L 10 R 3284/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 6 R 832/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 3284/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 20.07.2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.

Der Kläger verließ die Hauptschule ohne Abschluss. Der aktenkundige Versicherungsverlauf vom 20.03.2009 weist von August 2001 bis Juli 2003 insgesamt 24 Monate mit Pflichtbeitragszeiten aus. Weitere Pflichtbeitragszeiten (berufliche Ausbildung) sind in der Zeit von August 2003 bis September 2006 belegt, in der der Kläger im CJD Jugenddorf O. eine Ausbildung zum Gartenbaufachwerker (Zierpflanzenbau) durchlief. Für die Zeit von Oktober 2006 bis Mai 2007 sind im Versicherungsverlauf neben Pflichtbeitragszeiten wegen Arbeitslosigkeit geringfügige versicherungsfreie Beschäftigungen und vom 01.03. bis 15.05.2007 drei Monate Pflichtbeitragszeiten dokumentiert, ferner erneut geringfügige versicherungsfreie Beschäftigungen vom 16.05. bis 30.06.2007 und vom 20.03. bis 30.06.2008.

Durch den erfolgreichen Abschluss der Ausbildung zum Gartenbaufachwerker (Zierpflanzenbau) erreichte der Kläger einen dem Hauptschulabschluss gleichwertigen Bildungsstand (vgl. Bestätigung der CJD Jugenddorf Ch. im CJD Jugenddorf O. vom 28.06.2006). Seit November 2008 lebt der Kläger in der betreuten Wohngruppe "Wohnen auf dem Bauernhof" des Hauses Bodelschwingh in der Nähe von Gaggenau.

Im November 2008 unterrichtete das Amt für Soziales und Versorgung des Landratsamts Ortenaukreis die Beklagte davon, dass sie als nachrangig verpflichteter Sozialleistungsträger voraussichtlich Leistungen nach den Bestimmungen des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB XII) erbringen werde und machte Erstattungsansprüche geltend, da ihren Feststellungen zufolge ein Anspruch auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung bestehe. In dem auf Anregung der Beklagten deshalb von der damaligen Betreuerin des Klägers vorgelegten Formularantrag führte diese aus, der Kläger sei von 2001 bis 2006 im Jugenddorf beschäftigt gewesen bzw. zum Landschaftsgärtner ausgebildet worden. Im Jahr 2007 sei er als Geschirrspüler im Restaurant im Golfclub in Vollzeit tätig gewesen. Das Beschäftigungsverhältnis habe krankheitsbedingt geendet. Zur Begründung des Rentenantrags führte sie als Gesundheitsstörungen eine Neurodermitis sowie eine psychische Störung auf. Sie legte u.a. das Zertifikat der S. GmbH vom 25.01.2008 vor, wonach der Kläger an den Lehrgang "DIA 2007" DIREKT IN ARBEIT, einer Maßnahme der Arbeitsagentur Rastatt, in der Zeit vom 11.12.2007 bis 25.01.2008 mit Erfolg teilgenommen hatte (Inhalte: Selbstmarketing, berufliche Standortbestimmung, Bewerbungstraining, aktive Stellensuche, Arbeitsrecht, Kommunikationstraining, EDV-Training in Theorie und Praxis, allgemeinbildender Unterricht, Mathematik, Deutsch und Wirtschaft und Soziales).

Die Beklagte holte den Befundbericht der Fachärztin für Psychiatrie Dr. R. ein, die als Diagnosen eine Lernbehinderung bei leichter Intelligenzminderung, eine Anpassungsstörung sowie eine Neurodermitis aufführte. Als aktuelle Beschwerden führte sie eine Überforderung bei der selbständigen Lebensführung und Alltagsstrukturierung, eine soziale ängstliche Antriebsminderung und Vernachlässigung der Körperpflege auf und als Aktivitäts- und Teilhabereinschränkungen eine Antriebsstörung und Unfähigkeit im Alltag ohne Außenstrukturierung zu Recht zu kommen (Wäsche waschen, Aufräumen, gesunde Ernährung). Es erfolge eine sozialpädagogische Betreuung in einer beschützenden Einrichtung seit November 2008; sie führe mit dem Kläger psychiatrische Gespräche durch. Die Beklagte veranlasste das Gutachten der Sozialmedizinerin L. auf Grund Untersuchung des Klägers vom 17.03.2009, die unter Zugrundelegung der von Dr. R. mitgeteilten Diagnosen eine leichte bis mittelschwere Tätigkeit im Umfang von sechs Stunden täglich für möglich erachtete. Zu vermeiden seien Anforderungen an die psychisch-geistige Belastbarkeit, wie beispielsweise an das Konzentrations-, Umstellungs- und Anpassungsvermögen, sowie Belastungen durch hautreizende Stoffe. Mit Bescheid vom 20.03.2009 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers mit der Begründung ab, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes könne er mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein und sei daher weder teilweise noch voll erwerbsgemindert.

