L 7 KA 60/08

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 79 KA 317/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 7 KA 60/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. Februar 2008 wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über den Widerruf von Abrechnungsgenehmigungen zur Durchführung krankenhausersetzender ambulanter Operationen bzw. Anästhesien.

Der Kläger ist Facharzt für Innere Medizin und für Anästhesiologie. Er ist seit 1. April 1998 als Arzt für Innere Medizin ohne Schwerpunktbezeichnung vertragsärztlich zugelassen und nimmt an der hausärztlichen Versorgung teil. Seit dem 1. Mai 2004 arbeitet er in einer Praxisgemeinschaft mit dem Zahnarzt Dr. C; die Zahnarztpraxis ist nach ihrer Selbstdarstellung im Internet (http://www.) auf die stressfreie Behandlung von Angstpatienten im Tiefschlaf (Vollnarkose) spezialisiert.

Mit Bescheid vom 3. Dezember 1998 erhielt der Kläger von der Beklagten gemäß der "Vereinbarung von Qualitätssicherungsmaßnahmen beim ambulanten Operieren" die Genehmigung zur Durchführung und Abrechnung der gemäß § 3 des Vertrages nach § 115 b SGB V ambulanten Anästhesien im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung. Mit Bescheid vom 8. März 2004 erteilte die Beklagte dem Kläger "weiterhin" ab 1. Januar 2004 die Abrechnungsgenehmigung für die Durchführung ambulanter Anästhesien auf der Grundlage der Übergangsregelung der neuen bundeseinheitlichen Vereinbarung von Qualitätssicherungsmaßnahmen bei ambulanten Operationen und bei sonstigen stationsersetzenden Maßnahmen gemäß § 15 des Vertrages nach § 115 b Abs. 1 SGB V.

Außerdem erhielt der Kläger von der Beklagten mit Bescheid vom 7. Juli 1999 eine Abrechnungsgenehmigung gemäß der Strukturverträge mit dem VdAK vom 1. Januar 1998, der AOK vom 1. April 1998 bzw. 1. Juli 1998 und der BKK vom 1. Juli 1998 für die Durchführung von krankenhausersetzenden ambulanten Anästhesien. Bei Abrechnung derselben sei jeweils Nr. 9000 E zu liquidieren.

Danach durfte der Kläger Anästhesieleistungen auf der Grundlage des EBM, zuletzt in der ab 1. Oktober 2001 geltenden Fassung, abrechnen.

Mit Bescheiden vom 28. April 2005 hob die Beklagte die genannten Abrechnungsgenehmigungen mit Wirkung vom 1. April 2005 auf. Der Widerruf der Teilnahme an den Strukturverträgen bezog sich dabei nur auf den VdAK-Landesverband und die AOK Berlin, weil die Teilnahme am Strukturvertrag der BKK bereits zum 31. Dezember 2004 geendet hatte, denn die Vertragspartner hatten keine Verlängerung des Strukturvertrages beschlossen. Mit Einführung des EBM 2000plus zum 1. April 2005 seien arztgruppenspezifische und arztgruppenübergreifende spezielle Leistungen von Ärzten nur berechenbar, wenn sie – anders als der Kläger – an der fachärztlichen Versorgung teilnähmen. Entscheidend sei der Zulassungsstatus. Die bisherigen Regelungen entfielen zum 1. April 2005, so dass die erteilten Abrechnungsgenehmigungen gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben seien.

Mit seinem hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Kläger auf die seit Mai 2004 bestehende Kooperation mit operativ tätigen Zahnärzten hin, in deren Rahmen er unter anderem die Anästhesieleistungen erbringe. Auf Grundlage der bisherigen Genehmigungen habe er auch Investitionen u. a. für ein Narkosegerät getätigt. Die kurzfristig mitgeteilte Aufhebung der Abrechnungsgenehmigungen sei nicht akzeptabel.

