S 13 KR 304/11

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 KR 304/11
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KR 140/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.

Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, in welchem Umfang die Klägerin auf eine Kapitalleistung aus einer Lebensversicherung Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung (KV) und Pflegeversicherung (PV) zu zahlen hat.

Die am 00.00.0000 geborene Klägerin ist bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvor-gängerin gesetzlich krankenversichert, seit 01.07.2005 in der Krankenversicherung der Rentner. 1973 schlossen der Ehemann und damalige Arbeitgeber der Klägerin – der Einzelunternehmer D. W. – als Versicherungsnehmer und die SIGNAL IDUNA als Versicherer einen Lebensversicherungsvertrag Nr. 7140065-10 zugunsten der Klägerin als versicherter Person ab. Es handelte sich um eine Direktversicherung im Rahmen einer betrieblichen Altersversorgung. Die Laufzeit war vom 01.04.1973 bis 01.04.2007 vereinbart. Die Beiträge zu der Lebensversicherung in Höhe von monatlich 61,80 DM/31,60 EUR wurden vom Gehalt der Klägerin einbehalten und vom Arbeitgeber direkt an den Versicherer gezahlt. Zum 01.05.2004 stellte der Einzelunternehmer D. W. die Betriebstätigkeit ein und endete das Arbeitsverhältnis der Klägerin bei ihm. Seit diesem Datum zahlte D. W. jedoch – nunmehr als Privatperson – die Beiträge von demselben Konto wie bisher weiter. Er blieb auch weiter Versicherungsnehmer des Vertrages, ein Versicherungsnehmerwechsel wurde weder mit dem Versicherer noch mit der Klägerin vereinbart.

Mit Schreiben vom 18.06.2007 teilte die SIGNAL IDUNA der Beklagten die Auszahlung einer Kapitalleistung aus dem Lebensversicherungsvertrag zum 01.04.2007 in Höhe von 35.580,00 EUR an die Klägerin mit.

Durch Bescheid vom 26.06.2007 (ohne Rechtsbehelfsbelehrung) stellte die Rechtsvorgängerin der Beklagten die Beitragspflicht aus der Kapitalleistung fest; für die Beitragsbemessung gelte 1/120 der Kapitalleistung als monatlicher Zahlbetrag, also 296,50 EUR; hieraus sei ab 01.05.2007 monatlich zur KV 44,77 EUR, zur PV 5,04 EUR, insge-samt 49,81 EUR zu entrichten. Die Beitragspflicht beginne am 01.05.2007 und ende am 30.04.2017.

Dagegen erhob die Klägerin am 10.04.2008 Widerspruch. Sie behauptete, sie habe 34 Jahre lang die Beiträge eingezahlt. Darauf seien – auch als der Beitrag vom Ge-halt abgezogen worden sei – keine KV-Beiträge abgeführt worden; sie sei bereit, auf die eingezahlten Beiträge, die sie mit 12.892,80 EUR bezifferte, KV- und PV-Beiträge zu zahlen, nicht jedoch auf den erwirtschafteten Kapitalertrag, den sie mit 22.687,20 EUR bezifferte.

Nachdem das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) am 06.09.2010 (1 BvR 739/08) und 28.09.2010 (1 BvR 1660/08) grundlegende Entscheidungen zur Beitragspflicht von Kapitalleistungen aus als Direktversicherungen abgeschlossenen Lebensversi-cherungen getroffen hatte, fragte die Beklagte bei der SIGNAL IDUNA an, ob hier-nach die Meldung zu korrigieren sei, insbesondere, ob ein Wechsel in der Person des Versicherungsnehmers stattgefunden habe. Mit Schreiben vom 09.06.2011 teilte die SIGNAL IDUNA mit, bei dem Vertrag handele es sich um eine Direktversicherung; während der gesamten Vertragslaufzeit sei die Firma D. W. Versicherungsnehmer des Vertrages gewesen; ein Versicherungsnehmer-Wechsel auf die versicherte Person B. W. sei nicht bekannt; daher seien die gesamten Beiträge im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung gezahlt worden; die Meldung vom 18.06.2007 behalte somit ihre Gültigkeit.

Daraufhin erklärte die Klägerin, die Direktversicherung sei während der gesamten Laufzeit steuerlich und sozialversicherungsrechtlich wie eine Lebensversicherung mit einmaliger Auszahlung behandelt worden. Nach dem Verkauf des Betriebes ihres Ehemannes im Jahre 2004 seien die Beiträge weiterhin vom gleichen Konto weitergezahlt worden. Sie sei nicht bereit, nachträgliche Krankenkassenbeiträge auf ihr erwirtschaftetes Kapital zu bezahlen.

Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 19.09.2011 zurück. Sie legte die der Beitragserhebung zugrunde liegenden Rechtsvorschriften dar und nahm Bezug auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) und des BVerfG.