Im Widerspruchsverfahren führte der zwischenzeitlich zum Betreuer bestellte Rechtsanwalt Scholz aus, sich angesichts des Verhaltens des Klägers innerhalb der Einrichtung - der Kläger sei nicht in der Lage, ordnungsgemäße soziale Kontakte aufzubauen und diese zu halten - nicht vorstellen zu können, dass dieser über die attestierte Leistungsfähigkeit verfüge. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger anlässlich der Untersuchung nicht sein tatsächliches, von seiner Krankheit geprägte Bild habe zeigen können. Eine Leistungsfähigkeit sei auf Grund der Anpassungsstörung nicht gegeben. Selbst im Rahmen der Beschäftigungstherapie könne der Kläger nur eingeschränkte Leistungen erbringen. Die Beklagte veranlasste sodann das Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. B., der auf Grund seiner Untersuchung vom 03.11.2009 einen Zustand nach reaktiv-depressiver Episode im Kontext mit Problemen im psychosozialen Hintergrund, inzwischen gut remittiert, sowie eine selbstunsichere, auch affektverhaltene Persönlichkeitsakzentuierung diagnostizierte und Tätigkeiten im Umfang von sechs Stunden und mehr ohne ständigen Zeitdruck, ohne ständige nervöse Anspannung, ohne andere Stressfaktoren wie Nacht- oder Wechselschicht, ohne überdurchschnittlich fordernde soziale Interaktionen für möglich erachtete. Mit Widerspruchsbescheid vom 25.01.2010 wurde der Widerspruch zurückgewiesen.

Am 26.02.2010 hat der Betreuer des Klägers dagegen beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) Klage erhoben und geltend gemacht, der Kläger sei voll erwerbsgemindert. Sowohl im sozialen Bereich, d.h. im Kontakt mit Mitbewohnern und den Sozialbetreuern, als auch im Bereich der Arbeitsdisziplin und der Arbeitsleistung komme es immer wieder zu erheblichen Konflikten. Der Kläger sei selbst in dem geschützten Rahmen der Außenwohngruppe nicht in der Lage konstant und auf Dauer die ihm abverlangten Arbeitsleistungen zu erbringen. Er legte den an das Landratsamt Ortenaukreis gerichteten Bericht (ohne Datum) der I. H., Sozialbetreuerin in der Wohngruppe, vor.

Das SG hat die Fachärztin für Dermatologie T., den Hautarzt Dr. K. sowie Dr. R. schriftlich als sachverständige Zeugen angehört. Die Dermatologin T. und Dr. K. haben über die Behandlung der Neurodermitis berichtet und die Ausübung einer Tätigkeit im Umfang von sechs Stunden täglich für möglich erachtet, wobei Dr. K. auf spezielle Gefahren für die chronische Hauterkrankung durch Schwitzen, Arbeiten im Feuchtmilieu und irritativ wirksamen Stoffen hingewiesen hat. Dr. R. hat nicht eindeutig beurteilen können, ob der Kläger täglich einer mindestens sechsstündigen Tätigkeit nachzugehen vermag. Er benötige sicher klare Anleitung bei der Arbeit und sei nur begrenzt belastbar. Sie hat die Konzentration, Auffassung, Aufmerksamkeit und die Gedächtnisleistung als herabgesetzt beschrieben und ein reduziertes Kritik- und Urteilsvermögen mit teilweiser Selbstüberschätzung angegeben. Das SG hat darüber hinaus das Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie sowie Psychotherapeutische Medizin Dr. W. auf Grund Untersuchung des Klägers vom 16.09.2010 eingeholt. Der Sachverständige hat ausgeführt, der Kläger leide an einer psychasthenischen und gelegentlich leichten dissozialen Persönlichkeitsakzentuierung bei insgesamt einfach strukturierter Grundpersönlichkeit, wodurch leichte und teilweise mittelschwere körperliche Arbeiten ohne Schicht-, Akkord- und Nachtarbeitsbedingungen, ohne Leitungsfunktion, ohne erhöhte Verantwortung und ohne die Notwendigkeit zu ständigem Publikumsverkehr über sechs Stunden täglich möglich seien. Auf die umfangreichen Einwendungen des Betreuers des Klägers, wonach der Kläger selbst einfachste Arbeiten, wie beispielsweise den zu versorgenden Kleintieren eine ausreichende Menge Futter zu geben, nicht ohne ständige Korrekturen durchführen könne, hat das SG die ergänzende Stellungnahme des Dr. W. eingeholt, der an seiner zuvor getroffenen Einschätzung festgehalten hat.

Nach Anhörung der Sozialbetreuerin Hägele in der mündlichen Verhandlung hat das SG die Klage mit Urteil vom 20.07.2011 abgewiesen. Es hat sich dabei auf die Gutachten des Dr. B. und des Dr. W. gestützt und die Auffassung vertreten, der Kläger könne unter entsprechender Anleitung selbständig eine wirtschaftlich verwertbare Tätigkeit ausüben. Weder der von den Sachverständigen erhobene psychopathologische Befund noch der Umstand, dass der Kläger einen dem Hauptschulabschluss gleichwertigen Bildungsstand erreicht hat, stützten das Vorbringen, dass der Kläger wegen einer geistigen Behinderung voll erwerbsgemindert sei. Bei Vorliegen einer geistigen Behinderung, die entsprechend dem Vorbringen seines Betreuers eine volle Erwerbsminderung begründen würde, stünde der begehrten Rente im Übrigen entgegen, dass der Kläger die Wartezeit von 20 Jahren gemäß § 50 Abs. 2 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VI) nicht erfüllt habe.

Am 03.08.2011 hat der Betreuer des Klägers dagegen beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt und gerügt, die Sachverständigen bzw. Gutachter hätten sich bei der Anamneseerhebung ausschließlich auf die Angaben des Klägers gestützt, obwohl dieser seine Leistungsfähigkeit weitgehend falsch einschätze. Hierdurch komme es auch zu Konflikten zwischen ihm und dem Kläger. Das SG habe sich damit zu Unrecht nicht auseinandergesetzt. Soweit das SG vor dem Hintergrund der Angaben der Sozialbetreuerin H. auf die Anwendung des § 50 Abs. 2 Abs. 2 SGB VI hingewiesen habe, habe es versäumt, die Einschätzungen des Dr. B. und des Dr. W. zu hinterfragen. Der Kläger sei entweder mit mehr als sechs Stunden täglich leistungsfähig oder entsprechend der Einschätzung der Sozialbetreuerin Hägele gerade nicht. Wenn das SG der Einschätzung der genannten Ärzte folge, könne es nicht gleichzeitig die Auffassung vertreten, der Kläger sei bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert gewesen. Hierfür gebe es auch keinerlei Anknüpfungspunkte. Schließlich habe der Kläger trotz seiner Defizite den Hauptschulabschluss erlangt und eine Ausbildung zum Fachwerker abgeschlossen, was eindeutig dagegen spreche, dass er voll erwerbsgemindert sei. Demgegenüber sei es so, dass der Kläger auf Grund seiner geistigen Behinderung und der damit einhergehenden psychischen Beeinträchtigung zum jetzigen Zeitpunkt bzw. seit dem Zeitpunkt der Antragstellung nicht in der Lage sei, auf dem ersten Arbeitsmarkt mehr als sechs Stunden täglich tätig zu sein. Er sei nicht in der Lage, auch einfachste Tätigkeiten über einen längeren Zeitraum hinweg konzentriert und zuverlässig durchzuführen. Dies betreffe die Qualität seiner Leistungsfähigkeit, gleichzeitig aber auch die quantitative Leistungsfähigkeit. Da der Kläger bereits im geschützten Bereich so stark angeleitet werden müsse, dass selbst bei kurzen unbeaufsichtigten Tätigkeiten Nachbesserungsbedarf bestehe, stehe fest, dass auch in der Quantität Abstriche zu machen seien.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 20.07.2011 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 20.03.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.01.2010 zu verurteilen, ihm Rente wegen Erwerbsminderung ab Antragstellung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.

II.

Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und gemäß § 143, 144 SGG statthafte Berufung des Klägers, über die der Senat nach Anhörung der Beteiligten im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss entscheidet, ist zulässig; die Berufung ist jedoch nicht begründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 20.03.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.01.2010 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger ist trotz der bei ihm bestehenden Gesundheitsstörungen im Sinne der maßgeblichen Vorschriften weder voll- noch teilweise erwerbsgemindert. Ihm steht daher weder Rente wegen voller noch wegen teilweiser Erwerbsminderung zu.

Rechtsgrundlage für die hier begehrte Rente wegen Erwerbsminderung ist § 43 SGB VI. Danach haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie - unter anderem vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Warteizeit erfüllt haben - teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind.

Nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI sind teilweise erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sind voll erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Die für eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit erforderliche allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (§ 50 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI) wird durch die Zurücklegung von Beitragszeiten erfüllt (vgl. § 51 Abs. 1 SGB VI). Da der Kläger entsprechende Beitragszeiten zurückgelegt hat, ist die allgemeine Wartezeit erfüllt.

Voraussetzung für einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung an Versicherte, die die allgemeine Wartezeit vor Eintritt der vollen Erwerbsminderung nicht erfüllt haben, ist die Erfüllung einer Wartezeit von 20 Jahren (§ 50 Abs. 2 SGB VI). Diese Wartezeit kann der Kläger schon auf Grund seines jungen Alters nicht erfüllen.

Der Kläger ist im Sinne der dargelegten Regelung weder voll noch teilweise erwerbsgemindert. Dies hat das SG zutreffend entschieden, weshalb der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 153 Abs. 2 SSGG auf die zutreffenden Ausführungen des SG verweist.

Auch der Senat ist zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger trotz der bei ihm bestehenden Gesundheitsstörungen bei Beachtung qualitativer Einschränkungen (ohne Arbeiten unter Akkord-, Fließband-, Schicht- und Nachtarbeitsbedingungen, erhöhter Verantwortung und überwiegendem Publikumsverkehr) in der Lage ist, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Tätigkeiten im Umfang von zumindest sechs Stunden täglich zu verrichten. Von einem Leistungsvermögen in diesem Umfang sind sämtliche am Verfahren beteiligten Gutachter bzw. Sachverständigen, die den Kläger im Hinblick auf seine berufliche Leistungsfähigkeit untersucht haben, übereinstimmend ausgegangen, so namentlich die im Verwaltungsverfahren von der Beklagten hinzugezogene Sozialmedizinerin L., der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. B. und auch der vom SG mit einer Begutachtung beauftragte Sachverständige Dr. W ... Dass die genannten Ärzte den Kläger allein, d.h. nicht in Gegenwart des Betreuers untersucht haben, entwertet die Gutachten entgegen der Ansicht seines Betreuers nicht. Denn die Leistungseinschätzung seines Betreuers und die von diesem in den Vordergrund gerückten Einschränkungen des Klägers waren jedenfalls Dr. B. und Dr. W. bekannt. So holte die Beklagte das Gutachten bei Dr. B. gerade wegen der von dem Betreuer des Klägers im Widerspruchsverfahren erhobenen Einwendungen ein, so dass dieser davon Kenntnis hatte und in die Lage versetzt war die entsprechenden Darlegungen zu berücksichtigen. Darüber hinaus hat das SG Dr. W. ergänzend sogar ausdrücklich zu den umfangreichen Ausführungen des Betreuers befragt, so dass nicht die Rede davon sein kann, dass die Gutachter bzw. Sachverständigen ihrer Beurteilung nur unvollständige oder gar fehlerhafte Tatsachen zu Grund gelegt haben oder sogar die Selbsteinschätzung des Klägers unkritisch übernommen haben könnten.

Nach den überzeugenden Ausführungen des Dr. B. und des Dr. W. leidet der Kläger - entgegen der gegenteiligen Ansicht seines Betreuers - insbesondere nicht an einer geistigen Behinderung, die der Ausübung einer beruflichen Tätigkeit entgegenstehen würde. Eine geistige Behinderung hat auch die Fachärztin für Psychiatrie Dr. R., die den Kläger seit November 2008 regelmäßig betreut, nicht beschrieben, weder in ihrem der Beklagten im Verwaltungsverfahren vorgelegten Befundbericht vom 10.03.2009 noch im Rahmen ihrer dem SG erteilten Auskunft als sachverständige Zeugin. Angegeben hat sie lediglich eine Lernbehinderung bei leichter Intelligenzminderung und eine Anpassungsstörung.

Für den Senat ist angesichts dessen auch nicht nachvollziehbar, dass der Betreuer des Klägers im Berufungsverfahren geltend macht, der Kläger sei "auf Grund seiner geistigen Behinderung und der damit einhergehenden psychischen Beeinträchtigung keine sechs Stunden täglich mehr leistungsfähig." Gänzlich unverständlich wird dieses Vorbringen dann bei Heranziehung seines weiteren Vortrags, wonach keinerlei Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass der Kläger bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert gewesen sei. Zur Begründung verweist er darauf, weil der Kläger trotz seiner Defizite den Hauptschulabschluss erlangte und eine Ausbildung zum Fachwerker abgeschlossen habe, was eindeutig dagegen spreche, dass er voll erwerbsgemindert sei. Diese Beurteilung deckt sich aber gerade mit der Einschätzung des SG und den hinzugezogenen Gutachtern bzw. Sachverständigen, auf dessen Beurteilung es sich gestützt hat.