Mit Bescheid vom 18. August 2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte zur Begründung im Wesentlichen aus: Mit Einführung des neuen EBM 2000plus finde der zuvor geltende EBM in der Fassung vom 1. Oktober 2001, auf dessen Grundlage die Vergütung der Anästhesieleistungen bislang erfolgt sei, keine Anwendung mehr. Der neue EBM verfolge das Ziel der Verbesserung der Versorgung, nehme eine stringente Zuordnung der Leistungen zur hausärztlichen bzw. fachärztlichen Versorgungsebene vor und gliedere den fachärztlichen Bereich nach Fachgebieten. Weil der Kläger als Arzt für Innere Medizin an der hausärztlichen Versorgung teilnehme, sei er nach der arztgruppenspezifischen und fachgebietsbeschränkenden Struktur des EBM 2000plus nicht mehr dazu berechtigt, spezielle ambulante Anästhesieleistungen in Zusammenhang mit der Erbringung von ambulanten und belegärztlichen Operationen abzurechnen; es handele sich um facharztspezifische Leistungen gemäß Abschnitt 31.5 des EBM 2000plus, die nur von Fachärzten für Anästhesie, die von ihrem Zulassungsstatus her an der fachärztlichen Versorgung teilnähmen, abrechenbar seien, nicht aber von an der hausärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzten. Auf der Grundlage von § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X hätten die Abrechnungsgenehmigungen daher wegen Änderung der Verhältnisse mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben werden müssen. Den Bescheiden komme ohnehin nur deklaratorische Wirkung zu, da die rechtliche Grundlage für die Abrechnung von Anästhesieleistungen in Zusammenhang mit ambulanten Operationen ab 1. April 2005 entfallen sei. Die neue Rechtslage sehe keine Möglichkeit zur Aufrechterhaltung der streitigen Abrechnungsgenehmigungen vor.

Zur Begründung seiner Klage hat der Kläger vorgebracht: Eine relevante Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse sei nicht gegeben. Die Neuregelungen des EBM 2000plus entfalteten keine Auswirkungen in dem Bereich, für den die Abrechnungsgenehmigungen erteilt worden seien, nämlich im Rahmen der "Strukturverträge" und der ambulanten Operationen gemäß § 15 des Vertrages nach § 115 b SGB V. Die "Strukturverträge" enthielten keine beschränkenden Regelungen zum Kreis der Leistungserbringer; die Regelungen des EBM 2000plus seien insoweit nachrangig. Auch die Verträge nach § 115 b SGB V seien vom EBM 2000plus nicht erfasst. Zwar regele § 7 des Vertrages nach § 115 b SGB V, dass die ambulanten Operationsleistungen mit den vom EBM bestimmten Vergütungssätzen zu honorieren seien; die Rechtmäßigkeit dieser Regelung sei aber fraglich, weil grundsätzlich eine einheitliche Vergütung von Krankenhäusern und Vertragsärzten anzustreben sei. Der EBM bestimme höchstens den Leistungskatalog selbst, nicht aber die Vergütung. Die Aufhebung der Abrechnungsgenehmigungen trage der Qualifikation des Klägers nicht hinreichend Rechnung. Im Hinblick auf die getätigten Investitionen genieße er Vertrauensschutz.

Mit Urteil vom 27. Februar 2008 hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen. Die Widerrufsbescheide seien rechtmäßig. Mit Einführung des neuen EBM 2000plus zum 1. April 2005 habe der Kläger keinen Vergütungsanspruch mehr für spezielle Anästhesieleistungen. Die mit der Rechtsänderung einhergehende Belastung sei von den betroffenen Ärzten hinzunehmen, da sie der Qualitätssicherung diene.