Dagegen hat die Klägerin am 21.10.2011 Klage erhoben. Sie ist der Auffassung, dass durch den Umstand, dass ab 01.05.2004 weder die Arbeitgebereigenschaft des Ehemannes noch ihre Arbeitnehmereigenschaft bestanden habe und die Beiträge privat von ihrem Ehemann gezahlt worden seien, faktisch ein Versicherungsnehmerwechsel vorgelegen habe. Bei der Beitragszahlung ab 01.05.2004 habe kein Bezug zu einem Arbeitsverhältnis mehr bestanden; es habe deshalb auch kein "institutioneller Rahmen des Betriebsrentenrechtes", kein auf den Arbeitgeber als Versicherungsnehmer laufender Versicherungsvertrag mehr bestanden. Das "institutionelle Betriebsrentengesetz" verlange zwingend einen Arbeitgeber; dieser habe vorliegend aber seit 01.05.2004 nicht mehr existiert.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 26.06.2007 in der Fassung des Wider-spruchsbescheides vom 19.09.2011 aufzuheben, soweit dadurch auch Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung auf den Teil der Kapitalleistung aus dem Lebensversicherungsvertrag Nr. 7140065-10 entfallen, der auf Versicherungsbeiträgen ab 01.05.2004 beruht.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verbleibt bei ihrer in den angefochtenen Bescheiden vertretenen Auffassung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Die von der SIGNAL IDUNA ausgezahlte einmalige Kapitalleistung in Höhe von 35.580,00 EUR unterliegt in voller Höhe der Beitragspflicht zur KV und PV. Denn bei dieser Kapitalleistung handelt es sich um eine Leistung der betrieblichen Altersversorgung im Sinne von § 1 des Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (BetrAVG). Betriebliche Altersversorgung liegt auch vor, wenn eine so genannte Direktversicherung abgeschlossen wurde, das ist ein Lebensversicherungsvertrag, den ein Arbeitgeber als Versicherungsnehmer auf das Leben eines Arbeitnehmers (versicherte Person) bei einem zugelassenen Versicherer abgeschlossen hat; bezugsberechtigt sind der Arbeitnehmer oder seine Hinterbliebenen. So war es bei dem 1973 zwischen dem Ehemann der Klägerin als (damaligem) Arbeitgeber und der SIGNAL IDUNA als Versicherer mit der Klägerin als bezugsberechtigter Arbeitnehmerin geschlossenen Lebensversicherungsvertrag Nr. 7140065-10.

Die Beitragspflicht von Versorgungsbezügen der betrieblichen Altersversorgung zur KV ergibt aus § 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i. V. m. § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), zur PV aus § 57 Abs. 1 Satz 1 Elftes Buch Sozial-gesetzbuch (SGB XI), der auf die vorgenannten Vorschriften des SGB V verweist. Die Beitragspflicht entfällt, wenn die monatlichen beitragspflichtigen Einnahmen aus Versorgungsbezügen und Arbeitseinkommen insgesamt 1/20 der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 des Vierten Buches, das waren 2007 monatlich 122,50 EUR, nicht übersteigen (§ 226 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und 4 SGB V). Tritt an die Stelle der Versorgungsbezüge eine nicht regelmäßig wiederkehrende Leistung, nämlich – wie im Fall der Klägerin – eine einmalige Kapitalleistung, so gilt 1/120 der Leistung als monatlicher Zahlbetrag der Versorgungsbezüge, längstens für 120 Monate (§ 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V). Wie das BVerfG entschieden hat, ist die Heranziehung von Versorgungsbezügen (auch) in der Form der nicht wiederkehrenden Leistungen – wie die einmalige Kapitalzahlung aus der betrieblichen Altersversorgung – zur Beitragspflicht mit dem Grundgesetz vereinbar (BVerfG, Beschluss vom 07.04.2008 – 1 BvR 1924/07; Beschluss vom 06.09.2010 – 1 BvR 739/08; Beschluss vom 28.09.2010 – 1 BvR 1660/08). Dies entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG, Urteil vom 13.09.2006 – B 12 KR 5/06 R; Urteil vom 25.04.2007 – B 12 KR 25/05 R; Urteil vom 12.12.2007 – B 12 KR 2/07 R; Urteile vom 12.11.2008 – B 12 KR 6/08 R und B 12 KR 9/08 R; Urteil vom 30.03.2011- B 12 KR 16/10 R). Dass sich – nach Einführung der gesetzlichen Pflegeversicherung – die Beitragspflicht aus Versorgungsbezügen auch darauf bezieht, ergibt sich aus § 57 Abs. 1 Satz 1 SGB XI (LSG NRW, Urteil vom 14.02.2008 – L 5 KR 77/07). Sodann hat das BVerfG auch schon zu der Änderung des § 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V ab 01.01.2004 durch Artikel 1 Nr. 143 des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GMG) vom 14.11.2003 (BGBl. I S. 2190) entschieden. Aus dem Beschluss vom 07.04.2008 (1 BvR 1924/07) wird deutlich, dass auch in der Vergangenheit abgeschlossene Verträge rechtmäßig in die Beitragspflicht einbezogen worden sind, diese Änderung also mit dem Grundgesetz vereinbar ist (vgl. ebenso: BSG, Urteil vom 30.03.2011 – B 12 KR 16/10 R).

