorgetragen noch ersichtlich. Insbesondere genügt für die Annahme einer den Widerruf erlaubenden extremen Ausnahmesituation (Keller, a.a.O.) nicht, dass der Kläger behauptet, sich unter Druck gesetzt gesehen zu haben. Tatsächlich entschied er in freier Willensausübung - wenn auch vor dem Hintergrund der ihm vom Senatsvorsitzenden dargelegten Erfolglosigkeit der Berufung einerseits und der Vorteile der von der Beklagten erklärten Aufrechnung andererseits -, ob er die Berufung zurücknimmt oder die - voraussichtlich negative - Entscheidung des Senats beantragt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved