L 12 AS 3489/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 5 AS 418/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 3489/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 5. Juli 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten zunächst über die Beendigung des Rechtsstreits vor dem Sozialgericht Ulm (SG) durch gerichtlichen Vergleich. In der Sache begehrt der Kläger höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für den Zeitraum Dezember 2008 bis Mai 2009, bzw. ab November 2007.

Der 1955 geborene Kläger bezieht laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom Beklagten. Er bewohnt allein ein Eigenheim mit 120 qm Wohnfläche, für welches er Zins- und Tilgungsleistungen zu erbringen hat. Seine 1990 und 1993 geborenen Söhne leben bei der Mutter.

Mit Bescheid vom 3. Februar 2009 in der Gestalt des Änderungsbescheids vom 26. März 2009 bewilligte der Beklagte dem Kläger Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II für 1. Dezember 2008 bis 31. Mai 2009, den Widerspruch des Klägers wies er mit Widerspruchsbescheid vom 27. März 2009 zurück. Mit weiterem Änderungsbescheid vom 13. Mai 2009 bewilligte der Beklagte entsprechend einer Änderung bei der Gebäudebrandversicherung geringfügig höhere Leistungen.

Gegen den Widerspruchsbescheid vom 27. März 2009 hat der Kläger am 29. April 2011 anwaltlich vertreten zum SG Klage erhoben (S 5 AS 1517/09). Nach der vorliegenden Vollmacht hatte der Bevollmächtigte des Klägers u.a. die Befugnis, den Rechtsstreit durch Vergleich zu erledigen. Am 11. September 2009 hat das SG einen Erörterungstermin durchgeführt, zu dem der Kläger nicht erschienen ist. In diesem Termin hat der Vertreter des Beklagten erklärt, dass der Beklagte bereit sei, die Kosten der Unterkunft bezüglich der Zahlung der Zinsen für einen Drei-Personen-Haushalt als Bedarf anzuerkennen, falls der Kläger ein mindestens 14-tägiges Umgangsrecht mit seinen Kindern nachweise. Am 15. Oktober 2010 hat das SG mündlich verhandelt. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers - der Kläger selbst war nicht anwesend - und der Bevollmächtigte des Beklagten schlossen ausweislich der Niederschrift folgenden Vergleich: 1. Die Beklagte gewährt dem Kläger für Dezember 2008 291,50 EUR und ab Januar 2009 338,80 EUR als Brutto-Kaltmiete. Der geänderte Betrag ab Januar 2009 ergibt sich aus der geänderten Mietpreisstufe für Gschwend und aus der Anwendung der ab 2009 anzuwendenden neuen Wohngeldtabelle. 2. Die Beklagte erstattet die Hälfte der außergerichtlichen Kosten. 3. Der Rechtsstreit ist erledigt.

Am 22. Oktober 2010 hat der Kläger mitgeteilt, dass er dem Vergleich keinesfalls zustimme. Ergänzend hat er auf Nachfrage des SG geäußert, dass er darauf bestehe, das Verfahren fortzusetzen. Sein Bevollmächtigter habe gegen seinen Willen gehandelt. Er begehre die Übernahme von Unterkunftskosten in Höhe von 630 EUR monatlich.

Mit Gerichtsbescheid vom 5. Juli 2011 (S 5 AS 418/11) hat das SG festgestellt, dass der Rechtsstreit durch den Vergleich vom 15. Oktober 2010 erledigt ist. Der gerichtliche Vergleich habe eine Doppelnatur, er sei sowohl öffentlich-rechtlicher Vertrag, für den materielles Recht gelte, als auch Prozesshandlung der Beteiligten (Prozessvertrag), die den Rechtsstreit unmittelbar beende und deren Wirksamkeit sich nach den Grundsätzen des Prozessrechts richte. Die Unwirksamkeit eines gerichtlichen Vergleichs könne daher darauf beruhen, dass entweder der materiell-rechtliche Vertrag nicht wirksam zustande gekommen, nichtig oder wirksam angefochten sei oder die zum Abschluss des Vergleichs notwendigen Prozesshandlungen nicht wirksam vorgenommen worden seien. Materiell-rechtliche Gründe für eine Unwirksamkeit des Vergleichs seien nicht ersichtlich. Die Beteiligten hätten in der mündlichen Verhandlung einen Vergleichsvertrag i.S.d. §§ 54 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch, 779 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) geschlossen. Der Bevollmächtigte des Klägers sei hierzu aufgrund der vom Kläger erteilten Vollmacht auch berechtigt gewesen. § 164 Abs. 1 Satz 1 BGB bestimme, dass die Willenserklärung, die der Bevollmächtigte für den Vertretenen innerhalb der Vertretungsmacht im Namen des Vertretenen abgebe, unmittelbar für und gegen diesen wirke. Sinngemäß wolle der Kläger die Zustimmung seines Bevollmächtigten zum Vergleich anfechten bzw. widerrufen. Ihm stehe kein Anfechtungsrecht bzw. -grund zur Seite. Da der Bevollmächtigte der rechtsgeschäftlich Handelnde sei, sei wegen eventueller Willens- oder Erklärungsmängel i.S.v. §§ 116 bis 123 BGB nach § 166 Abs. 1 BGB allein auf die Person des Vertreters und nicht des Klägers abzustellen. Dass bei dem Bevollmächtigten zum Zeitpunkt der Abgabe seiner Erklärung entsprechende Willens- oder Erklärungsmängel vorgelegen hätten, behaupte nicht einmal der Kläger. Damit scheide die Anfechtung der vom früheren Bevollmächtigten des Klägers abgegebenen Willenserklärung aus. Der Vortrag, der Bevollmächtigte haben gegen den Willen des Klägers entschieden, stelle jedenfalls keinen Anfechtungsgrund dar. Ein Widerruf sei rechtlich ausgeschlossen, da der Vergleich keinen Widerrufsvorbehalt enthalte.

Auch unter prozessrechtlichen Gesichtspunkten bestünden an der Wirksamkeit des Vergleichs keine Zweifel. Der Vergleich sei in der mündlichen Verhandlung des SG ordnungsgemäß handschriftlich vorläufig aufgezeichnet, den Beteiligten vorgelesen und von diesen genehmigt worden (§ 122 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. §§ 160a Abs. 1, 160 Abs. 3 Nr. 1, 162 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO)), wie in der Sitzungsniederschrift beurkundet. Die zur Beendigung des Verfahrens führende Prozesshandlung seines früheren Bevollmächtigten binde den Kläger in gleicher Weise, als hätte er sie selbst vorgenommen (§ 73 Abs. 6 Satz 6 SGG i.V.m. § 85 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Prozesshandlungen könnten nur in extremen Ausnahmefällen widerrufen werden, z.B. bei Vorliegen eines Wiederaufnahmegrundes i.S.v. § 179 SGG i.V.m. § 578 ff. ZPO. Selbst wenn die Erklärung des Klägers als Widerruf der ihm zuzurechnenden Prozesshandlung auszulegen wäre, könnte er den Prozessvergleich nicht zu Fall bringen, denn es liege kein Wiederaufnahmegrund i.S.v. § 179 SGG i.V.m. § 578 ff. ZPO vor. Da der Prozessvergleich wirksam sei, sei der Kammer eine inhaltliche Entscheidung bezüglich der geltend gemachten höheren Leistungen verwehrt.

Gegen den ihm am 19. Juli 2011 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 16. August 2011 eingelegte Berufung des Klägers. Das SG habe einen uninteressierten Anwalt als Vehikel benutzt und einen wahren Parteitag gegen Menschenrechte abgehalten. Er habe an den Verhandlungstagen nicht teilnehmen können, weil er durch die ständigen Misshandlungen des Jobcenters durch illegale Kürzungen schwer erkrankt gewesen sei. Im Gerichtsurteil seien die tatsächlichen Kaltmietkosten nicht berücksichtigt, sondern es sei ein haltloser theoretischer Wert zugrundegelegt worden. Seine tatsächlichen Kosten seien nur zu einem kleinen Teil berücksichtigt worden, das sei illegal. Das SG habe die Änderung erst ab Dezember 2009 gefasst, in der Klage sei es um November 2007 gegangen, es fehlten zwei Jahre. Seit Januar 2005 seien keine Heizungskosten bezahlt worden, er verlange Nachzahlungen und 15% Überziehungszins, zusätzlich Wiedergutmachungsleistungen und Übernahme von Krankheitskosten. Der Regelsatz/Regelleistung sei nicht bedarfsdeckend, korrekt seien für 2005 627 EUR monatlich mit jährlicher Steigerung bis 2012.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm aufzuheben und unter Fortsetzung des Verfahrens den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 3. Februar 2009 in der Fassung des Bescheids vom 26. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. März 2009 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 13. Mai 2009 zu verurteilen, ihm höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1. November 2007 bis 31. Mai 2009 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verweist auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und das Vorbringen der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegte Berufung ist statthaft (§ 143 SGG) und damit zulässig, da der Wert des Beschwerdegegenstands 750 EUR übersteigt. Die Berufung ist jedoch in der Sache nicht begründet, das SG hat zu Recht die verfahrensbeendigende Wirkung des Vergleichs festgestellt.