Am 8. August 2008 hat der Kläger Berufung gegen die ihm am 8. Juli 2008 zugestellte erstinstanzliche Entscheidung eingelegt. Die Vorgaben des EBM entfalteten keine Relevanz für den Bereich, auf den sich die aufgehobenen Abrechnungsgenehmigungen erstreckten. Diese seien im Kontext neuer Versorgungsformen erteilt worden und bewegten sich jenseits des klassischen Vertragsarztrechts. Mit den Strukturverträgen und § 115 b SGB V sei die Schaffung eines multiplen Vertragsarztes beabsichtigt gewesen. Dem werde der Kläger in seiner mehrfachen Qualifikation gerade gerecht.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. Februar 2008 und die Bescheide der Beklagten vom 28. April 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. August 2005 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Nicht nachvollziehbar seien die Ausführungen des Klägers zum Vertrauensschutz. Der Zahnarzt Dr. C, mit dem der Kläger kooperiere, sei nämlich nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen, so dass dieser auch keine ambulanten Operationen nach dem EBM abrechnen dürfe; daher seien auch die vom Kläger in diesem Zusammenhang erbrachten Anästhesien nicht nach Abschnitt 31.5 EBM abrechenbar, sondern nur nach den für zahnärztliche Leistungen geltenden Regelungen. Grundsätzlich seien zudem im Rahmen des ambulanten Operierens nur die im EBM enthaltenen Leistungen vergütungsfähig. Auf der Grundlage von § 87 Abs. 2a Satz 1 SGB V regele der EBM dabei abschließend, welche Leistungen von hausärztlicher bzw. fachärztlicher Seite erbringbar seien. Die Vereinbarung von Qualitätssicherungsmaßnahmen gemäß § 115 b SGB V und die Strukturverträge regelten daneben nur besondere Voraussetzungen und Vergütungen für diese Leistungen. Im Übrigen seien die Strukturverträge zum 31. Dezember 2008 gekündigt.

Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der Erörterung in der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung war.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, hat aber keinen Erfolg. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen.

Die Klage ist unzulässig, denn ihr fehlt es am Rechtsschutzbedürfnis; das begehrte Urteil kann die rechtliche bzw. wirtschaftliche Stellung des Klägers nicht verbessern.

Durch die Aufhebung des angefochtenen Bescheides könnte der Kläger sein begehrtes Ziel, über den 1. April 2005 hinaus – also auch unter Geltung des EBM 2000plus – krankenhausersetzende ambulante Anästhesieleistungen im bisherigen Umfang erbringen und – vor allem –abrechnen zu dürfen, nicht erreichen.

Die dem Kläger erteilten und von der Beklagten widerrufenen Abrechnungsgenehmigungen stellen Verwaltungsakte mit Dauerwirkung dar. Sie haben sich zum 1. April 2005 mit Inkrafttreten des EBM 2000plus materiellrechtlich erledigt, denn aufgrund seiner vertragsärztlichen Zulassung als Arzt für Innere Medizin ohne Schwerpunktbezeichnung mit Teilnahme an der hausärztlichen Versorgung durfte der Kläger die von den Abrechnungsgenehmigungen umfassten Leistungen ohnehin ab dem 1. April 2005 nicht mehr zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbringen.

Nach dem ab 1. April 2005 geltenden EBM 2000plus sind die abrechnungsfähigen Leistungen drei Bereichen zugeordnet: arztgruppenübergreifenden allgemeinen Leistungen, arztgruppenspezifischen Leistungen und arztgruppenübergreifenden speziellen Leistungen. Arztgruppenspezifische Leistungen unterteilen sich strikt in Leistungen des hausärztlichen und des fachärztlichen Versorgungsbereichs. In den arztgruppenspezifischen Kapiteln bzw. Abschnitten sind entweder durch Aufzählung der Leistungspositionen in den jeweiligen Präambeln oder Auflistung im Kapitel bzw. Abschnitt alle von einer Arztgruppe berechnungsfähigen Leistungen angegeben. Arztgruppenspezifische Leistungen können nur von den in der Präambel des entsprechenden Kapitels bzw. Abschnitts genannten Vertragsärzten, die die dort aufgeführten Kriterien erfüllen, berechnet werden (Abschnitt I 1.2.2 EBM 2000plus).