Soweit der Betreuer des Klägers daran anknüpfend nunmehr behauptet, der Kläger sei zwar seinerzeit nicht voll erwerbsgemindert gewesen, jedoch liege die geltend gemachte Erwerbsminderungsrente "zum jetzigen Zeitpunkt bzw. seit dem Zeitpunkt der Antragstellung" vor, so bleibt er jegliche Begründung dafür schuldig, wodurch die Änderung der Leistungsfähigkeit des Klägers seit dem Ende der Ausbildung im September 2006 bis zum Zeitpunkt der Antragstelllung Ende 2008 bedingt sein soll. Seinen umfangreichen Ausführungen sind insbesondere keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass im Gesundheitszustand des Klägers seit dem Ausbildungsende eine so gravierende Verschlechterung eingetreten sein könnte, die zu einem Herabsinken seines Leistungsvermögens auf ein rentenberechtigendes Ausmaß geführt haben könnte. Demgegenüber begründet der Betreuer des Klägers die von ihm angenommene Erwerbsminderung vielmehr mit dem Verhalten des Klägers, durch das er selbst einfachste Tätigkeiten über eine Zeitdauer von sechs Stunden täglich nicht durchführen könne. Die dabei herangezogenen Beeinträchtigungen in Form von sozialen Ängsten, Antriebsstörungen und die Unfähigkeit den Alltag zu strukturieren, sind - wie den Gutachten des Dr. B. und des Dr. W. entnommen werden kann - jedoch entwicklungsbedingte Störungen, die nicht erst nach Abschluss der Ausbildung aufgetreten sind. Störungen dieser Art lagen beim Kläger schon viele Jahre zuvor vor und waren offenbar auch der Grund, weshalb der Kläger seine Ausbildung in dem beschützten Rahmen des CJD Jugenddorf O. absolvierte. Allein das Vorliegen solcher Störungen begründet keinen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung.

Dementsprechend ist das SG auch zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger selbst dann keine Rente wegen Erwerbsminderung beanspruchen könnte, wenn man entgegen dem Gutachten des Dr. B. und des Dr. W. - und demnach im Sinne der Auffassung seines Betreuers - zum Zeitpunkt der Antragstellung bzw. aktuell von einer Minderung des beruflichen Leistungsvermögens in einem rentenberechtigenden Ausmaß ausgehen würde. Denn in diesem Fall hätte der Kläger seine die Leistungsminderung begründenden Beeinträchtigungen bereits in das Erwerbsleben eingebracht, so dass volle Erwerbsminderung im Sinne des § 50 Abs. 2 SGB VI bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit, mit der Folge eingetreten wäre, dass Voraussetzung für einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung die Erfüllung einer Wartezeit von 20 Jahren wäre, was vom Kläger zweifellos nicht erreicht wird.

Soweit das SG auf die Regelung des § 50 Abs. 2 SGB VI hingewiesen hat, ist die Entscheidung in keiner Weise widersprüchlich. Denn das SG hat damit - unter Außerachtlassung der eigenen Auffassung - eine alternative Anspruchsprüfung unter Zugrundelegung der Leistungseinschätzung des Betreuers des Klägers vorgenommen, wonach angesichts der beschriebenen Defizite volle Erwerbsminderung vorliege. Zu Recht hat das SG folgerichtig dann aber auch zu Grunde gelegt, dass die entsprechenden Beeinträchtigungen vom Kläger bereits in das Erwerbsleben eingebracht wurden - für eine Zunahme der Fähigkeitsstörungen des Klägers bieten sich keinerlei Anhaltspunkte - und die Wartezeit deshalb gemäß § 50 Abs. 2 SGB VI zu ermitteln ist.

Der Betreuer des Klägers verkennt, dass die Überforderung des Klägers mit einer selbständigen Lebensführung und Alltagsstrukturierung nicht gleichzusetzen ist mit einer vollen oder teilweisen Erwerbsminderung. Denn die Ausübung einer intellektuell einfachen Tätigkeit unter verstärkter Anleitung erfordert weit weniger Kompetenzen als eine selbständige Lebensführung. Daher belegt auch der von dem Betreuer des Klägers hervorgehobene Umstand, dass der Kläger in einer betreuten Einrichtung lebt, nicht das Herabsinken der beruflichen Leistungsfähigkeit auf ein rentenberechtigendes Ausmaß.

Da die Berufung des Klägers nach alledem keinen Erfolg haben kann, ist diese zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Für die Zulassung der Revision besteht keine Veranlassung.
Rechtskraft
Aus
Saved