Der damalige Bevollmächtigte des Klägers, dessen Verhalten sich der Kläger zurechnen lassen muss (§§ 73 Abs. 6 Satz 6 SGG, 85 Abs. 1 ZPO) hat dem verfahrensbeendenden Vergleich zugestimmt. Durch diesen Vergleich hat sich das Verfahren in der Hauptsache erledigt. Insoweit sieht der Senat von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den überzeugenden und zutreffenden Gründen des angefochtenen Gerichtsbescheids zurück (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend wird nochmals darauf verwiesen, dass nur in den engen Grenzen des Vorliegens der Voraussetzungen der Wiederaufnahme des Verfahrens ein Widerruf der Zustimmung zum gerichtlichen Vergleich denkbar ist (§§ 179, 180 SGG). Danach kann ein rechtskräftig beendetes Verfahren entsprechend den Vorschriften des Vierten Buches der Zivilprozessordnung wieder aufgenommen werden (§ 179 Abs. 1 SGG). Es fehlt hier an den Voraussetzungen der Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß den Vorschriften der Nichtigkeitsklage oder Restitutionsklage (§§ 579, 580 ZPO). Die Anfechtungsgründe sind abschließend aufgeführt. Es handelt sich im Wesentlichen um schwerste Verfahrensmängel bzw. um eine Entscheidung, die auf einer unrichtigen, insbesondere einer verfälschten Grundlage beruht, wie z.B. auf einer Urkundenfälschung oder einer strafbaren Urteilserschleichung. Die Wiederaufnahme ist ferner zulässig, wenn ein Beteiligter strafgerichtlich verurteilt worden ist, weil er Tatsachen, die für die Entscheidung der Streitsache von wesentlicher Bedeutung waren, wissentlich falsch behauptet oder vorsätzlich verschwiegen hat. Derartige Gründe liegen hier ersichtlich nicht vor und werden auch vom Kläger nicht behauptet.

Soweit der Kläger weiter geltend macht, das SG habe über die Zeit ab November 2007 nicht entschieden, so ist klarzustellen, dass das SG in der Sache überhaupt nicht entschieden hat und auch nicht entscheiden konnte, da das Verfahren durch den zwischen den Beteiligten geschlossenen Vergleich vollumfänglich beendet war. Nur ergänzend wird darauf hingewiesen, dass der Beklagte gleichwohl die im gerichtlichen Vergleich getroffene Regelung mit Änderungsbescheiden vom 26. November 2010 nicht nur für den Zeitraum Dezember 2008 bis Mai 2009 umgesetzt hat, sondern auch für die davor liegenden Zeiträume ab November 2007 und ebenso die nachfolgenden Zeiträume und zugunsten des Klägers entsprechende Nachzahlungen veranlasst hat.

Die Leistungen ab November 2007 können auch nicht zulässigerweise zum Gegenstand des Berufungsverfahrens gemacht werden, da die entsprechenden, diese Zeiträume regelnden Bescheide bereits bestandskräftig sind (Bescheid vom 25. Juni 2007, Änderungsbescheide vom 24. September 2007, 5. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Februar 2008; Bescheid vom 2. Januar 2008, Änderungsbescheid vom 8. Januar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Februar 2008 und der Änderungsbescheide vom 25. März 2008).

Da das Verfahren durch den erstinstanzlich geschlossenen Vergleich beendet wurde, ist dem Senat eine Entscheidung in der Sache verwehrt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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