Bei den anästhesiologischen Leistungen, die der Kläger weiterhin zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbringen will, handelt es sich um arztgruppenspezifische Leistungen nach Abschnitt IIIb Kapitel 5 des EBM 2000plus. Sie sind damit Teil des fachärztlichen Versorgungsbereichs. Die in Abschnitt IIIb Kapitel 5 aufgeführten Leistungen können ausschließlich von (als solche auch vertragsärztlich zugelassenen) Fachärzten für Anästhesiologie abgerechnet werden (Präambel 5.1 Nr. 1 EBM 2000plus). Fachärzte für Allgemeinmedizin, Praktische Ärzte und Ärzte ohne Gebietsbezeichnung können - wenn sie im Wesentlichen anästhesiologische Leistungen erbringen - gemäß § 73 Abs. 1a Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V) auf ihren Antrag die Genehmigung zur ausschließlichen Teilnahme an der fachärztlichen Versorgung erhalten und Leistungen dieses Kapitels berechnen. Nach Erhalt der Genehmigung können sie Leistungen des Kapitels 3 (hausärztlicher Versorgungsbereich) nicht mehr berechnen (Präambel 5.1 Nr. 2 EBM 2000plus).

Bei den Leistungen nach Abschnitt IV Kapitel 31.5. EBM 2000plus (Anästhesien im Zusammenhang mit der Erbringung von Leistungen des Abschnitts 31.2, ambulante und belegärztliche Operationen), die der Kläger weiter abrechnen will, handelt es sich um arztgruppenübergreifende spezielle Leistungen. Nach Abschnitt 31.5.1 Präambel des Kapitels 31.5 EBM 2000plus können die Leistungen nach Abschnitt 31.5.3 EBM 2005 nur von Fachärzten für Anästhesie erbracht werden. Auch hier wird bestimmt, dass Fachärzte für Allgemeinmedizin, Praktische Ärzte und Ärzte ohne Gebietsbezeichnung, wenn sie im Wesentlichen anästhesiologische Leistungen erbringen, gemäß § 73 Abs. 1a SGB V auf Antrag die Genehmigung zur ausschließlichen Teilnahme an der fachärztlichen Versorgung erhalten und Leistungen dieses Kapitels berechnen können. Nach Erhalt der Genehmigung können sie Leistungen des Kapitels 3 nicht mehr berechnen (Präambel 31.5.1 Nr. 3 EBM 2005).

Aufgrund seines Zulassungsstatus als an der hausärztlichen Versorgung teilnehmender Internist war der Kläger nach alledem ab dem 1. April 2005 auf die Erbringung der im Abschnitt III Kapitel 3 EBM 2000plus genannten hausärztlichen Leistungen beschränkt. Auf seine darüber hinausgehende fachärztliche Weiterbildung kommt es nicht an, denn maßgeblich und ausnahmslos stellt der EBM 2000plus auf den Zulassungsstatus ab, was das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 28. Oktober 2009 für beanstandungsfrei erklärt hat (B 6 KA 22/08 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 12; vgl. auch SG Marburg, Urteil vom 29. November 2006, S 12 KA 658/06, zitiert nach juris, dort Rdnr. 22).

Im Übrigen wäre dem Kläger mit einer stattgebenden Entscheidung auch deshalb nicht geholfen, weil sämtliche in Betracht kommenden Honorarbescheide bestandskräftig sein dürften und damit abgerechnete Leistungen aus dem fraglichen Gebiet nicht mehr offen sind. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erklärt, ihm sei nicht bekannt, dass noch abgerechnete Leistungen aus dem streitigen Gebiet offen oder Honorarbescheide angefochten seien. Auch daher fehlt es der Klage am Rechtsschutzbedürfnis, denn eine Aufhebung des angefochtenen Bescheides könnte die Honorarsituation des Klägers, um die es im vorliegenden Rechtsstreit allein geht, nicht verbessern.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1, 2. Hs. SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreites.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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