Das BVerfG hat in seinen Beschlüssen vom 06.09.2010 (1 BvR 739/08) und vom 28.09.2010 (1 BvR 1660/08) grundlegend zur Beitragspflicht von Direktversicherun-gen entschieden:
Bei der Ordnung von Massenerscheinungen ist der Gesetzgeber – ohne damit den allgemeinen Gleichheitssatz zu verletzten – berechtigt, generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen zu verwenden, wenn die damit verbunden Härten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären, lediglich eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betreffen und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist. Eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz durch die Rechtsprechung liegt unter anderem vor, wenn die Gerichte im Wege der Auslegung gesetzlicher Vorschriften oder der Lückenfüllung zu einer dem Gesetzgeber verwehrten Differenzierung oder zu einer dem Gesetzgeber verwehrten Gleichbehandlung von Ungleichem gelangen. Grundsätzlich stellt die Unterscheidung der beitragspflichtigen Leistungen nach dem Versicherungstyp (Direktversicherung im Sinne von § 1 Abs. 2 BetrAVG) ein geeignetes Kriterium dar, um beitragspflichtige Versorgungsbezüge und beitragsfreie private Lebensversicherungen voneinander abzugrenzen. Die Grenzen zulässiger Typisierung werden aber jedenfalls dann überschritten, soweit auch Kapitalleistungen, die auf Beiträgen beruhen, die ein Arbeitnehmer nach Beendigung seiner Erwerbstätigkeit auf den Lebensversicherungsvertrag unter Einrücken in die Stellung des Versicherungsnehmers eingezahlt hat, der Beitragspflicht unterworfen werden. Denn mit der Vertragsübernahme durch den Arbeitnehmer ist der Kapitallebensversicherungsvertrag vollständig aus dem betrieblichen Bezug gelöst worden und unterscheidet sich hinsichtlich der dann noch erfolgten Einzahlungen nicht mehr von anderen privaten Lebensversicherungen, die nicht der Beitragspflicht unterliegen (BVerfG, Beschluss vom 28.09.2010 – 1 BVR 1660/08).
Es ist im Rahmen einer Typisierung nicht zu beanstanden, wenn auch nach Ende des Arbeitsverhältnisses durch den früheren Arbeitnehmer eingezahlte Beiträge als noch betrieblich veranlasst eingestuft werden, solange der institutionelle Rahmen des Betriebsrentenrechts, also im Falle der Direktversicherung der auf den Arbeitgeber als Versicherungsnehmer laufende Versicherungsvertrag zur Durchführung der betrieblichen Altersversorgung genutzt wird. Das Betriebsrentenrecht qualifiziert auch die ausschließlich arbeitnehmerfinanzierte Direktversicherung als betriebliche Alters-versorgung. Voraussetzung hierfür ist, dass der Versicherungsvertrag durch den Ar-beitgeber abgeschlossen wurde und er – anders als beim privaten Lebensversiche-rungsvertrag – Versicherungsnehmer ist (BVerfG, Beschluss vom 06.09.2010 – 1 BvR 739/08).

Unter Beachtung dieser verfassungsrechtlichen Grundsätze ist die Beitragspflicht der gesamten ausgezahlten Kapitalleistung zur KV und PV, auch soweit sie auf Versicherungsbeiträgen ab 01.05.2004 beruht, recht- und verfassungsmäßig. Denn die Lebensversicherung, aus dem die Auszahlung resultiert, wurde 1973 als Direktversicherung im Sinne von § 1 Abs. 2 BetrAVG geschlossen. Sie behielt ihren Charakter als Direktversicherung auch über den 30.04.2004 hinaus bis zum Ablaufdatum. Zwar bestand ab 01.05.2004 zwischen der Klägerin als versicherter Person und dem Versicherungsnehmer des Vertrages kein Arbeitsverhältnis mehr. Der Lebensversicherungsvertrag wurde jedoch unverändert von den vertragsschließenden Personen unter Beibehaltung der Stellung der Klägerin als versicherter Person fortgeführt. Die Klägerin rückte nicht in die Stellung des Versicherungsnehmers ein. Sie zahlte nicht einmal die Beiträge, vielmehr wurden diese – wie zuvor auch – von ihrem Ehemann eingezahlt. Dass dieser ab 01.05.2004 nicht mehr der Arbeitgeber war, ist bezüglich der Beitragspflicht zur KV und PV unerheblich. Da die Klägerin nicht selbst Versicherungsnehmerin wurde und auch nicht selbst die Versicherungsbeiträge zahlte, der Vertrag vielmehr – nach außen – unverändert fortgeführt wurde, nutzte sie den institutionellen Rahmen des Betriebsrentenrechts, nämlich den auf einen Arbeitgeber als Versicherungsnehmer abgeschlossenen und – nach außen – so auch fortlaufenden Direktversicherungsvertrag zur Durchführung der betrieblichen Altersversorgung. Deshalb hat die Beklagte zu Recht für die gesamte ausgezahlte Kapitalleistung die Beitragspflicht zur KV und PV festgestellt und die Beiträge auch der Höhe nach zutreffend erhoben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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